Klimaneutralität
Messen machen sich auf
Ausbau erneuerbarer Energien, Investitionen in Energieeffizienz, Digitalisierung der Energiewende: Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, informiert sich auf der Hannover Messe 2022. Die deutsche Messewirtschaft will nicht mehr nur Innovationen für mehr Klimaschutz ausstellen, sie will als Wirtschaftszweig dazu beitragen. Foto: Deutsche Messe
Ausbau erneuerbarer Energien, Investitionen in Energieeffizienz und Digitalisierung der Energiewende: Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, informiert sich auf der Hannover Messe 2022. Die deutsche Messewirtschaft will nicht mehr nur Innovationen für mehr Klimaschutz ausstellen, sie will als Wirtschaftszweig dazu beitragen. Foto: Deutsche Messe
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Das ist nur mit dem Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu schaffen. Als Schaufenster der Wirtschaft und Verursacher von Emissionen sind Messen mit in der Pflicht. Nun setzt sich die deutsche Messewirtschaft eigene Klimaziele und will bis 2040 klimaneutral werden.
ARD-Börsenexpertin Anja Kohl schreckt im Sommer ihre Zuschauer auf. Angesichts von Hitzewellen in Deutschland und Europa spricht sie in ihrer Sendung „Börse vor acht“ Tacheles zum Thema Klima. „Wir spüren den Klimawandel am eigenen Leib. Die Erde stößt an ihre planetaren Grenzen. Aufzuhalten ist der Klimawandel nicht mehr. Einige Jahre bleiben uns, um die Verluste zu begrenzen – menschlich, ökologisch, wirtschaftlich, finanziell.“ Das Gesagte veranschaulicht die Moderatorin mit einer Grafik: Die Kosten des Klimawandels werden in Deutschland zwischen 2000 und 2021 auf 145 Milliarden Euro geschätzt, eingerechnet sind die Schäden durch die Hitzesommer 2018 und 2019 und das Hochwasser 2021.
Die Klimakrise kostet Deutschland jährlich 6,6 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragtes Projekt zu den Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland. „Die Klimakrise spitzt sich weltweit zu. Wir stehen jetzt vor zwei entscheidenden Aufgaben“, kommentiert Robert Habeck die Zahlen. Als erste Aufgabe sieht der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, die Folgen der Klimakrise weltweit auf einem erträglichen Niveau halten. Das gehe nur mit deutlich mehr Klimaschutz, wozu die Anstrengungen in allen Sektoren zu verstärken sind. Erst letztes Jahr verabschiedeten seine Vorgänger ein neues Klimaschutzgesetz, in dem sie die CO2-Reduktionsziele verschärften und den Zeitpunkt der Einführung der Treibhausgasneutralität vorverlegten.
Klimaneutral bis 2040
Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein und fünf Jahre später Europa. Klimaneutralität bedeutet, dass Prozesse oder Tätigkeiten das Klima nicht beeinflussen. Das heißt, dass wir unsere Art des Zusammenlebens und Wirtschaftens grundlegend ändern müssen. Messen und auch Kongressen kommt dabei als Plattformen für Wirtschaft und Wissenschaft, für Waren und Wissen eine besondere Bedeutung zu. „Messen sind Teil der Lösung auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Messen sind die Treffpunkte, auf denen Branchenpartner als Problemlöser gemeinsam Wege in eine nachhaltige Zukunft bereiten“, befindet Philip Harting. Der Vorsitzende im Verband der deutschen Messewirtschaft AUMA fügt hinzu: „Unsere Messeplätze selbst arbeiten seit Jahren daran, immer nachhaltiger zu werden.“ Nun hat sich die deutsche Messewirtschaft als Wirtschaftszweig eigene Klimaschutzziele gesetzt und will bis 2040 klimaneutral werden. „Klimaschutz ist in der Breite der Gesellschaft angekommen“, begründet AUMA-Geschäftsführer Jörn Holtmeier den Schritt. Dabei betrachte die Messewirtschaft als Ganzes das Thema Nachhaltigkeit als Ganzes. Das heißt für ihn produktseitig, wie werden Veranstaltungen nachhaltiger, produktionsseitig, wie wird am Standort nachhaltiger gearbeitet, und messeseitig, welche nachhaltigen Themen müssen Messen anbieten, um das Thema in Wirtschaft und Gesellschaft weiter voranzubringen.
Holtmeier spricht für die Messewirtschaft Deutschlands, die im Dachverband der deutschen Messewirtschaft AUMA mit 69 Mitgliedern organisiert ist. Es sind zur einen Hälfte Wirtschaftsverbände von Industrie, Handel, Handwerk und Landwirtschaft, Fachverbände und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und zur anderen Hälfte Messeveranstalter sowie Branchenverbände wie der FAMA (Fachverband Messen und Ausstellungen) oder der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft.
Die Klimaziele der Messen
Um das übergeordnete Ziel Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, hat sich die deutsche Messewirtschaft auf operative Ziele verständigt: Ab 2023 soll Nachhaltigkeit zur Anforderung in Ausschreibungen werden, spätestens 2025 sollen sich die Messen zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgen. Weitere sechs Ziele betreffen den nachhaltigen Messestandbau, die sparsame Nutzung von Wasser, die Vermeidung von Abfällen, die Optimierung der Logistik, die An- und Abreise mit dem ÖPNV sowie regionales und saisonales Catering.
Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele
Die deutsche Messewirtschaft unterstützt die Klimaziele des Pariser Abkommens, den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die Messen wollen ihren Beitrag leisten und nach dem Grundsatz handeln: Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren. Die Branche bekennt sich zu den17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen und verpflichtet sich im ersten Schritt zur Umsetzung folgender Maßnahmen:
- Klimaneutralität bis 2040
- Nachhaltigkeit wird Teil aller Ausschreibungen ab 2023
- 100 Prozent Ökostrom bis 2025
- Nachhaltiger Messestandbau
- Wasser sparen
- Abfall vermeiden
- Logistik optimieren
- An- und Abreise verbessern
- Catering umstellen
Nach der Festlegung auf die Ziele folgt deren Ausformulierung, z.B. der produkt- und dienstleistungsspezifischen Nachhaltigkeitskriterien, in Ausschreibungen ab 2023. „Wir sind dazu in der Diskussion“, informiert Holtmeier. Als Beispiele fallen ihm der Einsatz von biologisch abbaubaren Putzmitteln ein und Vorgaben zu recycelbaren Produkt-Transportverpackungen oder der klimafreundliche Transport von Gütern. So könnte der Einsatz von emissionsfreien Fahrzeugen bei der Zuschlagserteilung ab 2023 positiv bewertet werden, ebenso wie Nachhaltigkeitszertifikate bei Partnern und Zulieferern. Konkret und gut messbar ist dagegen das Ziel, dass sich die deutschen Messen spätestens bis 2025 zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgen sollen. Schon heute nutzt fast jedes zweite der 25 vom AUMA gelisteten Messegelände 100 Prozent Ökostrom. Ein Beispiel ist die Deutsche Messe in Hannover, die seit 1. Januar 2018 für das gesamte Messegelände in Hannover Strom aus erneuerbaren Energien bezieht. Sanktionen bei Nichterfüllung sind vorerst nicht vorgesehen. „Alle machen mit. Keiner sollte zurückbleiben, etliche werden aber wohl vorangehen“, meint Holtmeier. Ihm ist aber klar: „Das wird kein Spaziergang, das wird eine Kraftanstrengung. Zwei Jahre Corona-Pandemie und die damit verbundenen Messeverbote haben tiefe Spuren hinterlassen. Dennoch haben wir alle das Ziel vor Augen.“
Messeplatz Deutschland 2022: Schon heute nutzt fast jedes zweite der 25 vom AUMA gelisteten Messegelände 100 Prozent Ökostrom. Bis 2025 sollen es alle Messen sein. Foto: AUMA
Ein weiteres Ziel ist der Messebau mit einem Sortiment an nachhaltigen Ständen. Diese beschreibt Holtmeier als modular, wiederverwendbar und langfristig nutzbar. Bodenbeläge mit PVC-Anteilen würden vermieden, Mehrweg-Varianten gepriesen. Im Idealfall würde die Logistik gleich mitbetrachtet und Fahrzeuge würden bestmöglich genutzt. Ein noch zu erarbeitendes Anreizsystem für Aussteller soll die Nutzung wiederverwendbarer Stände fördern. Zwar gibt es Standbauer, die nachhaltige Konzepte anbieten, und Aussteller, die diese nachfragen, doch schränkt Holtmeier ein: „Aber gerade jetzt, wo Inflation, Rezession und hohe Energiepreise drohen, gibt es Aussteller, die die höheren Anschaffungs-, Transport- und Lagerungskosten für einen mehrfach wiederverwendbaren Stand nachvollziehbarerweise scheuen.“ Die Klimaziele sind ein Gemeinschaftswerk, geleitet vom AUMA und einstimmig beschlossen von dessen 22-köpfigem Vorstand. Begonnen wurde das Projekt bereits 2019, doch wegen Corona ausgesetzt und im Herbst 2021 wieder aufgenommen. Mit am Tisch saßen 30 Fachleute aus Messegesellschaften und Verbänden. Unter ihnen Experten, z.B. im Bereich Energie, Logistik und Abfallmanagement, oder aber Nachhaltigkeitsmanager wie auch Mitarbeiter aus Projekten und der Unternehmensentwicklung. In ihre Arbeit sind die Ergebnisse von Workshops und Mitgliederbefragungen eingeflossen. Ansprechpartnerin zum Thema Nachhaltigkeit ist Barbara-Maria Lüder, ebenso wie für Recht, Steuern und Technik.
Ökonomie und Ökologie
Über 450 Millionen Euro wollen die deutschen Messegesellschaften in den kommenden drei Jahren in die Sanierung und Modernisierung investieren. Selbst wenn es nicht explizit Investitionen in den Klimaschutz sind, könnten sie auf diesen einzahlen, denn Ökonomie und Ökologie gingen laut Holtmeier heute oft Hand in Hand. Zudem hätten etliche Messeplätze in den letzten Jahren auf eine effizientere Beleuchtung umgestellt, wassersparende Techniken oder kostensenkende Energieversorgung. Er hat zwei Beispiele: Das Projekt Koelnmesse 3.0 mit weitreichenden Modernisierungsmaßnahmen und Neubauten, nach dessen Abschluss der Energieverbrauch für Wärme um bis zu 30 Prozent oder drei Gigawatt jährlich reduziert wird und der Stromverbrauch der Haustechnik um bis zu 25 Prozent. Die Hamburg Messe und Congress GmbH treibt die Umrüstung von Energiesparlampen auf LEDs voran und den Ausbau von E-Tankstellen und strebt für das neue CCH – Congress Center Hamburg die Gold-Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen an.
Das Kongresszentrum Kap Europa der Messe Frankfurt erhielt als weltweit erstes Kongresshaus das Zertifikat in Platin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Auf vier Ebenen bietet es zwei Säle für je 1.000 und 600 Personen und zwölf Tagungsräume.
Foto: Messe Frankfurt
Zum Thema Klimaschutz fallen Holtmeier neben Hamburg und Köln auch Düsseldorf, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart und München ein. Die Messe Düsseldorf betreibt seit 2014 als eine der ersten Gesellschaften ihr Gelände gemäß einem strategischen Energie-Management-System nach internationaler Norm ISO 50001. Die Messe Stuttgart beheimatet die fünftgrößte auf Dächern installierte Solaranlage der Welt. In Frankfurt am Main werden Aussteller durch Abfallberater mit praxisbezogenen Hinweisen zu einer umweltschonenden Messeteilnahme unterstützt. Die Messe Freiburg vermeidet jährlich 350 Tonnen CO2-Emissionen durch die Nutzung von Niedertemperaturwärme, die als CO2-neutrale Abwärme aus der Zelluloseproduktion stammt. „Einem Verband fällt es immer schwer, aus der Vielzahl seiner Mitglieder bestimmte herauszuheben“, bemerkt der Geschäftsführer und versichert, dass das Thema Klimaschutz überall immer stärker in den Fokus rücke. Jörn Holtmeier resümiert: „Wir sind einer der ersten Wirtschaftszweige, der sich diese Ziele als Ganzes gesetzt hat. Und so viel ist heute schon klar: Diese Ziele sind Minimalziele.“