Interview Dustin Schenk
„Kunst ist ein Auslöser für etwas Inneres“
Dustin Schenk: Kunst stellt Fragen, auf die es verschiedene Antworten geben darf. Dabei gibt es kein Falsch oder Richtig, kein Gut oder Schlecht. Vielleicht eher eine nächste Frage oder einen Diskurs, eine Aktivität. Foto: Can Wagener
Dustin Schenk: Kunst stellt Fragen, auf die es verschiedene Antworten geben darf. Dabei gibt es kein Falsch oder Richtig, kein Gut oder Schlecht. Vielleicht eher eine nächste Frage oder einen Diskurs, eine Aktivität. Foto: Can Wagener
Dustin Schenk ist ehemaliger Sprayer, Mitgründer der internationalen Graffiti und Kunstvermittlung KolorCubes e.V. und der Public Art Gallery Kassel sowie Erster Vorsitzender der Public Art Conference Kassel. Im Interview spricht er über die documenta fifteen als Anleitung für Gespräche auf Augenhöhe, die Methode des kollektiven Konzepts, Kunst auf Kongressen und das Kollektiv Taring Padi.
tw tagungswirtschaft: „Where is the art?“ steht auf einem Schild vor dem Fridericianum, dessen jetzt schwarze Säulen der Künstler Dan Perjovschi mit Sprüchen und Skizzen versehen hat. Was bedeutet Kunst für dich?
Dustin Schenk: Kunst stellt Fragen, auf die es verschiedene Antworten geben darf. Dabei gibt es kein Falsch oder Richtig, kein Gut oder Schlecht. Vielleicht eher eine nächste Frage oder einen Diskurs, eine Aktivität. Kunst ist ein Auslöser für etwas Inneres. Ich denke, diese Frage ist ein Paradoxon und so alt wie die Menschheit an sich.
Kann Gegenwartskunst angesichts globaler Konflikte wie der Klimakrise etwas bewirken?
Wie viel Kraft die documenta als moderne Ausstellung hat, sieht man daran, dass solche Themen nun international besprochen werden und so neue Blickwinkel auf Systeme, die Hochkulturen oder Kunst und politische Verhältnisse entstehen. Die Konzepte der Kuration sind genial einfach. Die Großausstellung wird grassrootet vermittelt. So wurden z.B. die Veröffentlichungen der Künstler im Straßenmagazin Asphalt als Kooperationspartner vertrieben. Sie waren restlos ausverkauft ... Es sollte längst global auf Augenhöhe über Möglichkeiten für Frieden und Nachhaltigkeit gesprochen werden. Diese documenta könnte eine Anleitung dazu sein. Sie kommt der eigentlichen Idee der Weltkunstschau sehr nah.
„Es ist eine Mitmach-documenta“, sagst du über die documenta fifteen. Kann denn jeder Kunst?
Naja, mit Kunst kann jeder beginnen. Wie mit Singen, Tanzen, etwas bauen oder spielerisch organisieren. Nicht jeder muss ein Meister werden. Aber seinem Talent zu folgen, macht glücklich. Diese documenta ist nicht eine 100-tägige Werkschau, sondern eine Summe kollektiver Prozesse, die sich über die Jahre vor und während der offiziellen documenta abspielen mit dem Ziel, nachhaltig zu wirken, weitergelebt, betrieben und ausgebaut zu werden. ruangrupa hat nach Möglichkeit Kollektive aus ihrem globalen Netzwerk mit Kassel und Umgebung verflochten. Ideen und Konzepte werden ausgetauscht, um gemeinsam daraus zu wachsen. Immer im Blick auf vorhandene Ressourcen und die Entfaltung in der bereits bestehenden Peripherie. Daraus haben sich in Zusammenarbeit Organisationen, Kunstwerke und Freundschaften entwickelt. Zeit ist ein wichtiger Faktor.
Und kann Kunst partizipativ sein?
Kunst rührt aus dem Impuls zur Kreativität, der uns allen gleich inneliegt. Vor jedem Urteil. Erst der Anspruch an eine bestimmte Aussage, Form, Qualität oder der Markt erbringen elitäre Ebenen. Gemeinsam mit dem 20-köpfigen Kollektiv „Britto Arts Trust“ aus Bangladesch haben wir eine großformatige Wand in der Innenstadt umgesetzt. Trotz aller kulturellen Eigenheiten und der Sprachbarriere haben wir eine super Produktion abgeliefert. Ich denke, dass sich unterschiedliche Geister bereichern.
„Schon über Kunst zu sprechen, erweitert den Geist. Kunst methodisch zu kultivieren, schafft Erfolge auf neuen Ebenen und andere Prozesse werden befruchtet.“
Dustin Schenk
Inwiefern lässt sich Kunst auf Konferenzen nutzen?
Als gemeinsamer Nenner oder offenes Konzept, in dem Dinge frei passieren dürfen. Kunst schafft neue Ansätze und löst Blockaden. Unser Konzept besteht zu 50 Prozent aus Kunstvermittlung. Schon über Kunst zu sprechen, erweitert den Geist. Kunst methodisch zu kultivieren, schafft Erfolge auf neuen Ebenen und andere Prozesse werden befruchtet.
Du hast mit dem Künstlerkollektiv ruangrupa gearbeitet und die Außenfassade des ruruHaus mitgestaltet. Wie lief das ab?
Die Methode des kollektiven Konzepts von ruangrupa ist das Integrieren der lokalen kunst- und kulturwirtschaftlichen Systeme. Auf der Suche nach Projekten landeten Reza Afisina und Iswanto Hartono bereits vor einigen Jahren bei uns im Workspace. Wir waren positiv überrascht, dass sie ihr Konzept authentisch leben und nicht – wie angenommen – als künstliche Ideologie in Werken darstellen. In der KreativFabrik betreiben wir ein kulturwirtschaftliches Zentrum und erstellen neben unserer freien Kunst auch professionell Kunstwerke für Kunden. Wir haben ihnen angeboten, dies zu nutzen, falls es zu Auftragsarbeiten kommt. Ein paar Monate später kam die documenta GmbH auf uns zu mit der ersten Anfrage zur Umsetzung ihrer CD auf dem ruruhaus. Im Laufe der Zeit haben wir noch ein Kesselhaus an der Autobahn, das WelcomeCenter und den Parkplatz als Veranstaltungsort farblich gestaltet. So gerieten wir in den Austausch im Geiste des lumbung-Prinzips und wurden später als documenta-Künstler akkreditiert.
Dustin Schenk von KolorCubes und Anke Müller vom Kassel Convention Bureau vor dem Mural von und mit dem Kollektiv Taring Padi. Foto: tw tagungswirtschaft
Das Kollektiv Taring Padi hat mit seinem Banner „People's Justice“ einen Skandal verursacht. Ihr habt trotzdem gemeinsam eine Wand bemalt und die Künstler kennengelernt. Wie ist dein Eindruck von ihnen?
Jede documenta bringt Skandale mit sich. Beuys, Richter, Ai Weiwei oder Szymczyk. Die Kuratoren und Künstler spiegeln in Werken Zeitgeist wider. Globalpolitisch, aber auch reflexiv zur gegenwärtigen Kunst. Ich sehe den Skandal darin, dass es auf die Frage, die sich mit Taring Padis Werk stellt, bis heute leider keine wirkliche Antwort gibt. Höchste Politiker und Funktionäre, Kritiker und Journalisten, Bürger und auch Künstler haben sich zu dem Thema geäußert, ohne eine allgemein befriedigende Lösung liefern zu können. Vielleicht ist es deshalb ein so starkes Kunstwerk. Vielleicht sind wir noch nicht so weit – und es musste daher aus der Ausstellung ausgeschlossen werden.
Wir haben das Kollektiv als sehr friedlich und weltoffen erlebt. Künstler, die sich ganzheitlich mit weltpolitischen Themen beschäftigen und diese illustrativ in Kontext setzen. Ich denke, man muss das Gesamtwerk betrachten und den Menschen dahinter sehen. Daher war uns klar, dass wir mit ihnen ein nächstes, lang geplantes Werk umsetzen. Auch, um ihnen die Möglichkeit zu geben, eine nächste inhaltliche Aussage treffen zu können. Das Mural ist nun Teil unserer Public Art Gallery und wird in Führungen diskutiert.
Welches Mural würdest du gerne mit wem an welcher Wand und wo anbringen?
Danke für diese Frage. 😊 Ich denke, ich würde gerne noch früher in die Planungen von Stadtplanern und Architekten, Bauherren etc. in Prozesse mit einbezogen werden. Gebäude, Komplexe oder Stadtteile mit zu konzipieren und Kunstwerke voll in Wirkung zu setzen, schafft erst die Lebensqualität, die uns als Künstlern oft erst nach Fertigstellung als Aufgabe überlassen wird. Gut gesetzte Kunst schlüsselt Orte auf. Für Kunst konzipierte oder mit Kunsthandwerk geschaffene Orte und Räume können zeitlos werden, wecken Interesse an Wissenschaft, stiften Kultur und Identität.
Wer ist Dustin Schenk?
Foto: Can Wagener
Dustin Schenk ist ehemaliger Sprayer, Mitgründer der internationalen Graffiti und Kunstvermittlung KolorCubes e.V. und der Public Art Gallery Kassel sowie Erster Vorsitzender der Public Art Conference Kassel.