Ins Tun kommen
Transformative Räume
Wie können wir bessere Entscheidungsoptionen zur nachhaltigen Entwicklung unserer Region schaffen? Dieser Frage gehen die Vorarlberger in ihrem data:room nach. Im Bild ein Fishbowl mit Viktor Mayer-Schönberger, Daten-Experte und Professor am Internet-Institute der Universität Oxford. Foto: Büro Magma
Wie können wir bessere Entscheidungsoptionen zur nachhaltigen Entwicklung unserer Region schaffen? Dieser Frage gehen die Vorarlberger in ihrem data:room nach. Im Bild ein Fishbowl mit Viktor Mayer-Schönberger, Daten-Experte und Professor am Internet-Institute der Universität Oxford. Foto: Büro Magma
Klimawandel, Artensterben und soziale Ungleichheit: Angesichts der aktuellen Krisen erkennen immer mehr Menschen, dass es einen grundlegenden Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft braucht. Das lädt den Sinn und Zweck von Veranstaltungen neu auf. Wie lassen sich soziale Räume schaffen, in denen echte Transformation geschieht?
„COP is not fit for purpose. Here’s how the UN can reform it.” Mit diesen deutlichen Worten überschreibt Sandrine Dixson-Declève ihren Blogbeitrag. Darin kritisiert die Co-Präsidentin des Club of Rome, dass die Klimakonferenz des United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) nicht zweckdienlich sei. Angesichts steigender CO2-Emissionen sei es an der Zeit, zu fragen, was die Conference of the Parties (COP) wirklich erreiche und wie sie zu reformieren sei, damit die COP dazu beitrage, die 1,5°C-Grenze einzuhalten. Dass internationale Großkongresse hinterfragt werden, ist nicht neu. Doch wird die Frage drängender durch die Klimakrise und die großen Mengen an CO2-Emissionen, die entstehen, wenn Tausende von Delegierten um die Welt fliegen.
„Es besteht ein dramatisches und inakzeptables Missverhältnis zwischen dem, was die COP erreichen muss, und der Trägheit, die sie bei den Vertragsparteien auslöst“, bemängelt Dixson-Declève. Die auf Konsens basierende COP-Struktur ist in ihren Augen anfällig für lethargische, schrittweise Fortschritte. Das erschwere, dass Klimaschutzmaßnahmen schnell genug durchgeführt würden, um die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung zu vermeiden. Aus diesem Grund hat Sandrine Dixson-Declève mit Experten, Wissenschaftlern und Politikern ein Schreiben aufgesetzt und UN-Generalsekretär António Guterres sowie UNFCCC- Exekutivsekretär Simon Stiell aufgefordert, den Prozess zu überarbeiten.
Die sechs Vorschläge, die Dixson-Declève und ihre Unterzeichner unterbreiten, lassen sich mühelos ins Eventmanagement übertragen, beispielsweise müsse der Schwerpunkt auf der Umsetzung und den Maßnahmen und dem Austausch bewährter Verfahren liegen. Außerdem wären anstelle einer großen jährlichen COP kleinere, häufigere Treffen besser geeignet, um die Dynamik aufrechtzuerhalten, sich auf gezielte Ergebnisse zu konzentrieren und eine gleichberechtigte Vertretung der Parteien und Interessengruppen sicherzustellen.
points that could form the basis of a reform agenda for the COP process
Sandrine Dixson-Declève experts, scientists and policy leaders like Laurence Tubiana, former Climate Change Ambassador for France and CEO of the European Climate Foundation, Mary Robinson, former President of Ireland and UN Special Envoy on Climate Change, and Ban Ki-moon, former Secretary General of the United Nations, have signed a letter to reform the COP process.
Generative Dialoge
Urs Treuthardt teilt die Quintessenz aus dem Beitrag von Sandrine Dixson-Declève. „Wir sprechen viel darüber, wie es eigentlich ausschauen sollte, handeln aber nicht. Dabei sind die Handlungsfelder schon längst klar. Nur setzt es dann selten jemand um, sprich: trifft die wichtigen Entscheidungen.“ Der Geschäftsführer von Convention Partner Vorarlberg und Bodensee-Vorarlberg Tourismus fragt sich: „Wie können wir die großen Themen angehen und in den Dialog treten? In einen generativen Dialog, wo etwas entsteht.“ Wenn Veranstaltungen das nicht ermöglichen, brauche es sie nicht, meint der Wahlösterreicher.
Die Lösung komplexer Probleme sieht er nicht in Großveranstaltungen, sondern in Formaten mit vielen kleineren Interaktionen und Begegnungen unter den besten Köpfen dieser Welt. „Genau in diesem Bereich liegt die Verantwortung und Zukunft der Veranstaltungsbranche!“, findet Treuthardt und fügt hinzu: „Wir brauchen mehr sinnstiftende Formate, bei denen die Teilnehmer in erster Linie sich selbst verändern und damit auch einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten können.“
Foto: Petra Rainer
„Wir sprechen viel darüber, wie es eigentlich ausschauen sollte, handeln aber nicht“
Urs Treuthardt, Geschäftsführer der Bodensee-Vorarlberg Tourismus GmbH, über sinnstiftende Formate, vorgelebte Nachhaltigkeit und den schöpferischen Dialog.
Die Frage nach sinnstiftenden Formaten und gelingenden Begegnungen beschäftigt die Mitglieder im Verein BodenseeMeeting aus dem Vierländereck aus Österreich, Deutschland, Schweiz und Liechtenstein schon länger. Die 13 ansässigen Tagungsorte, Locations und Convention Bureaus haben 2012 eine Plattform für Forschung und Bildung entwickelt: das micelab:bodensee. Anders als in der Branche, wo es eher um neue Formate, Präsentationstechniken oder digitale Entwicklungen gehe, dreht sich in der Denkwerkstatt am Bodensee alles um den Menschen, seine Haltung und Werte, das Lernen und lebendige Begegnungen. Gerhard Stübe erinnert sich an ein missglücktes Kundenevent und die spürbare Unzufriedenheit. „Ein Vortrag nach dem anderen, Reihenbestuhlung und kaum Zeit für persönliche Begegnungen – dieses Modell war längst überholt“, berichtet der Geschäftsführer von Kongresskultur Bregenz. Stattdessen sollte frischer Wind durch die Kongresssäle und Seminarräume seines Festspielhauses Bregenz und anderer Locations wehen, damit die Leute gerne teilnehmen und Wissen, Ideen und neue Kontakte mitnehmen, die sie beruflich und persönlich weiterbringen.
Der data:room
Aktuell befassen sich die Vorarlberger aus Bregenz, Dornbirn, Hohenems und Feldkirch mit dem data:room. Aus dem Innovationsprojekt ist mittlerweile ein Anliegen geworden, um bessere Entscheidungsoptionen zur nachhaltigen Entwicklung der Region zu schaffen. „Ein Anliegen hat im Gegensatz zu einem Projekt kein Ablaufdatum“, erklärt Urs Treuthardt den Unterschied. Der data:room ist ein temporärer Raum, in dem sich die Teilnehmer zu definierten Fragestellungen in interdisziplinärer Runde treffen. Dieser besteht aus drei Ebenen: den Daten, dem Raum und der Vermittlung, in der die Datenfragen mit den Gefühlen der Menschen zusammengebracht werden. Schließlich liege das Problem nicht im Gewinnen von Daten, sondern darin, diese Daten zu betrachten und zu evaluieren. Laut Treuthardt brauche es dafür: „Vertrauen, ein gutes Hosting und inspirierende Orte.“
data:room – eine Initiative von Bodensee-Vorarlberg Tourismus
Im letzten Jahr ist das data:room beispielsweise im Design Forum in Dornbirn eingezogen und steht dieses Jahr bis Juli im Oldtimermuseum von Alwin Lehner in Hard am Bodensee. „Für den nächsten Aufschlag suchen wir bereits einen anderen inspirierenden Ort, wo wir das Raum-in-Raum Konzept aufstellen können und in die nächste Phase des Prototypings gehen können“, informiert Treuthardt und formuliert ein Learning aus den letzten Monaten: „Es gibt unglaublich viele gute Leute, die tatsächlich einen Wandel herbeiführen wollen. Lasst uns die Energie auf diese Leute verwenden!“ Ob es eine Fortsetzung geben wird, das hängt von den Finanzgebern ab. „Ich gebe mein Bestes, den data:room in die Zukunft zu führen, aber das Anliegen ist schon sehr komplex und nicht gerade gemacht für einen knackigen Sales-Pitch“, weiß Treuthardt, zumal es noch kein Best-Practice-Beispiel gibt. Aber es lohne sich, ist er sich sicher und bezieht sich auf den Besuch von Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger Ende Januar. Der Daten-Experte befand, dass die Vorarlberger mit ihren Gedanken auf der absoluten Höhe der Zeit sind.
„Sie stehen mit ihren Gedanken auf der absoluten Höhe der Zeit. Vorarlberg ist klein. Aber das ist groß.“
Viktor Mayer-Schönberger, Daten-Experte und Professor am Internet-Institute der Universität Oxford, zum data:room
„Spannende Fragen motivieren mich viel mehr als vermeintlich einfache Antworten“, resümiert Urs Treuthardt. Diesem Prinzip folgt auch die Podcast-Serie „Grenzenloses Eventdesign – Gespräche über gute Veranstaltungskultur“ von Convention Partner Vorarlberg. Dort spricht Journalist Michael Gleich mit Fachleuten aus anderen Disziplinen wie Hirnforschung, Architektur, Gesundheit oder Nachhaltigkeit, um guter Veranstaltungskultur auf den Grund zu gehen. Sein Gast in der aktuellen Folge zum Thema ‚echte Transformation‘ ist Prof. Otto Scharmer, Senior Lecturer an der MIT Sloan School of Management und Mitbegründer des Presencing Institute und der u-school for Transformation.
Die U-Theorie
In dem hörenswerten Podcast sieht Otto Scharmer zwei großen Herausforderungen dieser Zeit: die ökologische und die soziale Herausforderung und die immer tieferen Abgründe, vor denen wir stehen. Der Sozialwissenschaftler nimmt eine kollektive Depression und das Ohnmachtsgefühl der Menschen wahr – gegenüber dem, was schon da ist und was auf sie zurollt. Ihn interessiert der Erfahrungsraum von einzelnen Personen oder Leadership-Teams: Welche Erfahrungen haben wir und wie werden wir wirksam? Seine U-Theorie ist eine Kreativmethode, mit der Menschen an ihre Quellen kommen. Den Wendepunkt am unteren U fasst Scharmer in zwei Worten zusammen: Loslassen und kommen lassen.
Podcast #29 Otto Scharmer: Echte Transformation
Prof. Otto Scharmer ist einer der führenden Denker zum Thema Transformation. Scharmer forscht und lehrt am Massachusetts Institute of Technology. Im Podcast spricht er über seine U-Theorie und darüber, wie Veranstaltungen zu sozialen Gefäßen werden können, um sozialen Fortschritt hervorzubringen.
Scharmer tritt für ein Organisationsprinzip ein, in dem nicht abstrakte Interessenvertreter miteinander reden, sondern die Partner in einem Ökosystem, die durch die Realprozesse verbunden sind. „Was dann hilft, wenn du sie zusammenbringst, ist eine Prozessarchitektur, die den Beteiligten erlaubt, von einer Silo- zu einer Systemsicht zu kommen“, sagt er im Podcast. Im U-Prozess treten die Teilnehmer mithilfe von Systems-Thinking-Tools in gemeinsame Wahrnehmungsräume ein. Vor allem aber begeben sie sich an die Ränder und sehen das System aus der Sicht derjenigen, die sich an eben diesen Rändern befinden. Sie treten in tiefere Zuhörräume ein, in Räume der Stille und der Willensbildung: Was will da entstehen? Wie sieht die Zukunft aus? Wie sehen die Ideen aus, die wir in die Welt bringen wollen? Im folgenden Prototyping werden Ideen im Tun zu erkundet, also in praktisches Handeln gebracht. Das Feedback dazu wird aufgenommen und integriert.
Für diese transformativen Prozesse brauche es soziale Gefäße, die Veranstaltungen bieten können, indem sie Räume schaffen, „wo der Sicht, die ich vorgetragen habe, auch widersprochen werden kann“, erklärt Scharmer und ergänzt: „Im organisationalen Lernbereich sagen wir eigentlich immer, dass die Qualität von Ergebnissen eine Funktion der Qualität der Beziehungen, also der Qualität des Denkens, Kommunizierens und Interagierens ist.“ Vor allem auf die Kommunikation komme es an. Seine Kommunikationstheorie beschreibt vier Ebenen: das Downloading, die Debatte, den Dialog und den schöpferischen Prozess, in dem die Menschen sich als Teil eines Größeren erfahren, wo eine neue Perspektive entsteht und eine Idee geboren wird. Um von der einen in die andere Ebene zu kommen, brauche es die Natur, kleinere Gruppengrößen, einen gemeinsamen Purpose und Führungskräfte, die präsent sind und selbst in diese tieferen Ebenen eintauchen. Das mache den Unterschied – vielleicht auch für die UN-Klimakonferenz?