Risiken in der Veranstaltungswirtschaft
Und, was macht das Wetter?
Tropischer Wirbelsturm Isla am 13. April 2023 um 13:45 Uhr Ortszeit vor der westaustralischen Küste. Mit Windböen von bis zu 300 Kilometern pro Stunde war er in diesem Gebiet einer der stärksten Stürme der letzten Jahre. Foto: NASA-NOAA
Tropischer Wirbelsturm Isla am 13. April 2023 um 13:45 Ortszeit vor der westaustralischen Küste. Mit Windböen von bis zu 300 Kilometern pro Stunde war er in diesem Gebiet einer der stärksten Stürme der letzten Jahre. Foto: NASA-NOAA
Im „Wonnemonat“ Mai beginnt für viele Veranstaltungsplanende die Outdoor-Saison. Mit steigender Temperatur über Land und relativ dazu kalten, feuchten Luftmassen über den Meeren ist es für Meteorolog:innen allerdings vor allem der Monat, der prädestiniert ist für Unwetter in Mitteleuropa. Wo müssen Veranstaltungsplanende über den Umgang mit Wetter vielleicht ganz anders nachdenken, als sie es bis bisher getan haben?
Für Meteorolog:innen ist der Mai der Monat mit einem hohen Unwetterpotenzial. Spätestens da, wo Wettererscheinungen extrem werden, handelt es sich beim Wetter um mehr als eine Unannehmlichkeit, die den Komfort, den Veranstaltungserfolg sowie Abläufe beeinträchtigt. Aus einer kleinen Unwägbarkeit in Planungen kann ein Faktor entstehen, der erhebliche Kosten verursacht und insbesondere die Arbeits- und Besuchersicherheit direkt gefährdet. Steigt die Wahrscheinlichkeit für auftretende Extremwettererscheinungen, sind flexiblere Planungsstrategien und Anpassungsmaßnahmen gefragt.
Doch wie kommt das? Das Holozän, die seit mehr als 11.700 Jahren andauernde warmzeitliche Epoche des Eiszeitalters, hat es den Menschen gemütlich auf der Erde gemacht und eine gleichmäßige kulturelle und technologische Entwicklung begünstigt. Das Erdzeitalter ist geprägt durch ein ungewöhnlich konstantes Klima, bei dem die mittlere Temperatur (bis auf lokale Schwankungen) in einem Bereich von ± 0,6 Grad Celsius variierte. Bis vor etwa 150 Jahren. Die Industrialisierung markiert nicht nur den Beginn des rasanten Fortschritts der menschlichen Entwicklung, sondern auch den der kontinuierlichen Erwärmung der Erde. Nach jüngstem Synthesebericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) vom März 2023 ist die globale Oberflächentemperatur im Zeitraum 2011 bis 2020 um 1,1 Grad Celsius höher als die von 1850 bis 1900.
Die globalen Temperaturanomalien relativ zur Durchschnittstemperatur im Zeitraum von 1850 bis 1900. Im Jahr 2022 lag die global gemittelte Temperatur schätzungsweise 1,24 Grad Celsius über dem Vergleichszeitraum. Damit sind die letzten acht Jahre auch die acht wärmsten Jahre, die jemals direkt beobachtet wurden. Foto: Berkeley Earth
Ebenfalls seit 150 Jahren ist der Treibhausgaseffekt bekannt, der erklärt, dass bestimmte Gase in der Atmosphäre vom Boden emittierte Wärmestrahlung zurückreflektieren und damit das Erdsystem aufheizen. Ohne diesen natürlichen physikalischen Prozess wäre die durchschnittliche globale Temperatur um über 30 Grad Celsius kühler, die Erde für uns unbewohnbar. Aller Betrachtung voran steht dabei das Kohlenstoffdioxid, zum einen wegen seiner Klimaeffektivität, zum anderen wegen seiner vergleichsweise hohen Konzentration und Langlebigkeit in der Atmosphäre. Alle bisher aufgetretenen Klimaänderungen in der Erdzeitgeschichte lassen sich so mit natürlichen Ursachen erklären, die allgemein zu drei Hauptfaktoren zusammengefasst werden: Änderungen der einfallenden Sonnenstrahlung, der ihres reflektierten Anteils und der Treibhausgaskonzentration.
Der Beginn der Industrialisierung hat allerdings eine klimatische Unbekannte ins Spiel gebracht, insbesondere, da sich keine Änderungen des Strahlungshaushaltes oder natürliche Quellen von Treibhausgasen (THGs) als Ursprung für die Temperaturerhöhung der letzten 150 Jahren ausmachen lassen. Trotzdem steigt seitdem die Konzentration von Kohlenstoffdioxid so kontinuierlich wie die Temperatur: Lag vor der Industrialisierung der globale CO2-Gehalt in der Atmosphäre bei etwa 280 ppm, sind es aktuell 418,84 ppm (Stand Mai 2023) – so hoch wie seit 650.000 Jahren nicht mehr. Für zahlreiche Wissenschaftler:innen hat der Einsatz fossiler Energieträger das sogenannte „Anthropozän“ eingeläutet . Nach dem IPCC-Bericht von 2023 haben „menschliche Aktivitäten, vor allem die Emission von Treibhausgasen, die globale Erwärmung eindeutig verursacht“.
Dass es also auf der Erde zunehmend wärmer wird, ist eine unumstößliche Tatsache und hinreichend bekannt. Auch die Folgen der Klimaerwärmung werden seit Jahrzehnten von Forscher:innen angemahnt. Der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC aber offenbart: Wir sind schon mittendrin. Und das Ausmaß sowie die Intensität der Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels sind größer, als in vorherigen Gutachten beurteilt.
Wetterextreme: Folge des Temperaturanstiegs
Bereits jetzt hat die Temperaturerhöhung weitreichende Schäden an Ökosystemen, der Bevölkerung sowie Siedlungen und Infrastruktur verursacht. So wird im Klimabericht aufgeführt, dass sich Organismen an veränderte Klimabedingungen durch Verhaltensänderungen anpassen oder diese zu Artensterben führen, der Meeresspiegel durch abschmelzende Eisschilde und Gletscher steigt, die Ozeane versauern, sich Krankheiten und Zoonosen in neue Gebiete ausbreiten. Dass der Verlust von Eigentum und Einkommen durch zerstörte Häuser und Infrastruktur nachteilige Auswirkungen auf die Geschlechtergleichstellung und soziale Gerechtigkeit hat. Grund für diese Effekte ist in der Regel nicht die ansteigende Temperatur per se, sondern sind die lokalen Wettereignisse, die aus ihr resultieren.
Insbesondere warme Temperaturextreme und Starkregenereignisse haben im letzten 40-jährigen Zeitraum zugenommen. Foto: MetOffice
Weil warme Luft mehr Wasser aufnehmen kann, sich die Pole stärker aufheizen als der Äquator und damit der Antrieb für Luftströmungen geringer wird, gibt es veränderte Niederschlagsmuster, die immer öfter besonders ortsfest sind. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für Starkregen und Hochwasser, anhaltende (marine) Hitzewellen und Dürren mit möglichen Waldbränden, plötzliche Kälteeinbrüche oder das Auftreten von Wirbelstürmen. Jedes Extremwetterereignis erhöht die Anzahl derer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Besonders arme Regionen und Entwicklungsländer sind betroffen von Ernteausfällen, verschlechtertem Zugang zu Trinkwasser, Krankheiten und Landverlust durch den ansteigenden Meeresspiegel. Mit weiteren kaskadierenden Auswirkungen steigt nicht nur das Konfliktpotenzial, sondern es ist insbesondere die Sicherheit der Menschen direkt gefährdet. Veränderte Grundklimabedingungen haben also erhebliche Auswirkungen auf Wettererscheinungen mit Krisenpotenzial. Jedes Zehntelgrad mehr auf der Temperaturskala vervielfacht dieses Potenzial und verdeutlicht: Nachhaltigkeits- und Klimaneutralitätsbemühungen sind essenziell, um diese Entwicklungen zu entschleunigen und um Kipp-Punkte im Klimasystem nicht zu überschreiten.
Business as usual?
Neben der Frage, wie die weitere Erderwärmung effektiv begrenzt werden kann, bleibt diejenige, was mit einer Zivilisation passiert, die über 10.000 Jahre ein stabiles Klima erlebt hat und plötzlich durch eigenes Wirken innerhalb von Jahrzehnten den vielfältigen Herausforderungen eines völlig neuen Klimazustands mit möglicherweise daraus folgenden Krisen gegenübersteht.
Die Corona-Pandemie hat der gesamten Veranstaltungswirtschaft sicherlich eines verdeutlicht: Verschiedene Branchen sind von Krisen unterschiedlich stark betroffen. Gleichzeitig sind die unternehmerischen Fähigkeiten, mit Krisen umzugehen, ungleich stark ausgeprägt. Die Veranstaltungsbranche – als sechstgrößter Wirtschaftszweig in Deutschland – ist mit ihrer heterogenen Struktur abhängig von der Zusammenarbeit unterschiedlichster Gewerke, von Dienstleistern oder Zulieferern. Auch sie können wiederum durch verschiedenste Wetterphänomene eingeschränkt werden.
Copenhagen Convention Bureau: Risk assessment project launched
To help build the bridge between buyers and suppliers and to better understand the risks that each group in the global meetings industry experiences, Copenhagen Convention Bureau (CVB) has launched a new risk assessment project. The project seeks to uncover and map the primary risks related to planning and executing international congresses and meetings, as well as explore best practices, mitigation measures, and recommendations.
Als Erfolgs- und Kostenfaktor zahlt das Wetter seit jeher in die Budgetierung und Planung der Veranstaltungsdestination ein. Vor allem dort, wo es um Outdoor-Aktivitäten geht. Extreme Wetterereignisse können Schwierigkeiten bei der Planung von Veranstaltungen verursachen, wichtige Infrastruktur beschädigen und Vorbereitungsarbeiten einer Veranstaltung stören oder verzögern. Extreme Hitze schränkt die Verfügbarkeit von Wasser ein, hat Einfluss auf die Arbeitsproduktivität sowie den Hitzestress und erhöht den Bedarf an Kühlung. Intensive Regenfälle oder lokale Gewitter mit starken Winden bedürfen zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen und genauer Abwägungen, eine Veranstaltung zu unterbrechen oder abzusagen, um Unfälle wie auf dem Medusa Festival in Spanien im letzten Jahr zu vermeiden.
Wie kann sich also die Branche auf die Auswirkungen vorbereiten und Strategien entwickeln, um den Veranstaltungsbetrieb auch unter schwierigen Wetterbedingungen aufrechtzuerhalten? Wo müssen Veranstaltungsplanende über den Umgang mit Wetter vielleicht ganz anders nachdenken, als sie es bis bisher getan haben?
Mehr Resilienz gegen Extremwetter
Der Globale Risikobericht 2023 vom World Economic Forum (WEF) hat globale Risiken nach Schweregrad geordnet. Auf den ersten fünf Plätzen stehen für die nächsten Dekade dabei Klima- und Umweltrisiken im Mittelpunkt der globalen Risikowahrnehmung: Die Risiken, „auf die wir am wenigsten vorbereitet zu sein scheinen“. Zusätzlich werden klimatische und nicht-klimatische Risiken zunehmend Hand in Hand gehen und zu kaskadenartigen Risiken führen, die immer komplexer und aufwendiger zu beherrschen sind.
Nach einer aktuellen Umfrage des Beratungsunternehmens PwC ist Resilienz zu einer der wichtigsten strategischen Prioritäten in der Unternehmenswelt geworden: Vor dem Hintergrund der Vielzahl einwirkender Makrokräfte auf den Markt müssen sich Unternehmen weiterentwickeln, um sich vor Krisen zu schützen und sich gleichzeitig anzupassen. Ein Balanceakt zwischen Belastbarkeit und Agilität – nicht nur, um unternehmerisch zu überleben, sondern auch, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Photo: private
Um demnach schnell auf sich ändernde Wetterbedingungen reagieren zu können, könnten Veranstaltungsplanende flexiblere Planungsstrategien entwickeln und so ihre Anpassungsfähigkeit erhöhen. Dazu wird es immer wichtiger, Risikobewertungen durchzuführen und Notfallpläne zu entwickeln, um auf solche Ereignisse zu reagieren oder gar Risiken sinnvoll auf Versicherungen zu verlagern zu können. Knackpunkt dabei: Vor allem kurzfristige und lokale Wettererscheinungen lassen sich bisher aufgrund vergleichsweise kleiner Datensätze sowie veralteter Berechnungsmethoden nur schwer vorhersagen und nur wenige Unternehmen haben einen Zugriff auf ein verlässliches Krisenfrühwarnsystem. Bestehende Prognosetools lassen sich zudem kaum erweitern oder branchenspezifisch anpassen. Neue KI-basierte Verfahren können die Qualität solcher Prognosen erhöhen, indem viele verschiedene Datensätze kombiniert und analysiert werden.
Start-ups im Climate-Tech-Bereich
Seit einigen Jahren nutzen Start-ups im Climate-Tech-Bereich solch neue Technologien und kreative Datenpunkte, um Algorithmen für bessere Wettervorhersagen zu entwickeln. Das Wettertechnologieunternehmen Tomorrow.io beispielsweise, das 2016 von israelischen Militärveteranen gegründet wurde, nutzt dazu proprietäre Vorhersagealgorithmen, Open Data und Eingaben aus privaten Daten wie etwa Sensordaten von Drohnen und Flugzeugen. Das Unternehmen bietet eine App zum kostenlosen Download, aber auch branchenspezifische Intelligenzplattformen unter anderem in der Rubrik „Sports & Events“ an. Diese geben den Kund:innen Empfehlungen, wie sie ihre Geschäftsabläufe je nach Prognose verbessern können.
Ein deutsches Projekt wurde im Dezember 2021 mit DAKI-FWS (Daten- und KI-gestütztes Frühwarnsystem zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft) ins Leben gerufen. Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit rund zwölf Millionen Euro geförderten Projektes ist es, bis 2024 ein digitales Lagezentrum zu schaffen, aus dem verschiedene Geschäftsmodelle hervorgehen können und die deutsche Wirtschaft besser vor Krisen zu wappnen. Das Projekt betrachtet dabei exemplarisch zwei Krisensituationen: eine durch Infektionen geprägte Krise und eine durch Wetterextreme wie Hochwasser, Stürme oder Hitzewellen hervorgebrachte Krise. Daten spielen dabei eine zentrale Rolle als Grundlage für eine bessere Beschreibung des Geschehens in einer Krise und erlauben somit genauere Vorhersagen. Krisenspezifische Daten sollen mit weiteren gesellschaftlich relevanten Daten wie Mobilfunk-, Verkehrs- und meteorologische Daten verknüpft und mithilfe von KI-Technologien ausgewertet werden.
„Manche Krisen lassen sich nicht verhindern, aber wir werden sie positiv beeinflussen können.“
Dr. Jackie Ma, Head of Applied Machine Learning, Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut (HHI)
Um sicherzustellen, dass sowohl die richtigen Daten verwendet als auch diese exakt gedeutet werden, arbeitet unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut (HHI), ein Konsortium aus 10 Partnern und assoziierten Partnern, darunter Budelmann Elektronik GmbH, Charité Universitätsmedizin Berlin, D4L data4life gGmbH, Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut, Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering gGmbH, Justus-Liebig-Universität Gießen, Logiball GmbH, Net Check GmbH, Robert Koch-Institut und das Zuse Institut Berlin, zusammen. Die Partner liefern verschiedene Datensätze aus etablierten Systemen, die sowohl historische als auch Nahe-Echtzeit-Daten zu Kontakten, zur Mobilität und Konnektivität der Bevölkerung, epidemiologische und medizinische Daten sowie Klimadaten umfassen und DSGVO-konform analysiert werden. Wirtschaft und Wissenschaft stehen zudem im ständigen Austausch, um nötige Anforderungen abzuklären.
So könnte in Zukunft ein Frühwarnsystem in Form einer digitalen Analyse-Plattform zugänglich werden, auch für weniger digitalisierte Unternehmen und KMUs. In dieses System sollen sich möglichst unkompliziert und datenschutzkonform ebenfalls branchenspezifische Datenquellen flexibel integrieren lassen. Dadurch wäre es für verschiedene Interessengruppen und Aufgaben vielseitig einsetzbar. Die Politik könne zum Beispiel davon als Krisenmanagementtool profitieren, um eigene Maßnahmen zu evaluieren und zu verfolgen oder gar zu simulieren. Da gleichzeitig interaktive grafische Systeme entwickelt werden, könnten zukünftig die Ergebnisse in detaillierter Form Spezialanwendern in der Industrie und über Service-Schnittstellen insbesondere KMUs für eigene Risikoabschätzungen zur Verfügung stehen. Denkbar ist auch ein Zugang für die Öffentlichkeit über vereinfachte Dashboards als Informationsportal. Und die Veranstaltungswirtschaft? Sie wird in der Wissenschaft bedacht und kann von solch neuen Frühwarnsystemen profitieren, um ihre strategischen Planungen anzupassen – und nebenbei wertvolle Daten wie Bewegungsprofile von Besuchenden oder meteorologische Echtzeit-Daten von Anreisenden liefern.