Event Carbon Footprints
Der erste Schritt zu Net Zero
Wälder sind ganz natürlich in der Lage, CO2 zu binden. Daher gelten sie als geeignete Idee, um CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Foto: Pexels, Kelly
Wälder sind ganz natürlich in der Lage CO2 zu binden. Daher gelten sie als geeignete Idee, um CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Foto: Pexels / Kelly
Grundlage einer vernünftigen Nachhaltigkeitsstrategie ist eine saubere Analyse, wo im Gesamtverlauf des Events Emissionen freigesetzt werden. Worauf es ankommt und was es zu beachten gilt.
Das Anthropozän ist von einer außergewöhnlichen Emission von Treibhausgasen in die Atmosphäre geprägt. Dabei wird zwar häufig von CO2 gesprochen. Gemeint sind aber CO2-Äquivalente. Darunter befinden sich Methan, Lachgas und F-Gase. Ein Methanmolekül entspricht beispielsweise 28 CO2-Äquivalenten. CO2-Äquivalente sind also eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der Treibhausgase. So weit, so gut.
Eine Studie aus der Universität Braunschweig hat herausgefunden, dass eine internationale dreitägige Konferenz zu CO2-Emissionen von 0,5 bis 1,5 Tonnen führt. Dabei hängt der tatsächliche Ausstoß natürlich stark von gereisten Distanzen und benutzten Verkehrsmittel ab. Die untersuchte Referenzveranstaltung hätte im Rechenmodell zwischen 97 und 200 Mal weniger Emissionen verursacht, wäre sie als virtuelle Konferenz ausgetragen worden.
Eine andere Studie hat ergeben, dass eine einzige Konferenz aufgrund von induziertem Verkehr bis zu 2.000 Tonnen an Treibhausgasen verursachen kann. Laut Statistischem Bundesamt betrug der durchschnittliche CO2-Fußabdruck pro Einwohner 7,72 Tonnen in Deutschland. Soll das in Paris vereinbarte Klimaziel erreicht werden, müsse dieser aber auf 2,5 Tonnen bis 2030 reduziert werden. Diese Zahlen verdeutlichen, mit welcher Dringlichkeit Event Carbon Footprints reduziert werden müssen, damit unsere Nachhaltigkeitsziele erreicht werden. Es gilt also herauszufinden, in welcher Form Treibhausgase auf Events entstehen.
Creative Green Tools Germany
Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit hat eine kostenlose Beta-Version eines CO2-Rechners für Events gestartet. Der Rechner wurde mit Deutschen Emissionswerten hinterlegt. Der Testzeitraum ist noch bis zum 15. August geöffnet. Hier geht es zum CO2-Rechner.
In den letzten Jahren haben sich verschiedene CO2-Kalkulatoren für Events am Markt platziert. Einige sind online frei verfügbar. Andere werden kommerziell von Unternehmen als Beratungsdienstleistung angeboten oder sind die Vorstufe zu CO2-Kompensationsprogrammen.
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Bild: © Estrel Berlin / Sven Hobbiesiefken
Carbon Footprint nach Scope 1 bis 3
Wie lassen sich CO2-Emittenten strukturiert identifizieren? Für den Corporate Carbon Footprint, also CO2-Emissionsanalysen von ganzen Businessprozessen einzelner Unternehmen, wurde ein Modell mit drei Scopes entwickelt. Scope 1 bezieht sich nur auf die direkten Emissionen, die vom Unternehmen verursacht werden. Scope 2 bezieht zusätzlich zum Beispiel beanspruchte Energie ein. Im Scope 3 wird ganzheitlich untersucht, welche Emissionen durch die Unternehmenstätigkeiten angestoßen werden. Dazu zählen Energieverbräuche, Logistikketten, Abfallverwertung in der Produktion, Produktlebensläufe und so weiter. Laut dem GHG Protocol Corporate Value Chain (Scope 3) Accounting and Reporting Standard gehören Events aufgrund ihrer Komplexität zu Scope 3.
Diese Grafik wurde 2011 im Corporate Value Chain (Scope 3) Accounting and Reporting Standard veröffentlicht. Sie stellt gut den Unterschied zwischen der einzelnen Scopes dar. Aufgrund der Eigenart von Events, dass hier viele Unternehmen zusammenkommen, wird Scope 3 als am geeignetsten für Events angesehen. Foto: World Resources Institute and World Business Council for Sustainable Development
Das Melbourne Convention Exhibition Centre in Australien, zum Beispiel, hat sich mit Unterzeichnung des Net Zero Carbon Pledge zu Net Zero 2050 verpflichtet. Es lässt sich von dem externen Dienstleister EarthCheck nach Scope 1 und 2 zertifizieren. Für weitere Events, die auf dem Gelände ausgetragen werden, wird ein Excel-basierter Rechner angeboten. Dieses Tool ist allerdings nicht wissenschaftlich gestützt. Der aktuelle Einsatzzweck dient mehr zur Sensibilisierung von Planern und Gästen.
Photo: Melbourne Convention Exhibition Centre
Samantha Ferrier, Sustainability Manager at Melbourne Convention Exhibition Centre, about calculating event carbon footprints:
As a venue, MCEC calculates its carbon footprint using a third-party certification system called EarthCheck, however this only accounts for scope 1 and 2 emissions, not scope 3. MCEC is currently in the process of undertaking a body of work that will calculate our organisation’s entire carbon footprint (including our scope 3, or indirect, emissions).
Der Event Carbon Footprint
Den Begriff „Event Carbon Footprint“ will die Nachhaltigkeitsagentur 2bdifferent etablieren. Nach diesem Konzept werden bis zu 200 aggregierte Datenwerte über Online-Erhebungsbögen gesammelt und ausgewertet, berichtet Directing Manager Clemens Arnold. Basis ist ein individualisierter Erhebungsbogen für einzelne Gewerke. 2bdifferent unterscheidet hierfür über 30 Gewerke. In diesen Erhebungsbögen werden möglichst alle Details gesammelt. Mobilitäten über gefahrene Kilometer z.B. bei der An- und Abreise der Gäste, eingesetztes Material z.B. beim Messe- und Bühnenbau, Energieeinsatz z.B. in der Location, entstandener Abfall z.B. beim Catering, Wasserverbräuche und vieles mehr.
Foto: 2bdifferent
“Wenn ich den Event Carbon Footprint erhoben habe, habe ich nicht das Beste getan. Dann geht es erst richtig los.“
Clemens Arnold, Geschäftsführer bei 2bdifferent
Der Event Carbon Footprint wird demnach erst nach dem Event ermittelt. Er stellt also keine Schätzung, sondern eine detailgenaue Aufschlüsselung der tatsächlich angefallenen Emissionen dar. „Der Dienstleister erfasst online seine Daten je Gewerk. Wir werten diese dann aus und übernehmen eine erste Plausibilitätsprüfung. Unser Partner Forliance in Bonn ermittelt die Referenzwerte und erstellt schließlich den finalen Event Carbon Footprint“, erklärt Clemens Arnold. Und ergänzt: „Die Emissionsfaktoren nehmen wir aus DEFRA und Ecoinvent. Das sind die klassischen Datenbanken, wo die Referenzwerte herkommen.“
Bei der ersten Erstellung eines Event Carbon Footprint gehe es vorrangig darum, Awareness zu schaffen und Erfahrungswerte sammeln. Aus den ersten Erkenntnissen lassen sich Hotspots ableiten und konkrete Maßnahmen zur Reduktion. Arnold: „Den Weg gehen und anerkennen: Wir sind beim ersten Event nicht perfekt.“ Das wäre auch ein recht perfektionistischer Selbstanspruch. Jedoch kann somit bei Folge-Events auf die erste Auswertung als Referenz eingegangen werden und der Weg der Verbesserung ersichtlich werden.
Carbon Offsets
Wer nun einen Schritt weitergehen möchte, denkt vielleicht an Kompensationen. Arnold empfiehlt zunächst aber, transparent zu kommunizieren, dass der Event Carbon Footprint erhoben und daraus Lehren für folgende Veranstaltungen gezogen wurden. Die Einladung solcher Carbon Offsets, sich nach Kompensation klimaneutral nennen zu können, obliegt dabei einem Trugschluss, dem wir gleich noch weiter nachgehen werden. „Der Begriff klimaneutral ist verbrannt“, meint Clemens Arnold.
Die Idee hinter Carbon Offset ist denkbar einfach und geht auf die kapitalistischen Strukturen unseres Wirtschaftssystems ein. Dabei werden sogenannte Carbon Credits bepreist und verkauft. Das dadurch entstehende Kapital soll in Projekte fließen, die entweder zur CO2-Bindung beitragen oder an der Verhinderung weiterer Emissionen arbeiten.
Carbon Offsets werden in einem fünfstufigen Prozess für Marktteilnehmer verfügbar gemacht. Zunächst wird ein Projekt aufgezogen, wonach entweder CO2 gespeichert oder die Emittierung weiterer Treibhausgase vermieden werden soll. Ist dies entschieden, werden verfügbare Credits ermittelt. Ein Credit hat dabei den Wert einer Tonne Emissionen. Aber Vorsicht: Eine Recherche des britischen Guardian, der Zeit und SourceMaterial hat aufgedeckt, dass rund 90 % der ausgewiesenen Credits des Verified Carbon Standard wertlos seien. Grund dafür ist etwa eine Bewertungsmaßnahme, nach welcher bestehende Wälder vor Abholzung geschützt werden. Übrig bleibt also nur das Potenzial eines geschützten Waldes, der CO2 speichern kann. Er hat nicht das gleiche Potenzial weiteres CO2 aufzunehmen wie ein neu gepflanzter Wald.
Auswahl von freien Online-CO2-Rechnern
Dies ist nur eine Auswahl verfügbarer CO2-Rechner im Internet. Sie sind zwar speziell auf Events ausgelegt, und die hinterlegten Emissionsfaktoren dürften auch verlässlich sein. Doch dienen sie mehr zur Sensibilisierung über die schiere Masse an Emissionen als zur akkuraten Berechnung ebendieser.
Aufgrund diverser Recherchen und eigener Erfahrungen empfiehlt Clemens Arnold nach dem Gold Standard zertifizierte Projekte. Das ist ein geläufiger Standard, der von über 70 NGOs unterstützt wird.
Das Umweltbundesamt rät zu vier Schritten, um ein geeignetes Kompensationsprogramm für sich zu finden. Dabei geht es zuerst darum, zu schauen, wo Emissionen vermieden oder reduziert werden können. Im nächsten Schritt sollten anfallende Emissionen berechnet werden, wobei ein Augenmerk auf die Zuverlässigkeit der eingesetzten Rechner gelegt werden sollte. Schließlich gilt es Anbieter zu vergleichen und in den Zertifizierungsprozess einzusteigen.
Bei der Auswahl von Anbietern sollten vier Aspekte verglichen werden:
- Gibt es ein klar definiertes Protokoll, das festlegt, welche Projekte unterstützt werden und wie Emissions-reduktionen gemessen werden?
- Gibt es eine zuverlässige Kontrollinstanz?
- Sind die gekauften Offsets mit einer Unique Serial Number versehen?
- Ist das Unternehmen transparent in der Projektimplementierung und in der Berichterstattung?
Die effektivste Methode ist dabei tatsächlich, mit Maschinen CO2 direkt aus der Luft abzuscheiden. Diese Technologien sind allerdings grade erst in der Entstehung und noch nicht gänzlich Massetauglich. Danach folgt die Vermeidung neuer Emissionen durch die Umstellung auf erneuerbare Energien, direkt gefolgt vom Einsatz neuer Technologien, die effektiver Energie verbrauchen als Vorgängermodelle. Erst danach schließt Carbon-Offsetting die Liste. Das Problem hierbei sei die Zuverlässigkeit der Dauerhaftigkeit solcher Speicher.
Risiken von CO2-Offsets
Wer überlegt, CO2 Offsets einzusetzen, sollte sich gewisser Risiken bewusst sein. Dabei gilt nicht nur die Gefahr, dass die Projekte zu viel versprechen. Das einfache Offsetting lädt zum Beispiel ganz platt dazu ein, eigene Anstrengungen nicht ganz zu ernst zu nehmen. Sie reduzieren nur dann wirklich CO2 in der Atmosphäre, wenn zum Beispiel neue Wälder gepflanzt werden. Der Schutz bestehender Wälder ist nichts weiter als Optionshandel.
Der ausgewiesene Wert der Reduzierung ist erst nach Ablauf der Projektlaufzeit erreicht. Das heißt, wenn neue Wälder gepflanzt werden, braucht es mehrere Jahre bis Jahrzehnte, bis die CO2-Emission einer Eintages-Veranstaltung wirklich ausgeglichen ist. Zuletzt können Carbon Offsets auch als Greenwashing wahrgenommen werden, was ein Risiko für das Image eines Events bedeutet.
Klimadienstleister-Guide 2023 – dfv Fachbuch
Die konsequente Dekarbonisierung der Geschäftsmodelle ist für Unternehmen erfolgsentscheidend. Die Kosten für Treibhausgas-Emissionen und fossile Energien steigen. Die politische Regulierung, Investoren, Fachkräfte und Geschäftskunden fordern immer häufiger Klimabilanzen und Klimastrategien ein. Für den Klimaschutz können sich Unternehmen Unterstützung und Beratung holen. GREEN.WORKS, die Initiative der dfv Mediengruppe für unternehmerischen Klimaschutz, hat die erste umfassende Marktübersicht zur Carbon-Management-Branche erarbeitet. Darin sind mehr als 100 Beratungen und Software-Anbieter gelistet, die beim Klimaschutz unterstützen.
Ein weiteres Problem in Deutschland ist das Phänomen des Double Countings. Demnach werden die Effekte von Forstprojekten in Deutschland der Bundesrepublik gutgeschrieben, nicht aber dem Unternehmen, das die Carbon Credits dafür kaufen wollte.
Für Event-Planer, die sich neu mit CO2-Emissionen ihrer Events auseinandersetzen wollen, empfiehlt Clemens Arnold: „Es ist nicht entscheidend, beim ersten Mal alles perfekt zu machen. Die Berechnung des Event Carbon Footprints ist der Ausgangspunkt für die Feststellung der Hotspots sowie die Umsetzung von Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Reduzierung von CO2-Emissionen. Weiter gehört dazu die Sensibilisierung von Gästen und Partnern.“ Jetzt ist es an der Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, welche Umwelteffekte eigene Events wirklich haben. Nur mit einem ehrlichen und transparenten Blick lassen sich Events auf den Weg zu Net Zero führen.