Interview Jutta Gnauck
„Die Uhren laufen schneller“
Jutta Gnauck: "Alle, wirklich ausnahmslos alle Verbände bauen darauf, ihre Mitglieder wieder persönlich zu treffen." Foto: DGVM
Jutta Gnauck: Alle, wirklich ausnahmslos alle Verbände bauen darauf, ihre Mitglieder wieder persönlich zu treffen. Foto: DGVM
Jutta Gnauck, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement e.V. (DGVM), über Krisenzeiten als gute Zeiten für Verbände, den Jubel über Präsenzveranstaltungen und den festen Platz des Digitalen, den revitalisierten Infotag Verband & Tagung und den sozialen Aspekt in der Nachhaltigkeitsdiskussion.
tw tagungswirtschaft: Zu Ihrer Jahresumfrage Top-10-Trends 2023 der Verbände schreibt der Verbändereport, dass es ein wenig überrascht, wie positiv der Blick der Befragten auf die zurückliegenden Monate ausfällt. Hat Sie das auch überrascht?
Jutta Gnauck: Von der Sache her hat mich das eigentlich nicht überrascht. Es kursiert seit jeher in der Verbandswelt die Weisheit, dass Krisenzeiten für Verbände gute Zeiten sind. Und das hat sich hier bewahrheitet. Die Verbände haben die Herausforderungen als Macher und Gestalter angenommen und sich für ihre Mitglieder als ungemein wertvoll und wichtig erwiesen. Aber als wir die Befragung Anfang des Jahres durchführten, war die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung eher negativ, alle waren von den vielen Krisen frustriert und keiner wusste so richtig, worauf er sich 2023 eigentlich freuen soll. In einer solchen Zeit eine Umfrage zu machen, ist immer ein Wagnis und kann auch ganz andere Ergebnisse bringen. Von daher hat es mich sehr begeistert, wie positiv die Verbände nach vorne schauen und dass so viele auch von Mitgliederzuwachs berichten.
Welche drei Trends und Themen beschäftigen Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagementaktuell am meisten?
Ich schließe mich da unseren Mitgliedern an. Die Digitalisierung ist nach wie vor ein wichtiges Thema, allerdings müssen wir uns hier nicht mehr in erster Linie mit der Umsetzung, sondern mittlerweile mit ihren Auswirkungen auseinandersetzen. Auch wenn uns das Thema Digitalisierung immer als Segen verkauft wird, der uns mehr Zeit für das Wesentliche bringt, so sehe ich das in der Praxis kaum bestätigt. Es scheint eher, als ob die Uhren schneller laufen. Wo früher schon, bedingt durch die Reisezeiten, nur ein Meeting am Tag stattfand, sind es heute zwei – und die oft digital. Doch alles muss entsprechend nachbereitet werden. Das führt auch gleich zum zweiten Trend. Die Mitgliederkommunikation muss wieder intensiviert werden. Der persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen.
Was wir zudem wahrnehmen, ist eine zunehmende Personalfluktuation in der Verbandswelt. Das haben wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten noch nie so erlebt. Verbände sind spannende Arbeitgeber, weil jeder ein Thema hat, für das er brennt. Das möchten wir in den kommenden Monaten noch klarer rausstellen, damit sich die richtigen Menschen für eine Karriere im Verband entscheiden.
Top-10-Trends im Jahresvergleich 2018–2023: Wie 2021 kommt die Digitalisierung auf Platz 1, genauer: die Digitalisierung für den Verband weiter voranzutreiben. Quelle: Verbändereport
Welche Folgen haben die Digitalisierung, die Mitgliederkommunikation und die Personalfluktuation für Ihre Veranstaltungen?
Als konsequente Ableitung müsste ich jetzt eigentlich sagen, dass wir nur auf Präsenzveranstaltungen setzen. Aber dem ist natürlich nicht so. Das Digitale hat seinen festen Platz in unserem Angebot – dann, wenn es Sinn macht. Vor allem bei aktuellen Themen mit Briefing-Charakter. Für zwei Stunden braucht niemand durch die Republik zu reisen. Der Seminarbereich – wir veranstalten ja die Kölner Verbände-Seminare – bietet jetzt wieder ein breites Angebot, vornehmlich in Präsenz. Gerade gestern hatten wir eine Veranstaltung bei uns in der Villa Uhrmacher – und es macht einfach Spaß, Menschen wieder gemeinsam in einer Gruppe zu erleben und sie angeregt diskutieren zu sehen. Nach einem solchen Tag geht jeder mit wertvollem Wissen und Erkenntnissen nach Hause. Das ist auch für uns als Veranstalter wahnsinnig befriedigend. Wir erleben aktuell auch eine neue Form der Wertschätzung unseres Angebots, was uns sehr freut.
Im April sind in Deutschland die letzten Corona-Maßnahmen ausgelaufen. Was beobachten Sie hinsichtlich der Veranstaltungskonzepte der Verbände – eine Rolle rückwärts oder auf zu neuen Ufern?
Alle, wirklich ausnahmslos alle Verbände bauen darauf, ihre Mitglieder wieder persönlich zu treffen. Viele Verbände betreiben zudem ein großes Veranstaltungswesen und die Erträge sind auch wichtig für den Verbandshaushalt. Was wir aktuell kaum noch sehen, sind mehrtägige, tagesfüllende Konferenzen, Tagungen und Messeveranstaltungen in rein digitaler Form. Aber das muss nicht heißen, dass die nie wiederkommen werden. Wir sind jetzt in einer sehr spannenden Phase, wo sehr genau geschaut wird, was als Format funktioniert und was nicht. Und was sich rechnet.
„Wir sind jetzt in einer sehr spannenden Phase, wo sehr genau geschaut wird, was als Format funktioniert und was nicht. Und was sich rechnet.“
Jutta Gnauck, Geschäftsführerin Deutsche Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM)
Viele berichten, dass der Teilnehmerzuspruch anders ist und die Anmeldungen erst später kommen. Zudem haben sich die Kosten in der Veranstaltungswelt in den letzten Jahren sehr gewandelt. Und auch die Bereitschaft, für eine Veranstaltung zu reisen, scheint sich verändert zu haben. Letzte Woche war ich aber in München auf der BAU 2023 – das war großartig! Von der Pandemie war hier nichts mehr zu spüren. Es war proppenvoll und die Stimmung war super. Das werte ich als gutes Zeichen auch für traditionelle Messekonzepte.
Laut ihrer Satzung müssen die meisten Verbände jedes Jahr eine Mitgliederversammlung abhalten. Während der Pandemie konnte diese digital durchgeführt werden. Ist das noch möglich? Und wenn ja, welche Verbände kennen Sie, die bei der digitalen Mitgliederversammlung geblieben sind?
Endlich wieder Präsenz, jubeln die meisten Verbände. Die Gesetzeslage ist mittlerweile so, dass die Verbände das weitgehend selbst entscheiden können. Es gibt aber durchaus Argumente für eine digitale Durchführung, vor allem die oft umfangreichen und langwierigen Formalia und Wahlvorgänge können dadurch wesentlich eingekürzt werden. Und die Mitglieder müssen nicht reisen. Eine hybride Durchführung muss aber gut gemacht sein, was aufwendig und mitunter kostenintensiv ist. Und sie birgt auch die Gefahr, dass sie keinem so richtig gerecht wird – weder den Teilnehmern vor Ort noch denen am Bildschirm.
Wir erwarten, dass es beides geben wird und dass Verbände das durchaus mischen werden – also mal digital und mal in Präsenz tagen werden. Oder dass sie beide Wege direkt hintereinanderschalten, sie also das Beste aus beiden Welten miteinander kombinieren.
Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Verbandsmanagement sind spannende Arbeitgeber mit Teams, die Spaß am Job haben und an Jimi Hendrix, v.l.n.r.: Andreas Korte, Karen Scarbatta, Alex Frede, Jutta Gnauck, Dorothea Stock und Denise Werner. Foto: DGVM
Nach einer Corona-Pause 2021 steht am 7. September Ihr Infotag Verband & Tagung 2023 an. Eines der drei Topthemen ist: Verbandsveranstaltungen revitalisieren. Was ist als Programm geplant, und ist der Infotag selbst revitalisiert worden?
Auf jeden Fall revitalisiert! Das fängt schon damit an, dass wir die Fachausstellung mal ganz anders bauen werden. Es wird keine langen Gänge geben und in ihrem Zentrum gibt es einen Meetingbereich, wo auch Teile des umfangreichen Rahmenprogramms und Diskussionen stattfinden werden – mit vielen Anregungen, Ideen und ersten Post-Corona- Best-Practices für die Veranstaltungsverantwortlichen aus der Verbandswelt.
Als neue Location haben Sie die Verti Music Hall in Berlin ausgesucht. Warum diese?
Für unser Konzept mit der Kombi Ausstellung/Aktivitätenfläche ist die Verti Music Hall super, weil sie als Konzertlocation technisch auf Top-Niveau ist und wir das machen können, ohne dass die Aussteller akustisch sehr gestört werden. Was uns auch gut gefällt, ist, dass wir die Halle, die Foyers, die Terrasse und den Backstagebereich so bespielen können, dass es für die Verbandsplaner attraktiv wird, sich durch das ganze Areal zu bewegen. Das wird sicherlich ein spannender Tag für alle – mit vielen Begegnungen und Gesprächen.
Worauf legen Sie besonderen Wert bei der Wahl Ihrer Tagungsorte?
Verbände sitzen recht zentriert an einigen wenigen Punkten in Deutschland – vor allem entlang der Rhein-Main-Schiene und in Berlin. Mit den Großveranstaltungen sind wir deshalb immer dort anzutreffen. So ist es zumindest bisher. Für den Deutschen Verbändekongress haben wir für 2024 aber noch nicht entschieden, wo wir tagen werden. Auch hier besteht die Lust auf Neues und wir hinterfragen unsere bisherigen Konzepte.
„Nachhaltigkeit ist mittlerweile kein Sonderprojekt mehr, sondern fest verankert im Tagesgeschäft der Verbände.“
Jutta Gnauck
Wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit bei der Suche nach der richtigen Stadt und Stätte für Ihre Veranstaltungen?
Wir haben 2022 den Deutschen Verbändekongress in Berlin nach den Nachhaltigkeitsregeln bzw. der Sustainable Event Scorecard des Berlin Convention Office veranstaltet und dafür vom Senat eine Förderung erhalten. Das war klasse und ausgesprochen lehrreich. Das Thema ist inzwischen in unserem Mindset fest verankert, sodass wir gar nicht anders können und wir unsere Entscheidungen auch immer unter Nachhaltigkeitskriterien bewerten. Mir liegt aber sehr am Herzen, dass wir als Veranstaltungsschaffende in der Nachhaltigkeitsdiskussion den sozialen Aspekt mehr nach vorne rücken. Er gehört genauso zu den drei Sphären der Nachhaltigkeit wie Ökologie und Ökonomie. Wir schaffen mit unseren Veranstaltungen Begegnungen, die den Menschen guttun und von denen sie lange zehren. Das ist enorm wichtig, dass wir das tun.
In Ihrer Jahresumfrage 2023 zu den Top-10-Trends der Verbandsarbeit wählt nur knapp jeder zweite Befragte (47,8 Prozent) „Nachhaltigkeit, Klimaschutz und gesellschaftliche Verantwortung fördern“. Damit landen Nachhaltigkeit und Klimaschutz auf Platz 5. Wie kommt das?
Ich würde es anders interpretieren. Bei fast der Hälfte der DGVM-Mitgliedsverbände gehört das Thema in die Top 5 für ihre Arbeit in 2023. Das zeigt ganz klar den Stellenwert. Nachhaltigkeit ist mittlerweile kein Sonderprojekt mehr, sondern fest verankert im Tagesgeschäft der Verbände.