Klimaneutrale Messen
Viele Player, viele Hebel
Bei der Messe Frankfurt wird Nachhaltigkeit auch auf dem Dach der modernen Halle 12 sichtbar: Dort sorgt eine Photovoltaikanlage für eine Energieerzeugung, die dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 241 Vier-Personen-Haushalten entspricht. Foto: Messe Frankfurt, Jean-Luc Valentin
Bei der Messe Frankfurt wird Nachhaltigkeit auch auf dem Dach der modernen Halle 12 sichtbar: Dort sorgt eine Photovoltaikanlage für eine Energieerzeugung, die dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 241 Vier-Personen-Haushalten entspricht. Foto: MesseFrankfurt, Jean-Luc Valentin
Vor einem Jahr hat sich der deutsche Messeverband AUMA vorgenommen, die Branche bis 2040 klimaneutral zu machen. Die vorgelegten Maßnahmen dienen auch als „Road Map“ für die Emissionsreduzierung mit Net Zero Carbon Events. Die globale Initiative will Ende November 2023 auf der COP 28 in Dubai den Fahrplan all ihrer Mitgliedern präsentieren. Ein guter Anlass für einen Blick auf die größten Hürden und Hebel für klimaneutrale Messen.
Wer an Messen denkt, denkt bisher noch selten an Nachhaltigkeit. Eher an viel Show und Aufwand, um in kurzer Zeit möglichst viel Eindruck zu hinterlassen: an Messestände mit Teppichen, die für ein paar wenige Tage verlegt und dann weggeworfen werden, an großformatige Displays, die nach drei Messetagen entsorgt werden, weil die Botschaft überholt ist, oder an wertige Give-aways, die erst in aufwendigen Besuchertaschen und dann in irgendwelchen dunklen Ecken zu Hause verschwinden. „Messen gelten als Ressourcenschleudern“, sagt Jürgen May. Er ist Nachhaltigkeitsexperte und Geschäftsführer der Beratungsagentur 2bdifferent, mit der er dies gern ändern möchte. Die Integration von Klimaschutz und Sustainability ist für ihn nicht nur angesichts der sich abzeichnenden Klimaveränderungen bitter nötig. Auch die öffentliche Wahrnehmung von kurzfristigen Materialschlachten ist kritischer geworden, glaubt der Nachhaltigkeitsexperte: „Ein Umdenken ist überfällig.“
Tatsächlich nimmt dieses Umdenken in der Messebranche derzeit immer mehr an Fahrt auf. Schon 2021 hat sich auf dem COP in Glasgow die globale Initiative Net Zero Carbon Events gegründet, der sich auch viele Player der Messebranche angeschlossen haben. Sie wollen gemeinsam mit mittlerweile fast 600 internationalen Organisationen bis spätestens 2050 die Kohlenstoffemissionen ihrer Veranstaltungen auf null reduzieren. Im vergangenen Jahr haben sich die 69 Mitglieder des Verbands der deutschen Messewirtschaft (AUMA) nun eine eigene Selbstverpflichtung gegeben. Sie haben neun konkrete Maßnahmen formuliert, mit denen sie die Kohlenstoff-Null erreichen wollen und damit nebenbei auch den von der Net-Zero-Initiative verordneten Fahrplan frühzeitig vorgelegt. „Großes Ziel ist, dass die deutsche Messewirtschaft kontinuierlich Treibhausgas-Emissionen reduziert, um 2040 klimaneutral zu sein“, beschreibt Steffen Schulze, Leiter des Bereichs Kommunikation und Marketing beim AUMA, was man sich vorgenommen hat.
Die Messegesellschaften in Deutschland wollen dafür in den kommenden drei Jahren über dreistellige Millionenbeträge in die Sanierung und Modernisierung ihrer Gebäude investieren. Im Fokus steht dabei die Umstellung von fossilen Energieträgern auf Fernwärme und erneuerbare Energien, betont Schulze: „Schon heute sind Messegelände teilweise mit den größten Photovoltaikanlagen in ihrer Region ausgestattet und Vorreiter in der Nutzung von Blockheizkraftwerken und Anlagen mit Wärmerückgewinnung.“ Bis 2025 sollen alle ausschließlich Ökostrom nutzen, so eines der neun selbstgesteckten Klima-Ziele der Branche.
Manche Gelände tun dies schon jetzt – beispielsweise die Deutsche Messe AG in Hannover, die Nachhaltigkeit als eine zentrale Säule ihres Zukunftsprogramms definiert. „Mit unserem Nachhaltigkeitsprojekt Fair2Future werden wir unsere CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent reduzieren“, erklärt Onoura Ogbukagu, Sprecher des größten deutschen Messegeländes. Schon bis 2035 will man in Hannover klimaneutral sein. Dafür entsteht derzeit auch eine neue Photovoltaik-Anlage auf den Dächern verschiedener Messehallen, zudem wird der Einsatz von Wärmepumpen geprüft. Durch eine Analyse des Müllaufkommens soll außerdem das Abfallmanagement optimiert werden, Standbau und Catering sollen kreislauforientiert umgestellt werden – was drei weiteren Maßnahmen der AUMA-Selbstverpflichtung entspricht.
Blühende Wildblumenwiesen für mehr Biodiversität sind nur eine der vielen Maßnahmen, mit der die Deutsche Messe AG für Nachhaltigkeit sorgen will. Insgesamt sollen im Rahmen des Nachhaltigkeitsprojekts Fair2Future bis 2030 die CO2-Emissionen um 65 Prozent gesenkt werden. Foto: Deutsche Messe, Rainer Jensen
Ähnlich sehen die Bemühungen bei den anderen Messegesellschaften aus, die alle ähnliche Register für mehr Nachhaltigkeit ziehen. Auch bei der Messe Frankfurt werden die Abfälle auf dem Gelände im Sinne der Kreislaufwirtschaft nach Möglichkeit einer stofflichen und energetischen Verwertung zugeführt. „Die Wiederverwertungsquote liegt bei über 90 Prozent“, versichert Messe-Chef Wolfgang Marzin im Interview. Und auch die kleineren Messegesellschaften sind dabei. Bei der Messe Karlsruhe etwa verwendet man zunehmend einen latexfreien Teppich, der in der Produktion 80 % weniger Energie als herkömmliche Teppiche verbraucht und sehr gut recycelbar ist. Wie Frankfurt versteht man hier Nachhaltigkeit zudem nicht nur als ökologisch nachhaltiges Handeln: „Wir engagieren uns auch für ökonomische und soziale Nachhaltigkeit“, versichert Britta Wirtz, Geschäftsführerin der Messe Karlsruhe. Beide Messen führen derzeit das weltweit anerkannte Umweltmanagementsystem EMAS ein, mit dem die Nachhaltigkeitsmaßnahmen in allen drei Bereichen unabhängig nachgewiesen werden können.
Die Herausforderung: Viele Abhängigkeiten
Um Messen klimaneutral zu machen, reichen nachhaltig bewirtschaftete Messegelände allerdings nicht aus. Denn wenn sich nationale und internationale Unternehmen einer Branche auf einem zentralen Marktplatz treffen können, sind noch sehr viel mehr Akteure beteiligt, die ebenfalls Emissionen ausstoßen. „Damit eine Veranstaltung emissionsfrei ist, müssen auch die Systeme und Strukturen, die sie ermöglichen, emissionsfrei sein“, heißt es bei der Initiative Net Zero Carbon Events im Leitfaden für die Roadmaps, die im November 2023 von allen, die das gemeinsame Ziel unterstützen, vorgestellt werden sollen. Dass eine Messegesellschaft allein für sich selbst entscheidet, emissionsfrei zu werden, ist demnach nicht möglich.
„Messen bringen viele Gewerke zusammen. Um Klimaneutralität zu erreichen, muss gemeinsam ein transparenter Prozess entwickelt werden“, stimmt Steffen Schulze dem zu. Das Anliegen des AUMA sei es deshalb, dass jede und jeder Beteiligte den CO2-Fußabdruck nach einheitlichen Standards misst und darüber berichtet. „Das betrifft die Kunden, aber auch die Messeplätze und die Veranstalter, die verschiedenen Dienstleister, eben alle Partner einer Messe“, so Schulze, der im AUMA für fast alle von ihnen spricht. Zu den 69 Verbandsmitgliedern gehören neben Messegesellschaften auch Wirtschaftsverbände wie BDI und DEHOGA, private Messeveranstalter, Durchführungsgesellschaften für Auslandsmessebeteiligungen und Organisationen, die die Interessen von Messebauunternehmen, Spediteuren und Design- und Eventagenturen vertreten.
„Messen bringen viele Gewerke zusammen. Um Klimaneutralität zu erreichen, muss gemeinsam ein transparenter Prozess entwickelt werden.”
Steffen Schulze, Leiter Kommunikation und Marketing beim Verband der deutschen Messewirtschaft (AUMA). Foto: AUMA, Steffen Kugler
Die Definition: Was Klimaneutralität meint
Die Maßnahmen, die im AUMA gemeinsam entwickelt wurden, orientieren sich an den Vorgaben, die im Greenhouse Gas (GHG) Protocol Corporate Accounting and Reporting Standard beschrieben sind. Dieser ist weltweit der Standard für die Ermittlung des Corporate Carbon Footprints – also der Analyse von Emissionen, die in Businessprozessen einzelner Unternehmen entstehen. Er sieht für einen Businessprozess mit so vielen Beteiligten, wie es sie bei Messen gibt, das Scope-3-Konzept vor. Es bilanziert neben den direkten Emissionen, die bei einer Messe etwa durch den hauseigenen Fuhrpark ausgestoßen werden, auch alle anderen Emissionen, die im Laufe der Wertschöpfungskette verursacht werden, also z.B. auch die von Logistikunternehmen, die die Materialien für den Messestand transportieren, oder die der Designagentur, die ihn gestaltet.
Klimaneutralität in a nutshell
Mit dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol hat sich die Weltgemeinschaft 1998 auf einen einheitlichen Rahmen für die Berechnung von Treibhausgasemissionen geeinigt und Standards für die Berechnung des Corporate Carbon Footprints verabschiedet. Im Regelwerk wird die Unterscheidung in drei Bereiche (Scopes), denen Emissionen zugeordnet werden können, vorgenommen:
Scope 1 umfasst die direkten Emissionsquellen. Das sind Emissionen, die direkt vor Ort bei der Unternehmenstätigkeit entstehen, etwa durch Brennstoffe oder den Einsatz von Kühlmitteln. Auch Emissionen des unternehmenseigenen Fuhrparks gehören dazu.
Scope 2 umfasst auch die indirekten Emissionen der eingekauften Energie, also z.B. die Treibhausgasemissionen des Stroms, der zwar außerhalb des Unternehmens erzeugt, aber innerhalb verbraucht wird.
Scope 3 umfasst auch alle anderen Emissionsquellen innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette. Dazu gehören vorgelagerte Emissionen, die bei der Herstellung eingekaufter Produkte und Services entstanden sind, also z.B. bei Zulieferfirmen oder Dienstleistern. Ebenfalls einberechnet werden nachgelagerte Emissionen, die in Verbindung mit den Produkten und Dienstleitungen stehen, die das Unternehmen verkauft, also z.B. die Treibhausgase, die bei der Anreise von Messebesuchern entstehen. Dieser Scope ist für eine Klimabilanz von komplexen Produkten und Dienstleistungen wie Messen, Kongresse und Events es sind, erforderlich.
Der CO2-Abdruck einer Messe besteht demnach aus verschiedenen Einzelbilanzen, die sinnvoll miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Hinweise, welche Emissionen welchem Fußabdruck zugerechnet werden sollten, liefert auch hier der schon genannte Leitfaden der Net-Zero-Carbon-Event-Initiative. Ihm zufolge werden z.B. Emissionen durch Energie dem Veranstalter, dem Messegelände und den ausstellenden Unternehmen zugeschlagen, die der Logistik nur Veranstaltern und Ausstellern und die, die durchs Catering entstehen, zählen für alle Beteiligten.
Grundsätzlich gilt: Diejenigen, die eine Veranstaltung initiieren und durchführen, übernehmen das gesamte Spektrum an Scope-3-Emissionen. Zudem übernehmen alle Beteiligten, sobald sie einen Kauf tätigen oder einen Auftrag vergeben, die vor- und nachgelagerten Emissionen des Produkts, für das sie sich entscheiden. Derzeit noch niemandem zugerechnet werden laut Leitfaden die Emissionen der Besucherinnen und Besucher, was für eine große Leerstelle bei der Bilanz sorgt. Schließlich sind sie, wie statistische Erhebungen belegen, mit ihrer An- und Abreise verantwortlich für den Löwenanteil der Treibhausgase, die Veranstaltungen verursachen. Im kommenden Jahr will Net Zero Carbon Events diese Regelung deshalb noch einmal überprüfen.
A Net Zero Roadmap for the Events Industry
Der im November 2022 von der Initiative Net Zero Carbon Events veröffentlichte Leitfaden gibt viele Hinweise und Hilfestellungen für die Erstellung des Fahrplans zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Die Selbstverpflichtung des AUMA wird darin als beispielhafte Roadmap vorgestellt. Hier steht mehr.
Um die gemeinsame Herausforderung zu lösen, müssen also alle gemeinsam Verantwortung übernehmen. „Wir als Veranstalter schaffen Rahmenbedingungen, die Energie und Ressourcen sparen, ausstellende Unternehmen sind angehalten, beim Standbau auf Nachhaltigkeit zu achten, und auch diejenigen, die die Messe besuchen, sind gefordert, ihre Anreise klimaneutral zu gestalten – etwa mit der Bahn und dem ÖPNV“, betont Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt. Damit wird die Klimaneutralität allerdings zu einer hochkomplexen Aufgabe. Denn sowohl die Gesamt- als auch die Einzelbilanzen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind von den Bilanzen der anderen Player abhängig.
Das Dilemma: Vorgaben oder Selbstverantwortung?
Beeinflussen kann eine Messegesellschaft oder eine Veranstalterin die Emissionsentscheidungen der anderen Beteiligten nur sehr bedingt. Zwar kann sie z.B. versuchen, den Besucherinnen und Besuchern die klimafreundliche Anreise schmackhaft zu machen durch ein Messeticket, das auch in Bus und Bahn gilt. Ob die Messeteilnehmenden das Angebot nutzen, bleibt aber ihnen überlassen. Ebenso wenig können Aussteller, die sich klimaneutral präsentieren wollen, das Messegelände verpflichten, die Hallen ressourcenschonend zu heizen. Und Messeveranstalter, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben wollen, sind darauf angewiesen, dass die ausstellenden Firmen zumindest vor Ort Ressourcen nicht verschleudern.
Letztere können zwar versuchen, diese Abhängigkeit durch strenge Klima-Vorgaben an die ausstellenden Unternehmen aufzulösen. Doch damit machen sich die Verantwortlichen nicht immer beliebt bei den Kundinnen und Kunden. Manche Vorgaben bergen für die ausstellenden Unternehmen zudem ganz eigene Risiken, meint Nachhaltigkeitsprofi Jürgen May und verweist auf die diesjährige IAA Mobility: „Dort musste man schon mehrere Monate vor der Messe einen Nachweis erbringen, dass der eigene Stand im Open Space klimaneutral sein würde.“ Ein solcher Nachweis aber könne im Vorfeld nur auf Schätzwerten beruhen, weshalb sich jede Firma angreifbar mache: „So gerät man schnell unter Greenwashing-Verdacht!“, warnt der Experte, der verschiedene IAA-Aussteller betreut hat.
Die Hebel: Nachhaltigkeit fördern
Besser für die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten wäre es Mays Ansicht nach, wenn Messegesellschaften und Veranstalter an der Selbstverantwortung ansetzen würden. „Das könnten sie z.B. tun, indem sie den Stromverbrauch oder die entstandene Abfallmenge nicht mehr pauschal, sondern nach Verbrauch in Rechnung stellen“, meint der 2bdifferent-Geschäftsführer. Dann würde ressourcensparsames Verhalten nämlich direkt belohnt. „Und gleichzeitig könnten wir nach der Veranstaltung einen wirklich glaubwürdigen und transparenten CO2-Fußabdruck erstellen“, ergänzt er. Für die meisten Messegesellschaften scheint die Einzelabrechnung derzeit allerdings noch schwierig zu sein. Immerhin wird in Frankfurt der Müll schon nach Gewicht abgerechnet. Hier Teppiche zu entsorgen, wird also schon teuer.
Nachhaltiger, wiederverwendbarer Standbau auf der ISH 2023: Das System wurde entwickelt von Fairconstruction für die Messe Frankfurt. Foto: Messe Frankfurt
Nachhaltiger, wiederverwendbarer Standbau auf der ISH 2023: Das System wurde entwickelt von Fairconstruction für die Messe Frankfurt. Foto: Messe Frankfurt
Ein weiterer Hebel, um Messen nachhaltiger zu machen, wäre es, die Auf- und Abbauzeiten zu verlängern, findet Sandra Henze. Sie ist Sustainability Consultant beim Live-Kommunikations-Unternehmen mac. brand spaces GmbH und kennt sich mit Messebau aus. „Dann ließe sich ein ordentliches Handling der Materialien gewährleisten, um gutes von schlechtem Material getrennt zu verpacken, um Schäden zu vermeiden und somit den Wiedereinsatz von Elementen überhaupt möglich zu machen“, erklärt sie. Dann könnten die Servicepartner zudem auch mit weniger Montagepersonal anreisen, was wiederum Emissionen sparen würde. Wünschen würde sie sich außerdem, dass die Messegesellschaften die Entsorgungsstruktur weiter öffnen würden, sodass z.B. auch soziale Verbände ohne viel Aufwand die Materialien zur Wiederverwendung nutzen dürften.
Nachhaltiger Standbau: Am besten im Kreislauf
Einen beträchtlichen Einfluss auf das nachhaltige Verhalten von anderen haben die Messegesellschaften zudem, wenn sie direkt beim Standbau die Nachhaltigkeit fördern. Dieser Punkt ist im vierten Punkt der Selbstverpflichtung des AUMA formuliert und bezieht sich vor allem auf attraktive, ressourcenschonende Mietsysteme. Die werden beispielsweise bei der Deutschen Messe AG laufend novelliert, wobei der Fokus auf möglichst nachhaltigen Komponenten liegt, betont man dort. Die Wiederverwendbarkeit der Materialien liege bei über 90 Prozent, erläutert Onuora Ogbukagu: „Die Grafikflächen bestehen zum Beispiel zu 100 Prozent aus recycelten PET-Flaschen“, so der Leiter der Corporate Communication bei der Deutschen Messe AG.
„Messebeteiligungen werden stärker als früher auch unter Ressourcenaspekten und unter dem Gesichtspunkt der Wiederverwertbarkeit von Materialien geplant.“
Onuora Ogbukagu, Leiter Corporate Communications, Deutsche Messe AG
Bei den Firmen rennen die Messen damit offenbar häufig offene Türen ein. „Messebeteiligungen werden stärker als früher auch unter dem Gesichtspunkt der Wiederverwertbarkeit von Materialien geplant“, hat man in Hannover beobachtet. Das kann auch Sandra Henze von mac bestätigen. Bei der Life-Marketing-Agentur hat man wegen der wachsenden Nachfrage nach klimafreundlichen Auftritten ein eigenes Nachhaltigkeitsteam aufgebaut, das mittlerweile mit Henze aus fünf Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen besteht. Derzeit wird dort ein Circular-Design-Konzept für nachhaltige Messestandsysteme erarbeitet. Angetrieben wird das Interesse an der Idee der Kreislaufwirtschaft von verschiedenen Faktoren, glaubt man bei mac. „Zum einen haben wir Kundenprojekte, bei denen die Unternehmen eine starke eigene Haltung zur Nachhaltigkeit haben und eigene Klimaziele verfolgen“, erklärt Torsten Wolf vom mac-Nachhaltigkeitsteam. Sie möchten mit ihrem Live-Auftritt vielleicht sogar einen Beitrag zur Nachhaltigkeit von Messen leisten und ein positives Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften setzen, das auf die eigene Marke einzahlt. Zum anderen gibt es immer mehr Regularien und Auswahlkriterien bei Ausschreibungen, die auf ökosozialen Standards beruhen. „Damit werden Unternehmen zunehmend dazu aufgefordert, Nachhaltigkeitsaspekte bei Veranstaltungen zu beachten und entsprechende Maßnahmen umzusetzen“, so Wolf.
Pilotprojekt: Kreislauffähiger Messestand
Die tw tagungswirtschaft der dfv Mediengruppe will sich auf der IMEX2024 mit einem kreislauffähigen Messestand präsentieren. Wie die Planung des „Circular Collective“ dafür läuft, beschreiben wir in diesem Artikel in der September-Ausgabe.
Kann man also davon ausgehen, dass die ausstellenden Unternehmen das Thema Klimaneutralität ebenso ernst nehmen wie die Messegesellschaften? Dazu kommt ein ganz klares „Ja!“ aus Hannover, wo man an vielen Stellen auf Kundenseite ein Umdenken erkennt. „Fast könnte man für die Messebranche von einer Art Zeitenwende sprechen“, meint Ogbukagu. „Das Gros der ausstellenden Unternehmen arbeitet ebenso wie wir an der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie“, so der Messesprecher. Als Beispiel verweist er auf den Industriezulieferer Festo, der seinen Stand auf der Hannover Messe vorbildlich umgesetzt hat: Das Grundgerüst des Standes hat sich seit 1999 kaum geändert und kommt immer noch zum Einsatz. Es ist leicht und kompakt und deshalb emissionsarm zu transportieren, heißt es bei Festo – und außerdem sei es „ewig wiederverwendbar“. Auch die Grafikflächen kommen mehrfach zum Einsatz. Werden sie doch aussortiert, können sie zu 95 Prozent wiederverwertet werden, weil Festo auf eine Kunststoffschicht verzichtet und in Kauf nimmt, dass das Material deshalb lichtdurchlässig ist. Und auch Bodenbeläge werden nach der Messe wieder eingesammelt und eingelagert, versichert der Messe-Verantwortliche Dirk Zitzmann bei Festo gegenüber der Hannover Messe: „Die Teppichfliesen sind teilweise bereits seit zehn Jahren im Einsatz!“ Bemühungen um Ressourcenschonung kommen also tatsächlich schon von allen Seiten. Und das ist, auch wenn zweifellos noch viel zu tun bleibt, schon mal eine gute Nachricht für die deutsche Messewirtschaft und fürs Weltklima.
Sylvia Lipkowski