IAA Mobility 2023
Klimaneutralität als Vorgabe
Während der IAA Mobility Summit in sechs Messehallen nur Fachbesuchern vorbehalten war, gab es für alle den Open Space in der Münchener Innenstadt, der als klimaneutrales Event angekündigt war. Foto: VDA, IAA Mobility
Während der IAA Mobility Summit in sechs Messehallen nur Fachbesuchern vorbehalten war, gab es für alle den Open Space in der Münchener Innenstadt, der als klimaneutrales Event angekündigt war. Foto: VDA, IAA Mobility
Die Zeichen der Zeit stehen auf Nachhaltigkeit – auch und gerade, wenn es um die Präsentation zukunftsfähiger Mobilitätslösungen geht. Die IAA Mobility, die im September 2023 zum zweiten Mal in München stattfand, setzt deshalb auf Klimaneutralität.
Klimaneutrale Messen zu veranstalten, ist durchaus zeitgemäß – dafür sorgen nicht nur gesetzliche Vorgaben, Selbstverpflichtungen und Branchenziele, sondern auch eine zunehmend kritische Öffentlichkeit. Einfach ist es allerdings nicht. Denn gerade bei großen Branchenveranstaltungen setzt Klimaneutralität voraus, dass alle Beteiligten einen Beitrag dazu leisten: die ausstellenden Firmen, die Service-Unternehmen, die Messegesellschaften und auch die Besucherinnen und Besucher. Wer ein klimaneutrales Event veranstalten möchte, ist folglich abhängig davon, dass alle mitziehen.
Das weiß man auch beim Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Messe München, die die IAA Mobility im September 2023 zum zweiten Mal in München veranstalteten. Sie setzten dabei u.a. auf begrünte Dächer, Geothermie, den Einsatz von Mehrweggeschirr, auf ein nachhaltiges Müllmanagement, auf Grünstrom von den Münchner Stadtwerken und auf die kostenfreie Nutzung des ÖPNV für Messebesucher, zählt ein IAA-Mobility-Sprecher beim VDA auf. „Zusätzlich konnten die Besucherinnen und Besucher des IAA Summit auf dem Münchner Messegelände beim Kauf ihres Tickets optional eine GoGreen-Variante buchen, mit der sie in Klimaschutzprojekte investieren, die sich auf die bei der Anreise entstandenen Emissionen beziehen“, ergänzt er.
Doch um zumindest einen Teil der Leitmesse im September 2023 wirklich als „klimaneutrales Mobilitätsfestival“ ankündigen zu können, brauchte man auch die Unterstützung der ausstellenden Unternehmen. Deshalb gab es strenge Vorgaben für die Teilnahme am Publikumsevent IAA Open Space, das die Nachhaltigkeitsbemühungen der Verantwortlichen besonders sichtbar machen sollte. Materialgewaltige Präsentationen klassischer Verbrenner waren den organisatorischen Richtlinien zufolge eher nicht erwünscht, ausgestellt werden sollten vor allem Fahrzeuge mit alternativem und hybridem Antrieb, so der Wunsch der Veranstalter. Auf dem B2C-Teil der Messe sollten Privatbesucher auf acht Plätzen in der Münchener Innenstadt zukunftsfähige Mobilitätslösungen kennenlernen und ausprobieren können.
Vernetzte Mobilität statt Verbrenner
Hintergrund ist die Neuausrichtung der ehemaligen Automobilausstellung, die seit ihrem Wegzug aus Frankfurt 2021 erstmals in München mit einem neuen Konzept und erweitertem Namen angetreten ist: Die IAA Mobility soll sich als „weltweit führende Plattform für Mobilität, Nachhaltigkeit und Technologie“, so das Wording der Veranstalter, etablieren. Im Mittelpunkt soll nicht mehr nur ein einzelnes Verkehrsmittel stehen, so der Plan, sondern das ganze „Ökosystem Mobilität“. Neben Autos rücken an den Ständen und im Rahmenprogramm nun auch Fahrräder, E-Roller und andere Zweiräder prominent in den Fokus. Zudem war die IAA Mobility im September 2023 Gastgeberin des ÖPNV-Gipfels und Kooperationspartnerin des Kongresses Zukunft Nahverkehr (ZNV) von der DB Regio AG, der fast zeitgleich in Berlin stattfand.
Foto: David Hoepfner/IAA Mobility
Auf der IAA Mobility ging es nicht nur um Autos: Auf der Cycling Activation Area in der Ludwigstraße z.B. wurde viel Show mit Fahrrädern geboten, ein paar Schritte weiter gab es eine Fahrrad-Teststrecke im Hofgarten, für Interessierte wurden zudem Fahrradtouren durch München angeboten.
Diese Neuausrichtung ist vermutlich auch politisch gewollt und ganz im Sinne der grün-roten Stadtregierung, die München selbst ambitionierte Klimaziele verschrieben hat – und die als Gesellschafterin der Messe München ein weiterer Player im komplexen Spiel um nachhaltige Messen ist. Für sie und die Veranstalter hat der Fokus auf nachhaltige Mobilität und Klimaneutralität noch einen weiteren Vorteil: Er nimmt Umweltaktivistinnen und Autogegnern, die sich schon immer gern an der IAA abgearbeitet haben, ein bisschen Wind aus den Segeln.
Emissionsanalyse vorab
Für Unternehmen, die im Open Space ausstellen wollten, gab es deshalb auch noch eine weitere Vorgabe: „Alle Präsentationen der Aussteller dort mussten für die IAA Mobility 2023 wieder bilanziell klimaneutral realisiert werden“, betont der VDA-Pressesprecher. Den notwendigen Nachweis bekamen die Firmen, die keine eigene Emissionsanalysen hatten, direkt von den Veranstaltern. Dort erfasste man in zehn Audit-Kategorien etwa Daten zum erwarteten Energieverbrauch, zu Standausstattung, Bewirtung und Abfall. „Die Aussteller geben ihre Daten direkt in den Fragebogen ein, dann werden diese Daten von unserem Partner myclimate plausibilisiert und es wird ein CO2-Wert errechnet“, erklärt ein Pressesprecher der Messe München. Primär sollten Emissionen bestmöglich vermieden werden. Alle verbleibenden Emissionen wurden durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten ausgeglichen, wofür myclimate direkt ein Kompensationsangebot lieferte. „Nach erfolgreicher Kompensation in ein Klimaschutzprojekt wird der IAA-Auftritt des Ausstellers entsprechend gelabelt“, so der Hinweis an die Aussteller.
Am Ende hatten laut VDA-Angaben alle Stände im Open Space das erforderliche Label. Einige der ausstellenden Unternehmen lieferten die geforderten Daten allerdings mit gewaltigen Bauchschmerzen, versichert Nachhaltigkeitsberater Jürgen May, der verschiedene von ihnen mit seiner Agentur betreut hat. „Schon vor Messestart Kennzahlen zur Klimaneutralität zu liefern, birgt ein großes Risiko“, findet er. Schließlich seien an die 90 Prozent der CO2-Emissionen, die etwa durch Messebau, Mobilität, Catering, Übernachtungen, Energie- und Wasserverbrauch und Abfall entstehen, erst während und nach dem Rückbau des Messestandes ablesbar. „Wer mit geschätzten Zahlen operiert, macht sich angreifbar, und gerade einem Automobilunternehmen kann dann schnell Greenwashing vorgeworfen werden“, gibt May zu bedenken.
Foto: 2bdifferent
„Schon vor Messestart Kennzahlen zur Klimaneutralität zu liefern, birgt ein großes Risiko: Wer mit geschätzten Zahlen operiert, kann schnell unter Greenwashing-Verdacht kommen.“
Jürgen May, Geschäftsführer der CSR-Beratungsagentur 2bdifferent
Gerade für bekannte Marken, die ohnehin stark im Fokus der kritischen Öffentlichkeit stehen, ist das eine sehr reale Gefahr. Denn Greenwashing-Vorwürfe können sehr teuer werden, seit eine neue Richtlinie der EU dem inflationären Gebrauch von Vokabeln wie „klimaneutral“ Einhalt gebieten will. Sie sieht Bußgelder von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes eines Unternehmens vor. Zudem hat schon der reine Verdacht negative Auswirkungen aufs Marketing, wie unlängst etwa die Drogeriekette dm feststellen musste. Sie war von der Organisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) verklagt und vom Landgericht Koblenz verurteilt worden, den Begriff nicht korrekt zu verwenden.
Um die Firmen, die er begleitet hat, abzusichern, hat May mit seiner Agentur 2bdifferent deshalb nach der Veranstaltung für sie den „Event Carbon Footprint“ ermittelt. Für diesen wurden die Details der tatsächlich generierten Emissionen für über 30 Gewerke gesammelt – darunter z.B. das Material für Messe- und Bühnenbau auf der IAA, der Aufwand für Catering und auch die Kilometer, die die Gäste bei An- und Abreise zurückgelegt haben. Es wurden also sogar die Emissionen der Standbesucher erfasst, die in der Analyse der IAA nicht vorkamen. „Es kommt schließlich auf glaubwürdige Transparenz an“, unterstreicht May.
Ein Bewusstsein für die Gefahr ist tatsächlich auch auf Veranstalterseite zu spüren. Von der Messe München heißt es auf Nachfrage, dass die Vorab-Angaben nach der Messe noch einmal ausgewertet werden. Grundsätzlich aber seien die Vorgaben gut angenommen worden und hätten sich bewährt, findet man beim VDA, weshalb sie dort weitergedacht werden. „Ziel ist es, weitere Projekte gemeinsam mit unseren Ausstellern zu realisieren, um die Klimaneutralität der IAA Mobility weiter voranzubringen“, so ein Sprecher. Der Erfolg der Messe gibt ihm recht. So können die Veranstalter auf viele zufriedene Besucherinnen und Besucher und auf wenig Blockaden verweisen: Abgesehen von kleineren Demonstrationen verlief die Messe letztlich – zweifellos auch dank einer enormen Polizeipräsenz – weitgehend frei von Störungen durch Klimaaktive.
Sylvia Lipkowski und Maxi Nessmann