Interview Dennis Eichenbrenner
Sicherheit braucht Zeit
Dennis Eichenbrenner auf dem GuteZeit Festival – EVS Safety 2023. Foto: Jonas Ressel
GuteZeit Festival - EVS Safety 2023 Photo: Jonas Ressel
Dennis Eichenbrenner ist Fachplaner für Veranstaltungssicherheit und seit 2020 Vorsitzender des bvvs – Bundesverband Veranstaltungssicherheit. Im Interview spricht er über die Komplexität seines Fachgebiets und seine Eindrücke von der EURO 2024 und den Olympischen Spielen in Paris.
tw tagungswirtschaft: Was ist Veranstaltungssicherheit?
Dennis Eichenbrenner: Unter dem Begriff Veranstaltungssicherheit subsumiert sich eine Menge verschiedener Themen. Grundlegend steht die Sicherheit, also die körperliche Unversehrtheit der Besucher, im Fokus. Natürlich gilt es aber auch, für Mitarbeiter, Künstler und sonstige Beteiligte ein sicheres Umfeld zu gewährleisten. Die Experten für Veranstaltungssicherheit haben einen umfassenden Blick auf die große Anzahl an Themen, die es zu beachten gilt, und wissen mit den zahlreichen Vorschriften und technischen Regeln umzugehen.
Gibt es ein Schema, das hilft, Veranstaltungssicherheit strukturiert anzugehen?
Es gibt nicht das eine Schema, mit dem ein Verantwortlicher die komplexe Welt der Veranstaltungssicherheit abhandeln kann. Ein guter Anfang ist gemacht, wenn nach der Veranstaltungsbeschreibung eine Risikoanalyse durchgeführt wird und die Gefahren des einzelnen Events bewertet werden. Für diese Risikoanalyse gibt es Standardmethoden, die bspw. in der ISO 31000 beschrieben sind. Im nächsten Schritt wird das Sicherheitskonzept ausgearbeitet. Auch dazu sind Vorlagen in der Literatur zu finden, die eine gewisse Struktur vorgeben. Ab einer gewissen Größe des Events oder auch bei komplexeren Veranstaltungen sollte dazu aber ein Experte ins Boot geholt werden.
„Es gibt nicht das eine Schema, mit dem ein Verantwortlicher die komplexe Welt der Veranstaltungssicherheit abhandeln kann.“
Dennis Eichenbrenner, 1. Vorsitzender im bvvs – Bundesverband Veranstaltungssicherheit
Welche Literatur empfehlen Sie?
Da möchte ich ungern einzelne Autoren herausheben, aber es gibt gute Gemeinschaftswerke, die verfügbar sind:
- Methode für die Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
- Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
- Empfehlungen zum Verkehrs- und Crowdmanagement für Veranstaltungen, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen
Wie finde ich den richtigen Sicherheitsexperten für meine Veranstaltung?
Leider ist nicht immer Experte drin, wenn Experte draufsteht. Es ist wichtig, dass der Berater entsprechende Referenzen hat, also Veranstaltungen mit ähnlichem Charakter bereits verantwortlich betreut wurden. Generell sollte bei Referenzen darauf geachtet werden, dass diese möglichst exakt definieren, was der Berater beigetragen hat (Veranstaltung, Aufgabe und Jahr). Auch ein Blick in die Mitgliederliste der maßgeblichen Verbände, beispielsweise des Bundesverbands Veranstaltungssicherheit, kann helfen, diese können auch vermitteln.
Über den bvvs
Der Bundesverband Veranstaltungssicherheit e.V. (bvvs) tritt als Interessenvertretung für all jene auf, die auf einer Veranstaltung für die Sicherheit der Besucher, Mitwirkenden und Beschäftigten verantwortlich sind. Sein Portfolio erstreckt sich von einer Serviceplattform über Interessenvertretung bis hin zur aktiven Entwicklung von Sicherheitsverfahren und Sicherheitsmaterialien. Der Verband dient so auch als Plattform zum Austausch und Möglichkeit, Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Der bvvs verfolgt das übergeordnete Ziel, das Thema Veranstaltungssicherheit in das Bewusstsein aller Veranstalter, Mitwirkenden und Besucher zu platzieren.
Worauf kommt es in den einzelnen Sicherheitsbereichen an?
Jeder Bereich hat seine eigenen Schwerpunkte, daher kann ich die Frage so pauschal nicht beantworten. Generell ist es wichtig zu verstehen, dass Veranstaltungen so divers und unterschiedlich sind, dass es selten möglich ist, pauschale oder allgemeingültige Aussagen zu treffen.
Lassen Sie uns Besuchersicherheit näher anschauen. Wie kann bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum wie der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele Besuchersicherheit angegangen werden? Was können Planer von Fachveranstaltungen daraus für sich mitnehmen?
Die Punkte, um die Besuchersicherheit bei einem Riesenevent wie der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele sicherzustellen, sind unzählig. Bei derartigen Events muss – neben der inneren und äußeren Sicherheitslage – der gesamte Prozess des Besuchers, die sogenannte Customers Journey, mitgedacht werden: Wo startet der Besucher? Wie kommt er zur Venue? Wie wird das Umfeld der Veranstaltungsstätte gestaltet, die sogenannte Last Mile? Wie kommt der Besucher in die Venue, und wie geht es dort weiter? Und anschließend den gesamten Weg wieder zurück.
Wie vulnerabel schätzen Sie Messen und Kongresse ein? Was heißt das für Eventplaner?
Messen und Kongresse sind nicht vulnerabler als andere Inhouse-Veranstaltungen. Auch hier fällt es schwer, eine allgemeine Aussage zu treffen. Ein sicherheitsrelevanter Punkt bei Messen ist häufig die Auf- und Abbauphase, da eine große Baustelle immer gewisse Gefahrenbereiche schafft. Aber auch im Betrieb besteht dann temporär errichtete Infrastruktur, deren Sicherheit dauerhaft gewährleistet sein muss. Je nach Thema der Messe oder des Kongresses können sich Risiken ergeben, wenn verschiedene Konfliktherde der Welt betroffen sind oder Aussteller und Speaker aus diesen Ländern teilnehmen. Das schafft die Notwendigkeit von spezieller Kommunikation mit Beteiligten und den Behörden sowie entsprechender Planungen im Sicherheitskonzept.
In den letzten Jahren lässt sich der Trend beobachten, dass Business Events wie die Digital X oder die IAA Mobility sich aus der traditionellen Veranstaltungslocation hinaus in den öffentlichen Raum verlagern. Welche Herausforderungen kommen dadurch auf Sicherheitskonzepte zu? Wie können sie gelöst werden?
Die größte zusätzliche Herausforderung ist, neben einigen anderen, sicher die generelle Problemstellung „Wetter“. Auf der einen Seite braucht es Planungen und Szenarien für Wetterlagen, die während des Betriebes eintreten, aber auch baulich sind höhere Anforderungen gegeben als in einer Messehalle. Gelöst werden diese Herausforderungen mit einer professionellen und strukturierten Vorbereitung und Planung sowie entsprechenden Regeln für den Bau der Außenbereiche. Eine klare Empfehlung ist, Experten für Veranstaltungssicherheit früh in die Planung einzubinden.
Haben Sie die EURO 2024 und Olympia verfolgt? Was ist Ihnen als Sicherheitsexperte aufgefallen?
Als Sportfan und Fußballenthusiast habe ich natürlich beide Wettbewerbe verfolgt und im Vorfeld der EURO 2024 auch beraten. Zunächst bin ich sehr froh, dass beide Wettbewerbe von Attentaten verschont blieben, was im Vorhinein ja gerade in den Medien häufig als Thema aufkam. Aufgefallen ist mir, dass beide Wettbewerbe generell sehr sicher abliefen und Veranstaltungssicherheit auf einem hohen Niveau präsentiert wurde. Hierzu wurden bei der EURO auch umfassende Planungen angestrengt, die bereits viele Monate vorher begannen und mit viel Aufwand behördlich abgestimmt wurden.
Wie Sie sagen, wurde im Vorfeld der Großveranstaltungen verstärkt über Sicherheitskonzepte und Risiken berichtet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser besuchte medienwirksam kurz vor Beginn der EURO 2024 die Spielstätten, um sich von den Sicherheitskonzepten zu überzeugen. Wie schätzen Sie den Stellenwert von pro-aktiver Kommunikation bezüglich der Sicherheit auf den Veranstaltungen ein?
Es gibt immer wieder Meldungen und Beiträge, dass Besucher sich vor Großveranstaltungen und größeren Menschenmengen scheuen. Allein deshalb kann es nur gut sein, wenn sich die politische und mediale Aufmerksamkeit auf das Thema richtet. Ein großer Baustein der Besuchersicherheit ist der Gast selbst, auch deshalb ist es gut, aufgeklärte und informierte Gäste bei Veranstaltungen zu haben. Und nicht zuletzt zeigt es den Stellenwert unserer Branche, wenn diese Themen mediale Präsenz bekommen.
Wie stehen Sie zu KI-gesteuerten Crowd-Management-Systemen? Haben Sie bereits Erfahrungen damit gemacht? Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Ich persönlich würde eine derart wichtige Funktion keiner KI überlassen – und wenn dann der KI lediglich ein „Vorschlagsrecht“ einräumen, was durch einen Experten bewertet und final entschieden wird.
10. Fachtagung für Veranstaltungssicherheit
Am 15. und 16. Oktober 2024 findet in Köln die 10. Fachtagung für Veranstaltungssicherheit IBIT24 statt. Sie ist Plattform für den Austausch und den Transfer von Wissen und widmet sich der Diskussion relevanten Fragen der Veranstaltungssicherheit und der Sicherheit von Menschen in großen Menschenmengen. Die IBIT24 richtet sich an fachspezifisches Publikum.
Welche Fehler oder Nachlässigkeiten begegnen Ihnen auf Business Events?
Vermutlich ist mir schon nahezu alles begegnet, was man sich so vorstellen kann. Gerade kleinere Events verlassen sich beim Thema Sicherheit häufig auf die Location, und da gibt es viele auf Top-Niveau, aber eben auch andere. Weil auch Business-Events enorm divers sein können, fällt eine allgemeine Aussage schwer. Generell leidet die Besuchersicherheit, wenn diese keiner im Blick hat. Hier hilft es, jemandem diese Verantwortung zu geben und entsprechend Zeit zuzugestehen, sich darum zu kümmern. Noch besser ist es, sich gut beraten zu lassen, die eigenen Konzepte einem Experten vorzulegen und im engen Austausch zu stehen.
Welche Learnings sollten alle Event Professionals aus dem Sportsommer 2024 in Deutschland mitnehmen?
Wir sind in Deutschland in der Lage, auch derartige Mega-Events wie die EURO 2024 auf einem Top-Sicherheitsniveau durchzuführen, wenn diese gut geplant, abgestimmt und vorbereitet sind.