
Chemnitz 2025
Sieh‘ das Ungesehene
„C the Unseen“ ist das Motto der Europäischen Kulturhauptstadt in Chemnitz mit 160 Projekten wie die #3000Garagen. Zu DDR-Zeiten waren Garagen Orte des Rückzugs und der Begegnung, doch welches Wissen verbirgt sich hier in Zeiten knapper Ressourcen und beginnender Kreislaufwirtschaft? Im Bild die Vernissage „Ersatzteillager“ von Martin Maleschka. Foto: Chemnitz 2025, Johannes Richter
„C the Unseen“ ist das Motto der Europäischen Kulturhauptstadt in Chemnitz mit 160 Projekten wie die #3000Garagen. Zu DDR-Zeiten waren Garagen Orte des Rückzugs und der Begegnung, doch welches Wissen verbirgt sich hier in Zeiten knapper Ressourcen und beginnender Kreislaufwirtschaft? Im Bild die Vernissage „Ersatzteillager“ von Martin Maleschka. Foto: Johannes Richter
Anti-europäische Stimmen spalten die Europäische Union und hauchen der Idee des Kulturhauptstadtjahres neues Leben ein: Europa durch Kultur einen. Nur: Wie kann kulturelle Teilhabe den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken? Chemnitz 2025 sucht nach Antworten, Veranstaltungen schaffen die sichtbaren Räume dafür.
Europa soll durch die Kultur geeint und Kultur ein Ort der Begegnung sein, damit Menschen sich in Zeit und Raum in der Gemeinschaft verorten können. Mit diesem Gedanken stößt die griechische Kulturministerin Melina Mercouri 1985 die Initiative der Europäischen Kulturhauptstadt an. 40 Jahre später ist die EU nach rechts gerückt und die Demokratie unter Druck geraten. Das verleiht dem Kulturhauptstadtjahr Aktualität und Aufmerksamkeit.
Mit dem Titel European Capital of Culture will die Europäische Union die Vielfalt der Kulturen in Europa feiern, die Gemeinsamkeiten der Europäer festigen, ihr Zugehörigkeitsgefühl stärken und die Entwicklung der Städte unterstützen. Dafür stehen dieses Jahr Chemnitz sowie grenzüberschreitend die Schwesterstädte Nova Gorica in Slowenien und Gorizia in Italien. Die drei eint, dass sie eher unbekannt sind. Das Kulturhauptstadtjahr soll das ändern.
"C the Unseen“
Die Bewerbung für Chemnitz 2025 kommt aus den Reihen der Zivilgesellschaft. Mit dem Motto "C the Unseen“ wollen die 250.000 Chemnitzerinnen und Chemnitzer den Blick auf das Ungesehene lenken und laden ein zu einer Entdeckungsreise in den Osten Deutschlands. Für den Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, sind die letzten 35 Jahre und die Transformation in Ostdeutschland einer der größten Erfolge der deutschen Geschichte. In seinem Blog „Warum wir Zuversicht aus Ostdeutschland schöpfen sollten“ am 18. November 2024 schreibt er: „Die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Menschen in Ostdeutschland sind in jeder Hinsicht bemerkenswert.“ Nicht zu vergessen: 1953 nannte die DDR-Führung Chemnitz in Karl-Marx-Stadt um, nach der friedlichen Revolution 1990 votierten die Einwohner für den alten Stadtnamen. Die sächsische Stadt ist nach West-Berlin 1988, Weimar 1999 und Essen 2010 die vierte deutsche Titelträgerin. Von Chemnitz 2025 solle ein unübersehbares Signal für Zusammenhalt ausgehen, sagte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zur Eröffnung am 18. Januar 2025. Das Kulturhauptstadtjahr könne zum Zusammenhalt beitragen, indem man die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen einlade.
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zur Eröffnung des Europäischen Kulturhauptstadtjahres in Chemnitz: Von Chemnitz 2025 solle ein unübersehbares Signal für Zusammenhalt ausgehen.
Foto: Chemnitz 2025, Kristin Schmidt
Marko Roscher stimmt dem Bundespräsidenten zu. „Das Kulturhauptstadtjahr kann einen Beitrag für mehr Zusammenhalt leisten“, befindet der „Chemnitzer mit Herz und Seele“ und fügt hinzu: „Wichtig ist nur, dass man sich auch einbringt bzw. teilnimmt.“ Dem Referent Nachhaltigkeit bei der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft wird am Eröffnungswochenende in der Stadthalle Chemnitz bewusst, wie viele Menschen in das Kulturhauptstadt-Programm und in die regionalen Projekte einbezogen sind.
Let's celebrate: Opening | European Capital of Culture Chemnitz 2025
Europäische Macher:innen der Demokratie
Allerdings wird die Eröffnung von Protesten von Rechtsextremen und Gegenprotesten demokratischer Gruppen begleitet. Dass Sachsens drittgrößte Stadt ein „rechtes“ Problem hat, daraus machen ihre Einwohner bei der Bewerbung keinen Hehl. Im Gegenteil: Das Bidbook Chemnitz 2025 beginnt mit zwei Artikeln aus dem Ausland zu den gewalttätigen Protesten 2018: “Chemnitz Protests Show New Strength of Germany’s Far Right” (The New York Times) und „Thousands turn out for Chemnitz anti-racism rock concert“ (The Guardian). Die Chemnitzer machen sich ehrlich. Ihr Narrativ „C the Unseen – European Makers of Democracy” soll auf die Frage antworten, wie kulturelle und bürgerliche Beteiligung gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken können. Auf dieser Frage fußt das Projekt Europäische Macher:innen der Demokratie. Zu den vielen interaktiven Veranstaltungen sollen sich die Menschen als kreativ und selbstwirksam erleben und sich in die Gestaltung ihres gesellschaftlichen Umfelds einbringen, sei es zur Europäischen Werkstatt für Kultur und Demokratie oder zu den Workshops von Team Generation und CREATE U.
Sichtbare Räume schaffen
„Wir erleben eine Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen – in den USA, in vielen Teilen Europas und auch hier in Sachsen und Chemnitz“, sagt Dr. Ralf Schulze, Geschäftsführer der C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren, im Interview. In diesem Kontext kann Kultur für ihn eine Brücke sein, die Begegnungen schafft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert und neue Perspektiven eröffnet.

Foto: Dirk Hanus
„Kultur ist der Herzschlag unserer Demokratie“
Dr. Ralf Schulze, Geschäftsführer der C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren, über die Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz 2025, sichtbare Räume für Demokratie und unkonventionelle Orte für Events, die Macherstadt Chemnitz und die Belebung des Kongressgeschäftes, den Purple Path und andere Impulse für Planer.
„Gerade grenzüberschreitende Projekte mit unseren europäischen Nachbarn – etwa aus Polen und Tschechien – machen bewusst, dass uns viel mehr verbindet, als uns trennt“, betont Schulze, denn Werte wie Offenheit, Toleranz und gegenseitiger Respekt sind keine Selbstverständlichkeit, sondern müssen immer wieder neu gelebt und verteidigt werden. Doch Dialog allein reicht nicht aus, meint er. „Demokratie braucht sichtbare Räume, in denen sich die breite demokratische Mitte behauptet und stärkt. Denn dort, wo Engagement, Zusammenhalt und Mitgestaltung im Mittelpunkt stehen, bleibt für Feinde der Demokratie kein Platz.“
Mitmachen, machen, makers united
Räume zur Mitgestaltung versprechen mehr als 1.000 Veranstaltungen in Chemnitz sowie in 38 Kommunen und Gemeinden in Mittelsachsen und 160 Kulturhauptstadtprojekte. Das umfangreichste Projekt ist der Purple Path. Der Kunst- und Skulpturenweg erzählt vom Bergbau, der 850 Jahre das Erzgebirge, Mittelsachsen und das Zwickauer Land prägte. Skulpturen und Installationen verbinden Chemnitz und die Partnerkommunen im Umland.
Industrie und Kultur gehören in Chemnitz zusammen. Das Industriemuseum zeigt drei Jahrhunderte industrieller Entwicklung – von der Einzylinder-Gegendruck-Dampfmaschine von 1896 bis hin zu modernen Industrierobotern. Gemeinsam Neues schaffen wollen die neun Makerhubs, beispielsweise im Esche Lab, der Werkstatt für kreatives textiles Arbeiten. Im Makerhub NETZ-Werk in Neukirchen im Erzgebirge geht es ums Kochen. Dafür ist ein ehemaliges Autohaus zum kulinarischen Begegnungsort umgebaut worden mit einer offenen Küche auf 220 Quadratmetern. Drei modern ausgestattete Kochplätze bieten Platz für 30 bis 40 Personen, der angeschlossene Sitzbereich zur Zusammenarbeit und zum Zusammensein Raum für 80 Personen, ergänzt durch eine Veranstaltungsfläche von 400 Quadratmetern. 1.000 Besucher kommen zur Eröffnung der Gemeinschafts- und Eventküche. Zur Mitmachmesse makers united werden in der Stadthalle Chemnitz im Juni Technik, Handwerk, Kunst und Wissenschaft aufeinandertreffen. Hallenchef Schulze sieht darin eine große Chance für Chemnitz als Kongress- und Messestadt, denn das internationale Festival für Kreativität, Technik und Innovation biete Unternehmen, Wissenschaftlern und kreativen Köpfen eine Plattform zur Vorstellung neuer Ideen und Vernetzung. Schulze: „So entstehen neue Verbindungen zwischen Tradition und Innovation – und Chemnitz positioniert sich als dynamischer Wirtschafts- und Veranstaltungsstandort.“ Darauf zahlt auch das Langzeitziel ein, Chemnitz als Macherstadt zu etablieren. Im Bidbook sind die entsprechenden KPIs (Key Peformance Indicators) hinterlegt: Zwischen 2023 und 2026 sollen 80 Millionen Menschen den Maker-Space besuchen und 2,4 Millionen Menschen am Kulturprogramm teilnehmen. Der Kreativ- und Machertourismus soll in der Region eingeführt werden und zwischen 2024 und 2026 jährlich um 25 Prozent wachsen. Schließlich sollen für jeden der 91 Millionen Euro, die in das Kulturhauptstadtjahr geflossen sind, mindestens drei Euro zurückfließen, z.B. durch Tourismus.

Rave am Neumarkt in Chemnitz. Die Europäische Kulturhauptstadt hat 1.000 Veranstaltungen im Programm. Foto: Chemnitz 2025, Kristin Schmidt
Zwei Millionen Besucher
Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) wirbt mit der Chemnitzer Tourismus und Marketing (CTM) in den Quellmärkten Österreich, Schweiz, Tschechien, Polen, den Niederlanden und Dänemark. Von den 173 Millionen Kulturreisen der Europäer 2023 führten 18,7 Millionen nach Deutschland – und die Zahl der Städtereisen nach Deutschland stieg laut IPK International in den ersten acht Monaten 2024 um weitere zehn Prozent. „In diesem Kontext schafft das Ereignis ‚Chemnitz Kulturhauptstadt Europas 2025‘ weitere Anreize, diese Region in der Kunst- und Kulturlandschaft Deutschlands zu entdecken“, informiert Petra Hedorfer, Vorsitzende des DZT-Vorstands.

Handbuch Chemnitz 2025 – Strategische Grundlagen für eine Kulturhauptstadt Europas der Macher:innen
Zwei Millionen Besucher will die Stadt anlocken, Tagestouristen eingeschlossen. 2023 zählten die Chemnitzer Beherbergungsbetriebe 251.395 Ankünfte. Die Buchungslage sei gut und es gebe ausreichend Zimmer mit insgesamt 4.000 Gästebetten, informiert die Chemnitzer Tourismus und Marketing, die zum Jahresende aufgelöst werden soll. Wochenenden, an denen es kaum freie Hotelzimmer geben werde, sollen die Ausnahme sein und Hotels und Pensionen in der Region Alternativen bieten. „Wer jetzt in Chemnitz nicht das Glück hat, noch ein Hotelzimmer zu kriegen, ist im Erzgebirge oder in Zwickau gut aufgehoben und hat kurze Fahrtwege nach Chemnitz“, sagt in der Nachrichtensendung ZDF heute Jan Burghardt, Direktor im Congress Hotel Chemnitz. Sein Haus hat 226 Zimmer, zehn Konferenz- und Veranstaltungsräume für Tagungen und Events mit bis zu 350 Teilnehmern. Durch den direkten Zugang zur Stadthalle Chemnitz ist eine Erweiterung auf bis zu 2.000 Teilnehmer möglich.
Das Chemnitzer Kongressbüro unterstützt Eventplaner bei der Erkundung der Kulturhauptstadt und ihrer Region unter dem Motto "C the Unseen" und hilft bei der Suche nach Locations, der Vernetzung mit Experten-Netzwerken vor Ort, bis hin zur Erstellung eines Rahmenprogramms aus erlebbarer Industrie-, Sub- und Hochkultur. Für die Chemnitzer ist der Titel Kulturhauptstadt Europas „ein Motor für die Tagungs- und Kongressszene der Stadt“. Schließlich kamen und kommen Veranstaltungen im Hinblick auf die Kulturhauptstadt nach Chemnitz wie letztes Jahr die World Robotic Olympiad 2024 an der TU Chemnitz oder dieses Jahr die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Veterinärdermatologie im Carlowitz Congresscenter Chemnitz oder der Bundeskongress vom Fonds Soziokultur in Kooperation mit dem Kulturbetrieb der Stadt Chemnitz im Garagen-Campus Chemnitz. Diese Anlässe werden den Bleisure Travel fördern. Schließlich werfen die Menschen, die für einen Kongress oder eine Tagung anreisen, einen Blick ins Programmheft von Chemnitz 2025 und bleiben länger oder kommen wieder, so die Chemnitzer Tourismus und Marketing. „Die Optionen, um Business und Freizeit zu verbinden, sind zahlreich vorhanden“, weiß fwd:-Nachhaltigkeitsreferent Marko Roscher. Zudem ist das Motto "C the Unseen“ eine Einladung für Event Professionals auf der Suche nach Unbekanntem und Neuem. Er denkt an Orte wie Wirkbau und Weltecho, Kraftverkehr und Kraftwerk oder das Oberdeck Chemnitz. Roscher: „Cool ist es natürlich, sein Businessevent mit einem der Highlights zu verbinden.“ Dabei denkt er an das Hutfestival vom 30. Mai bis 1. Juni 2025, Kosmos Festival vom 13. bis 15. Juni 2025, das Festival makers united am 20. und 21. Juni und den European Peace Ride vom 10. bis 13. September 2025 von Passau über Plzeň und Ústí nad Labem in Tschechien nach Chemnitz. Im April wird Marko Roscher erst einmal zur Eröffnung des Projektes #3000Garagen gehen.