Diversity
Vielfalt in der Praxis
Gelebte Diversität in München: Das interne "Proud-Netzwerk der Messe München" engagiert sich für die Vernetzung der LGBTI*-Community im Unternehmen. Im Bild sind Mitglieder gemeinsam mit den Geschäftsführer Stefan Rummel (3. v. r.) und Dr. Reinhard Pfeiffer (4. v. l.) sowie HR-Chefin Jennifer Hader (r.). Foto: Messe München
Gelebte Diversität in München: Das interne "Proud-Netzwerk der Messe München" engagiert sich für die Vernetzung der LGBTI*-Community im Unternehmen. Im Bild sind Mitglieder gemeinsam mit den Geschäftsführer Stefan Rummel (3. v. r.) und Dr. Reinhard Pfeiffer (4. v. l.) sowie HR-Chefin Jennifer Hader (r.). Foto: Messe München
Im Mai wird europaweit Diversität gefeiert. Viele Messe- und Eventprofis haben sich zuletzt auch prominent auf den Straßen dafür starkgemacht, dass Deutschland demokratisch und bunt bleibt. Ein guter Anlass, um nachzuhören, wie Vielfalt im Alltag der Branche gefördert wird.
Jeden Mai feiert die Europäische Union seit fünf Jahren den European Diversity Month, um daran zu erinnern, wie vielfältig Europa ist und warum das gut ist. Die Botschaft ist 2024 wichtiger denn je. Denn dieses Jahr sind nicht nur Europawahlen am 9. Juni 2024, sondern auch zahlreiche Kommunalwahlen und Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Und dann wird sich zeigen, ob sich der befürchtete Rechtsruck, den Umfragen andeuten, tatsächlich in der Zusammensetzung der Parlamente manifestieren wird oder ob sich die europäische Vielfalt demokratisch durchsetzen kann. Für diese Vielfalt waren im Februar und im März 2024 in Deutschland Zigtausende von Menschen auf die Straße gegangen, unter ihnen auch viele Vertreter der Messe- und Eventbranche, die die Bewegung klar unterstützte: Jörn Holtmeier etwa, Geschäftsführer des AUMA – Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, demonstrierte am 3. Februar 2024 in Berlin, die Messe München sandte Solidaritätsbekundungen zur Großdemonstration in der bayerischen Hauptstadt und die Geschäftsführung der Leipziger Messe ging fast geschlossen mit unzähligen anderen in Leipzig auf die Straße, um ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz zu setzen und die Demokratie zu stärken.
Vielfalt ist ein Wirtschaftsfaktor
Die Beteiligung der Messeprofis ist ermutigend. Vor allem aber ist ihr Engagement logisch und folgerichtig. Denn Deutschland ist ein diverses Land und intensiv in den Welthandel und die globale Zusammenarbeit eingebunden – und das ist nicht nur entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg insgesamt, sondern insbesondere auch für den Erfolg der deutschen Messebranche. Schließlich sind den Zahlen des Ausstellungs- und Messeausschusses der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) zufolge vier der zehn weltgrößten Messegelände in Deutschland, rund zwei Drittel der globalen Leitmessen finden hier statt, und – vor diesem Hintergrund wenig überraschend – 60 Prozent der Aussteller und 35 Prozent der Fachbesucher kommen aus dem Ausland.
Jegliche Abschottungs- und Abschiebefantasien, wie sie rechte Ideologien und Parteien predigen, wirken da völlig aus der Zeit gefallen und ökonomisch absurd. Im Gegenteil: Weltoffenheit ist ein knallharter Wirtschaftsfaktor. „Wir führen Menschen zusammen und schaffen persönliche Begegnungen – über politische, geografische und kulturelle Grenzen hinweg“, erklärt Wolfgang Marzin. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt, die als weltweit größter Messeveranstalter mit eigenem Gelände kontinente- übergreifend in 188 Ländern tätig ist und Messen mit einem Internationalitätsgrad von teilweise über 80 Prozent veranstaltet, wie er betont. „Internationalität, Vielfalt und Toleranz bilden den Nährboden unserer Arbeit und unseres Miteinanders“, so Marzin.
Foto: MesseFrankfurt, Sutera
„Internationalität, Vielfalt und Toleranz bilden den Nährboden unserer Arbeit und unseres Miteinanders.“
Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt
Zum Erfolg des Messestandorts Deutschland gehört, dass hier völlig unterschiedliche Menschen erfolgreich zusammenarbeiten, wie Philip Harting, Vorsitzender des AUMA, unterstreicht: „Deutsche Messen selbst werden ohne das Können und Engagement unserer starken Teams unterschiedlicher Herkünfte, Religionen und Orientierungen auch nicht halb so viel Erfolg haben können wie bisher.“ Eine offene Gesellschaft sichert auch seiner Ansicht nach deshalb Wohlstand und Teilhabe für alle hierzulande.
Firmeninterne Vielfalt lohnt sich
Auch unternehmensinterne Diversität nämlich bringt ökonomische Vorteile, wie soeben erst wieder eine Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) ergeben hat. Für die im April 2024 erschienene Studie wurden 1.800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in neun europäischen Ländern befragt, davon 200 in Deutschland. Den Ergebnissen zufolge haben Unternehmen mit vielfältigen Teams u.a. eine 45 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, ihren Marktanteil zu verbessern, vielfältige Führungsteams verzeichnen 19 Prozent höhere Innovationseinnahmen und Mitarbeitende sind nicht nur loyaler, sondern auch um 50 Prozent produktiver, wenn sie in einem inklusiven Umfeld arbeiten. „Geht es um Entscheidungsprozesse, Marktverständnis und -entwicklung sowie die Attraktivität des Unternehmens für neue Talente, sind divers und inklusiv agierende Unternehmen klar im Vorteil“, erklärt Ev Bangemann, Managing Partner bei E&Y und Mitherausgeberin der Studie. Auch deshalb haben die deutschen Messegesellschaften wie viele andere internationale Konzerne längst erkannt, welchen Mehrwert diverse Teams ihrem Unternehmen bringen. „Wir wollen nicht nur weltoffene und gute Gastgeber für unsere internationalen Gäste sein, sondern auch ein inspirierendes Arbeitsumfeld schaffen, in dem unsere Mitarbeitenden aus vielen verschiedenen Nationen zusammenarbeiten können“, unterstreicht Dr. Jochen Köckler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Messe AG. Das heißt für die Hannoveraner Messegesellschaft beispielsweise konkret, dass es auf dem Gelände nicht nur ein christliches Kirchen-Center, sondern auch einen muslimischen Gebetsraum gibt. Und es bedeutet auch, dass es für die Mitarbeitenden beispielsweise auch flexible Arbeitszeitregelungen für unterschiedliche Lebensmodelle gibt.
Am Internationalen Tag gegen Rassendiskriminierung am 21. März 2024 postete der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Messe AG auf LinkedIn für sein Unternehmen ein klares Statement gegen Rassismus. Foto: Screenshot von LinkedIn
Vielfalt wird vielfältig gefördert
Denn zu Diversität gehört nicht nur die Integration verschiedener Nationalitäten und Herkünfte, sondern u.a. auch die Förderung von Müttern und Vätern, die nur Teilzeit arbeiten möchten. In der Charta der Vielfalt werden sieben Vielfalts- bzw. Diversity-Dimensionen definiert: neben der ethnischen Herkunft gehören dazu auch Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die soziale Herkunft.
Die „Charta der Vielfalt“ ist eine Urkunde, die Firmen, Behörden und Organisationen unterzeichnen können, um öffentlich anzuerkennen, dass sie Vielfalt in der Arbeitskultur anerkennen und fördern. Der gleichnamige Verein ist mittlerweile nach eigener Auskunft „die größte Arbeitgebendeninitiative zur Förderung von Diversity in Unternehmen und Institutionen Deutschlands“ und darüber hinaus aktiv: Er stellt beispielweise Arbeitsmaterialien und Handreichungen zur Verfügung, um Diversity im Arbeitsalltag umzusetzen, und veranstaltet den Deutschen Diversity-Day, der dieses Jahr am 28. Mai stattfindet. Unterzeichnet haben die Charta der Vielfalt bisher mehr als 5.000 Unternehmen mit insgesamt mehr als 15 Millionen Beschäftigten, unter ihnen auch der AUMA und weitere Messe- und Kongressgesellschaften. Zuletzt hinzugekommen ist die Messe München, die die Urkunde im Februar 2024 unterzeichnet hat, um, wie es in einem Statement heißt, „ein sichtbares Zeichen für ihr breites Engagement für eine vielfältige Welt“ zu setzen. Dazu hat man dort auch gleich noch den unternehmensinternen Code of Conduct aktualisiert, dessen erste beiden Punkte die allgemeinen Menschenrechte und Antidiskriminierung festschreiben.
Weiterbildung und Vernetzung
Neben den offiziellen Bekenntnissen der Führungsebenen zur Vielfalt gibt es bei den Messen auch konkrete interne Maßnahmen, um Diversity zu fördern und zu stärken. Dazu gehören etwa Weiterbildungsangebote zu interkultureller Kompetenz und Antidiskriminierung, um das Bewusstsein und die Sensibilität der Mitarbeitenden zu schärfen. Bei der Hamburger Messe und Congress GmbH beispielsweise bietet die hauseigene „HMC Academy“ Workshops sowie Ressourcen im Intranet zu den Themen Diversity und Unconscious Bias an, erklärt Unternehmenssprecher Karsten Broockmann: „Diese Schulungen stoßen auf große Resonanz, ebenso unsere Diversity-Sharepoint-Seite, die viele Clicks und Likes erhält.“
Die Deutsche Messe AG setzt auch auf spezielle Informationsveranstaltungen zu konkreten Anlässen. So hat man in Hannover zum Internationalen Frauentag eine Diskussionsrunde mit der Finanzvorständin Andrea Aulkemeyer veranstaltet, in der die aktuellen Problemstellungen thematisiert wurden, mit denen Frauen auf ihrem Karriereweg noch zu kämpfen haben. Um solche Karrierehürden aus dem Weg zu räumen, gibt es bei verschiedenen Messegesellschaften auch Mentoring-Programme oder Netzwerke, in denen sich Menschen gegenseitig unterstützen können. Mitarbeitende der Messe München engagieren sich beispielsweise in dem LGBTQ-Netzwerk proud@Messe München für die Akzeptanz nicht-heterosexueller Lebensentwürfe. „Wir möchten Verantwortung für unsere Mitarbeitenden übernehmen, damit alle sich wohlfühlen und entfalten können“, heißt es aus München. In Berlin zeigt man mit der Mitgliedschaft im „Bündnis gegen Homophobie" bei dem Thema sexuelle Orientierung Flagge. Zudem haben die Berliner mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes schon im Dezember 2014 erfolgreich den „Entgeltgleichheits-Check" durchgeführt, der dafür sorgen soll, dass gleiche Arbeit auch gleich entlohnt wird – und abhängig von Geschlecht und anderen Faktoren. Die Messe München agiert für die Förderung von Frauen sogar unternehmensübergreifend und hat das Female Business Network “Frauen-Verbinden” initiiert. Es will Frauen in den Industriebranchen, die auf den Münchener Messen repräsentiert und weiterhin männlich dominiert sind, vernetzen und sichtbarer machen.
Konferenz She Means Business 2024
Gelegenheit zur Vernetzung gibt es auch auf der Fachmesse IMEX vom 14. bis 16. Mai 2024 in den Hallen 8 und 9 der Messe Frankfurt – und speziell zur She Means Business. Auf der Konferenz geht es um Diversity, Gender Equality und Female Empowerment. Dort stellt sich am 15. Mai 2024 im Panel „Ladies‘ Choice: Women seek conversation with men about diversity and gender equality“ auch Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt, Fragen des Publikums.
Solche Bemühungen oder Diversity Management im Allgemeinen sind definitiv nicht im Interesse der vermeintlichen Politik-Alternativen, die derzeit so siegesgewiss in die anstehenden Wahlen ziehen. „Die aktuellen Entwicklungen haben den Blick auf den Wert von Vielfalt, Pluralität und Demokratie auf jeden Fall noch einmal geschärft und deutlich gemacht, dass wir diese Errungenschaften nicht für selbstverständlich erachten dürfen“, unterstreicht Karsten Broockmann, Unternehmenssprecher der Hamburger Messe und Congress GmbH. Klare Statements für Weltoffenheit, aber auch für eine hohe Wahlbeteiligung und klare Bekenntnisse zur Demokratie sind deshalb wichtig für alle, die wie die Hamburger Messe und Congress GmbH von den Vorteilen von Diversität überzeugt sind. Und das sind in der Messebranche nicht wenige. „Deutschland wäre nicht länger Messeplatz Nummer 1 in der Welt, wenn hierzulande nationalistisch statt international vernetzt regiert würde", schreibt AUMA-Vorsitzender Harting im Statement des Branchenverbandes vom Februar 2024. Für ihn ist klar: „Vielfalt ist unsere größte Stärke.“ Sylvia Lipkowski