B2B-Marketing
Spannend! Wir reden auf der Messe weiter!
Der Digitalisierungsschub, den viele Aussteller auch im Marketing erleben, wird immer stärker zur Ergänzung von Live Communication genutzt. Foto: Messe München
Der Digitalisierungsschub, den viele Aussteller auch im Marketing erleben, wird immer stärker zur Ergänzung von Live Communication genutzt. Foto: Messe München
Besuchsplanung, Kennenlernen und Treffen: Wie digitale Helfer den Messezyklus begleiten und Menschen zusammenführen. Ein Gastbeitrag von Thomas Bauer, Studiengangleiter BWL – Messe-, Kongress- und Event-Management an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Ravensburg.
B2B-Marketing bedeutet Messemarketing. Rund 58.000 deutsche Unternehmen sind als Aussteller im B2B-Segment tätig, insbesondere aus dem Mittelstand. Diese geben oft mehr als gut 36 Prozent ihres Marketingbudgets für Messeteilnahmen aus. Auch nach der Pandemie geben 99,5 Prozent der befragten ausstellenden Unternehmen in der jüngsten Studie des Verbandes der Deutschen Messewirtschaft (Auma) an, sich weiter auf Messen präsentieren zu wollen. Dabei zeigt sich auch: Der Digitalisierungsschub, den viele Aussteller im Marketing wie auch in anderen Geschäftsprozessen in den letzten Jahren erlebt haben, wird mittlerweile kaum noch zur Substitution als vielmehr zur Ergänzung von Live Communication genutzt. Digitale Entwicklungen der Messewirtschaft gehen konsequent in die Richtung, Mehrwert für den Präsenzbesuch zu schaffen, das heißt, die Tage des Messebesuchs wertvoller zu machen oder ganzjährig mit Menschen und Informationen der Branche im Kontakt zu stehen, um zielgerichtete und wertstiftende Begegnungen auf der Messe zu unterstützen. Die in der Messewirtschaft viel zitierte „Serendipity“, die zufällige Begegnung oder Entdeckung, wird nicht ausgehebelt, wohl aber durch Verlängerung der Customer Journey in die Messebesuchsvorbereitung und -nachbereitung unterstützt. Im Folgenden werden Use Cases der Messewirtschaft dargestellt, die sich in realen Implementierungen bereits am Markt zeigen. Besuchsplanung, Kennenlernen und Treffen werden dabei angeregt: Was interessiert, kann auf der Messe vertieft werden.
Foto: DHBW
Über den Autor
Prof. Dr. Thomas Bauer ist Studiengangleiter BWL – Messe-, Kongress- und Event-Management an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Ravensburg, dem größten deutschsprachigen Studienangebot der Veranstaltungsbranche. Zu seinen Forschungsinteressen zählt die Digitalisierung im Messewesen.
KI-Assistent ISPO Buddy
Im Rahmen der ISPO Munich-App feierte der „ISPO Buddy“ Ende November 2023 Premiere. Das auf ChatGPT basierende Tool war an dieser Stelle nicht weniger als der Anfang einer Neuerfindung des Messeerlebnisses. Basierend auf Prompts der Besucher und Besucherinnen, beispielsweise einer Journalistin (eine der vorab definierten Personen), konnte der „ISPO Buddy“ mittels spezifizierten Interessen die Agenda eines Tagesbesuchs vorschlagen, etwa zum Thema „Nachhaltige Textilien im Bereich Running“, Aussteller mit Neuprodukten oder Vorträgen zum Thema nebst effizienten Laufwegen zwischen den Stationen zusammenstellen, alles im geplanten Besuchszeitfenster von 10 bis 17 Uhr. In der Folge führte der „ISPO Buddy“ die Besucherin durch Live-Navigation über den gesamten Tag hinweg über die Messe.
Von Künstlicher Intelligenz (KI) und vom Messeveranstalter vorgeschlagene individuelle Guided Tours sind dann nur der nächste logische Schritt, um auch den gewünschten Mix an Netzwerkpflege, Neuentdeckungen und neuen Begegnungen der Besucher und Besucherinnen anzubahnen. Dabei muss klar festgehalten werden, dass ChatGPT diese Intelligenz nicht per se bietet, sondern selbstverständlich der Messeveranstalter Aussteller-, Aufplanungs-, Kontakt- und weitere Daten zuliefern muss, teilweise durch systematisches Scraping der eigenen Website und bestehende FAQs, teilweise aber auch über Erfassung von Rahmenakteuren der Messe, etwa der Restaurant- und Menüdaten von Caterern, um den Messegästen bei Anforderung auch Empfehlungen für ein veganes Mittagessen anzuzeigen. Dass diese Art der Besucherunterstützung auch Training der KI innerhalb der Messetage erfordert und eventuell anfangs nicht alle Wünsche berücksichtigt werden können, ist dann nur der Beginn des Lernens. Prompts werden gesammelt und zum Training sowie zur Anreicherung fehlender Datenpools verwendet. Der Use Case ist aber bereits jetzt ersichtlich, standort- und kontextabhängige Empfehlungen zudem denkbar. Der ISPO Buddy wird zur OutDoor by ISPO im Juni wieder freigeschaltet sein.
Im Rahmen der ISPO Munich-App feierte der „ISPO Buddy“ Ende November 2023 Premiere. Foto: Messe München
Chatbots für Aussteller
Auf KI basierende Chatbots unterstützen bereits vor oder anstatt einer Kontaktaufnahme mit der Messe die klassische Teilnahmeplanung. Prompts werden ausführlich beantwortet, wo sonst über ganze Websites hinweg oder mit zeitlicher Verzögerung umfassende Ausstellerinformationen zu sichten waren, um die relevante Information zu finden. Ein Chatbot der Fachmesse Medtec Live der Nürnbergmesse beantwortet beispielsweise aktuell zweisprachig Fragen von Ausstellern zu Ansprechpartnern, Preisen, Aufbautagen und -zeiten. Ein Pendant für Besucher und Besucherinnen und ihre Besuchsplanung wird beispielsweise von der Messe Stuttgart auch für deren Konsumentenmessen eingesetzt.
Location Based Communication
Mit ihrem Tool „Lead+Meet“ steigt die Koelnmesse tiefer in das Thema Location Based Communication ein. Über Beacons auf dem Messegelände können Besucherinnen und Besucher so hinsichtlich ihres Standorts lokalisiert und von den ausstellenden Unternehmen ortsabhängig in der App angesprochen werden, beispielsweise wenn sie eine Halle betreten oder sich Messeständen nähern. Targeting ermöglicht dabei, die angesprochenen Leads vorab zu filtern, sprich: Die Kontaktinitiative kann hier vom Aussteller ausgehen, wie auf der Anuga Foodtec. Standort- und frequenzabhängige Aktionen, aber auch die intelligente Auffindbarkeit von Kontakten in der Nähe zum eigenen Standort sind logische Erweiterungen, die auf der Basis dieser Technologie denkbar werden.
Über Beacons auf dem Messegelände können Besucherinnen und Besucher lokalisiert und von den ausstellenden Unternehmen ortsabhängig in der App angesprochen werden. Foto: Koelnmesse
Matchmaking
Virtuelle Eventplattformen wie grip.events werden mittlerweile nicht mehr rein online, sondern insbesondere in Verbindung mit einem Veranstaltungsticket als begleitendes Kontakt- und Netzwerktool eingesetzt. Die Prowein der Messe Düsseldorf setzt so die Plattform ausschließlich für Aussteller und akkreditierte Fachbesuchende ein und ermöglicht die direkte Kontaktaufnahme innerhalb und zwischen den Teilnehmergruppen. Neben Kontaktvorschlägen, die in Tinder-ähnlicher Art verworfen oder mit Interesse beantwortet werden können, sind Termine direkt buchbar. Obwohl Kontaktanfragen noch immer wieder als Spam daherkommen, hat der Use Case einen riesigen Mehrwert, wenn man weiterdenkt, dass Empfehlungen nicht nur mit angenommenen, sondern auch mit abgelehnten Kontaktanfragen KI trainieren können und in der Folge besser werden. LinkedIn- Kontaktvorschläge scheinen ja bei regelmäßiger Nutzung auch perfekt zu passen.
365-Tage-Content-Plattformen
Eine weitere digitale Erweiterung von Messen lehnt sich ebenso an die Logik sozialer Netzwerke an. Im Rahmen verschiedener Veranstaltungen, etwa der AM Expo für additive Fertigungslösungen der Messe Luzern, wird eine 365-Tage-Content-Plattform eingesetzt, auf der die ausstellenden Unternehmen selbst ganzjährig Inhalte, Fachwissen und Produktupdates posten können. Die digitale Plattform „additively“ pflegt dabei Themencluster, die von mehreren Hundert bis zu 2.000 Nutzenden abonniert sind, die in der Folge entsprechend ihrer inhaltlichen Interessen über Updates ihrer Teilbranche informiert bleiben. Die Zahlen scheinen zunächst nicht groß, aber 1.599 selbst selektierte Leads zu spezifischen Themen wie „Design for Additive Manufacturing“ sind die Goldnuggets der Messe, die sonst nur dutzendfach am Messestand schürfbar sind. Die vom Softwareunternehmen Conteo bereitgestellte Plattform liefert entsprechend den Ausstellern auch unterjährig Tausende Impressions und Dutzende wertvolle Leads. Daraus resultierendes Interesse kann wiederum kontinuierlich oder aber bei der nächsten Messe, welche im zweijährlichen Turnus stattfindet, vertieft werden.
Im Rahmen verschiedener Veranstaltungen setzt die Messe Luzern eine 365-Tage-Content- Plattform ein. Fotos: Additively
Programmatic Advertising
Die zielgerichtete Ansprache der Kundschaft funktioniert in Konsumentenmärkten mittels klassischer Demografika, welche Google auf der Suchmaschine beziehungsweise Meta in sozialen Netzwerken zur Verfügung stellen. In B2B-Märkten hingegen sind diese Targeting-Kriterien quasi wertlos. Zur Erstansprache der Unternehmenszielgruppen sind die Kenntnis der Branchenzugehörigkeit von Online-Nutzenden oder gar ein spezifisches Informationsinteresse notwendig. Messeveranstalter können die Branchenzugehörigkeit relativ präzise ermitteln, insbesondere durch das Verhalten von Menschen auf den sehr spezifischen Messewebsites im Allgemeinen oder in Aussteller- und Produktverzeichnissen im Speziellen. Damit können sie diejenige Art von Audiences liefern, die plattformunabhängige Kommunikation Nutzern und Nutzerinnen entsprechend adressierbar machen. Cookies ermöglichen Identifizierung. DSGVO-konforme, weil anonyme Cookie-Informationen liefern individuell adressierbare User-Daten, die über klassisches Re-Targeting, nun aber mit Content der Aussteller, adressiert werden können. Die Messe Frankfurt bietet seit geraumer Zeit diese Audiences, beispielsweise dem Unternehmen Grohe, Aussteller auf der ISH in Frankfurt. Die Erstansprache Branchenzugehöriger, die Platzierung inhaltlicher Beiträge in einem selbst abonnierten B2B Special Interest Portal, die Anbahnung persönlicher Treffen, die Vorschläge von Customer Journeys über eine Messe sowie der intelligente und situationsabhängige Dialog zu allen Fragen rund um den Messebesuch können technisch eine Welt realisieren, in der Neugier vorab geweckt, bereichernde Treffen terminiert und effiziente Messetage ermöglicht werden. Messen verfolgen dabei zunehmend eine Start-up-Logik, indem sie Tools auch mit 80-Prozent-Versionen launchen mit dem Ziel, zunächst im eigenen Handling Erfahrungen zu sammeln und ersten Mehrwert zu generieren. Das Messeerlebnis kann durch digitale Verlängerungen ein „Mehr“ an Effektivität und Effizienz bringen, vorausgesetzt, ausstellende Unternehmen und die Besucherinnen und Besucher nutzen die digitalen Verlängerungen in Apps und Kommunikationskanälen konsequent. Die Tools und Use Cases sind da, spannende Messetreffen direkt anzubahnen.