Foto: HTW Berlin
Editorial
Kerstin Wünsch
Chefredakteurin tw tagungswirtschaft kerstin.wuensch@dfv.de
Eine Frage des Vertrauens
Die Demonstrationen gegen rechts und für die Demokratie gehen weiter. Gerade jetzt, in den Internationalen Wochen gegen Rassismus 2024. Zum Motto „alle! für Menschenrechte – Menschenrechte für alle!“ stehen vom 11. bis 24. März 2024 Veranstaltungen, Aktionen und Demonstrationen an. Es sind die Enthüllungen von Correctiv, die Zuwächse der AfD, Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie die Europawahl, weshalb die Menschen in deutschen Städten seit Januar auf die Straße gehen. Das gemeinsame Aufstehen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie schaffe ein lang vermisstes, gesellschaftliches Wir-Gefühl, beobachten die Marktforscher vom rheingold Institut. 62 Prozent der Befragten meinen: „Die Demonstrationen sind gut für einen gesellschaftlichen Dialog.“
Unter den Demonstranten in Osnabrück ist Prof. Dr. Markus Große Ophoff. „Demokratie braucht den Diskurs. Besonders wichtig ist das direkte Gespräch“, schreibt der Leiter des Zentrums für Kommunikation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt seiner lesenswerten tw-Kolumne „Demokratie stärken – auch mit Veranstaltungen“. Da die Veranstaltungswirtschaft einen erheblichen Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten kann, appelliert Große Ophoff an alle Eventprofessionals: „Lassen Sie uns gute, moderierte Diskurse zu den drängenden Themen unserer Zeit organisieren, in denen Menschen ins Gespräch kommen und der demokratische Diskurs um den besten Lösungsansatz geführt wird.“
Wie resilient ist unsere Demokratie?
Dass Demokratie nicht gottgegeben ist, lehrt uns die Geschichte. Dieses Jahr wird das Grundgesetz 75 Jahre alt, und das Wissenschaftsjahr 2024 – Freiheit widmet sich dem Wert und der Bedeutung von Freiheit mit Fragen wie: Wie resilient ist unsere Demokratie angesichts der Krisen der Gegenwart?
Wie es dazu gekommen ist, dass wir um etwas so sicher Geglaubtes kämpfen müssen, führt der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in seiner Festrede „Die große Transformation in Zeiten des Unbehagens“ aus: „Vielleicht fällt es uns so schwer, die Zukunft zu gestalten, weil wir unsere Gegenwart so schlecht verstehen. Und wir leben ja in einer seltsamen Zeit. Ausgerechnet jetzt, wo deutlich wird, dass unsere Probleme erstens komplex und zweitens global sind, scheinen jene Kräfte Oberhand zu gewinnen, deren Antworten erstens simpel und zweitens national sind.“
Seine Worte sind auch deshalb bemerkenswert, weil Horst Köhler sie zum 25-jährigen Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt sprach. Das war am 8. Dezember 2016 – also in der Flüchtlingskrise und Klimakrise, aber vor Corona, dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und dem Krieg in Nahost.
Wenn eine Krise auf die andere folgt, heißt das neudeutsch Stapelkrise. Dass solche krisenbeladenen Situationen verunsichern und unser Vertrauen schwindet, weiß Professor Martin K.W. Schweer. Der Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung sagt im Interview: „Veranstaltungen können den so wichtigen Raum für den gemeinsamen Austausch schaffen. Hochkomplexe Herausforderungen werden im direkten Miteinander auf die Ebene des persönlichen Gesprächs gebracht. Es entstehen Eindrücke hinsichtlich der Menschen, auf deren gemeinsames Handeln man vertrauen mag.“
„Auf Kongressen und Messen entsteht eine Kultur des gemeinsamen Miteinanders.“
Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung an der Universität Vechta
Auf Kongressen und Messen entsteht eine Kultur des Miteinanders, die man gezielt entwickeln kann, damit Transparenz, Offenheit, Authentizität und vor allem gegenseitige Wertschätzung auch bei konflikthaltigen Themen das Klima bestimmen. Schweer sieht darin eine Chance für das Veranstaltungsmanagement. Meines Erachtens ist es noch viel mehr: Es ist unsere Verpflichtung als Veranstaltungswirtschaft!
Standortfaktor politische Stabilität
Politische Stabilität ist schließlich ein Standortfaktor für die Destination „D“ – und der ist gefährdet. Das Handelsblatt Morning Briefing vom 12. März 2024 warnt: Im Standort-Ranking verliert Deutschland bei politischer Stabilität. KPMG hat 350 Finanzchefs der größten deutschen Tochtergesellschaften internationaler Konzerne befragen lassen: Nur noch 58 Prozent der CFOs zählen Deutschland zu den fünf politisch stabilsten EU-Ländern. Vor zwei Jahren waren es noch 80 Prozent.
Bei den Europawahlen im Juni rechnet die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) mit einem starken Rechtsruck. Rechtspopulistische Parteien werden in der EU an Stimmen und Sitze gewinnen. Antieuropäische Populisten werden wahrscheinlich in neun Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, der Tschechischen Republik, Frankreich, Ungarn, Italien, den Niederlanden, Polen und der Slowakei) an der Spitze der Umfragen stehen und in weiteren neun Ländern (Bulgarien, Estland, Finnland, Deutschland, Lettland, Portugal, Rumänien, Spanien und Schweden) an zweiter oder dritter Stelle.
Jetzt kommt es darauf an, dass wir uns als Europäer, als die große, allzu oft schweigende Menge, immer mehr zu Wort melden. Dass wir als Bürger Haltung zeigen und handeln, dass wir Zeichen setzen und sichtbar bleiben, indem wir weiter auf die Straße gehen. Dass wir als Begegnungsmacher alles dafür tun, dass unsere Teilnehmer in ihrer Vielfalt ins Gespräch kommen. Denn das können wir.
Die Initiative „Stimmt“ für demokratische Grundwerte vom Forum Veranstaltungswirtschaft kommt da gerade recht. Darin rufen sieben Fachverbände wie der Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik (VPLT) die Veranstaltungswirtschaft auf: „Stimmt für Menschenrechte. Stimmt für den Rechtsstaat. Stimmt für Vielfalt und Diversität. Stimmt für die Gleichstellung aller Menschen. Die nächsten Wahlen kommen, nutze deine Stimme. Es kommt auf sie an!”
VPLT-Geschäftsführerin Linda Residovic erklärt: „Wir möchten mit der Kampagne jeden auffordern, sich mit seiner Stimme für demokratische Werte starkzumachen.” Sie ergänzt: „Gerade als Verbände wissen wir, wie wichtig es ist, dass man nur stark ist, wenn man viele hinter sich vereint.” Das ist eine gute Aktion, finde ich und hoffe, dass sich weitere Fachverbände anschließen. Und Sie? Sehen wir uns auf der Straße? Schreiben Sie mir, wenn Sie mögen.