Interview Professor Martin K.W. Schweer
„Ohne Vertrauen sind wir handlungsunfähig“
Foto: Caro Hoene
Foto: Caro Hoene
Professor Martin K.W. Schweer ist promovierter und habilitierter Diplompsychologe und wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung (ZfV) an der Universität Vechta. Im Interview spricht er über das hochaktuelle Thema Vertrauen und die Kultur des gemeinsamen Miteinanders, eine Chance für Veranstaltungsmanager und zentrale Fragen an die Veranstaltungswirtschaft.
Wie entsteht Vertrauen?
Vertrauen baut auf Erfahrungen auf, sonst wäre es eine blindlings eingegangene Sicherheit. Die Erfahrungen des Vertrauens müssen dabei im gegenseitigen Wechselspiel erfolgen. Auch eine Institution ist sowohl Vertrauensnehmer als auch Vertrauensgeber, Letzteres im Sinne der von den Repräsentanten gelebten Handlungsprinzipien. Schließlich benötigt der Vertrauensaufbau stets Zeit.
Sie leiten das einzige Vertrauenszentrum in Deutschland, das Zentrum für Vertrauensforschung (ZfV) an der Universität Vechta. Auf Ihrer Website steht: „Vertrauen, die Grundlage eines gelingenden sozialen Miteinanders, muss man lernen, um Vertrauen schenken zu können.“ Wie können wir Vertrauen lernen?
Wir lernen Vertrauen in unserem sozialen Miteinander. In der frühen Kindheit geht es dabei um Bindungserfahrungen. Später ist es dann einerseits erforderlich, einen Vertrauensvorschub zu leisten, andererseits muss man gewillt sein, Vertrauen anzunehmen. Es handelt sich also um einen Prozess des wohlwollenden gegenseitigen Bemühens.
Vertrauen beschreibt der Soziologe Niklas Luhmann als einen Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Wieso ist das wichtig für uns Menschen?
Wir leben in einer komplexer werdenden Welt mit großen und mit tagtäglichen Herausforderungen, Ungewissheiten und unkontrollierbaren Zusammenhängen wie etwa Nachhaltigkeit und Digitalisierung, aber auch Straßenverkehr und Arztkontakten. Wir sind also tagtäglich gezwungen, Kontrolle aus der Hand zu geben. Ohne Vertrauen sind wir handlungsunfähig.
Wie steht es um unser Vertrauen in der Stapelkrise, wenn eine Krise auf die nächste folgt?
Die sich auftürmenden Krisen führen zu erhöhten Sorgen, Unsicherheiten und Ängsten. Menschen unterscheiden sich jedoch darin, wie sie mit solchen Situationen umgehen. Wenn es im eigenen Erleben kaum noch Sicherheitsanker gibt, kann die Auseinandersetzung mit konstruktiven Lösungen schnell abreißen. Daher ist Vertrauen in solch krisenbeladenen Situationen umso wichtiger, zugleich aber umso stärker gefährdet.
„Vertrauen ist in krisenbeladenen Situationen umso wichtiger, zugleich aber umso stärker gefährdet.“
Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung (ZfV) an der Universität Vechta
„Rebuilding Trust“ ist das Generalthema des Weltwirtschaftsforums 2024 in Davos gewesen. Können Veranstaltungen Vertrauen wiederherstellen bzw. schaffen?
Veranstaltungen können den so wichtigen Raum für den gemeinsamen Austausch schaffen. Hochkomplexe Herausforderungen werden im direkten Miteinander auf die Ebene des persönlichen Gesprächs gebracht. Es entstehen Eindrücke hinsichtlich der Menschen, auf deren gemeinsames Handeln man vertrauen mag.
Wie gelingen uns vertrauensvolle Begegnungen, sei es auf einem Kongress oder einer Messe?
Auf Kongressen und Messen entsteht eine Kultur des gemeinsamen Miteinanders, vor allem dann, wenn sich solche Veranstaltungen über Jahre etablieren. Diese Kultur kann man gezielt entwickeln, damit Transparenz, Offenheit, Authentizität und vor allem gegenseitige Wertschätzung auch bei konflikthaltigen Themen das Klima bestimmen. Darin liegt die Chance für das Veranstaltungsmanagement.
Fällt Ihnen eine Konferenz ein, die hier ein gutes Beispiel abgibt?
Ich hoffe sehr, dass es auf dem Weltklimagipfel und dem genannten Weltwirtschaftsforum einen hinreichend offenen Austausch gibt. Aus meinen eigenen Erfahrungen etwa auf großen Konferenzen und Messen weiß ich, dass es auch im Rahmen sehr großer Veranstaltungen möglich ist, einen intensiven, vertrauensfördernden und vertrauensvollen Dialog zu führen.
Im Freeman Trends Report „2024 Attendee Intent and Behavior“ sehen acht von zehn befragten Teilnehmer Veranstaltungen in Präsenz als die vertrauenswürdigste Informationsquelle an. Wie sehen Sie das?
Veranstaltungen stellen unterschiedliche Informationsquellen bereit, Vertrauenswürdigkeit gewinnen letztlich die Menschen dahinter. Sicherlich erleichtern die persönlichen Eindrücke auf Veranstaltungen in Präsenz den Vertrauensaufbau, der ist aber bei hinreichender Gelegenheit zum offenen Austausch und einer vernünftigen Technik auch im hybriden und virtuellen Raum möglich.
Mit „Deep tech requires deep trust” überschreibt das IBM Institute for Business Value seine „5 Trends for 2024“. Wie lässt sich Vertrauen in einer zunehmend virtuellen und künstlich intelligenten Arbeitswelt herstellen?
Hinter der Technik stehen immer Menschen, letztlich gilt das auch für den Einsatz generativer KI. Wir benötigen grundlegende Wertorientierungen und Normen für den Umgang mit KI – in Wirtschaftsunternehmen, im Bildungsbereich, in der gesamten Gesellschaft. Stets geht es darum, einen grundlegenden Wertekodex zu entwickeln. Organisationsintern und -extern muss sodann transparent und erfahrbar sein, wie dieser Kodex umgesetzt wird.
Zu welchen Themen forschen Sie am Zentrum für Vertrauensforschung (ZfV)?
Mein Team und ich forschen zu Prozessen des Vertrauens und Misstrauens, zu Korrelaten des Vertrauens wie Loyalität, Gerechtigkeit und soziale Verantwortung. Vertrauen ist angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderung quer durch die Handlungsfelder hochaktuell, etwa Vertrauen in die Politik, in Wirtschaft und Verwaltung, in das Bildungssystem und in die Kirchen. Forschung mündet dann in Organisationentwicklung und weitere Facetten des Wissenschaftstransfers.
„Zentrale Fragen sind: Welche vertrauensrelevanten Erwartungen werden an Veranstaltungen in einer digitalisierten Welt gerichtet?“
Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung (ZfV) an der Universität Vechta
Inwiefern kann das ZfV dazu beitragen, Forschung und Praxis in der Veranstaltungswirtschaft zu verbinden, um Erkenntnisse für die Bedeutung von Vertrauen bei Business Events zu gewinnen?
Eine bewährte Form im Rahmen von Veranstaltungen ist das Angebot von Vorträgen und Workshops zu Themen des Vertrauens und der Vertrauenskultur. Ebenso können zu den Spezifika der Veranstaltungswirtschaft weiterführende Forschungserkenntnisse gewonnen werden, etwa in Form von Umfragen. Zentrale Fragen sind: Welche vertrauensrelevanten Erwartungen werden an Veranstaltungen in einer digitalisierten Welt gerichtet? Wie sehen dabei die Wünsche und Perspektiven unterschiedlicher Zielgruppen aus?
Können sich die Planer von Konferenzen an Sie wenden, wenn Sie einen Speaker zum Thema Vertrauen suchen?
Sehr gerne.
Welche Frage hat Ihnen gefehlt?
Sie hätten mich als Vertrauensforscher nach meinen Erfahrungen im Kontext von Konferenzen fragen können – gerne komme ich darauf bei anderer Gelegenheit zurück.