Kreislaufwirtschaft
Nicht auf dem Teppich bleiben
Auf der Grünen Woche 2023 geht es in der neuen Themenwelt „grünerleben“ in der Halle 27 um die Circular Economy. Im Re-Use-Superstore können die Besucher beim Bau eines Tiny House helfen. Es soll Obdachlosen als Schutzraum dienen. Foto: Internationale Grüne Woche
Auf der Internationalen Grüne Woche 2023 geht es in der neuen Themenwelt „grünerleben“ in der Halle 27 auch um die Circular Economy. Im Re-Use-Superstore können die Besucher beim Bau eines Tiny House helfen. Es soll Obdachlosen als Schutzraum dienen. Foto: Internationale Grüne Woche
Kreislaufwirtschaft kann eine Chance sein für mehr Nachhaltigkeit in der (Veranstaltungs-)Wirtschaft. Das Thema taucht folglich in immer mehr Programmen von Kongressen und Messen auf wie auf der Grünen Woche in Berlin oder der BOE International in Dortmund. Allerdings fehlt es noch an konkreten Projekten bei Business Events.
Die Internationale Grüne Woche in Berlin mobilisiert nicht nur 1.400 Aussteller und 300.000 Besucher, sondern auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU). Zur weltgrößten Verbraucherschau für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau warnt sie vor „inakzeptabler Ressourcenvergeudung durch Lebensmittelverschwendung“. Messen eignen sich bekanntermaßen als Verstärker von Botschaften, weshalb DBU-Generalsekretär Alexander Bonde vor Messebeginn mahnt: „Allein in Deutschland landen jedes Jahr rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Pro Kopf sind das fast 80 Kilogramm. Dieser unnötige Raubbau an Ressourcen wie Boden, Energie, Wasser und Luft muss gestoppt werden.“ Nach zweijähriger Corona-Pause kommt die Grüne Woche der Messe Berlin vom 20. bis 29. Januar 2023 mit Nachhaltigkeit als einem Schwerpunkt zurück und einem neuen Anlaufpunkt: die Themenwelt „grünerleben“. In Halle 27 geht es um Ernährungsfragen und die Circular Economy.
Circular Economy, auf Deutsch Kreislaufwirtschaft, meint ein regeneratives System. Der Einsatz von Ressourcen, die Entstehung von Abfall und Emissionen und die Verschwendung von Energie sollen durch das Verlangsamen, Verringern und Schließen von Kreisläufen minimiert werden. Das geschieht durch die langlebige Konstruktion, Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung und -verwertung. In Deutschland befasst sich damit das Kreislaufwirtschaftsgesetz im Abfallrecht: Abfälle sind in erster Linie zu vermeiden, insbesondere durch die Verminderung ihrer Menge und Schädlichkeit, in zweiter Linie stofflich zu verwerten oder zur Gewinnung von Energie zu nutzen. 2018 hat die EU in ihrer Abfallrahmenrichtlinie den Übergang zur Kreislaufwirtschaft als Ziel formuliert. Sie verlangt von den Mitgliedstaaten nachhaltige Produktions- und Konsummodelle, Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung und geplanten Verschleiß.
Zurück auf der Grünen Woche, erfahren die Besucher beispielsweise, wie ausrangierte Gegenstände wiederverwertet werden. Zu Re- und Upcycling, Re-Use und Zero Waste präsentieren ihnen in der neuen Themenhalle Aussteller wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Verbände, Organisationen, NGOs ihre Lösungsansätze. Während 15 Start-ups der Initiative „Circular Futures“ vorführen, wie zirkuläre Wirtschaft funktionieren kann, stellt der Re-Use Superstore einen Querschnitt der Berliner Re-Use-Szene vor mit Workshops, Repaircafés und Vorträgen zum Thema Wiederverwendung.
Beispiele für Kreislaufwirtschaft auf der Internationale Grüne Woche 2023
- Der neue Themenschwerpunkt „grünerleben“ in Halle 27 für nachhaltige Themen
- Re-Use-Superstore (Re-Use-Initiative)
- Blumenhalle umgesetzt von Landgard: Blumen werden gespendet oder wieder verkauft, Frühblüher werden kompostiert
- Tierhalle: wiederverwendbares Besucherzentrum, gemieteter Sand, Weiterverwendung von Gülle und Dung
- Kooperation mit der Berliner Tafel
- Aussteller wie FairCup (Mehrwegsystem für Geschirr), PhaBo (Mehrwegsystem für Lebensmittel), CUNA Products GmbH (Mehrwegsystem für Gastronomie), Plattform erneuerbare Antriebsenergie für die Land- und Forstwirtschaft c/o Bundesverband Bioenergie e.V. oder die Gütegemeinschaft Wertstoffkette PET-Getränkeverpackungen e.V.
Messe Berlin und „Re-Use Berlin“
„Die Messe Berlin verwendet die eigenen Standbaumaterialien, bis sie nicht mehr brauchbar sind. Dabei achtet die Messe verstärkt auf Wiederverwendbarkeit“, berichtet Christine Franke. Als Beispiel zur Grünen Woche nennt die stellvertretende Pressesprecherin Messe Berlin und Abteilungsleiterin Corporate Communication die neu konzipierte Tierhalle. Hier werden große Teile wie das Besucherzentrum eingelagert und im nächsten Jahr wieder aufgebaut. Einzelne Bauten bestehen aus altem Messeholz. Die 16 Lkw-Ladungen Sand im Vorführring sind nur gemietet, die Gülle und der Dung der Tiere werden in einem Container gesammelt und nach der Grünen Woche an einen Berliner Landwirt übergeben. Außerdem kooperiert die Messe Berlin seit über zwanzig Jahren mit der Berliner Tafel und hat zur Grünen Woche 2020 elf Tonnen Lebensmittel abgegeben. „Wir merken, dass unsere Aussteller bei der Internationalen Grünen Woche mehr Wert auf Wiederverwendbarkeit legen. Es wird vermehrt auf das Auslegen von Teppich verzichtet. Wir registrieren auch einen Anstieg beim Einsatz von wiederverwendbaren Materialien, die dann eingelagert werden“, erklärt Franke und ergänzt: „Das Umdenken hin zum Einlagern hat sicherlich auch mit der Kostenexplosion für Baumaterialien, instabilen Lieferketten und der Inflation zu tun.“
„Das Umdenken hin zum Einlagern hat sicherlich auch mit der Kostenexplosion für Baumaterialien, instabilen Lieferketten und der Inflation zu tun.“
Christine Franke, stellvertretende Pressesprecherin Messe Berlin
Für ihre Fach- und Publikumsmessen und sonstigen Veranstaltungen wie Kongresse und Events hat die Messe Berlin Technische Richtlinien erlassen. Sie sind Bestandteil sämtlicher Verträge mit Ausstellern, Veranstaltern, Servicefirmen und Dienstleistern und behandeln im letzten Kapitel wie folgt den Umweltschutz: „Die Messe Berlin hat sich grundsätzlich dem vorsorgenden Schutz der Umwelt verpflichtet. Als Vertragspartner der Messe Berlin ist der Aussteller / Kunde verpflichtet, den Umweltschutz betreffende Bestimmungen und Vorgaben einschließlich der Regelungen bezüglich des Artenschutzes einzuhalten. Zugleich hat der Aussteller/Kunde sicherzustellen, dass diese Vorgaben auch von seinen Vertragspartnern (z.B. Standbaufirma) verbindlich eingehalten werden.“ Die Messe Berlin unterstützt zudem die Zero-Waste-Initiative „Re-Use Berlin“ der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Gemeinsam haben die beiden Partner bei einem Re-Use-Pilotprojekt zur belektro & SmartHK 2022 erprobt, wie sich Messebaumaterialien erfassen und extern wiederverwenden lassen. Die Aussteller konnten im Anschluss an die Messe Standmaterialien wie Holz, Textilien oder Bodenbeläge zur Wiederverwendung abgeben und dem Wertstoffkreislauf zuführen. Diese Materialien wurden auf dem Messegelände gesichtet und in ein Re-Use-Bauteillager zum Verkauf gebracht.
Messen und Kreislaufwirtschaft
Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und innovative Produktionstechnologien sind die Top-Themen auf den 340 geplanten deutschen Messen, informiert der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der deutschen Wirtschaft (AUMA). „Kreislaufwirtschaft ist für die deutsche Messewirtschaft ein sehr wichtiges Thema. Ohne Kreislaufwirtschaft erreichen wir nicht Klimaneutralität bis 2040“, macht Barbara-Maria Lüder deutlich. Und dieses Ziel ist schließlich in der Branchenpositionierung Nachhaltigkeit festgeschrieben. Lüder ist beim AUMA verantwortlich für Recht, Steuern, Technik und Nachhaltigkeit. Messen sieht sie als Teil der Lösung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Kompensieren nur als letztes Mittel, nach Reduzieren und Vermeiden von CO2-Emissionen.
Foto: AUMA, Steffen Kugler
„Kreislaufwirtschaft ist für die deutsche Messewirtschaft ein sehr wichtiges Thema. Ohne Kreislaufwirtschaft erreichen wir nicht Klimaneutralität bis 2040.“
Barbara-Maria Lüder, verantwortlich für Recht, Steuern, Technik und Nachhaltigkeit beim AUMA
Im AUMA-Arbeitskreis Nachhaltigkeit ist Kreislaufwirtschaft seit Jahren ein Thema. Lüder fallen viele Messen mit Fachforen zum Thema Kreislaufwirtschaft ein, z.B. auf der IFAT, der Hannover Messe, der Heimtextil oder der K. Auf der letzten Kunststoffmesse K 2022 in Düsseldorf ist das Circular Economy Forum erweitert worden. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und 13 Mitgliedsunternehmen führten den Besuchern vor, wie Rezyklate zu kreislauffähigen Produkten verarbeitet werden.
Wer nach Messeveranstaltungen sucht, die nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft geplant sind, wird nicht fündig. Bei Messeständen schon. Der Ingenieursdienstleister Drees & Sommer baute seinen Stand auf der Expo Real 2019 bereits nach Cradle-to-Cradle, ein Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft. Die verwendeten Materialien sind nach der Messe in definierte Stoffkreisläufe zurückgeführt worden.
Die wirtschaftliche Situation
Befragt nach Beispielen oder Ansätzen von Kreislaufwirtschaft bei Veranstaltungen, kommt Dr. Ralf Kleinhenz, Geschäftsbereichsleiter Guest Events Messe Berlin, der Neurologen-Kongress in den Sinn: „Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie setzt auf Kreislaufwirtschaft und verwendet beispielsweise viele wiederverwertbare Elemente beim Standbau.“ Für seinen DGN-Kongress 2023 im City Cube der Messe Berlin will David Friedrich-Schmidt, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), erneut Standards in Sachen Nachhaltigkeit setzen. „Insgesamt ist die wirtschaftliche Situation momentan sehr angespannt, sodass Kreislaufwirtschaft derzeit nicht das wichtigste Thema ist“, bemerkt Kleinhenz. Er beobachtet jedoch bei seinen Kunden: „Generell ist die Nachfrage nach nachhaltigen Aspekten aber tatsächlich angestiegen. Ob Verzicht auf Teppich oder die Nachfrage nach Recycling von Lebensmittelresten – wir erhalten in diesem Bereich deutlich mehr Anfragen als vor einigen Jahren.“
Wenn Kleinhenz von der angespannten wirtschaftlichen Situation spricht, meint er die gestiegenen Preise und damit die Kosten. Dr. Christoph Soukup ist am Steinbeis Beratungszentrum Circular Economy tätig und kennt diese Bedenken aus der Industrie. Für den Wirtschaftswissenschaftler und Experten für Kreislaufwirtschaft geht es immer um den nächsten sinnvollen Schritt. Soukup: „Dieser erste Schritt kann einer sein, wo wir gar nicht so viel ändern müssen und einfach sagen: Wenn ihr bei uns eine Veranstaltung macht, dann gibt es Mobiliar, das ist modular und folgt zirkulären Prinzipien. Hier ist der Baukasten, mit dem könnt ihr bei uns arbeiten.“
Projekte zur Kreislaufwirtschaft beginnen mit der Stoffstromanalyse. Grafik: 2bdifferent
Soukup ist klar, dass Kreislaufwirtschaft für temporäre Anlässe eine Herausforderung darstellt, doch „wenn ich nicht das Material von der einen Messe entsorgen und Material für die nächste Messe besorgen muss, sondern das Material transformiert und neu konfiguriert wird, dann muss erst einmal jemand zeigen, ob das wirklich mehr Zeit braucht“. Er wagt die Behauptung: „Wenn ich es geschickt mache und im Zielzustand bin, ist das vielleicht sogar schneller. Es ändert sich nur die Kulissenlandschaft. Theater sind sehr gut darin.“
Foto: 2bdifferent
Warum er einen Experten für Kreislaufwirtschaft ins Team geholt hat? Darauf antwortet Jürgen May, Inhaber der CSR-Agentur 2bdifferent: „In vielen Wirtschaftsbereichen entwickelt sich eine neue Art des Umgangs mit Ressourcen, geboren aus einem Verantwortungsgefühl unserem Planeten gegenüber. Durch die Schnelllebigkeit und den Kostendruck steht der hohe Einsatz von technischen und biologischen Ressourcen in der Veranstaltungsbranche leider immer noch weit oben auf der Tagesordnung. In Anbetracht der klimatischen Veränderungen muss auch in der Veranstaltungswirtschaft ein Zurück zum Business as usual verhindert werden. Denn wie unser neuer Partner Dr. Christoph Soukup treffend formuliert: „Auf einem geschlossenen System, wie es die Erde ist, gibt es einfach kein ’Weg’“.
Messen als Chance
Messen sind für Soukup eine Chance, weil sie viele Menschen zusammenbringen. „Wenn Menschen eine nachhaltige Messe erleben, die in Kreisläufen aufgesetzt ist, lässt sie das Dinge anders wahrnehmen und fragen, warum sind Dinge anders – und vielleicht sagen: ‚Das ist aber toll‘. Mit diesem Bewusstsein gehen sie nach Hause, um im Privaten wie Beruflichen selbst Elemente umzusetzen.“ Seit letztem Jahr ist Soukup Partner bei der CSR-Agentur 2bdifferent, die zur Nachhaltigkeit in der Veranstaltungswirtschaft berät. Jürgen May, CEO und Inhaber der CSR-Agentur 2bdifferent, hat den Kreislaufexperten bewusst als Partner angeheuert, da in Anbetracht der klimatischen Veränderungen in der Veranstaltungswirtschaft ein Business as usual verhindert werden müsse. Seither ist Soukup ein gefragter Redner auf Branchenveranstaltungen wie der Messefachtagung des FAMA – Fachverband Messen und Ausstellungen 2022 zum Thema „Alles auf Kreislauf?! Zukunft geht nur so“.
Messen und Events ohne Müll
In seinem Vortrag „Kreislaufwirtschaft – Messen und Events ohne Müll“ auf der BOE International füllt Soukup das Sustain Forum und die Plätze sind schnell vergeben. Es war das erste Sustain Forum, mit dem die BOE International nach drei Jahren Coronapause auf den Markt zurückkommt. „In allen Branchen führt kein Weg mehr vorbei an einem klaren Bekenntnis zu gesellschaftlich verantwortlichem Handeln. Kreislaufwirtschaft sowie Energie- und Ressourceneffizienz sind dabei sehr wichtige Pfeiler“, erklärt Sabine Loos den Themenfokus. Die Veranstalterin der BOE International und Hauptgeschäftsführerin der Westfalenhallen Dortmund betont: „Der Systemwandel, den die Eventbranche dringend braucht, ist zum einen ein längerer Prozess und umfasst die Planung, den Einsatz der Mittel, das Trennen, Wiederverwerten und Recyceln von hochwertigen Materialien und Lebensmitteln sowie, ganz wichtig, die intelligente Rückführung in den Kreislauf. Hier steht die Branche noch ganz am Anfang.“ Messechefin Loos betrachtet das als Auftrag. Sie will das Thema auf der nächsten BOE International am 17. und 18. Januar weiter vorantreiben und das Informationsangebot breiter aufstellen.