
KRIDEM – Kreislaufwirtschaft in der Messewirtschaft
Die OTWorld 2026 wird zum Modell
Foto: Niclas Schmidt
Foto: Niclas Schmidt
Wenn im Frühsommer 2026 die OTWorld ihr 50. Jubiläum feiert, wird sie mehr als die weltweit größte Plattform für die moderne Hilfsmittelversorgung sein: Die Fachmesse fungiert auch als Reallabor für das Forschungsprojekt „KRIDEM – Kreislaufwirtschaft in der Messewirtschaft“ und damit als Versuchsanordnung, um Material-, Energie-, Wasser- und Abfallströme eines kompletten Messeökosystems sichtbar zu machen.
KRIDEM ist das erste Vorhaben, das die Messewirtschaft aus der Logik der Kreislaufwirtschaft heraus analysiert: Stoffströme erfassen, Rückführungswege identifizieren, organisatorische Strukturen prüfen und daraus konkrete Ansätze für eine zirkuläre Messepraxis entwickeln. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit rund 150.000 Euro, läuft das Projekt unter der wissenschaftlichen Leitung der Hochschule Osnabrück bis Ende 2026. Beteiligt sind zudem die CSR-Agentur 2bdifferent, die Messearchitekten imb troschke und der Verband der deutschen Messewirtschaft AUMA. Ziel ist es, messbare Grundlagen zu schaffen, um Messen künftig so planen und realisieren zu können, dass Ressourcen geschont, Kreisläufe geschlossen und Klimawirkungen reduziert werden können.
Ein Forschungsprojekt für die gesamte Branche
Die Messewirtschaft befindet sich im Umbruch: steigende Energiepreise, Materialknappheit, wachsender Innovationsdruck, die Notwendigkeit, CO2-Emissionen zu reduzieren. Und ein zunehmend differenziertes Nachhaltigkeitsverständnis bei ausstellenden Unternehmen. Während viele Messegesellschaften, Veranstalter, Dienstleister und Messebauer bereits einzelne Lösungen eingeführt haben, fehlt bislang ein integrierter Blick auf das Gesamtökosystem „Messe“ – ist eine Messegesellschaft schließlich nicht nur Hallenbetreiberin oder Veranstalterin, sondern damit (zum Teil) auch Energieverbraucherin, Logistikknoten, Gastronomiebetreiberin, Vermieterin, Auftraggeberin von Entsorgern und Teil der städtischen Infrastruktur. Hier setzt das Projekt KRIDEM an.
KRIDEM auf der BOE International
Am 14. Januar 2025 stellt sich das Forschungsprojekt „KRIDEM – Kreislaufwirtschaft in der Messewirtschaft“ auf der BOE International in Dortmund vor. Nach einer Keynote von Prof. Dr. Kim Werner über den Nexus-Ansatz als Möglichkeit, Ressourcenmodelle zu optimieren, kommen im anschließenden Talk weitere Forschungspartner:innen zu Wort. Mit dabei sind: Dr. Christoph Soukup (2bdifferent), Michel Ghattas-Kämpfner (Leipziger Messe), Barbara- Maria Lüder (AUMA), Justine Hein (tw tagungswirtschaft / m+a report) und Jürgen May (2bdifferent).
- Vision Stage | Halle 4 | 4.F30 | 12:15 bis 13:00 Uhr
Das Forschungsvorhaben betrachtet Material-, Energie-, Wasser- und Abfallströme nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel. Es untersucht, wie Prozesse, Entscheidungen und Partnerbeziehungen Ressourceneffizienz beeinflussen – und wo Optimierungspotenziale liegen, die bisher unsichtbar sind. Für dieses Verständnis braucht das Projektteam neben theoretischen Modellen vor allem eins: Zugang zu den realen Abläufen, Daten und Herausforderungen eines Messegeländes. Die Leipziger Messe öffnet dafür ihre Türen. Für sie bedeutet das Projekt mehr als eine interne Optimierung. „Wir verstehen uns als Impulsgeber für eine zirkuläre Messewirtschaft“, so Michel Ghattas-Kämpfner, Nachhaltigkeitsmanager der Leipziger Messe.
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© Estrel Berlin / Johannes Berger
Messebetrieb unter der Lupe
„Mit KRIDEM wollen wir nicht nur einzelne Stellschrauben drehen, sondern unsere gesamte Infrastruktur, unsere Services und unser Partnerumfeld durch die Brille der Kreislauffähigkeit betrachten.“ Und wer Kreislauffähigkeit hier ernst meint, braucht Partner, die bereit sind, sämtliche Schnittstellen in die Analyse miteinzubeziehen. Mit der OTWorld 2026 stellt die Leipziger Messe dafür eine ihrer größten Veranstaltungen als Reallabor zur Verfügung. Die Wahl der OTWorld ergibt für das Projektteam sowohl wissenschaftlich als auch operativ Sinn. Als weltweit führende Veranstaltung für Orthopädie-Technik, Reha-Technik und Orthopädieschuhtechnik ist sie ein professionelles Branchenevent mit internationaler Reichweite.
Der integrierte Weltkongress der OTWorld deckt eine große Bandbreite an Themen ab. Sie reicht von Prothetik, Orthetik und Orthopädieschuhtechnik über Sportorthopädie und Parasport bis zu altersgerechten Assistenzsystemen und Digitalisierung. Integrative Versorgung, Rehabilitation und Ausbildung rücken als Kernthemen in den Mittelpunkt der OTWorld 2026. Foto: Uwe Frauendorf
Mehr als 20.000 Besucher:innen aus über 90 Ländern, über 550 Aussteller, ein umfangreicher Weltkongress – die Mischung aus Industrie, Handwerk, Forschung und Gesundheitswirtschaft bildet nahezu alle Strukturen ab, die für Stoffstromanalysen relevant sind. Zugleich zeigt die OTWorld eine hohe Dichte an Systemstandbau, der eine konsistente Analyse ermöglicht: Die Bauteile von Systemständen sind modular, ihre Materialien wiederkehrend, ihre Transport- und Lagerlogiken bekannt. Für den Circular Scan, den Kern des Forschungsprojekts, bedeutet das: Stoffströme lassen sich besser vergleichen, Mengen verlässlicher ableiten und Veränderungen präzise beurteilen.
Der Circular Scan
Im Projekt KRIDEM wird mit Hilfe eines Circular Scan die Messewirtschaft zunächst auf den zwei komplementären Ebenen der Stoffströme und der organisationalen Verankerung betrachtet. „Die Messewirtschaft ist ein komplexes System aus unzähligen Lieferketten und Akteuren. Erst wenn wir genau wissen, wo Ressourcen verbraucht, verschwendet oder mehrfach genutzt werden, können wir Kreislaufstrategien gezielt entwickeln“, betont Jürgen May, Geschäftsführer von 2bdifferent. Gemeinsam mit dem Messearchitekturbüro imb troschke koordiniert die Nachhaltigkeitsberatung im ersten Schritt die Erfassung der Stoffströme im Rahmen der OTWorld 2026. Wie viele Materialien, wie viel Energie, Wasser und Abfall fallen an? Welche Wege nehmen sie und wo entstehen bislang ungenutzte Rückführungs- oder Einsparpotenziale? Diese Datenerhebung bildet die Grundlage, um messbare Handlungsfelder zu definieren und Strategien zur Reduktion und Wiederverwendung zu entwickeln. Im Rahmen des Circular Scan untersucht das Projektteam neben den Stoffströmen auch die organisationalen Strukturen innerhalb der Leipziger Messe Unternehmensgruppe. Dabei geht das Team der Frage nach, wie stark Kreislaufprinzipien bereits in den strategischen und operativen Abläufen, Entscheidungsprozessen und der Unternehmenskultur verankert sind. Gemeinsam sollen die Stoffstromanalyse sowie die Betrachtung der organisationalen Verankerung ein praxisnahes Gesamtbild ergeben, das nicht nur die Effizienz der Ressourcen bewertet, sondern auch die internen Voraussetzungen und Prozesse im Zusammenspiel der beteiligten Akteure reflektiert.
„Die OTWorld ist eine starke Plattform für Innovationen – fachlich wie strukturell“, unterstreicht Antje Voigtmann, Projektdirektorin der OTWorld. „Wir sind stolz, dass sie als Projekt Teil von KRIDEM ist. Für uns ist das eine Chance, die Messebranche aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Wir möchten verstehen, welche Hebel wir gemeinsam mit unseren Partnern nutzen können, um Ressourcen zu schonen und nachhaltige Strukturen aufzubauen – und welche Vorteile das auch für unsere Aussteller bringt, um sich zukunftsfähig aufzustellen“, so Voigtmann weiter. Die von ihr erwähnten Hebel entstehen in den Hallen der Messe, in Kellern und Technikräumen, an Entsorgungsstationen, in Küchen, auf Lagerflächen, in der Logistik und auf dem Standbaubereich.
Wie Prozesse ineinandergreifen
Was KRIDEM besonders macht, ist der Anspruch, an diesen Stellen nicht nur „Daten zu sammeln“, sondern Strukturen und Zusammenhänge sichtbar zu machen. Dabei ist es relevant zu wissen, welche zentralen Akteure wie miteinander interagieren. Denn in der Messewirtschaft greifen zahlreiche Prozesse ineinander: Hallentechnik beeinflusst Energiebedarf, Standbau beeinflusst Transportvolumen, Catering bestimmt Wasser- und Abfallströme, Logistikprozesse bestimmen Materialbewegungen, organisatorische Routinen entscheiden über Trennqualität oder Overhead. Dieses Stakeholder-Mapping schließlich zeigt auf, an welchen Schnittstellen Kooperationen entstehen oder wo bislang Ressourcen verloren gehen.
Ressourcen zusammen denken
Neben dem Circular Scan ist eine weitere Besonderheit im Projekt KRIDEM der Nexus-Ansatz. „Während die Kreislaufwirtschaft das Ziel verfolgt, Abfälle durch Reduzierung, Wiederverwendung, Recycling und Rückgewinnung von Materialien zu vermeiden, geht der Nexus-Ansatz einen Schritt weiter. Der Nexus-Ansatz zielt darauf ab, Verflechtungen zwischen den Ressourcen zu nutzen, um durch sektorübergreifende Lösungen und Prozessoptimierungen Abfälle und Ineffizienzen zu minimieren“, erklärt Prof. Dr. Kai-Michael Griese von der Hochschule Osnabrück.

Der Begriff „Nexus“ umfasst im Projekt KRIDEM insbesondere das Beziehungsgeflecht zwischen Stoff-, Energie-, Wasser- und Abfallströmen. In der Praxis bedeutet das: Jede Veränderung in einem dieser Bereiche hat Auswirkungen auf die anderen – und kann neue Synergien oder auch Zielkonflikte erzeugen. Wird zum Beispiel im Standbau auf wiederverwendbare Materialien umgestellt, verändern sich nicht nur die Abfallmengen, sondern auch Transportvolumen, Energiebedarf und Logistikstrukturen. In der Messewirtschaft treffen temporäre Infrastrukturen, vielfältige Dienstleistungsströme und kurze Nutzungszyklen aufeinander – ein Umfeld, in dem sich Nachhaltigkeit nur dann realisieren lässt, wenn alle beteiligten Systeme zusammengedacht werden.
„Am Ende zeigt sich, wo sich Energie, Material, Wasser und Abfall gegenseitig beeinflussen – und wo sich Kreisläufe schließen oder öffnen lassen“, weiß Prof. Dr. Kim Werner, die zusammen mit Prof. Dr. Kai-Michael Griese von der Hochschule Osnabrück das Projekt KRIDEM leitet. „Unser Ziel ist es, daraus übertragbare Handlungsempfehlungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Messegesellschaften und ihre Partner langfristig resilienter machen.“ Das Projektteam verbindet deshalb quantitative und qualitative Methoden. Es analysiert Stoffströme, prüft aber ebenso die organisatorischen Rahmensetzungen: Welche Entscheidungen werden wann getroffen? Welche Vorgaben bestehen? Wie funktionieren Abstimmungen zwischen Messe, Ausstellern, Dienstleistern, Stadt und Region? Und an welchen Punkten führen gewachsene Prozesse dazu, dass Ressourcen „verloren gehen“? Genau aus diesem Grund hat sich das Projektteam von KRIDEM Ende Oktober 2025 bei der Leipziger Messe getroffen. Bevor es Modelle entwickeln und Szenarien simulieren kann, braucht es einen vollständigen Blick in den „Maschinenraum“ der OTWorld. Der Vor-Ort-Termin diente deshalb dazu, Datenverfügbarkeiten zu prüfen, operative Realitäten zu verstehen und gemeinsam mit den Abteilungen der Leipziger Messe festzustellen, wie sich Stoffströme erheben lassen und an welchen Stellen bislang nur Näherungen möglich sind. Zentrale Bereiche haben dabei die Hallenstruktur, das Energiemanagement, die Veranstaltungstechnik, Abfalllogistik, fairgourmet im Catering, FAIRNET im Standbau sowie Leipzig Tourismus und Marketing auf Destinationsseite umfasst.
Nachhaltigkeits-Check: Wo die Leipziger Messe heute schon steht
Die Leipziger Messe bringt bereits eine Reihe fundierter Nachhaltigkeitsmaßnahmen mit, auf denen das Projekt KRIDEM aufbauen kann. Seit 2023 bezieht das Unternehmen den Strom für sein Heimatgelände zu 100 Prozent aus Ökostrom; zusätzlich wurde eine Photovoltaik-Anlage installiert, die rund 15 Prozent des Eigenbedarfs deckt. Abfallprozesse sind auf konsequente Trennung ausgerichtet und werden durch moderne Müllpressen, Vier-Kammer-Container und digitalisierte Abläufe unterstützt. In der Gastronomie setzt die Catering-Tochter fairgourmet seit Jahren auf biozertifizierten, fair gehandelten Kaffee, regionale Lebensmittel, Mehrweggeschirr und Pfandsysteme – was 2024 mit der GreenSign-Gastro-Zertifizierung bestätigt wurde. Die Messegesellschaft ist seit 2009 mit dem Green Globe-Siegel ausgezeichnet und hat sich mit Unterzeichnung des Net-Zero-Carbon-Events-Pledge das Ziel gegeben, bis 2040 CO2-neutral zu wirtschaften.
Diese Gespräche haben gezeigt, dass die Leipziger Messe nicht bei null beginnt, auch wenn KRIDEM das Ressourcensystem erst noch vollständig sichtbar machen wird. Das Unternehmen verfügt über umfangreiche Daten, benennt aber auch klar, wo Messkonzepte verbessert werden können – etwa bei Kälteverbräuchen, Wassergranularität oder Recyclingquoten. Gleichzeitig wurde deutlich, dass operative Realitäten Teil der Analyse sein müssen. Zeitkritische Abbauphasen, parallele Veranstaltungen im Catering, Budgetgrenzen einzelner Aussteller oder organisatorische Routinen lassen sich nicht einfach „wegmodellieren“. Kreislaufwirtschaft im Messekontext wird nur dann praktikabel, wenn sie an diesen Realitäten ansetzt und Lösungen findet, die den Betrieb nicht behindern, sondern unterstützen.

Ende Oktober 2025 hat sich das KRIDEM-Projektteam bei der Leipziger Messe getroffen. Foto: tw tagungswirtschaft / m+a report
„Das Projekt KRIDEM leistet hier echte Pionierarbeit“, verdeutlicht Barbara-Maria Lüder, Managerin Nachhaltigkeit beim AUMA – Verband der deutschen Messewirtschaft. „Zum ersten Mal wird Kreislaufwirtschaft in der Messebranche wissenschaftlich fundiert und praxisnah untersucht. Die Erkenntnisse werden nicht nur der Leipziger Messe, sondern der gesamten Branche helfen, nachhaltige Strukturen zu entwickeln und Transformationsprozesse gezielt voranzutreiben.“ Die Ausgangsbasis hat das Projekt mit der Auswahl der OTWorld und dem Vor-Ort-Termin in Leipzig geschaffen. Im nächsten Schritt werden Stoffströme, Datenpunkte und organisatorische Strukturen systematisch erhoben und analysiert.
Ende Mai 2026 wird die OTWorld zeigen, wie sich Kreislaufwirtschaft unter realen Messebedingungen erfassen lässt – und welche Handlungsempfehlungen daraus entstehen.
