Kreislaufwirtschaft in der Messepraxis

Im Maschinenraum der Leipziger Messe

Das Projektteam von „KRIDEM – Kreislaufwirtschaft in der Messewirtschaft“ zu Gast bei der Leipziger Messe, v. l.: Prof. Dr. Kai-Michael Griese (Hochschule Osnabrück), Michel Ghattas-Kämpfner (Leipziger Messe), Barbara-Maria Lüder (AUMA), Jürgen May (2bdifferent), Prof. Dr. Kim Werner (Hochschule Osnabrück), Dr. Christoph Soukup (2bdifferent), Antje Voigtmann (Leipziger Messe) und Justine Hein (tw tagungswirtschaft/m+a report). Foto: tw tagungswirtschaft/m+a report

Das Projektteam von „KRIDEM – Kreislaufwirtschaft in der Messewirtschaft“ zu Gast bei der Leipziger Messe, v. l.: Prof. Dr. Kai-Michael Griese (Hochschule Osnabrück), Michel Ghattas-Kämpfner (Leipziger Messe), Barbara-Maria Lüder (AUMA), Jürgen May (2bdifferent), Prof. Dr. Kim Werner (Hochschule Osnabrück), Dr. Christoph Soukup (2bdifferent), Antje Voigtmann (Leipziger Messe) und Justine Hein (tw tagungswirtschaft/m+a report). Foto: tw tagungswirtschaft/m+a report

Bevor Kreislaufwirtschaft im Messebetrieb modelliert werden kann, braucht es ein Verständnis dafür, wie eine Messe im Alltag tatsächlich funktioniert. Deshalb hat das KRIDEM-Team am 27. Oktober 2025 einen kompletten Tag auf dem Gelände der Leipziger Messe verbracht. Bei diesem Vor-Ort-Termin wurde deutlich, wie komplex das System Messe ist – und wie viel Potenzial in einer vernetzten Sicht auf Ressourcen steckt.

Kreislaufwirtschaft in der Messebranche klingt zunächst vielleicht nach einem abstrakten Ziel. Nach Strategiepapieren, Szenarien, Zukunftsmodellen. Doch wer verstehen will, wie Ressourcenströme in der Realität einer Großveranstaltung entstehen, muss dorthin gehen, wo Energie verbraucht, Wasser genutzt, Materialien bewegt und Abfälle erzeugt werden: direkt auf das Messegelände, direkt in den Betrieb, in die technischen Zonen, Küchen, Logistikschneisen, Hallenräume und Entsorgungsstationen. Bevor die OTWorld 2026 als Reallabor dienen kann, musste klar werden, wie das Ökosystem „Messe“ funktioniert, welche Daten verfügbar sind, wo Schnittstellen liegen und an welchen Punkten die Theorie der Kreislaufwirtschaft mit der Realität eines eng getakteten Messealltags kollidiert.

Jetzt lesen: Die OTWorld 2026 wird zum Modellfall

Bereits der morgendliche Geländerundgang hat dem Team eindrücklich gezeigt: Die Leipziger Messe ist ein gut geöltes, aber hochkomplexes System. Viele Prozesse greifen ineinander, Ressourcenströme verlaufen durch verschiedene organisatorische Einheiten, und manche Stellschrauben lassen sich nur bedingt unabhängig voneinander bewegen. Gleichzeitig wurde deutlich, wie viele Ansatzpunkte es gibt – und wie wertvoll es ist, die OTWorld als Modellveranstaltung zu nutzen, weil sie durch ihren hohen Anteil an Systemstandbau und ihre klare Prozessstruktur ideale Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Kreislaufanalyse bietet.

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Ein System aus ineinandergreifenden Abläufen

Die Hallen 2 bis 5 der Leipziger Messe ähneln sich baulich, was für spätere Vergleiche von Vorteil ist. Zwischen ihnen liegen sowohl Gastronomieeinheiten der Messe-Tochter fairgourmet als auch die Entsorgungsstationen des Dienstleisters Becker Umweltdienste und damit zentrale Knotenpunkte für die Abfall- und Materialströme. Was für Besucher:innen wie Nebenflächen wirkt, sind in Wahrheit Umschlagpunkte für wesentliche Stoffströme: Lebensmittel, Verpackungen, Wasser, Abwasser, Restmüll, Wertstoffe. Hier entscheidet sich, wie gut Trennprozesse funktionieren – und wo Abfälle in Kreisläufe zurückgelenkt werden können oder verloren gehen.

Foto: 2bdifferent

„Erst wenn wir genau wissen, wo Ressourcen verbraucht, verschwendet oder mehrfach genutzt werden, können wir Kreislaufstrategien gezielt entwickeln.“

Jürgen May, Gründer und Geschäftsführer von 2bdifferent.

Die technische Infrastruktur erlaubt es grundsätzlich, Stände einzeln mit Strom, Wasser und Abwasser zu versorgen. In der Praxis wird der Verbrauch jedoch bislang nur auf Ebene der gesamten Veranstaltung erfasst. Um die Daten noch feiner zu erschließen, schloss sich an den Rundgang eine Reihe von Fachgesprächen an. Sie führten das Projektteam zu den Bereichen, in denen die zentralen Stoffströme der OTWorld entstehen und in denen sich später entscheiden wird, wie belastbar die Analyse ausfallen kann. Den Auftakt machte dabei das Energiemanagement der Leipziger Messe. Katja Krautkrämer, Abteilungsleiterin Betriebsmanagement 1, und Mathias Winkler, Energiemanager Leipziger Messe, können eine solide Datenbasis zu Strom-, Wärme- und Wasserverbräuchen beisteuern, einschließlich eines Flussbilddiagramms, das die größten Verbraucher identifiziert.

In dieser offenen Arbeitsumgebung fanden die Gespräche mit Energie-, Technik-, Catering- und Servicebereichen statt, die für die Stoffstromanalyse der OTWorld 2026 zentral sind. Foto: tw tagungswirtschaft/m+a report

Dazu gehören insbesondere die Messehallen, das Messehaus und das Kältenetz. Photovoltaik auf einzelnen Dachflächen und zwei Blockheizkraftwerke ergänzen die Energieversorgung. Zugleich wurde offen angesprochen, wo bislang Unsicherheiten bestehen: Lastspitzen lassen sich nicht durchgängig und eindeutig zuordnen, und bestimmte Kälteverbräuche werden nur grob erfasst. Die Wasserverbrauchsdaten enden auf Hallenebene; eine Zuordnung zu einzelnen Ausstellern oder Ständen erfolgt derzeit nicht. Für die spätere Analyse ist diese Offenheit ein wichtiger Befund: Denn erst wenn klar ist, welche Messpunkte erweitert werden müssen, lässt sich der Ressourcenbedarf der OTWorld sinnvoll modellieren. Ein anderes Bild ergab dagegen der Austausch mit der Veranstaltungstechnik und dem Geländeservice.

Knappe Zeitfenster

Denn hier wurde deutlich, dass die größten Herausforderungen weniger im theoretischen Prinzip der Kreislaufwirtschaft als in den zeitlichen Abläufen einer Messe liegen. „Zeit und Kosten sind die größten Druckpunkte“, ist sich das Team um Ludwig Behr, Abteilungsleiter der Veranstaltungstechnik der Leipziger Messe, einig. Vor allem beim Abbau bliebe häufig nicht genügend Zeit, um Abfälle sortenrein zu trennen. Das führt dazu, dass gut gemeinte Trennsysteme in der Praxis an Grenzen stoßen. Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen daran, diese Prozesse zu verbessern: Ab Anfang 2026 wird an allen Entsorgungsstationen zusätzliches Personal eingesetzt, das Aussteller und Dienstleister aktiv beim Trennen unterstützt. Zusätzlich wird die visuelle Kennzeichnung der Fraktionen überarbeitet, um Fehlwürfe zu reduzieren. Beides dürfte die Trennqualität verbessern und damit auch die Datenbasis, die KRIDEM später auswertet. Ein weiterer Punkt, der für die Analyse wesentlich ist, betrifft die Recyclingquote: Die Bilanzierung der Abfallströme erfordert nicht nur Mengenangaben, sondern auch Klarheit über die nachgelagerte Verwertung. Zwar können Becker Umweltdienste, die mit der Leipziger Messe bei der Entsorgung zusammenarbeiten, eine Abfallbilanz für die Gesamtveranstaltung liefern, doch die Frage, wie hoch der Anteil tatsächlich recycelter Materialien ist, lässt sich nicht unmittelbar aus den vorhandenen Daten ablesen. Diese Quote muss beim Dienstleister gezielt abgefragt werden – und selbst dann bleibt offen, inwieweit sich die Werte präzise auf die Leipziger Messe herunterbrechen lassen oder ob es sich um aggregierte Unternehmenskennzahlen handelt.

Einer der Entsorgungsbereiche auf dem Leipziger Messegelände: Beim Rundgang wurde deutlich, wie dicht Zeitdruck, Materialflüsse und Trennsysteme im Messebetrieb zusammenspielen – und warum genau hier wichtige Stellschrauben für Kreislaufwirtschaft liegen. Foto: tw tagungswirtschaft/m+a report

Eine andere Form der Komplexität hat sich im Cateringbereich gezeigt. Als Tochtergesellschaft der Leipziger Messe Unternehmensgruppe ist fairgourmet für die Gastronomie in den Hallen sowie in Standservice und Crew-Verpflegung verantwortlich. Für das Projekt KRIDEM ist die Unternehmenstochter damit der zentrale Zugang zu allen Stoff- und Abfallströmen rund um Speisen und Getränke. Obwohl fairgourmet seit Jahren mit hohen Nachhaltigkeitsstandards arbeitet, von fair gehandelten Produkten über weitgehend regionale Lieferketten und Food-Sharing bis zu Mitarbeiterschulungen und Pfandsystemen, ist die Datenerhebung aus Forschungssicht anspruchsvoll. Denn hier zeigt sich eine häufig übersehene Herausforderung für Stoffstromanalysen: Während eine Messe läuft, finden auf dem Gelände häufig mehrere Veranstaltungen gleichzeitig statt, inklusive der Kongresshalle am Zoo, die fairgourmet ebenso beliefert. Der Einkauf erfolgt für diese parallelen Veranstaltungen insgesamt, sodass nicht jede Liefermenge eindeutig einer Messe zugeordnet werden kann. Die gute Nachricht: Präzise Daten gibt es vor allem aus dem Selbstzahlergeschäft. Banketts und Standcatering folgen jedoch eigenen Strukturen, die weniger gut messbar sind. Für das Projekt bedeutet das, dass zu den vorhandenen Zahlen qualitative Gespräche mit Ausstellern und punktuelle Erhebungen nötig sein werden, um die Abfall- und Materialströme rund um Speisen und Getränke realistisch abzubilden. FAIRNET, ebenfalls Tochter der Leipziger Messe, arbeitet als Projektmanagement-Agentur und setzt die Messestände mit externen Partnern um. Nachhaltige Materialen und modulare Lösungen gehören zum Portfolio, stoßen aber wie überall in der Messewirtschaft oft noch an Budgetgrenzen der Aussteller oder an verfügbare Lagerkapazitäten. Für KRIDEM ist vor allem eine Besonderheit der OTWorld entscheidend: Die Messe weist einen hohen Anteil an Systemstandbau auf. Systemstände basieren auf modularen Bauteilen, die standardisiert, wiederverwendbar und klar dokumentiert sind. Damit sind Materialen häufig eindeutig klassifizierbar, ihre Transportwege nachvollziehbar und Wiederverwendung messbar sowie Vergleiche zwischen Ausstellern robust möglich.

Rundgang durch die Messehallen: Das KRIDEM-Team im Austausch mit den Verantwortlichen der Leipziger Messe zu Abläufen, Logistik und technischen Schnittstellen. Foto: tw tagungswirtschaft/m+a report

Eine wichtige Datenquelle ist dabei das digitale Tool Delegatis, über das Aussteller ihre Bauhöhen, technischen Anforderungen und genehmigungspflichtigen Elemente erfassen. Delegatis dokumentiert zwar nicht unmittelbar, ob es sich um einen System- oder Individualstand handelt, ermöglicht aber indirekte Rückschlüsse: Stände über vier Meter Bauhöhe sind nahezu immer Individualbau, während Systemstände über das Bestellsystem der OTWorld klar zugeordnet werden können. In Kombination ergeben beide Datenquellen eine hinreichend präzise Grundlage, um Standtypen und daraus entstehende Materialströme in der Analyse differenziert abzuleiten.

Leipzig denkt Nachhaltigkeit

Um die OTWorld zu analysieren, darf man die Stadt Leipzig nicht ausblenden. Viele Ressourcenströme entstehen nicht nur auf dem Messegelände, sondern davor, danach und daneben: In der Mobilität der Gäste, in der regionalen Logistik, in Hotellerie, Gastronomie und Kultur. Genau deshalb war das Gespräch mit Emilie Dias, Senior Projektmanagerin Events & Nachhaltigkeit von Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) ebenfalls ein wichtiger Teil des KRIDEM-Besuchs. „Die Akteure in der Stadt sind bereit, mitzumachen“, so Dias, und hat damit auch das Bestreben der LTM, gemeinsam mit den Partnern der Region, die Destination als nachhaltigen Tagungs- und Veranstaltungsstandort zu positionieren, gemeint.

Die acht Handlungsfelder der Touristischen Nachhaltigkeitsstrategie der Region Leipzig

  1. Transparente Information und Kommunikation
  2. Vernetzung lokaler Betriebe und Wirtschaftskreisläufe
  3. Attraktive Arbeitsbedingungen / Soziale Nachhaltigkeit
  4. Förderung kultureller Identität und Schutz des Kulturerbes
  5. Umweltfreundliche Mobilität
  6. Reduktion der Ressourcenverbräuche und Förderung des Klimaschutzes
  7. Leipzig als nachhaltiger Tagungs- und Kongressstandort
  8. Kombination und Neuentwicklung nachhaltiger Angebote

Grundlage sind international etablierte Nachhaltigkeitsstandards und ein systematischer Entwicklungsansatz, der Mobilität, Energie, Umwelt und regionale Wertschöpfung zusammenführt. Dazu verfolgt die Region Leipzig eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie für den Tourismus mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2030. Darin sind acht Handlungsfelder definiert — darunter Nachhaltigkeit, Mobilität, Ganzjahrestourismus, Digitalisierung und Tourismusmarketing — sowie ein Maßnahmenkatalog mit 70 Einzelelementen, die Schritt für Schritt umgesetzt werden sollen. Die ersten konkreten Schritte laufen bereits: Nachhaltige Mobilitätsangebote werden ausgebaut, lokale Wirtschaftspartner in Wertschöpfungsketten eingebunden und touristische Dienstleistungen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Hinzu kommt die Leipziger Messe selbst, die als zentraler Akteur der Destination weit über ihr Gelände hinauswirkt. Sie ist seit 2009 mit dem Green-Globe-Siegel zertifiziert – einem der weltweit etablierten Zertifizierungsprogramme für nachhaltiges Wirtschaften in der Tourismus- und Veranstaltungsbranche. 2025 wurde diese Zertifizierung erneut bestätigt. Das Messe-Unternehmen verfolgt unter dem Leitmotiv „Wachsen in Balance“ eine klare Nachhaltigkeitsstrategie, die erneuerbare Energie, ressourcenschonende Technik, nachhaltige Mobilitätsangebote und CO2-Reduktionsziele umfasst. Seit 2023 bezieht sie ihren Strombedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen; zusätzlich erzeugen eigene Photovoltaikanlagen Strom auf dem Gelände.

Foto: tw tagungswirtschaft/m+a report

Der Besuch hat gezeigt, wie viel Potenzial im Alltag einer Messe steckt – und wie schnell es sich im Zusammenspiel von Zeitdruck, Routinen und parallelen Abläufen verflüchtigen kann. Die OTWorld bietet nun die seltene Gelegenheit, genau diese Dynamiken sichtbar zu machen: Wo Stoffströme entstehen, wo sie versickern und wo Kreisläufe realistischerweise greifen können. In den kommenden Monaten wird KRIDEM diese Beobachtungen mit den verfügbaren Daten zusammenführen und prüfen, welche Ansätze unter echten Messebedingungen tragfähig sind. Damit rückt eine Frage in den Mittelpunkt, die weit über Leipzig hinausweist: Wie lässt sich Kreislaufwirtschaft so in den Betrieb übersetzen, dass sie nicht als Zusatzaufgabe wahrgenommen wird, sondern als integraler Bestandteil eines funktionierenden Messealltags?

Justine Hein

KRIDEM

Das Forschungsprojekt KRIDEM – „Kreislaufwirtschaft in der Messewirtschaft“ steht unter der wissenschaftlichen Leitung der Hochschule Osnabrück. Es geht um die Erforschung und Erprobung von Prinzipien der Circular Economy in der Messe- und Veranstaltungsbranche: Ziel ist es, Messegesellschaften, Aussteller, Dienstleister und die städtische Infrastruktur auf ihre Ressourcennutzung hin zu untersuchen und gemeinsam zirkuläre Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zugrunde liegt ein Nexus-Ansatz, der Material-, Energie-, Wasser- und Abfallströme gesamthaft betrachtet und miteinander vernetzt. Damit die Forschung praktikable Ergebnisse liefert, sind namhafte Branchenpartner beteiligt, darunter der deutsche Messeverband AUMA, die CSR-Agentur 2bdifferent, die Messearchitekten imb troschke, die Leipziger Messe sowie die Fachmedienmarke tw tagungswirtschaft & m+a report. Das Projekt läuft über den Zeitraum von Januar 2025 bis Dezember 2026 und wird mit insgesamt 150.000 Euro von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.

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