Events und Kommunikation.

Runter von der Insel

2021 ging der DGN-Kongress noch komplett online an den Start: Das dreisträngige Live-Programm – hier die Keynote zur Eröffnung von Digitalexperte Sascha Lobo – wurde vor Ort im Kongresszentrum City Cube Berlin produziert und in Echtzeit ausgestrahlt. Auch das gehört mittlerweile zur Eventkommunikation. Foto: DGN, Claudius Pflug

2021 ging der DGN-Kongress noch komplett online an den Start: Das dreisträngige Live-Programm – hier die Keynote zur Eröffnung von Digitalexperte Sascha Lobo – wurde vor Ort im Kongresszentrum City Cube Berlin produziert und in Echtzeit ausgestrahlt. Auch das gehört mittlerweile zur Eventkommunikation. Foto: DGN, Claudius Pflug

Theoretisch war Eventkommunikation schon immer ein Teil der Unternehmenskommunikation – derjenige, der strategische Botschaften erlebbar macht. Praktisch war es mit der strategischen Einbindung oft nicht weit her. Das ändert sich gerade dank Digitalisierung – und diese Veränderung bedeutet weit mehr, als dass nur auf Drucksachen verzichtet wird. Sie bedeutet eine Neudefinition der Rolle von Eventverantwortlichen.

Früher hat man noch Faxe verschickt. Etwa, um sich bei einem Kongress anzumelden oder um ihn vorab anzukündigen. Dazu gab es Briefe und Großbriefe mit Kongressbroschüren und Programmen, redaktionelle Berichte in Fachzeitschriften, Poster oder Werbeanzeigen. Später dann E-Mails, Newsletter und irgendwann auch digitale Apps, die neue Kommunikationswege zwischen Veranstaltern und Teilnehmenden eröffneten. Eventkommunikation wurde langsam digitaler. Und dann kam das Corona-Virus.

„Durch die Pandemie haben wir plötzlich einen riesengroßen Sprung in Richtung Digitalisierung gemacht“, sagt David Friedrich-Schmidt. Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) war damals noch Leiter der Veranstaltungsabteilung des medizinischen Fachverbandes und ganz nah dran an der Transformation des jährlichen DGN-Kongresses. Nach zwei rein digitalen Ausgaben 2020 und 2021 findet dieser im November 2023 nun zweigleisig statt. „Wir haben uns 2022 entschieden, nur noch hybride Veranstaltungen zu machen“, erklärt er. So werde niemand ausgeschlossen, auch wenn er oder sie eine Präsenzteilnahme in Berlin nicht einrichten kann.

Und natürlich wird dank dieser Veränderungen auch anders kommuniziert. Nicht nur, weil neue Abläufe und Funktionsweisen erklärt werden müssen. Sondern auch, weil sich die Wege ändern, über die Informationen zur Veranstaltung geteilt werden. „2024 werden wir erstmals auf Drucksachen wie Ankündigungen und Vor- oder Hauptprogramm verzichten und dann nur noch online kommunizieren“, erklärt der DGN-Chef. Mögliche Streuverluste, da die Post eben zuverlässiger ankommt als digitale Nachrichten, nimmt er dabei erst einmal in Kauf.

Foto: Christian Festag

„2024 werden wir erstmals auf Drucksachen wie Vor- oder Hauptprogramm verzichten und dann nur noch online kommunizieren.“

David Friedrich-Schmidt, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)

Langfristig werden die Streuverluste allerdings kein großes Thema sein, denn Eventkommunikation muss sich ohnehin noch grundsätzlicher ändern, ist Kommunikationsberaterin Kerstin Hoffmann-Wagner überzeugt. Zum Beispiel sollten Verantwortliche aufhören, Botschaften einfach nur zu senden, erklärt sie: „Wichtiger ist es, eine gute Beziehung zur eigenen Zielgruppe aufzubauen.“ Neben Kongress-App, Website und Newsletter müssen deshalb etwa auch die sozialen Medien genutzt werden, denn Beziehungsaufbau gelingt nur im Dialog. „Das aber passiert nicht mal eben nebenbei“, warnt die Kommunikationsexpertin. Es erfordert Zeit, Budget und Kompetenzen, die bisher nicht zum Standardprofil eines Eventplaners gehörten.

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Dialog in Dauerschleife: Community-Building

Beim Bundesverband für Industriekommunikation (bvik) weiß man das und nutzt vor allem LinkedIn, um einen lebendigen Dialog zu den Mitgliedern aufrechtzuerhalten. Hier wird zum Austausch eingeladen, aber auch „Social Listening“ praktiziert, es werden also Online-Unterhaltungen verfolgt, um herauszufinden, was die Branche bewegt. Für Michaela Susan Pollok, Head of Event & Social Media beim Bundesverband für Industriekommunikation (bvik), gehört auch das mittlerweile zur Eventkommunikation. „Events – und gerade große Kongresse oder Messen – finden ja nie in einem luftleeren Raum statt“, erklärt die Veranstaltungsverantwortliche. Sie nehmen Branchentrends auf und machen neue Trends sichtbar, die dann wieder in kleineren Veranstaltungen oder White Papers vertieft werden.

Photo: bvik

„Eventkommunikation darf keine Einbahnstraße sein!“

Michaela Susan Pollok, Head of Events & Social Media beim bvik – Bundesverband für Industriekommunikation, Live-Marketing-Fan und Storytellerin, über gute Eventkommunikation im Großen und im ganz Kleinen.

Hier geht es zum Interview

Außer über LinkedIn hält der bvik auch über Umfragen, thematische Diskussionen und einen Expertenbeirat Kontakt zur Community. Die vielschichtige Herangehensweise ist wichtig, meint Kommunikationsprofi Hoffmann-Wagner: „Ein authentisches Community Management erfordert, dass das ganze Jahr über kommuniziert wird – und nicht mehr nur rund um eine Veranstaltung.“ Das lohnt sich, denn es hilft zum einen bei einer zielgruppengerechten Eventkonzeption. Zum anderen erhöht der regelmäßige Austausch mit bisherigen und potenziellen Teilnehmenden, Kooperationspartnern und Multiplikatoren auch einfach die Reichweite und trägt dazu bei, das Momentum einer Veranstaltung zu verlängern.

Vier gute Gründe für Community Management

Es funktioniert aber auch umgekehrt, wie Mathias Sondermann, Head of Global Event Standardization bei der SAP AG, feststellt. Dort kommt es nicht darauf an, die Wirkung eines einzelnen Events zu verlängern. Für den Software-Anbieter geht es vor allem darum, Veranstaltungen sinnvoll in die Customer Journey für die Kunden von SAP-Produkten einzubinden. „Wir pflegen eine Community zu bestimmten Produkten oder Bereichen, in denen die Mitglieder von verschiedenen Mehrwerten profitieren“, so der SAP-Manager. Und ab und zu ist dieser Mehrwert eben ein Event für die Community.

Markenbildung funktioniert über Inhalte

Letztlich geht es beim Community-Building darum, die eigene Bekanntheit zu steigern und Vertrauen aufzubauen, erklärt Kerstin Hoffmann-Wagner. Die regelmäßige persönliche Begegnung mit und ohne Events unterstützt so die Unternehmenskommunikation wie bei SAP oder schärft das Profil einer Veranstaltung. Gerade Letzteres wird für Veranstalter immer wichtiger, erklärt Michaela Susan Pollok: „Weil die Menschen sehr wählerisch geworden sind, ist es wichtig, eine eigene Marke aufzubauen.“ Für den bvik setzt die Event-Chefin auf eine stetige Social-Media-Präsenz vor, während und nach dem TIK, bei der sie auch die Community aktiv einbindet: „In diesem Jahr haben wir etwa ein Drittel der Teilnehmenden als Markenbotschafter gewonnen: Sie haben auf ihren eigenen Kanälen von ihrem Kongressbesuch berichtet und so unsere Reichweite deutlich erhöht.“

Unverzichtbar, um sich in einer stetig wachsenden Flut an Eventangeboten zu behaupten, sind zudem gute Inhalte, die neugierig machen und auch langfristig Interesse wecken, wie Beraterin Hoffmann-Wagner unterstreicht. „Es geht um eine gekonnte Mixtur aus gutem Content, der mit durchdachtem Spannungsbogen bis zur Veranstaltung arrangiert wird“, erklärt sie. Beim TIK 2023 im Juni gelang dies mit einem durchgeplanten Storytelling, das Bälle visuell und metaphorisch auf und neben der Bühne in den Mittelpunkt stellte: Beispielsweise durch den Ballkünstler Christoph Rummel, der live demonstrierte, wie es gelingen kann, zahlreiche Bälle – also Aufgaben – in der Luft zu halten, und wann es nötig ist, welche gezielt abzuspielen. „Seit 2020 gestalte ich den Tag minutiös mit einem roten Faden und schreibe dafür sogar einen Regieplan“, erklärt Michaela Susan Pollok. Auch in der Vor- und Nachberichterstattung wird das Bild immer wieder aufgenommen und unterhaltsam weitergesponnen.

Auf dem Tag der Industriekommunikation 2023 TIK spielten Bälle eine große Rolle: Sie zogen sich als Metapher durch Dekoration, Vortragsprogramm und auch durch die Eventkommunikation. Foto: bvik

Darüber hinaus entsteht auf der Jahresveranstaltung auch viel Content, der übers folgende Jahr verteilt wieder in die Community eingespeist und für die generelle Verbandskommunikation genutzt wird. Dafür gibt es beim bvik einen Redaktionsplan, der Inhalte und Kommunikationswege bis zum nächsten Jahreskongress strategisch koordiniert. Bei SAP werden die für Events produzierten Vorträge oder Anleitungen für eine Zweitverwertung archiviert und häufig direkt lokalisiert, um in einer anderen Sprache verwendet werden zu können. „Auf jeden Fall wird der Content ins Gesamtmarketing-Konzept eingebunden“, unterstreicht Mathias Sondermann.

Kongresse sind Content-Generatoren

Das wird auch bei der Deutschen Gesellschaft für Neurologie so gemacht. Eventkommunikation bedeutet bei dem Fachverband auch, die auf dem Jahreskongress gesammelten Inhalte sinnvoll an die Mitglieder weiterzugeben, um einen handfesten Mehrwert zu schaffen – und damit gute Argumente für eine Mitgliedschaft zu liefern. „Wer ein Kongressticket kauft, hat ein Jahr lang Zugriff auf alle Inhalte, die dort generiert wurden“, erklärt DGN-Chef Friedrich-Schmidt. Darüber hinaus werden Inhalte – z.B. Aufzeichnungen von Workshops und sogenannten „Skill Labs“ – auch allen Verbandsmitgliedern zur Verfügung gestellt. An den vier Kongresstagen werden zudem ein tägliches Kongress-TV und eine abendliche Talkshow produziert, die nach Kongressschluss als Web-Cast öffentlich ausgestrahlt wird. Dafür wird ein eigenes TV-Studio mit anspruchsvoller Technik aufgebaut.

Eventkommunikation auf höchstem Niveau: Beim DGN-Kongress wird aus dem TV-Studio vor Ort berichtet.

Photo: DGN, Claudius Pflug

Die auf dem medizinischen Fachkongress produzierten Inhalte sind so nicht nur häufig brandaktuell, sondern immer auch sehr hochwertig. „Wir werden immer mehr von einer medizinischen Fachgesellschaft zu einem Informationsdienstleister – einem Newsroom für Neurologen und Neurologinnen“, stellt der DGN-Geschäftsführer fest. Davon gebe es im Netz zwar einige, so der Verbandschef, doch die meisten sind von kommerziellen Interessen getrieben und daher nicht unabhängig, wie es die DGN sein kann. Daher goutieren die Mitglieder das Engagement sehr – und der Verband hat keine Investition in puncto Eventkommunikation bereut, versichert David Friedrich-Schmidt. Mittlerweile gibt es eine eigene Service-GmbH, die sich u.a. um Redaktion, Technik und Design für die Content-Produktion kümmert. Und auch wenn die sich natürlich auch um andere Neuigkeiten aus der Neurologie kümmert, ist ein Großteil immer noch Eventkommunikation: „Über 50 Prozent des Contents stammen aus unserem DGN-Kongress und anderen, kleineren Veranstaltungen“, so der DGN-Geschäftsführer.

Integration statt Insellösung

So hat die Pandemie nicht nur der Digitalisierung einen großen Anschub verpasst. Sie hat auch für eine Integration der Kommunikation gesorgt, findet Mathias Sondermann: „Sie hat die Tendenz der ‚Ent-Siloisierung‘, die es schon vorher gab, deutlich vorangetrieben.“ Events werden immer besser in Kampagnen eingebunden und so ein strategischer Teil des Marketing-Mixes. Bei SAP haben sich während der Lockdowns verschiedene Abteilungen aus eigenem Antrieb zusammengesetzt und Veranstaltungen gemeinsam durchdacht, berichtet der Head of Global Event Standardization. „Der Vertrieb, die Eventabteilung und das Digitalteam haben gemeinsam überlegt, wie man die Kunden am besten erreicht, aber auch, welche Daten man am besten erhebt und welche anderen Abteilungen noch die Informationen brauchen könnten.“

Foto: Thorben Grosser, EventMobi

Eventkommunikation per Tool?

Vor jeder Entscheidung für eine technologische Kommunikationslösung sollten Eventverantwortliche sich vier strategische Fragen stellen, meint Thorben Grosser, Vice President of Product & Marketing bei EventMobi. Denn Tools entlasten nur, wenn sie wirklich passen.

Hier geht es zu den vier Fragen

Diese Entwicklung weg von einer monolithischen Großveranstaltung hin zu einer verstetigten, integrierten Kommunikation mit der Zielgruppe sieht Thorben Grosser bei vielen Veranstaltenden. Der Vice President of Product & Events vom Plattformanbieter EventMobi stellt fest, dass die Digitalisierung inzwischen überall angekommen ist: „Und als Nächstes werden die Grenzen nach links und rechts eingerissen.“

Bei Verbänden etwa wird z.B. die Abgrenzung zwischen Mitgliederservice und Eventmanagement immer dünner, im Idealfall kooperieren beide Abteilungen konstruktiv wie bei SAP und nutzen dafür gemeinsame Prozesse und Tools. „Es geht vor allem darum, zu vermeiden, Daten in Silos zu haben“, erklärt der Technologie-Experte. Denn Doppelungen sind fehleranfällig und Fehler sind gerade in der persönlichen, möglichst individualisierten Kundenansprache, die Events heute bieten sollten, fatal.

Social Media Management gefragt

Diese neuen Facetten der Eventkommunikation sind herausfordernd für Eventverantwortliche. Wo man früher hoch konzentriert auf ein Event hinarbeitete und sich dann wieder mit anderen Dingen beschäftigen konnte, sind sie heute permanent gefordert. „Communities zu pflegen, ist etwas ganz anderes, als Gastgeber zu sein“, bringt Thorben Grosser es auf den Punkt. Bei dieser Art der Eventkommunikation können viele Kongressplattformen und technische Tools zwar helfen, sie erfordert aber einen täglichen Einsatz das ganze Jahr über und neue Skills, z.B. in Social Media Management.

Digital Workshop: Social Media in der Event­kommunikation

Im Digital Talk der dfv Conference Group am 2. November 2023 erklärt Kerstin Hoffmann-Wagner von 9:30 Uhr bis 12:30 Uhr, wie sich Events auf LinkedIn, Facebook, Instagram und Co kommunikativ begleiten lassen.

Hier steht mehr zu Inhalten und Anmeldung

Was integrierte, strategische Eventkommunikation aber auch braucht, ist eine neue Offenheit. Die Verantwortlichen sollten anfangen, strategisch zu denken und sich selbst nach rechts und links zu vernetzen. Denn sie brauchen ein offenes Ohr für die Anliegen und Chancen, die es in anderen Abteilungen gibt, und gute Partnerschaften, um die neuen Aufgaben zu bewältigen, meint Mathias Sondermann von SAP: „Im Grunde bedeutet die Entwicklung, dass die Rolle des Eventmanagements aufgewertet wird: Der Eventplaner wird vom Logistiker zum Strategen.“ Und die neue Rolle erfordert vor allem eines von den Verantwortlichen: gute Kommunikation.

Sylvia Lipkowski

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