
Interview Ilona Jarabek
„Klare Positionen, klare Forderungen, klare Zukunftsausrichtung“
Foto: EVVC
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Ilona Jarabek ist Präsidentin des EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren und Geschäftsführerin der Musik- und Kongresshalle Lübeck. Im Interview spricht sie über getrennte Wege in der Geschäftsführung, den Klimawandel, der sie schon mal um den Schlaf bringt, und eine Kandidatur für das Präsidentenamt 2024.
tw tagungswirtschaft: Dieses Interview war als erste Zwischenbilanz mit Sabina Linke geplant, eben noch Geschäftsführerin des Europäischen Verbandes der Veranstaltungs-Centren. Nach nur sechs Monaten trennen sich Ihre Wege. Wie ist das gekommen?
Ilona Jarabek: Es kommt in den besten Partnerschaften vor, dass getrennte Wege für beide Seiten eine gute Lösung sind. Sabina Linke war engagiert, gut vernetzt und hat Impulse eingebracht. Die Entscheidung erfolgte im beiderseitigen Einvernehmen. Die Stelle ist aktuell hier ausgeschrieben.
In Ihren Worten oder mit drei Hashtags: Wie stellen Sie sich die ideale Geschäftsführerin oder den idealen Geschäftsführer vor? Worauf legen Sie als Präsidentin Wert in der Geschäftsführung?
Unser Suchprofil hat sich nicht verändert. Der EVVC braucht eine kommunikative, strategisch denkende Führungspersönlichkeit, die sich auch in der digitalen Welt auskennt. Operative Fähigkeiten und Leidenschaft für unsere Branche sind selbstverständlich auch gefragt. Das Präsidium geht natürlich offen in den Bewerbungsprozess.
In der Pressemeldung zu den getrennten Wegen steht, dass es unterschiedliche Vorstellungen bei der strategischen Ausrichtung gab. Wie beschreiben Sie in einem Post auf LinkedIn Ihre Vorstellung zur strategischen Ausrichtung des EVVC?
Der EVVC stellt sich als verlässliche Netzwerkplattform für Mitglieder und Partner auf. Diese serviceorientierte Ausrichtung hat sich besonders in der Corona-Zeit bewährt und bleibt wichtige Basis. Unsere Mitglieder agieren nie allein auf dem Veranstaltungsmarkt, daher sind Kooperationen mit anderen Playern der Veranstaltungswirtschaft ein Herzstück unserer Arbeit, denn wir wollen weiterhin wirkungsvoll im Schulterschluss nach außen auftreten und gemeinsam politische Interessenvertretung betreiben. Als Verband beschäftigen wir uns intensiv mit der Sichtbarmachung der Veranstaltungsbranche in Politik und Gesellschaft. Klare Positionen, klare Forderungen, klare Zukunftsausrichtung. Dabei gilt es immer wieder, über den Tellerrand zu blicken: So sind Forschungsthemen wie Innovationsverbund Future Meeting Space und das Thema Internationales wichtig und voranzutreiben.
Photo: EVVC
Statement Sabina Linke zur einvernehmlichen Trennung:
„Eine Trennung nach einer mit Begeisterung geschlossenen Partnerschaft ist selten das Ergebnis einer spontanen Entscheidung, sondern ihr gehen zumeist viele Gespräche und Abwägungen voran. So war es auch hier. Ich liebe Herausforderungen und mein Herz schlägt für unsere Branche, weshalb ich mich mit vollem Engagement der neuen Aufgabe gewidmet habe. Mir hat meine Reise mit dem EVVC sehr viel Freude gemacht. Die letzten sechs Monate haben allerdings gezeigt, dass es an diversen Stellen „nicht gepasst hat“. Ich wünsche dem Verband mit seinem Präsidium, dem Vorstand und seinen Mitgliedern sowie der Geschäftsstelle nun alles Gute für die weitere Zukunft und bin sicher, dass das Präsidium eine geeignete Nachfolge finden wird.“
Sabina Linke
Der Europäische Verband der Veranstaltungs-Centren hatte vor Corona im Jahr 2019 750 Mitgliedshäuser, jetzt sind es nur noch 650. Wie ist das gekommen und wie wollen Sie diese Entwicklung wieder umkehren?
Wir müssen unterscheiden zwischen Mitgliedshäusern und Mitgliedern. Unsere Mitgliederzahlen sind mit 312 trotz der immensen Herausforderungen der Corona-Pandemie relativ stabil geblieben. Die scheinbar starke Abnahme der Mitgliedshäuser ist – ein Mitglied kann verschiedene Locations betreiben – durch eine interne Umstellung unserer Datenbank zu erklären: Lange waren dort die verschiedenen Hallen eines Messegeländes als einzelne Locations erfasst, nun wurden diese zu einem Mitgliedshaus zusammengefasst. Natürlich möchten wir unser starkes Netzwerk in Zukunft noch weiter ausbauen und sind überzeugt, neue Mitglieder durch die vielen Vorteile einer EVVC-Mitgliedschaft gewinnen zu können.
Im Meeting- und Eventbarometer 2023 gehen die Meinungen auseinander bei der Frage: „Was verändert sich am wahrscheinlichsten bei künftigen Business Events?“ Die Veranstalter meinen, dass Veranstaltungen wieder vermehrt virtuell durchgeführt und überwiegend hybrid geplant werden. Die Anbieter nicht. Woran liegt das?
Hier schaut jeder durch seine Brille. Viele der virtuellen Veranstaltungen landen erst gar nicht bei den Anbietern, die virtuelle Veranstaltungsmöglichkeiten schaffen können, aber doch im Herzen Präsenzanbieter sind. In der Musik- und Kongresshalle Lübeck sind die Anfragen zu virtuellen Veranstaltungen seit Ende der Pandemie fast auf null zurückgegangen. Gut ist, dass die Veranstalter je nach Format und Zielgruppe entscheiden können.
Der Europäische Verband der Veranstaltungs-Centren e. V. (EVVC)
Der EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren repräsentiert 650 Veranstaltungszentren, Kongresshäuser, Arenen und Special Event Locations in Europa. Seinen Mitgliedern und Partnern bietet der EVVC eine Plattform der Kommunikation, Informationen und Hilfestellungen für die tägliche Arbeit sowie Impulse für branchenrelevante Themen.
Welche drei Themen beschäftigen Sie und Ihre Mitglieder aktuell am meisten?
Erstens der Fach- und Arbeitskräftemarkt: Hier gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit Konzepten auseinandersetzt und Best Practices sammelt. Das Spektrum reicht vom Aufzeigen der Attraktivität der Veranstaltungswirtschaft, z.B. mit dem Future Talents Day, über die Novellierung der Ausbildungscurricula bis hin zu Strategien zur Bindung von Arbeitskräften und der Förderung von Frauen im Netzwerk Women in congress & events, für das ich mich persönlich sehr einsetze. Zweitens das Thema Nachhaltigkeit: Aktuell gibt es eine Arbeitsgruppe zum Thema Klimaneutralität, aber auch weitere nachhaltige Maßnahmen stehen im Fokus. Alle zwei Jahre treffen wir uns zur Sustainable Events Conference (SECON), außerdem diskutieren wir das Thema auf unserer diesjährigen EVVC-Fachtagung. Drittens sind die veränderten Rahmenbedingungen wie die aktuellen Preissteigerungen und einhergehend die Wiedergewinnung unseres Publikums weitere brennende Themen.
Gibt es eine Herausforderung, die Sie um den Schlaf bringt?
Es gibt mehrere. Der Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und die Sorge um den Verlust demokratischer Werte beschäftigen mich schon sehr. Komplexe Herausforderungen fordern auch komplexe Lösungen. Es geht meist nicht mehr um richtig und falsch – und manchmal muss ein Weg eingeschlagen werden, ohne dass ich weiß, ob es ein guter Weg ist. Das bereitet mir schon mal schlaflose Nächte.
Was unternehmen Sie dagegen?
Ich bleibe in Bewegung – mental wie körperlich. Ich bin viel in der Natur und mit innovativ denkenden Sparringspartner:innen im Austausch. Da hilft unsere wunderbar vielfältige Branche, von Live-Entertainment mit berührenden Momenten über Sportevents bis hin zu inspirierenden Messe- und Tagungsveranstaltungen. Mir gibt das immer wieder neue Energie!

Ilona Jarabek diskutiert im Panel zur Sustainable Events Conference (SECON) 2023 in Osnabrück. Foto: EVVC, Felix Gunkel
Lassen Sie uns auf ein Thema schauen, das Sie schon mal schlaflos lässt: den Klimawandel. Der Juli 2023 war der wärmste Juli und der wärmste Monat seit Beginn der Messungen. Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregen, Stürme und Dürre können Events gefährden. Befasst sich der EVVC mit einem Risiko-Management und Maßnahmenplan für den Fall, dass eine Veranstaltung in einer Ihrer Veranstaltungshäuser betroffen ist?
Das Thema haben wir im Verband vor Augen, jedoch ist derzeit kein Maßnahmenplan im Sinne eines Risiko-Managements geplant. Hier muss sicher jedes betroffene Haus sehr individuell in der jeweiligen Lage agieren. Es ist denkbar, dass die Häuser wie im Rahmen der Flüchtlingswelle oder auch in Corona-Zeiten neue Funktionen übernehmen, also z.B. ein Zufluchtsort darstellen. Konkret bei extremer Hitze könnten Menschen sich in klimatisierten Veranstaltungsräumen aufhalten, gegebenenfalls auch bei Überschwemmungen, sofern das Haus nicht selber betroffen ist.
„Das extreme Wetter, von dem im Juli viele Millionen Menschen betroffen waren, ist leider die harte Realität des Klimawandels und ein Vorgeschmack auf die Zukunft“, sagt Prof. Petteri Taalas, Generalsekretär der Weltorganisation für Meteorologie. Und weiter: „Die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, ist dringender als je zuvor. Klimamaßnahmen sind kein Luxus, sondern ein Muss.“ Stimmen Sie ihm zu?
Ja! Wir haben bereits jetzt erhebliche Probleme mit Hitze, Dürre und Extremwetter. Ohne dass wir etwas unternehmen, steuern wir auf eine drei Grad wärmere Welt zu. Zudem erwärmen sich Landmassen deutlich schneller als die Meere. An Land haben wir bereits jetzt mehr als 1,5°C Temperaturerhöhung, und die Städte erwärmen sich noch schneller. Damit könnte, was heute in Sizilien oder Griechenland Realität ist, in einigen Jahrzehnten auch in Lübeck oder Frankfurt Realität sein. Seit Jahren wird viel geredet und gewarnt. Ich vermisse innovative Maßnahmen, die endlich umgesetzt werden, und ein Umdenken im Kopf jener Politiker:innen, die den Klimawandel als einen Zeitgeisteffekt abtun. Spätestens jetzt ist hoffentlich allen klar, dass wir nachhaltig handeln müssen, um die weitere Erwärmung zu verhindern.
„Was heute in Sizilien oder Griechenland Realität ist, könnte in einigen Jahrzehnten auch in Lübeck oder Frankfurt Realität sein. Seit Jahren wird viel geredet und gewarnt. Ich vermisse innovative Maßnahmen, die endlich umgesetzt werden, und ein Umdenken im Kopf jener Politiker:innen, die den Klimawandel als einen Zeitgeisteffekt abtun. Spätestens jetzt ist hoffentlich allen klar, dass wir nachhaltig handeln müssen, um die weitere Erwärmung zu verhindern.“
Ilona Jarabek, Präsidentin des EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren und Geschäftsführerin der Musik- und Kongresshalle Lübeck
Photo: EVVC
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Und welche Klimaschutzmaßnahmen sollten die Veranstaltungszentren jetzt ergreifen?
Der EVVC hat dafür eine Strategie zur Klimaneutralität erarbeitet, die nun schrittweise umgesetzt wird. Weitere Ansatzpunkte für eine Klimaanpassung sind, mehr Grün in den Städten zu schaffen und weniger versiegelte Flächen. Das Grün sorgt für Schatten und Abkühlung und mindert Überschwemmungen bei Starkregen. Hier können Veranstaltungshäuser unterstützen, indem sie ihre Dächer, Flächen oder Fassaden entsprechend gestalten. Diese Aktivitäten befinden sich aber noch am Anfang. Das Zentrum für Umweltkommunikation in Osnabrück versickert etwa alles Regenwasser auf seinem mit Bäumen bepflanzten Gelände und hat auf dem neuen Ausstellungsgebäude ein Gründach, kombiniert mit Photovoltaik.
Veranstaltungshäuser sollten alle Emissionen reduzieren, die sie direkt beeinflussen können. Der Weg dazu sind Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Effizienzmaßnahmen fangen bei Dämmung und Abdichtungsmaßnahmen an und gehen weiter über optimierte Lüftungssteuerungen und einen hydraulischen Abgleich. Bei regenerativen Energien kommen die Solaranlage auf dem Dach und zertifizierte Verträge für eine Energieversorgung mit erneuerbaren in Frage. Natürlich gibt es weitere Bereiche, die im Sinne der Nachhaltigkeit bearbeitet werden können wie z.B. Mobilitäts- und Cateringkonzepte. Ich wünsche mir seit Jahren, dass sich alle unsere Mitglieder zur Nachhaltigkeit bekennen, entweder über den Kodex fairpflichtet oder auch durch eine Zertifizierung wie Green Globe. Wir bringen viele Menschen zusammen, daher ist es – gerade für die kommunalen Häuser – eine wichtige gesellschaftliche Vorbildfunktion. Da ist noch Luft nach oben.
Bekennen sich noch nicht alle der EVVC-Mitglieder zur Nachhaltigkeit?
Ich bin überzeugt, dass sich alle Mitglieder mit dem Thema beschäftigen und auch etwas tun, dennoch zeichnen nicht alle bei der kostenfreien Möglichkeit fairplichtet.
Der EVVC plant bis 2030 flächendeckend Angebote für klimaneutrale Veranstaltungen. Wie wollen Sie das erreichen?
Unser Ziel ist es, Emissionen zu reduzieren und auf eine erneuerbare Energieversorgung umzustellen. Zunächst haben wir uns in Workshops damit beschäftigt, wie diese Emissionen sicher und glaubwürdig ermittelt und erfasst werden können. Wir können interessierten Mitgliedern bald auch Hilfestellungen zur Verfügung stellen. In einer Übergangszeit wird es aber auch Kompensationsmaßnahmen brauchen. Hier haben wir uns damit beschäftigt, welche Maßnahmen sinnvoll, nachvollziehbar und glaubwürdig sind. Nach der Sommerpause werden wir in den Workshops das Thema Nachhaltige Ernährung und die Ermittlung der CO2-Emissionen angehen. Weitere Interessenten sind willkommen.
Die MFT EVVC Fachtagung nächste Woche behandelt wichtige Themen wie „Sanierung von Veranstaltungszentren – Chancen und Risiken im aktuellen politischen Umfeld“. Sehen Sie mehr Chancen oder Risiken?
Ich sehe grundsätzlich immer erst die Chancen. Klar ist aber, die Sanierung ist ein herausfordernder Weg, vor allem wenn der Veranstaltungsbetrieb weitergeführt wird. Die meisten Veranstaltungshäuser sind in kommunaler Hand und bestimmte Förderprogramme sind mit den jeweiligen Kommunen abzustimmen. Dennoch sollten jetzt die Chancen auf eine zukunftsfähige Aufstellung der Veranstaltungshäuser genutzt werden.
Welche Frage hat Ihnen gefehlt?
Ob ich im nächsten Jahr erneut als Präsidentin zur Verfügung stehe. Im Frühjahr 2024 haben wir Vorstandswahlen des EVVC und einige Vorstände müssen ihr Amt übergeben.
Und: Stehen Sie für eine dritte Amtszeit zur Verfügung?
Ja. Es stehen einige Wechsel bevor, daher stehe ich für die Wahl erneut zur Verfügung. Ich wünsche mir, nach den vergangenen anspruchsvollen und turbulenten Jahren durch die letzten Krisen in ruhigeres Fahrwasser zu kommen und freue mich weiterhin auf das tolle Miteinander im EVVC.