Festivalisierung
Aus Teilnehmern Fans machen
Leadership-Journeys auf dem South by Southwest Conference and Festival (SXSW) in Austin. Festivals erzeugen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Foto: SXSW 2023, Stephen Olker
Leadership-Journeys auf dem South by Southwest Conference and Festival (SXSW) in Austin. Festivals erzeugen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Foto: SXSW 2023, Stephen Olker
Wer das Wort Festival hört, denkt vielleicht zunächst an die großen Musikfestivals wie das MS Dockville in Hamburg, das Lollapalooza in Berlin oder Rock am Ring auf dem Nürburgring. Doch seit einigen Jahren trendet das Konzept Festival auch für Business Events.
Den Anfang als Trendsetter soll dabei das SXSW (gesprochen South by Southwest Conference and Festival) aus Austin, Texas, gemacht haben. Hier trifft sich die Kreativbranche zu einem belebten Festival, auf dem auch große Popstars Keynotes halten. Wie das im Business-Kontext aussehen kann, zeigt vom 12. bis 14. September 2023 in San Francisco Salesforce: Dreamforce heißt das eigene Vertriebsfestival. Was als Kongress gestartet war, wurde schnell zu einer schillernden Festivalwelt, in der es um gegenseitigen Austausch und das Feiern von Erfolgsgeschichten geht.
Business Festivals lassen sich aber nicht nur im Ausland finden. Auch in Deutschland gibt es bereits erfolgreiche und große Formate, die jährlich zehntausende Teilnehmer anlocken. So etwa das OMR Festival in Hamburg und die Bits & Pretzels in München. Was verbirgt sich aber nun hinter dem Konzept eines Business Festivals?
Im wissenschaftlichen Jargon würde es so beschrieben sein: Es ist ein kollaboratives Event, das zum gegenseitigen Nutzen konzipiert ist. Sie bringen mehrere Genres an aufeinanderfolgenden Tagen an einem Ort zusammen. Das bedingt mehrere Spielflächen und Programmpunkte, aus denen Teilnehmer sich ihren individuellen Track zusammenstellen können. Das Business Festival ist nicht nur eine moderne Veranstaltungsform, sondern kann fast ein bisschen Messen ähnlich verschiedene Disziplinen inkludieren. Im Gegensatz zur klassischen Messe oder zum Kongress vereint das Business Festival Entertainment-Angebote aus der Kreativwirtschaft wie Konzerte und andere Show-Elemente mit Diskussionspanels und Keynotes.
Das Wort Festival drückt schon den außergewöhnlichen Charakter eines Events aus. Das englische Festival bedeutet so viel wie „große, festliche Veranstaltung“. Es geht auf das lateinische Festivus zurück. Das lässt sich wiederum in „heiter, dem Vergnügen gewidmet“ übersetzen. Bei Business Festivals geht es mehr um den allgemeinen Unterhaltungsfaktor als um reine Wissensvermittlung. Business meets Entertainment, oder Infotainment. Je nachdem wer gefragt wird.
Ein Gefühl von Zugehörigkeit
Festivals sollen so einmalig in der Lage sein, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu erzeugen. Es geht eben nicht um spannende, vielleicht aber doch unzählige, aneinandergereihte Vorträge und Diskussionen. Das Hauptaugenmerk hierbei liegt auf Netzwerken und Infotainment. So haben Studien, die 2019 veröffentlicht wurden, ergeben, dass Festival-Besucher dieses Format hauptsächlich zum Netzwerken und zur Geschäftsanbahnung nutzen. Das soll sich auch nach der Pandemie nicht verändert haben.
„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich unsere Besucher*innen wie auch Aussteller vor allem auf den persönlichen Austausch freuen. Ideenaustausch, Wissenstransfer und natürlich die Pflege ihrer Geschäftsbeziehungen stehen ganz klar oben auf der Liste unserer Besucher*innen. Dies haben wir z.B. am Interesse unserer Masterclasses während der Festivaltage gesehen, bei denen sich im Schnitt 459 Personen auf 243 angebotene Masterclasses beworben haben,“ erzählt Isabelle Gardt, Geschäftsführerin und Head of Marketing bei OMR sowie Initiatorin der Initiative 5050 by OMR.

Foto: OMR
„Ideenaustausch, Wissenstransfer und natürlich die Pflege ihrer Geschäftsbeziehungen stehen ganz klar oben auf der Liste unserer Besucher*innen.“
Isabelle Gardt, Geschäftsführerin und Head of Marketing bei OMR
„Unsere Erfahrung deckt sich mit diesen Studien. Geschäftsanbahnung und Netzwerken, kombiniert mit dem menschlichen Bedürfnis nach persönlichem Austausch, werden immer die zentralen Gründe für den Besuch einer Business-Veranstaltung bleiben, unabhängig vom Zeitpunkt oder Kontext,“ bestätigt auch Christian Vey, Managing Director Bits & Pretzels in München.
Die Ausdifferenzierung von Spielflächen
In der Liste der Business Festivals in Deutschland finden sich auch das Reeperbahnfestival in Hamburg, ein Heimspiel der deutschen Musikwirtschaft, die re:publica in Berlin, die Digital X in Köln und die hub.berlin. Wer aufgepasst hat, stellt fest: bestimmte Destinationen tauchen hier immer wieder auf. Berlin. Hamburg. Köln. München. Festivals benötigen eine gewisse ausgebaute Infrastruktur, die in der Lage ist, ein Event mit mehreren Spielstätten und tausenden Teilnehmern aufzunehmen.
Daraus resultieren Herausforderungen für Veranstalter. „Derzeit beschäftigen wir uns damit, dass alle unsere Besucher*innen eine bezahlbare und gut erreichbare Unterkunft in Hamburg und Umgebung finden. Hamburg ist eine Touristenstadt und während des Festivalzeitraums kommt es zu einer starken Auslastung der Hotels, was sich auch bei den Zimmerpreisen deutlich bemerkbar macht. Bereits im letzten Jahr haben wir versucht, für alle Besucher*innen eine Lösung zu finden, und die Aktion “Zimmer frei” ins Leben gerufen. Wir haben Privatpersonen dazu aufgerufen, Übernachtungsmöglichkeiten über die Plattform Airbnb anzubieten,“ berichtet Isabelle Gardt.
Festivals haben aber nicht nur erhöhte Anforderungen an Destinationen. Sie strahlen ebenfalls ein attraktives Image von Dynamik und Entertainment, also Lebenswürdigkeit aus. Die klassische Festivaldestination hat eine Reputation für Kunst und Kultur. Auf das Business Festival übertragen, bleibt es da ganz ähnlich wie für andere Fachkongresse oder Messen. Also: Ist die Destination in der Lage, als Ökosystem ein Festival zu hosten? Und kann sie mit einem guten Ruf bezüglich beispielsweise ansässiger Industrie oder Branchen für sich werben?

Blick auf die Hauptbühne der Bits & Pretzels in München. Festivals benötigen eine gewisse ausgebaute Infrastruktur, die in der Lage ist, ein Event mit mehreren Spielstätten und tausenden Teilnehmern aufzunehmen. Foto: Bits&Pretzels
Ein Aspekt von Festivals ist die Ausdifferenzierung von Spielflächen in verschiedene Interessengebiete, um Besuchern ein eigenständiges Zusammenstellen von Aktivitäten zu ermöglichen. Isabelle Gardt sieht die Vielfalt des Programms positiv: „[D]ie Bandbreite an Themen, Formaten und Speaker*innen ist ein Teil unseres Konzepts. Bei sieben Bühnen mit über 800 Speaker*innen, 100+ Side Events, 150+ Guided Tours und 240+ Masterclasses haben die Besucher*innen die Möglichkeit, ihren beruflichen und persönlichen Interessen nachzugehen und können am Ende des Tages bei den Konzerten zusammenkommen. Wir denken, dass dies eine gute Mischung für die vielfältige Branche ist.“
Die digitale Komponente
Das Meeting und Eventbarometer 2023 prognostiziert für das kommende Jahr eine leicht abnehmende Anzahl von Live-Events. Dagegen sollen hybride und virtuelle Veranstaltungen noch zunehmen. Das bedeutet auf lange Sicht eine allgemeine Gewöhnung von Eventteilnehmenden an digitale Komponenten, die teilweise sogar ganzjährig begleiten. Was heißt das für Festivals, die eigentlich von der physischen Anwesenheit ihrer Teilnehmer leben? Wie gehen Veranstalter damit um?
„Obwohl unser Event in erster Linie von der physischen Anwesenheit lebt, erkennen wir durchaus das Potential von digitalen Komponenten. Sie können das Erlebnis bereichern und verlängern. Wir werden stets die neuesten Technologien im Blick haben und sie gegebenenfalls einsetzen. Dennoch liegt der eigentliche Mehrwert unserer Veranstaltung darin, die richtigen Personen persönlich und vor Ort zusammenzubringen,“ erzählt Christian Vey, Managing Director der Bits & Pretzels in München.
Foto: Bits & Pretzels
„Digitale Komponenten können das Erlebnis bereichern und verlängern. Wir werden stets die neuesten Technologien im Blick haben und sie gegebenenfalls einsetzen. Dennoch liegt der eigentliche Mehrwert unserer Veranstaltung darin, die richtigen Personen persönlich und vor Ort zusammenzubringen.“
Christian Vey, Managing Director Bits & Pretzels in München
Isabelle Gardt ergänzt: „Die hybriden und digitalen Komponenten nehmen eine immer größere Relevanz ein, die wir natürlich bedenken müssen. Wir erstellen das ganze Jahr über Content zu verschiedenen Themen, ob in Form von digitalen Masterclasses, Deep Dives oder Artikeln. Das OMR Festival ist dann das Präsenz-Highlight einmal im Jahr – für unsere Aussteller, Besucher*innen und uns gleichermaßen. Während des Festivals streamen wir auch eine Vielzahl der Vorträge sowie Panels live und laden diese im Nachgang auf unserem YouTube-Kanal hoch.“
„Natürlich begleiten wir das Festival auch auf unseren Social-Media-Kanälen und nehmen so sowohl Ticketinhaber*innen als auch Interessierte mit hinter die Kulissen. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass das OMR Festival von Präsenz und persönlichem Austausch lebt. Das gilt für unsere Besucher*innen, ebenso wie für die rund 1.000 Aussteller und Partner: In der Hamburg Messe treffen Marketeers und Digitalexpert*innen auf die relevanten Unternehmen der Branche – von Audi, Vodafone und SAP über innovative KMU und Startups. Neue Kontakte knüpfen, Geschäftsbeziehungen aufbauen und alte vertiefen – das klappt immer noch am besten in Präsenz.“
Das Keyword hier ist Community Building. Schon vor einigen Jahren hatte die Future Meetings Space Initiative ein Szenario ausgearbeitet, wonach Eventserien ganzjährig mit ihrem Publikum kommunizieren sollten, um so eine treue Community aufzubauen, die sich dann einmal im Jahr auf dem Event real begegnet.
Stichwort Community Building: Mit seinen Eventteilnehmern nach der Veranstaltung in Kontakt zu bleiben, ist eine große Herausforderung. Festivals sollen sich als besonders gut darin erwiesen haben, Content wie Videos und Bilder vom Event nachträglich auszuspielen und das Festival so nachhaltig im Gedächtnis zu halten.
Und wie wird nun ein Format zum Festival?
Bleibt die Frage, wie nun ein Format festivalisiert werden kann. Was sind die Erfahrungen der großen Business Festival Veranstalter in Deutschland? „Unsere Entscheidung, ein Festival als Format zu wählen, war weniger das Ergebnis eines vorgefertigten Masterplans, als vielmehr einer natürlichen Entwicklung. Bits & Pretzels startete als bescheidenes Treffen mit nur 80 Teilnehmer:innen, wuchs jedoch rasch und organisch“, erinnert sich Christian Vey an die Beginne der Bits & Pretzels. „Ein Festival schien uns das modernste und zeitgemäßeste Format zu sein, und die positive Resonanz bestätigt uns darin. Heutige Events müssen den Teilnehmer:innen weit mehr bieten als nur Inhalte – sie sollten eine Erfahrung sein.“
Ähnlich organisch ist auch das OMR Festival entstanden, erzählt Isabelle Gardt: „Wir haben uns nie spezifisch für das Format ‚Festival‘ entschieden, vor allem nicht in der Größenordnung. Alles fing mit einem Seminar an, das Philipp für Freund*innen und Familienmitglieder organisiert hat, die etwas über Online-Marketing lernen wollten. Doch Interesse und Nachfrage hielten an – und so organisierte er eine Konferenz für alle Seminarteilnehmenden. Zur ersten Konferenz 2011 kamen dann 150 Personen. Neben wertvollem Input sollte die Veranstaltung vor allem ‚lebenswert‘ sein, schließlich waren Freund*innen und Bekannte die Gäste. Und so wurde eine Party mit Musiker*innen auf die Beine gestellt. Dieses Konzept haben wir bis heute fortgeführt und stetig weiterentwickelt.“
„Für alle, die ihr Event in Richtung eines Festivals entwickeln möchten, ist es entscheidend, sich immer zu fragen: Was bietet dem Teilnehmenden den größten Mehrwert? Veränderungen nur um der Veränderung willen sind oft nicht zielführend. Andererseits sollte man nicht zögern, bestehende Muster zu hinterfragen und Neues auszuprobieren. Solange man keine Angst vor Fehlern hat, kann man durch das Ausprobieren unheimlich viel lernen,“ gibt Christian Vey mit auf den Weg.
„Das Wichtigste ist ein gutes Team, das hinter der Idee steht und Spaß an der Arbeit hat. Ohne die zahlreichen Mitarbeitenden – während des Festivalzeitraums sind das ca. 3.500 Menschen – wäre die Umsetzung eines Events in dieser Größenordnung gar nicht möglich. Auf inhaltlicher Ebene ist es wichtig, auch mal um die Ecke zu denken und sich etwas zu trauen. Und wenn etwas nicht klappt wie erwartet, hat es trotzdem etwas Positives, da man fürs nächste Mal lernt,“ schließt Isabelle Gardt.