Venues
Digital in die Zukunft
Das IT-Team von Hamburg Messe und Congress hat sich intensiv fortgebildet, vom Umgang mit Licht und Kameras über den richtigen Schnitt bis zur Einbindung von Videoplattformen. Foto: Hamburg Messe und Congress, Nicolas Döring
Das IT-Team von Hamburg Messe und Congress hat sich intensiv fortgebildet, vom Umgang mit Licht und Kameras über den richtigen Schnitt bis zur Einbindung von Videoplattformen. Foto: Hamburg Messe und Congress, Nicolas Döring
Die Digitalisierung ist seit Jahren ein Thema, auf- und umzurüsten. Es gab wie immer Vorreiter und andere, die in Präsenzveranstaltungen die einzig wahre Art der Begegnung sehen wollten. Nun hat die Pandemie die gesamte Branche mit Drive in ein neues digitales Zeitalter katapultiert, leider auch Cyber-Kriminellen neue Wege geebnet. Was ist machbar, sinnvoll, wo liegen Grenzen?
Der Markt war auch in Zeiten des Lockdowns nicht gänzlich stillgelegt. Wer aktiv blieb, hat durch die Pandemie gelernt, sich neu aufzustellen. Digitale Technik, ob im Business- oder im Eventalltag, ist immanent präsent. Das Gros der Venues ist gewappnet – oft abhängig von den Bedingungen vor Ort. „Häuser mit mehr als 4000 Sitzplätzen haben andere Möglichkeiten als die kommunalgetragene Stadthalle. Aber alle haben branchenspezifische Lösungen gefunden“, sagt Felix Lechla vom Europäischen Verband der Veranstaltungs-Centren e.V. (EVVC). Nun sind auch Bund und Länder in der Pflicht, mit Investitionsprogrammen die Anbindung an schnelles Internet/Glasfaser zu schaffen, damit die Veranstaltungsbranche im europäischen und internationalen Wettbewerb nicht zurückfällt.
Die Häuser haben teilweise Equipment angeschafft, das zwar kurzfristig dringend geboten schien, nun aber, da Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind, für eine mittel- und langfristige Nutzung neu gedacht werden muss. Laut Dr. Ralf G. Kleinhenz, Sprecher der Seven Centers of Germany und Geschäftsbereichsleiter Guest Events, Messe Berlin, „hat die Pandemie klar gezeigt, wo die Grenzen der Digitalisierung liegen. Es ist die Nicht-Kompensierbarkeit der menschlichen Begegnung“.
Was funktioniert?
Was funktioniert also kurz-, mittel- und langfristig? Der Congress Park Hanau (CPH) hat zum Beispiel den vorhandenen Materialpool für Streaming-Equipment aufgestockt und der Nachfrage angepasst. „Neben Investitionen in Technik und den Aufbau entsprechender Plattformen wurde insbesondere die technische Kompetenz der Projektleitung gestärkt und weiterentwickelt. So waren wir in kurzer Zeit gut aufgestellt, um unseren Kunden in der dynamischen pandemischen Situation schnell Lösungen und Alternativen anbieten zu können“, sagt Marion Wögler vom CPH. Durch die nun vorhandenen Kapazitäten sowie eine umfassende Kundenberatung ist es für ihr Team „ein Leichtes, Veranstaltungen kurzfristig in eine hybride Umgebung oder ganz in den digitalen Raum zu bringen. Wir können das ‚New Normal‘ als bedarfsgerechten Mix aus konventioneller und digitaler Technik mit eigenen Ressourcen anbieten und realisieren.“ Das Kerngeschäft bleibt, Interaktionen zwischen Menschen zu ermöglichen. Die Strategie geht auf und beeinflusste die Entscheidung gegen die dauerhafte Umwidmung eines Veranstaltungsraums in ein festes Studio. Bei entsprechender Nachfrage reicht ein temporärer Einbau.
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Kongress Park Hanau Hybrid Event Brüder Grimm Saal. Foto: Congress Park Hanau
Auch die Messe Karlsruhe war während der Pandemie nicht untätig. Geschäftsführerin Britta Wirtz: „Über die webbasierte Eventplattform Allseated exVo wurde beispielsweise die Gartenhalle im innerstädtischen Kongresszentrum virtualisiert, so dass eine Parallelwelt für hybride und digitale Messe- und Kongressformate sowie Networking- und Firmenevents entstand.“ Das Karlsruher Spektrum reicht inzwischen von einfachen, kompakten Lösungen für Live-Streaming bis hin zur komplexen digitalen Abbildung von Kongressen und Messen. Um zukünftige Live- oder Hybrid-Events zu planen, können Gastveranstalter das Messegelände und das Kongresszentrum Karlsruhe anhand von 360°-Aufnahmen virtuell begehen. Auch der digitale Marktplatz offerta.de läuft laut Wirtz erfolgreich. Dort bieten rund 240 Anbieter mehr als 800 digitale Produkte ergänzend zur analogen Messe an. Inzwischen wurde die Produktpalette messeübergreifend ausgeweitet und bildet nicht mehr nur die Ausstellenden der Publikumsmesse offerta ab, sondern auch die von zwei weiteren Messen.
Wie Britta Wirtz weiter anmerkt, müssen Veranstalter und Gastgeber die aktuellen technologischen Entwicklungen genau kennen und verstehen, um neue Produkte für die Kunden entwickeln zu können: „Gemeinsam mit langjährigen Servicepartnern und erfahrenen externen Dienstleistern konnten bereits rein digitale und hybride Formate für eigene Messen, aber auch für Gastveranstaltungen erfolgreich umgesetzt werden.“ So fand beispielsweise das 30. Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar 2020 als hybrides Konferenz-Konzept mit einer Präsenzveranstaltung auf Abstand in der Gartenhalle und einem interaktiven Online-Webinar mit Livestream, Chatrooms und Diskussionsräumen statt.
Über die webbasierte Eventplattform Allseated exVo wurde die Gartenhalle im innerstädtischen Kongresszentrum Karlsruhe virtualisiert. Foto: Eventplattform Allseated exVo
Über die webbasierte Eventplattform Allseated exVo wurde die Gartenhalle im innerstädtischen Kongresszentrum Karlsruhe virtualisiert. Foto: Eventplattform Allseated exVO
Externe Kooperationen
Aus dem Norden Deutschlands meldet sich Karsten Brookmann von der Hamburg Messe und Congress GmbH zu Wort: „Das im April 2022 wiedereröffnete CCH – Congress Center Hamburg legt medientechnisch den Schwerpunkt auf Vorrüstung und Flexibilität, damit alle 50 verschieden großen Säle die Anforderungen an hybride Veranstaltungen erfüllen.“ Parallel hat sich das IT-Team intensiv fortgebildet, vom Umgang mit Licht und Kameras über den richtigen Schnitt bis zur Einbindung von Videoplattformen. Bei aufwendigen Events arbeitet die Hamburg Messe weiterhin mit externen Spezialisten zusammen, denn das Ganze setzt trotzdem bewusste Grenzen: „Die vorhandene Kameratechnik kann problemlos auch in einem Studio eingesetzt werden, sie reicht allerdings nicht aus, um ein komplettes Studio einzurichten und zu bespielen.“ Filme für eigene Geschäftsberichte produziert das Unternehmen selbst. Ein exklusives, permanentes Studio ist aber weder für das CCH noch für die Messe vorgesehen. Zum einen, weil laut Brookmann „die Nachfrage nach rein digitalen Formaten lange nicht so groß ist, wie viele gehofft oder – je nach Sichtweise – befürchtet haben“. Beide Einheiten, Kongresszentrum und Messehallen, sind vor allem gebaut, um die physische Begegnung von Menschen möglich zu machen. Und doch, so Brookmann, lebt das Hamburger "Geschäftsmodell von hochflexiblen Venues und Infrastrukturen, die mit modernster Technik gekoppelt werden können".
Nicht nur große Venues haben digital aufgerüstet, sondern auch kleine. Das Best Western Premier Rebstock Würzburg gehört dazu, wie Christoph Unckell, geschäftsführender Gesellschafter, erläutert: „Wir haben einiges digitalisiert, darunter den neuen Veranstaltungsbereich. Der erhielt zusätzlich zur vorhandenen hochwertigen Tagungstechnik zwei neue, digitale Videokameras und einen Videoswitch. Mit dieser mobilen Technik können wir über unseren Laptop unseren Kunden und Gästen plattformunabhängig hybride, aber auch komplett digitale Meetingformate anbieten.“ Das Haus spürt, dass inzwischen „die Sehnsucht nach Präsenzveranstaltungen sehr groß“ ist. Um im Interesse der Nachhaltigkeit weite Anreisen aus dem Ausland von einigen Teilnehmern oder Referenten zu minimieren, findet diese Technik bei teilhybriden Meetings weiterhin Anwendung. Gemeinsam mit externen Partnern fühlt sich auch das Best Western Premier Castanea Resort Hotel digital gut aufgestellt: Über das neue Angebot „Live Meeting Room“ im Tagungszentrum Castanea Forum können sowohl Firmen als auch Privatleute öffentliche oder private Meetings und Streamings abhalten – ob Gottesdienst oder Konferenzen. Selbst Konzerte und Talkshows stehen auf der Ideenliste des 4-Sterne-Superior-Hotels in der Lüneburger Heide. Unterstützt werden die jeweiligen Veranstalter und Moderatoren vom langjährigen Hotelpartner Protones Veranstaltungstechnik: Der stellt die notwendige Ausrüstung, Mikrofone, Kameras, Lautsprecher und Videoeinbindung, auch Vorschaumonitore, Bildschirme und Zuspiellaptops bis hin zu professioneller Betreuung und Bildmischung zur Verfügung. Zusätzlich können Beleuchtung und die Nachbearbeitung der Videos und Audioaufzeichnungen beauftragt werden. Während der Aufnahme oder des Livestreams erfolgt die komplette technische Regie ohne direkten Kontakt zum Veranstalter in einem weiteren abgeschlossenen Raum. „Warum sollten große TV-Studios gemietet werden, wenn wir gemeinsam mit unserem vertrauten Partner die beste Umsetzung der vielfältigsten Veranstaltungen und Streams gewährleisten können?“, fragt Generaldirektorin Andrea Stuff.
Was braucht die Zielgruppe?
Fest im Tagungsmarkt verankert sind die Lindner Hotels mit Hauptsitz in Düsseldorf. Sprecherin Catherine Bouchon über den Schlüssel zum Erfolg: „Wir arbeiten mit verschiedenen professionellen Partnern zusammen, die auf Wunsch Streaming-Studios einrichten können. Ein eigenes festes Studio haben wir nicht eingebaut. Die neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung nutzen wir im Hinblick auf Automatisierung von Buchungsprozessen und virtuellen Site Inspections wie die 3D-Rundgänge durch unsere Veranstaltungsräume.“
Das bestätigt André Kaldenhoff, Geschäftsbereichsleiter Kongresse der Leipziger Messe: „Die neuen technischen Möglichkeiten stellen Veranstalter vor die Frage, was ihre Zielgruppe eigentlich braucht und mit welchen Mitteln für sie Mehrwert entsteht. Sie müssen sich Klarheit verschaffen, welche Medien und technischen Möglichkeiten für welche Ziele sinnvoll sind, und damit neue Inhalte für erfolgreiche Präsenzveranstaltungen generieren.“
Ein Grundbedürfnis nach Präsenzveranstaltungen besteht laut Felix Lechla auch bei hybriden Veranstaltungen, wenn sich Teilnehmende entscheiden können, ob sie von Hause aus teilnehmen oder vor Ort. Die jährliche Branchenumfrage „Meeting- und Eventbarometer“ hat innerhalb der Pandemie eine Entwicklung zur Präsenzteilnahme aufgezeigt. Der Anteil der Präsenzteilnehmenden an einer hybriden Veranstaltung lag im Jahr 2020 noch bei 12,4 %. Im Jahr 2021 hat sich der Wert auf 33,7 % mehr als verdoppelt.
Cyber Security: Prävention
Felix Lechla bringt einen Aspekt ein, der aktuell brisanter ist denn je: „Beim Ausbau von digitalen Veranstaltungsformaten darf auf virtueller Ebene der Sicherheitsaspekt nicht außer Acht gelassen werden.“ Der EVVC empfiehlt ausdrücklich jedem Haus, bei der Digitalisierung proportional die eigene Cyber-Security zu optimieren, und zwar präventiv. Die Formen von Cyber-Kriminalität reichen vom Ausspionieren firmenrelevanter Daten bis zum Supergau, dem Hacken und Kaltstellen der ganzen Firma inklusive Löschen bzw. Sichtbarmachen wichtiger, sensibler Kundendaten. Zu diesem Thema bietet der EVVC allen Mitgliedern über die hauseigene Akademie eine kostenfreie digitale Veranstaltungsreihe mit den Schwerpunkten „Technik“, „Recht“ und „Versicherung“ an. Je rauer der „Wind of Change“ weht, desto intensiver sollten die eigenen Mitarbeitenden und ihre Stärken optimiert werden. Vor der Pandemie waren das bei analogen Events vor allem soziale und Netzwerk-Kompetenz. Das allein reicht künftig nicht mehr aus. Smarte und nachhaltige Veranstaltungen benötigen IT-Spezialisten und Sustainability-Eventmanager, die sich zusätzlich in der Entwicklung und Integration grüner Technologien auskennen. Um stets on top zu sein, gehören Schulungen längst zum festen Bestandteil im Arbeitsalltag von Event Professionals. Zudem kann die Digitalisierung in Zeiten von erhöhtem Personalbedarf helfen, Prozesse und Abläufe effizienter zu gestalten und persönliche Kundenkontakte schaffen, wo diese erwartet und gebraucht werden. Es ist also keine nette Geste, in die Expertise der Mitarbeitenden zur digitalen Transformation zu investieren, sondern ein Muss.
Learnings der Digitalisierung
- Rein virtuelle Meetings und Veranstaltungen ermüden
- Analoge und digitale Welt verschmelzen
- Vor Investitionen tatsächlichen Bedarf analysieren
- Mobile Technik erlaubt plattformunabhängig hybride und komplett digitale Formate
- Zusammenarbeit mit externen IT-Firmen kompensiert fehlende Technik und gewährleistet die professionelle Umsetzung vielfältiger Formate und Streams
- Anmietung großer TV-Studios in Abstimmung mit dem Kunden
- Prävention vor Cyber-Attacken: Cyber-Security stetig aktualisieren
Die aktuelle Situation und die globalen Krisen sind eine erneute Herausforderung für die gesamte Branche. Einen Grund zum Optimismus liefert Felix Lechla: „Gemeinsam mit dem German Convention Bureau (GCB) und Fraunhofer IAO ist der EVVC als Forschungspartner im Forschungsprojekt Future Meeting Space vertreten. Aus diesem und weiteren Projekten wie dem Meeting- und Eventbarometer 2022 können wir große Wachstumspotenziale in der Digitalisierung wahrnehmen, mit Chancen und Möglichkeiten für jedes Haus.“ Gerade das Messe- und Kongressgeschäft treibt neue Entwicklungen voran.
Petra Mewes