Nachhaltigkeitsmanager:innen
„Nicht mehr länger warten“
Alle Informationen zum Thema Nachhaltigkeit laufen im Estrel Berlin bei Mihaela Djuranovic zusammen, etwa dass das Dach der Convention Hall II mit Solarpanels bestückt ist. Foto: Estrel Berlin
Alle Informationen zum Thema Nachhaltigkeit laufen im Estrel Berlin bei Mihaela Djuranovic zusammen, etwa dass das Dach der Convention Hall II mit Solarpanels bestückt ist. Foto: Estrel Berlin
Der Beruf Nachhaltigkeitsmanager:in ist noch recht neu, doch immer mehr nachgefragt in der (Veranstaltungs-)Wirtschaft. Schließlich macht die Energiekrise die Klimafrage noch drängender – und die EU nimmt weitere Unternehmen in die CSR-Berichtspflicht. Die Wege ins Nachhaltigkeitsmanagement sind so vielfältig wie die Herausforderungen. Wir zeigen, wie es gehen kann.
„Ich bin im vergangenen Jahr aktiv mit dem Vorschlag auf die Geschäftsführung zugegangen, den Bereich Nachhaltigkeit zu übernehmen“, erzählt Mihaela Djuranovic. Damit will sie den geplanten Schritt ihres Arbeitgebers begleiten, sich nachhaltiger aufzustellen. Anfang des Jahres absolviert sie die Weiterbildung zur Nachhaltigkeitsmanagerin beim TÜV Nord und ist seit Mai in dieser Funktion im Estrel Berlin tätig, wo sie zuvor elf Jahre in der Kommunikationsabteilung arbeitete. Seither laufen bei ihr alle Informationen und Aktivitäten zum Nachhaltigkeitsmanagement zusammen. Djuranovic ist Ansprechpartnerin für alle internen und die deutlich zunehmenden externen Anfragen zur Nachhaltigkeit. Aktuell macht sie eine Bestandsaufnahme und bearbeitet Fragen wie: Wo stehen wir im Estrel Berlin bei der CO2-Bilanz und der Mitarbeiterzufriedenheit? „Aus dieser Bestandsaufnahme können wir klare Ziele und Maßnahmen ableiten“, erklärt Djuranovic und ergänzt: „Zu meinem Aufgabenfeld gehört außerdem die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts, der in wenigen Jahren verpflichtend für uns sein wird.“
Foto: Estrel Berlin
„Zu meinem Aufgabenfeld gehört außerdem die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts, der in wenigen Jahren verpflichtend für uns sein wird.“
Mihaela Djuranovic
Die Nachhaltigkeitsberichtspflicht gilt bisher nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen. Nun soll die EU-Richtlinie zur CSR-Berichtspflicht, die „Non-Financial Reporting Directive“, mit der „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) erweitert werden. Darauf einigten sich die EU-Institutionen im Juni und stellen die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung. Die Mitgliedsländer müssen die CSRD in nationales Recht übertragen. Klar definierte Kriterien und Kennzahlen sollen die Berichte nachvollziehbar und vergleichbar machen, z.B. bei der Reduktion von CO2-Emissionen oder dem Übergang zu einer zirkulären Wirtschaft. Zudem vergrößert sich die Gruppe der Berichtspflichtigen auf Unternehmen, auf die zwei von drei dieser Merkmale zutreffen: eine Bilanzsumme von mehr als 20 Mio. Euro, ein Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. Euro und mehr als 250 Mitarbeiter:innen. Nicht-kapitalmarktorientierte KMU können die Standards freiwillig übernehmen, andere werden indirekt dazu aufgefordert – etwa als Lieferanten von Großunternehmen. Die Regeln gelten für bereits berichtspflichtige Unternehmen ab 2025 für das Geschäftsjahr 2024, für alle anderen ab 2026.
Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)
Was kommt in puncto Nachhaltigkeitsberichterstattung auf Unternehmen in Europa zu? Das Erklärvideo im Auftrag des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) verschafft einen Überblick über die vorgeschlagene EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).
Die Motivation und Qualifikation
Schon seit sieben Jahren beschäftigt sich Kyra Reiter mit dem Thema Nachhaltigkeit. Als sie mitbekommt, wie viel Material und Essen bei Veranstaltungen im Müll landen, will die heutige Marketing Managerin für Conventions für Sustainable Meetings Berlin im Berlin Convention Office von visitBerlin etwas dagegen tun. „Mein erster Impuls war: Ich wollte daran mitwirken, Veranstaltungen in Berlin besser und nachhaltiger zu machen.“ Dafür absolviert sie zwischen 2015 und 2017 den Master in Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Reiter ist sich bewusst: „Unser Business ist sehr ressourcen- und personenintensiv. Um die Sustainable Development Goals zu erreichen, muss auch unsere Branche umdenken.“ Die deutsche Hauptstadt will vorangehen und tritt als eine der innovativsten, nachhaltigsten und zuverlässigsten Destinationen in der Welt an. „Das schafft man nur, wenn alle an einem Strang ziehen und wir gemeinsam praktikable Lösungen schaffen“, so Reiter. In ihrem Job beraten sie und ihr Team Veranstaltungsplaner:innen zur Nachhaltigkeit ebenso wie die 47 Sustainable Partners der Initiative Sustainable Meetings Berlin. Leistungsträger und Dienstleister können anhand eines Kriterienkatalogs kostenlos ihren Status quo ermitteln und werden nach einem Audit eingestuft von „Starter Light“ bis „Leader“. Zwischen 71 und 100 Prozent haben beispielsweise die Neue Mälzerei und das Motorwerk Berlin erreicht.
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Und während Mihaela Djuranovic gerade für das Estrel Berlin den Zertifizierungsprozess als Sustainable Meetings Berlin durchläuft, gibt ebendiese Zertifizierung für die Agentur MR Congress & Incentive den Ausschlag für Mareike Lindner für ihre berufliche Veränderung. 2021 wird die Senior Projektmanagerin zusätzlich Nachhaltigkeitsmanagerin bei der Berliner Agentur. Im Jahr zwei der Pandemie schließt sie in sechs Monaten berufsbegleitend das Fernstudium „CSR und Nachhaltigkeitsmanagement“ an der SRH – The Mobile University ab. Darüber hinaus nutzt sie die entsprechenden Fortbildungsangebote von visitBerlin. Als Nachhaltigkeitsmanagerin leitet Lindner den Bereich Nachhaltigkeit. Nach der Auditierung beim Programm Sustainable Meetings Berlin als „High Performer“ und der Implementierung einer Nachhaltigkeitsstrategie und kümmert sie sich um die Steuerung der Maßnahmen und die Überwachung der quantitativen und qualitativen Ziele, die sich MR Congress & Incentive gesetzt hat, z.B. den Ausbau des nachhaltigen Portfolios auf mindestens 50 Prozent bis Ende 2023. Ein weiteres Beispiel ist die Berechnung der CO2-Äquivalente aller Business Trips seit 2019 ebenso wie die Erfassung des Energieverbrauchs in den Büros und die Identifikation von Sparpotenzialen.
Der Sinn und die Ziele
Die Frage, wieso die (Veranstaltungs-)Wirtschaft Nachhaltigkeitsmanager:innen braucht, stellt sich für Lindner nicht mehr. „Wir haben uns in Deutschland zur Klimaneutralität bis 2045 verpflichtet, bereits bis 2030 sollen 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 ausgestoßen werden. Es liegt auf der Hand, dass für die Erreichung dieser Ziele jede Branche zur Mitwirkung verpflichtet ist.“ Als eine sehr ressourcenintensive trage die Veranstaltungsindustrie eine besondere Verantwortung, doch Lindner macht sich nichts vor: „Man sollte sich darüber klar sein, dass es bisher nur sehr, sehr wenige Unternehmen in der MICE-Branche gibt, die Nachhaltigkeitsthemen bereits in der DNA verankert haben bzw. deren Kerngeschäft nachhaltiges Wirtschaften ist.“ Fast alle müssten sich auf den Weg machen.
Foto: Verena Unden
„Unsere Branche bringt die Menschen zusammen, wobei große Mengen an CO2 entstehen.“
Verena Unden
Verena Unden hat sich längst auf den Weg gemacht, genauer: vor fünf Jahren als Sustainability Managerin beim EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren. Bereits in ihrer Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle, weshalb sie die Aufgabe reizt, das Thema im Verband voranzutreiben. Dafür nimmt Unden an der Green-Globe-Auditoren-Schulung teil und erhält die Lizenz zur Auditierung. Zu ihren Aufgaben zählt die Betreuung des Nachhaltigkeitskodexes der deutschsprachigen Veranstaltungswirtschaft „fairpflichtet“ und der SECON „Sustainable Events Conference – Shaping the future“, die für 14./15. Februar 2023 in der OsnabrückHalle in Osnabrück geplant ist. Als Sustainability Managerin ist Unden für die 750 EVVC-Mitgliedshäuser und Partner ansprechbar. Sie weiß, dass das Thema Nachhaltigkeit aktueller denn je ist, und die Veranstaltungsbranche wie alle anderen Wirtschaftsbereiche in der Pflicht ist, für den Ausgleich von Ökonomie, Ökologie zu sorgen ebenso wie für soziale und kulturelle Nachhaltigkeit. Unden: „Unsere Branche bringt die Menschen zusammen, wobei große Mengen an CO2 entstehen. Aus diesem Grund wollen wir – für und gemeinsam mit unseren Verbandsmitgliedern und -partnern und anderen Akteuren der Branche – einen deutlichen Beitrag zur Corporate Social Responsibility in der Veranstaltungsbranche leisten.“
Der EVVC versteht sich als Vorreiter und unterstützt die Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele der UN, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens und das Ziel Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu werden. Über die eigenen Reihen hinaus wirkt der EVVC im Forum Veranstaltungswirtschaft mit, dessen sechs Partner ihren Beitrag zum Green Deal der Europäischen Union leisten wollen. Aktuell geschieht das über die Handlungsempfehlung „Energiesparmaßnahmen in der Veranstaltungswirtschaft“. Stolz ist Unden, dass auf ihren Antrag hin und nach den Gesprächen mit dem Umweltbundesamt das Umweltzeichen „Blauer Engel“ für nachhaltige Veranstaltungen und Veranstaltungszentren in der Entwicklung ist. „Mit dem neuen Umweltzeichen soll es Veranstaltungszentren nach einer ‚Vorzertifizierung‘ auf einfachem Weg möglich sein, einzelne Veranstaltungen in den eigenen Räumlichkeiten mit dem Blauen Engel zu zertifizieren“, informiert sie.
Das Bestival von visitBerlin ist ein Best-Practice für nachhaltige Veranstaltungen. Für kommendes Jahr ist die Nachhaltigkeitszertifizierung ISO20121 angestrebt. Foto: tw tagungswirtschaft
„Unser wichtigstes Ziel ist, unseren CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren, wo immer es geht, ganz zu vermeiden oder abzusenken, den unvermeidbaren Rest zu kompensieren, sodass wir bald in die Klimaneutralität kommen“, sagt Djuranovic. Keine leichte Aufgabe, denn das Estrel Berlin verfügt als Deutschlands größtes Hotel über 1.125 Zimmer, einen 30.000 qm großen Kongressbereich, mehrere Restaurants und ein Showtheater. „In vielen Bereichen ist schon viel Positives in Bezug auf Nachhaltigkeit auf den Weg gebracht worden“, berichtet sie und nennt die Grauwasser- und Photovoltaik-Anlagen in der Convention Hall II, den Bezug von 100 Prozent Grünstrom und Kooperationen mit regionalen Lieferanten für Bio-Lebensmittel als Beispiel. Weitere Ziele sind die Kommunikation mit den Kunden und Maßnahmen für nachhaltigere Events ebenso wie zur Mitarbeiterzufriedenheit. „Wir sehen gerade, dass wir wirklich in jedem Unternehmensbereich nachjustieren können. Das werden wir Schritt für Schritt tun“, fasst Djuranovic zusammen. Das schließt den im Bau befindlichen Estrel Tower ein, der den höchsten Nachhaltigkeitsbaustandard LEED Platin anstrebt.
Die Hürden und drei Hacks
Unterstützung bekommt Djuranovic von der Estrel-Belegschaft, die hinter dem Thema Nachhaltigkeit steht und ihr viele Ideen und Vorschläge unterbreitet. „Dieses Engagement und der Wille, gemeinsam in eine nachhaltigere Zukunft zu gehen, ist großartig und erzeugt auch eine neue Qualität des Miteinanders.“ Als größte Hürde beschreibt sie die finanzielle Umsetzung, weil viele der notwendigen Maßnahmen am Anfang sehr kostenintensiv sind und sich erst später auszahlen. „Die aktuelle Energiekrise verkleinert zwar den finanziellen Spielraum, spielt dem Nachhaltigkeitsmanagement aber auch in die Hand“, meint Djuranovic, denn „die Energiekosten steigen so rasant, dass ernsthafte, auch langfristig gedachte Sparmaßnahmen für alle Unternehmen ein Muss sind“.
Foto: visitBerlin
„Mit dem Kongressfonds Berlin haben wir erreicht, dass das Land Berlin Veranstaltungsplanende finanziell unterstützt, um Events in Berlin nachhaltiger zu gestalten.“
Kyra Reiter
Neben neuen Situationen wie der Energiekrise treffen Nachhaltigkeitsmanager:innen auf alte Vorurteile. „Es kommt immer wieder vor, dass man auf das Vorurteil trifft, dass Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsorganisation teurer und aufwendiger ist“, sagt Reiter und steuert mit ihrer kostenfreien Beratung und dem Kongressfonds Berlin gegen. „Mit den Kongressfonds Berlin haben wir erreicht, dass das Land Berlin Veranstaltungsplanende finanziell unterstützt, um Events in Berlin nachhaltiger zu gestalten“, erzählt sie stolz. Ihre größte Herausforderung ist, die Komplexität der Nachhaltigkeit einfach zu erklären. Das versucht sie, indem sie das Thema für Kund:innen wie Kolleg:innen veranschaulicht und konkrete Projekte vorstellt wie die Sustainable Event Guidelines Berlin oder Nachhaltigkeit erlebbar macht wie beim Bestival 2022, das sie als Best-Practice-Festival für nachhaltige Veranstaltungen betrachtet. Schließlich wurde ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept erarbeitet, CO2-Emissionen sind berechnet und Maßnahmen in allen Handlungsfeldern der Veranstaltungsplanung umgesetzt worden. Für kommendes Jahr wird die Nachhaltigkeitszertifizierung ISO20121 angestrebt. Reiter hat drei Hacks für potenzielle Nachhaltigkeitsmanager:innen: „Die persönliche Überzeugung, Mut und Optimismus sind die Grundpfeiler, um Nachhaltigkeit voranzutreiben.“
Foto: Mareike Lindner
„Am besten nicht mehr länger warten, sondern sich gleich über die zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten informieren.“
Mareike Lindner
Auch Mareike Lindner hat drei Hacks parat: „Am besten nicht mehr länger warten, sondern sich gleich über die zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten informieren. Von einzelnen Seminaren bis zum Bachelor- oder Masterstudium ist grundsätzlich jede Art denkbar.“ Eine Leseempfehlung hat sie auch: das Buch „Nachhaltige Karriere – mit dem richtigen Job die Welt verändern“ von Saskia Juretzek und Sandra Broschat. Zweitens lassen sich über Social Media – allen voran LinkedIn – Kontakte knüpfen, auch über entsprechende Gruppen. Sich mit Nachhaltigkeitsmanager:innen unterhalten und sich inspirieren lassen, hilft ihr sehr. Und drittens helfe die intrinsische Motivation, das Thema Nachhaltigkeit vom Privat- ins Berufsleben zu übertragen und positive Veränderungen aktiv mitzugestalten. Dabei ist die größte Hürde für Lindner, alle Menschen – von der Geschäftsführung bis zum Auszubildenden, aber auch Freelancer:innen – in den Prozess einzubeziehen und an Bord zu holen. Selbst in Zeiten multipler Krisen bleibt Mareike Lindner bei ihrem Credo: „Verschwende keine Krise“. Die Pandemie hat ihr gezeigt, dass es kein „Back to normal“ mehr geben wird, „denn wir sind mittendrin in der Klimakrise und müssen mit unserem Handeln an einer lebenswerten Zukunft mitwirken“.
Nachhaltigkeitsmanager:innen in der Veranstaltungswirtschaft
Wir wird man das? Was macht man da und wieso? Wir stellen vier Nachhaltigkeitsmanagerinnen und ihre Arbeit vor: Mihaela Djuranovic, Nachhaltigkeitsmanagerin im Estrel Berlin, Kyra Reiter, Marketing Managerin Conventions für Sustainable Meetings Berlin im Berlin Convention Office von visitBerlin, Mareike Lindner, Senior Projektmanagerin und Nachhaltigkeitsmanagerin bei der Agentur MR Congress & Incentive, und Verena Unden, Sustainability Manager beim EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren.