Interview Marko Roscher
„Wirtschaft muss anders gedacht werden“
Marko Roscher: Es ist eine Herausforderung, dem Thema Nachhaltigkeit trotz oder gerade wegen der Klimakrise, der Corona-Pandemie sowie steigender Kosten einen hohen Stellenwert einzuräumen. Foto: C3, Dirk Hanus
Marko Roscher: Es ist eine Herausforderung, dem Thema Nachhaltigkeit trotz oder gerade wegen der Klimakrise, der Corona-Pandemie sowie steigender Kosten einen hohen Stellenwert einzuräumen. Foto: C3, Dirk Hanus
Marko Roscher ist Serviceleiter Gastronomie und Nachhaltigkeitsmanager bei den C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren gewesen und wechselt zum 1. November 2022 als Nachhaltigkeitsreferent zur fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft. Im Interview spricht er über Übungen in Ambiguitätstoleranz, die Arbeitsgruppe „Fußabdrücke“, Hans Carl von Carlowitz als Erfinder der Nachhaltigkeit und den Begriff Change Agents.
tw tagungswirtschaft: Seit wann sind Sie Nachhaltigkeitsmanager und welchen Beruf haben Sie vorher ausgeübt? Marko Roscher: Ich bin bis Ende September als Serviceleiter Gastronomie bei der C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren GmbH tätig gewesen und habe dort gleichzeitig seit Februar 2019 die Funktion als Nachhaltigkeitsmanager begleitet. Im November beginne ich als Nachhaltigkeitsreferent beim fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft – eine Herausforderung, auf die ich mich sehr freue. Was hat den Ausschlag zu diesem Beruf, dieser beruflichen Veränderung gegeben? Nachhaltigkeit bzw. Corporate Social Responsibility begleitet mich seit meiner Diplomarbeit 2008 in Kooperation mit dem Europäischen Verband der Veranstaltungs-Centren (EVVC), damit hatte ich frühzeitig Berührungspunkte mit dem Thema. Das Carlowitz Congresscenter Chemnitz, eine der durch die C³ betriebenen Locations, trägt nicht nur den Namen eines berühmten Vordenkers der Nachhaltigkeit – Hans Carl von Carlowitz, sondern hat sich mit seinem Kongresskonzept auch umfassend dem nachhaltigen Veranstalten verschrieben. Im Unternehmen wurde deshalb neben einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe auch ein Nachhaltigkeitsmanager gesucht. Damals habe ich mich aufgrund meiner Qualifikation für diese Position beworben und diese für dreieinhalb Jahre besetzt. Der Wechsel zur fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft gibt mir die Möglichkeit, mein Herzensthema über meinen bisherigen Wirkungskreis hinaus in die Breite der Branche zu bringen und andere Unternehmen bei ihrer Transformation zu unterstützen.
Wie haben Sie sich qualifiziert?
Einerseits durch meine Diplomarbeit über CSR, zum anderen durch persönliches Interesse am Thema. Seit März 2021 mache ich ein berufsbegleitendes Masterstudium „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“ an der HNEE – Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, um das Thema auf fachlicher und wissenschaftlicher Ebene zu festigen.
Welche drei Hacks haben Sie für Menschen, die Nachhaltigkeitsmanager:in werden wollen?
- Haltung stärken – beim Thema Nachhaltigkeit kommt es sehr stark auf die eigene innere Haltung an. Diese zu prüfen und durch Wissen und die notwendigen Fähigkeiten zu stärken, um als Change-Agent zu wirken, ist äußerst relevant.
- Üben Sie Ihre Ambiguitätstoleranz (von lateinisch Ambiguitas „Mehrdeutigkeit“, „Doppelsinn“ und tolerare „erdulden“, „ertragen“). Man stößt unweigerlich auf Widerstände. Diese auszuhalten und nicht zu verzweifeln bei seinen Bestrebungen, als Nachhaltigkeitsmanager:in zu wirken, sind bedeutsam – auch ich musste dies lernen und übe mich weiterhin darin.
- Austausch – Der Austausch mit anderen Nachhaltigkeitsmanager:innen ist essenziell und hilft, um Anregungen für das eigene Wirken zu erhalten.
Was ist Ihr Aufgabenfeld?
Als Nachhaltigkeitsmanager habe ich bei der C³ die interne Arbeitsgruppe „Fußabdrücke“ geleitet und immer neue Initiativen angeregt. Gemeinsam haben wir die Green-Globe-Zertifizierung durchlaufen und in 2020 erstmals erfolgreich erhalten – dabei war ich Ansprechpartner für die Auditorin. Darüber hinaus war ich interne und externe Kontaktperson für Belange der Nachhaltigkeit und habe intern unsere Nachhaltigkeitsticker geschrieben, um Mitarbeiter:innen über Entwicklungen und Projekte zu Nachhaltigkeit zu informieren. Die Berichtspflicht im Rahmen von fairpflichtet lag ebenfalls in meinem Aufgabenbereich. Die Projekte bzw. Kooperationen mit foodsharing zur Weitergabe übriger Speisen und mit der Stiftung Wilderness International zur Kompensation entstandener CO2-Emissionen habe ich gleichermaßen in meiner Funktion als Nachhaltigkeitsmanager betreut.
Das Carlowitz-Congresscenter Chemnitz hat ein umfassendes Kongresskonzept und ist nach Green Globe zertifiziert.
Foto: C3, Kristin-Schmidt
Das Carlowitz-Congresscenter Chemnitz hat ein umfassendes Kongresskonzept und ist nach Green Globe zertifiziert. Foto: C3, Kristin-Schmidt
Warum braucht die (Veranstaltungs-)Wirtschaft Nachhaltigkeitsmanager:innen?
Ich bevorzuge die Begriffe „Change-Agents“ und „Transformationsmanager:innen“ – das bringt gut zum Ausdruck, worum es geht. In den Worten des Brundtland-Berichts „Unsere gemeinsame Zukunft“ von 1987: Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“. Um das zu erreichen, braucht es eine notwendige Transformation und Wirtschaft muss anders gedacht werden. Dabei unterstützen Nachhaltigkeitsmanager:innen – in Unternehmen, Verbänden, der Politik oder der Zivilgesellschaft. Wieso hat Ihre Organisation eine Stelle als Nachhaltigkeitsmanager:in geschaffen? Mit dem Anbau des Carlowitz-Congresscenters wurde eine Location geschaffen, die schon im Titel den Namen des „Erfinders der Nachhaltigkeit“, Hans Carl von Carlowitz, trägt. Dadurch war die Orientierung klar, dass es beim Betrieb der Location eine nachhaltige Ausrichtung geben wird. Dafür wurde die Stelle geschaffen, damit gezielt ein Ansprechpartner die Bestrebungen in Richtung Nachhaltigkeit bereichsübergreifend steuern, begleiten und voranbringen kann.
Hans Carl von Carlowitz: Nachhaltigkeit – Verantwortung für die Zukunft
Hans Carl von Carlowitz (1645–1714), Oberberghauptmann am kursächsischen Oberbergamt in Freiberg, gilt als Begründer des Prinzips der Nachhaltigkeit. Angesichts einer drohenden Holzverknappung am Ende des 17. Jahrhunderts formulierte von Carlowitz 1713 in seinem Werk "Sylvicultura oeconomica" erstmals, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie durch planmäßige Aufforstung wieder nachwachsen kann. Damit legte er den Grundstein für die deutsche Forstwirtschaft und das Prinzip des nachhaltigen Umgangs mit Rohstoffen.
Was raten Sie Organisationen, die sich kein(e) Nachhaltigkeitsmanager(in) leisten können oder wollen, aber nachhaltiger werden wollen – oder müssen?
- Austausch: Tauschen Sie sich mit anderen Organisationen aus, welche Nachhaltigkeit implementiert haben. Es gibt immer Projekte – seien sie auch noch so klein –, welche im eigenen Betrieb umsetzbar sind, auch wenn es keinen expliziten Nachhaltigkeitsmanager gibt.
- Commitment: Suchen Sie jemanden im Unternehmen, der sich für das Thema interessiert und neben seinen Hauptaufgaben in die Thematik hineinwachsen kann. Mittelfristig wird jedes Unternehmen eine(n) Verantwortliche(n) benötigen, die/der Nachhaltigkeit organisationsintern begleitet. Wer dies nicht berücksichtigt, wird den Anschluss verpassen und in ein paar Jahren – im schlimmsten Fall – seine „Licence to operate“ verlieren.
- Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit: Gründen Sie ein Nachhaltigkeitsteam mit Beteiligten aus verschiedenen Abteilungen. Nachhaltigkeit kann nur gemeinsam mit der Hilfe und einem Bewusstsein aller gestaltet werden. Je früher das im Unternehmen beginnt, desto besser für Mensch und Planet.
Welche Ziele haben Sie/Ihre Organisation sich gesetzt?
Für die C³ ist Nachhaltigkeit im Unternehmenskontext ein andauernder Prozess, den viele mitgestalten. Alle Mitarbeiter:innen auf diesem Weg mitzunehmen und im besten Falle auch für einzelne Themenbereiche der Nachhaltigkeit zu begeistern, sehe ich als wichtiges Ziel. Einzelne nachhaltige Services noch aktiver bei den Kunden zu platzieren und auch das Bewusstsein für eine nachhaltige Veranstaltungsorganisation zu schärfen, sehe ich gleichermaßen als wichtige Ziele für die Organisation.
Jörg Zeißig, Vorstand der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft, begrüßt die neu geschaffene Stelle des Nachhaltigkeitsreferenten. Foto: Holtmann GmbH & Co. KG
Nachhaltigkeit als Chance sehen
Die fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft (zuvor Famab) ist seit mehr als zwölf Jahren in Belangen der Nachhaltigkeit aktiv, hat die Famab-Stiftung initiiert und Projekte wie die Sustainable Company. Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen begrüßt Jörg Zeißig, Geschäftsführer von Holtmann+ und Vorstand in der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft, die neu geschaffene Stelle des Nachhaltigkeitsreferenten: „Durch Marko Roscher als Nachhaltigkeitsreferent gewinnt die Bundesvereinigung an Fachexpertise. Nachhaltigkeit soll nicht mehr als notwendiges Übel, sondern als Chance und unabdingbarer Bestandteil unseres Geschäftsmodells gesehen werden. Das Thema Nachhaltigkeit eint die Branche, unabhängig von Verbandszugehörigkeit. Nur durch einen kollaborativen Ansatz kann Nachhaltigkeit ganzheitlich Wirkung entfalten. Marko Roscher als Kompetenzträger im fwd: wird den bereits eingeschlagenen neuen Weg mit Nachdruck stärken und weiter ausbauen.“
Wie bemisst sich der „Erfolg“ Ihres Tuns? In erster Linie haben wir den Erfolg der zahlreichen einzelnen Maßnahmen und Nachhaltigkeitsbestrebungen der C³ durch das Erreichen der Green-Globe-Zertifizierung erkannt. Darüber hinaus gibt es noch kein umfassendes Controlling Tool im Unternehmen, um einzelne Daten für die Nutzung nachhaltiger Services zu messen. Das ist eine Aufgabe für die Zukunft. Worauf sind Sie stolz? Gibt es einen wichtigen „Mile Stone“, der erreicht wurde? Die bereits erwähnte Green-Globe-Zertifizierung war ein wichtiger Meilenstein, um zu sehen, wo wir stehen und in welchen Feldern wir noch Verbesserungspotenziale haben. Darüber hinaus bin ich stolz auf die Kolleg:innen der Arbeitsgruppe „Fußabdrücke“, welche mit ihrem Engagement Nachhaltigkeit in der C³ mitgestalten und mit Leben füllen. Ich bin dankbar für zahlreiche kleine und große initiierte Aktionen und installierte Maßnahmen.
„Leider – muss ich sagen – bedarf es nach wie vor viel Überzeugungsarbeit, dass eine Orientierung des Wirtschaftsmodells zu Nachhaltigkeit der richtige Weg ist“
Marko Roscher, ab November 2022 Nachhaltigkeitsreferent bei der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft
Wie nehmen Sie Ihre Kolleg:innen mit – und wie Ihre Kund:innen?
Die interne Arbeitsgruppe „Fußabdrücke“ hilft, die einzelnen Projekte über die Beteiligten in alle Abteilungen hineinzutragen. Darüber hinaus ist der Nachhaltigkeitsticker ein gutes Kommunikations-Tool, um alle Kolleg:innen über die Entwicklungen zu informieren. Kund:innen müssen bereits bei Kontakt mit dem Vertriebsteam zu diversen Themen der Nachhaltigkeit abgeholt werden. Abgesehen davon, dass es wichtig ist, die Bestrebungen transparent über seine Kanäle, sei es die Website oder Social Media, darzustellen, ist es wichtig, dass die Kolleg:innen im Vertrieb das Thema immer präsenter machen und Kund:innen gegenüber aufzeigen, wie nachhaltige Veranstaltungen aussehen können.
Mit welchen Hürden kämpfen Sie im Nachhaltigkeitsmanagement allgemein?
Leider, muss ich sagen, bedarf es nach wie vor viel Überzeugungsarbeit, dass eine Orientierung des Wirtschaftsmodells zu Nachhaltigkeit der richtige Weg ist. Nicht jeder – intern wie extern – hat die gleiche Haltung wie man selbst. Dies kann anstrengend sein und gelegentlich auch frustrieren – dann hilft es, sich an seiner eigenen Haltung zu orientieren.
Was ist aktuell Ihre größte Herausforderung?
Nachhaltigkeit ist ein Prozess, bei dem es immer wieder kleinere Herausforderungen sowie natürlich auch Erfolgsmomente gibt. Aktuell sehe ich es als eine wichtige Herausforderung, dem Thema trotz oder gerade wegen der Klimakrise, der Corona-Pandemie sowie der steigenden Kosten in vielen Bereichen einen hohen Stellenwert einzuräumen. Außerdem ist es schwierig, richtige Partner und Dienstleister zu finden, welche dem Thema ebenfalls einen hohen Stellenwert geben und es in ihrem Unternehmen und in ihren Produkten bzw. Dienstleistungen integrieren. Ziel muss es sein, die gesamte Wertschöpfungskette und alle Gewerke bei Veranstaltungsproduktionen auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen.