Foto: HTW Berlin
Editorial
Kerstin Wünsch
Chefredakteurin tw tagungswirtschaft kerstin.wuensch@dfv.de
Warm anziehen
„Bitte sehen Sie uns nach, dass wir aktuell keine Angaben machen können“, schreiben mir die einen auf meine Anfrage zum Thema Energieversorgung und -preise und die anderen „Bitte beachten Sie folgende Änderungen“. Fast möchte ich jeder Information eine Datumsangabe hinzufügen. Das Thema Energie ist einer Dynamik ausgesetzt, in der Angaben von gestern heute nicht mehr gelten mögen. Das hat Folgen für Veranstaltungen. Die meisten Venues haben Gas und Strom in ihrem Energiemix und mit Blick auf den Winter Sorgen: Die Energieversorgung ist unsicher, die Kosten für Gas und Strom sind ungewiss.
Gas und Öl sind knapp und werden aller Voraussicht nach im Herbst und Winter nochmals deutlich teurer mit Folgen für die Inflation. Diese berechnet im September das ifo-Institut, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München. „Wir gehen in eine Winter-Rezession“, folgert Timo Wollmershäuser, Leiter der ifo Konjunktur-Prognosen, aus seinen Berechnungen. Für 2022 erwartet das ifo-Institut jetzt nur noch ein Wachstum der Wirtschaftsleistung von 1,6 Prozent, für 2023 ein Schrumpfen um 0,3 Prozent. Die Inflation soll in diesem Jahr bei durchschnittlich 8,1 Prozent liegen und im kommenden Jahr sogar bei 9,3 Prozent. Wollmershäuser: „Die Kürzungen der Gaslieferungen aus Russland im Sommer und die dadurch ausgelösten drastischen Preissteigerungen verhageln die wirtschaftliche Erholung nach Corona.“
Etwa die Hälfte der 750 Mitgliedshäuser im Europäischen Verband der Veranstaltungs-Centren (EVVC) sind direkt von der Gasversorgung abhängig, weitere 30 % sind es indirekt. Somit sind rund 500 Veranstaltungszentren auf eine sichere Gasversorgung angewiesen. Doch es gibt Ausnahmen: Das Wissenschafts- und Kongresszentrum darmstadtium (das Gebäude mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach auf der Titelseite) wird aus einem Mix erneuerbarer Energien betrieben und braucht kein Gas. „Mit unserer internen Wärmequelle, dem hauseigenen Biomasse-Heizkessel, können wir einen maßgeblichen Teil der Wärmeerzeugung im Haus und somit den Betrieb des Hauses sicherstellen“, versichert Geschäftsführer Lars Wöhler. Jedoch haben Engpässe in der Gasversorgung Auswirkungen auf die Produktion von Strom und auf die Preise. Im Strombereich kommt auf die Darmstädter ab Januar eine Verfünffachung des Arbeitspreises zu. Die LED-Wand über dem Haupteingang wird dann nur noch bei großen Events leuchten.
„Mit unserer internen Wärmequelle, dem hauseigenen Biomasse-Heizkessel, können wir einen maßgeblichen Teil der Wärmeerzeugung im Haus und somit den Betrieb des Hauses sicherstellen.“
Lars Wöhler, Geschäftsführer darmstadtium
Während es draußen dunkler wird, wird es drinnen kühler. Erdgas wird in Deutschland vor allem für die Bereitstellung von Wärme und Warmwasser verwendet, und wenn wir ein Grad weniger heizen, sparen wir sechs Prozent an Gas. Deshalb sollen die 186.000 öffentlichen Gebäude hierzulande nur noch auf 19 Grad geheizt werden. „19 Grad an Arbeitsstätten in öffentlichen Nichtwohngebäuden“ heißt das in der Energieeinsparverordnung. Es ist ein Thema, über das ich mich in den letzten Tagen viel ausgetauscht habe, und bin der Meinung: Angesichts des Ukrainekriegs und der Klimakrise geht es um mehr als unsere Komfortzone. Wie sich 19 Grad anfühlen, weiß jeder, der in vergangenen Sommern in einem klimatisierten Convention Center in den USA tagte.
Und wer glaubt, dass sie oder er es zur Fachmesse IBTM World Ende November in Barcelona wärmer hat, täuscht sich. Bereits am 2. August hat die spanische Regierung das Energiespargesetz verabschiedet, das die Obergrenze von 19 Grad festlegt. „Spanien hat neue Vorschriften eingeführt, die für öffentliche und große gewerbliche Gebäude gelten, um die Energieeinsparung zu unterstützen, und diese werden auch für die Fira Gran Via gelten“, bestätigt Event Director David Thompson.
Hier kommt mir der Umweltmonitor der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) in den Sinn. Zwei von drei Deutschen sind bereit, im kommenden Winter weniger zu heizen und stattdessen einen Pullover oder eine wärmende Decke zu nutzen, um die Unabhängigkeit Deutschlands von Energielieferungen aus Russland zu unterstützen. Sie auch? Wenn Sie mögen, schreiben Sie mir.