Interview Didi Hamann
„Den Erfolg der Mannschaft in den Vordergrund stellen“
Foto: Sky
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Dietmar „Didi“ Hamann gehört zu den erfolgreichsten deutschen Fußballern. Heute arbeitet er im Fernsehen und tritt als Speaker auf wie zur Connecting People 2022. Im Interview spricht er über die weibliche Fußball-Nationalelf, Zusammenhalt und Vertrauen, Freiraum für junge Talente und den Umgang mit einem Rückstand von 0:3.
tw tagungswirtschaft: In vier Wochen fällt der Startschuss für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 der Männer. Für die WM-Vergabe an Katar gibt es viel Kritik. Wie sehen Sie das? Didi Hamann: Natürlich kann man jetzt kontrovers diskutieren, ob die WM an Katar hätte vergeben werden sollen, aber das müssen die Politik und die FIFA regeln. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn jetzt Leute um die Ecke kommen und sagen, die Spieler sollten das boykottieren. Die WM ist nur alle vier Jahre. Wenn du Glück hast als Spieler, erlebst du das ein- oder zweimal im Leben. Das ist eine Entscheidung, die man den Spielern nicht aufbürden kann. Von den Spielern oder den Verbänden zu verlangen, dort nicht hinzufahren, halte ich für falsch und heuchlerisch. Werden Sie nach Katar reisen?
Nein. Ich arbeite bei den großen Turnieren für das irische Fernsehen, den RTÉ, und werde die meiste Zeit in Dublin in Irland verbringen. Von dort werde ich über die WM berichten und nicht vor Ort in Katar sein. Sie haben im Sommer sicherlich die Fußball-Europameisterschaft 2022 der Frauen verfolgt. Gibt es etwas, das Ihnen fußballerisch oder menschlich bei der weiblichen deutschen Elf aufgefallen ist?
Die Frauen haben einen großen Zusammenhalt gezeigt und alles verkörpert, was eine gute Mannschaft ausmacht. Leider hat es am Schluss nicht gereicht gegen die Engländerinnen, aber sie haben den deutschen Fußball würdig vertreten. Für mich als Teamsportler gibt es nichts Schöneres als eine Mannschaft, noch dazu eine deutsche Mannschaft, die diesen Zusammenhalt verkörpert und damit die ganze Nation hinter sich bringt. Das haben sie wunderbar gemacht.
Der Zusammenhalt ist wichtig, gerade im Teamsport. Wie findet man die richtigen Spieler oder Spielerinnen, und wie macht man aus elf Menschen eine Mannschaft?
Kommunikation ist hier sehr wichtig. Es ist wichtig zu wissen, wer neben dir in der Kabine sitzt, und das ist im Business nicht anders. Du musst den Spielern oder Spielerinnen vorgeben, was du als Trainer erwartest, und wer sich nicht daran hält, kann nicht Teil der Mannschaft sein. Es gibt Grundregeln wie Respekt und Disziplin den Mitspielern gegenüber. Es geht immer darum, die Mannschaft in den Vordergrund zu stellen und die eigenen Interessen hintanzustellen. Dann findet sich eine Mannschaft von selbst. Darauf kann man als Trainer nur bedingt einwirken. Wenn die Mannschaft sich selbst findet, worauf sollten Trainer oder Führungskräfte achten, wenn sie die Spieler oder Mitarbeiter aussuchen?
In der Mannschaft ist es so, dass du drei oder vier Leute finden musst, die die Mannschaft führen, denn du kannst nicht jeden Tag 20 oder 25 Spieler motivieren. Du musst dir Leute suchen, die sehr beständig sind in ihren Leistungen und ein Stück weit stressresistent, damit du dich in Drucksituationen auf sie verlassen kannst. Diese Personen muss ich stärken. Sie heben Beständigkeit und Stressresistenz hervor. Wie kann man gerade jetzt in Zeiten großer Ungewissheit sein Team wappnen?
Man sieht erst, wie vereint eine Mannschaft ist, wenn es nicht läuft. Beim Fußball wird da viel in der Vorbereitung gemacht, wenn du anfängst, mit der Mannschaft zu arbeiten. Wenn du Erfolgserlebnisse hast, musst du darauf einwirken, dass die Leute die Füße auf dem Boden halten, dass sie nicht zu schnell denken, dass sie besser sind, als sie wirklich sind. Du musst immer wieder darauf hinweisen, dass es auch andere Zeiten gibt oder geben kann. Wenn es gut läuft, können wir alle Trainer sein. Wenn es nicht gut läuft, kann es im Fußball wie auch in anderen Bereichen sein, dass eine Mannschaft in ihre Einzelteile zerfällt.
„Man sieht erst, wie vereint eine Mannschaft ist, wenn es nicht läuft.“
Didi Hamann
In der Veranstaltungswirtschaft lief es gut, aber mit Beginn der Pandemie ist es nicht mehr gut gelaufen. Viele Menschen haben die Branche verlassen, die Besucher verhalten sich zögerlich …
Das war eine besondere Situation. Es gibt Sachen und Entwicklungen, auf die man keinen Einfluss hat, wo man machtlos ist. Da müssen die Vorgaben von der Politik gemacht werden, damit es wieder als okay gilt und man sich sicher fühlt, wenn sie sich mit 20, 50, 100, 500 Leuten in einer Halle treffen. Ich glaube, wir haben das Schlimmste hinter uns. Jetzt muss man positiv bleiben und auf die Leute einwirken, dass sie wieder Veranstaltungen besuchen. Beim Fußball muss man je nach Gegner und Situation die Spielführung anpassen. Das passt gut in die heutige VUCA-Arbeitswelt (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity). Wie macht man die Teammitglieder agil oder „fit for change“?
Ich muss ihnen Vertrauen schenken und die Freiheit geben, Entscheidungen zu treffen. Das große Problem heute ist, dass wir den Leuten vorgeben, was sie machen sollen. Ich muss die Leute einen Fehler machen lassen, sie stützen und unterstützen. Im Fußball gibt es eine Entwicklung, dass den Kindern schon in sehr jungen Jahren zu viel vorgegeben wird und das Talent aus ihnen herausgecoacht wird. Das ist eine ungute Entwicklung – mehr noch, es ist eine Entwicklung, bei der mir angst und bange wird. Wäre es besser, den Kindern mehr Vertrauen und mehr Freiraum zu geben?
Ja, absolut! Wenn wir beim Fußball bleiben, ob bei Bayern München, Dortmund oder Bremen oder wo auch immer: Wenn ich ein Kind mit einem Talent habe, dann muss es sein Talent entwickeln können. Das Wichtigste ist, dass du selbst Lösungen findest. Wenn wir den Kindern mit 10, 12 oder 14 Jahren schon alles vorgeben, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn sie mit 20 Jahren keine eigenen Entscheidungen treffen oder treffen können. Das andere ist, wenn du ihnen alles vorgibst, dann erziehst du sie zur Faulheit, weil sie nicht überlegen müssen. Das sieht man Woche für Woche in den höchsten Spielklassen im Fußball: Die Leute sind mit 24 oder 25 Jahren nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, weil es ihnen abtrainiert wurde. Das halte ich für sehr gefährlich. In der Unternehmenswelt kennen wir auch diese Geschichten, wo der Chef alles vorgibt. Dann frage ich mich, warum brauchst du diese Leute, wenn du denkst, du musst ihnen alles vorgeben? Diese Unternehmens- oder Mannschaftsführung ist für mich kontraproduktiv.
Didi Hamann gehört zu den erfolgreichsten deutschen Fußballern. Der Münchner ist heute TV-Experte bei Sky, dem irischen Sender RTE, und ein gefragter Vortragsredner, Talkgast und Co-Moderator.
Foto: Sport Speaker
Sie waren UEFA-Champions-League-Sieger, zweimal UEFA-Pokal-Sieger, zweimal UEFA-Supercup-Sieger, zweimal FA-Cup-Sieger, zweimal Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger, Vize-Weltmeister … Jetzt sind Sie Speaker. Vor Menschen Fußball spielen oder vor Menschen sprechen – wie bereiten Sie sich vor?
Wenn ich für das Fernsehen berichte, lese ich unter der Woche viel und spreche mit der einen oder anderen Person. Bin ich jedoch selbst Gast, will ich die Fragen nie vor der Sendung wissen. Meine Antwort ist besser, wenn ich spontan antworte. Als Speaker bereite ich mich gut vor, erkundige mich, wer anwesend sein wird, und versuche, die Leute mitzunehmen. Es gibt viele Parallelen im Sport und gerade im Fußball und in der Wirtschaft. An welche Parallele denken Sie zuerst?
Den Zusammenhalt in der Mannschaft. Ich weiß, dass das in vielen Unternehmen mit vielen Mitarbeitern gerade jetzt in der unsicheren Zeit nicht einfach ist. Aber wenn ich lese, dass die Leute erst in der Pandemie durch Zoom-Calls herausgefunden haben, dass ihr Kollege oder ihre Kollegin ein Kind hat, dann haben wir etwas falsch gemacht! Das heißt ja: Wir müssen erst voneinander getrennt werden, um herauszufinden, wer wir sind! Im Englischen gibt es das schöne Wort „to care“. Du kannst nur einen Bezug zu einer Person entwickeln, wenn du sie und ihren Hintergrund kennst; wo sie herkommt, ob sie eine Familie hat. Das ist das A und O bei einer Mannschaft, zu wissen, wer da vor oder neben dir sitzt. Sie halten auf der digitalen Connecting People am 3. November 2022 die Keynote „Team-Erfolg der Champions“. Was macht einen „Champion“ in der heutigen Arbeitswelt aus?
Der Champion stellt den Erfolg des Unternehmens und der Mannschaft in den Vordergrund. Der Chef muss das vorleben. Also lead by example: Verlange nichts von deinen Leuten, was du selbst nicht bereit bist zu tun. In der Unternehmensführung ist heute Empathie die wichtigste Charaktereigenschaft, die jemand haben sollte, der Menschen führt.
In Ihren Management-Workshops raten Sie den Führungskräften, sich um das zu kümmern, was sie beeinflussen können, und auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Sie geben ein Beispiel: „Und wenn du den Elfmeter verschießt, dann verschießt du ihn. Aber verschieß‘ ihn nicht, weil du dir denkst: Ich weiß nicht, ob ich den Elfmeter reinschießen kann.“ Sind die Menschen zögerlicher geworden?
Ja, und das ist mangelndes Vertrauen. Natürlich muss man das in der Situation beurteilen, aber wenn du nicht das Gefühl hast, das volle Vertrauen des Trainers zu haben, dann hast du Angst, Fehler zu machen – und das ist kontraproduktiv. Man muss den Leuten zugestehen, Fehler zu machen. Nur so lernst du. Einer Ihrer größten Erfolge war beim FC Liverpool der Gewinn der UEFA-Champions-League 2005. Bei einem Rückstand von 0:3 wurden Sie zur Halbzeit eingewechselt. Als Sie aufs Spielfeld gingen, was ist in Ihnen vorgegangen und was haben Sie gemacht?
Als die Halbzeit abgepfiffen wurde, dachte ich auch, das Spiel ist verloren. Doch ich sage immer: Die Dinge sind nicht immer so schlecht, wie sie aussehen, aber auch nicht so gut, wie sie aussehen. Ich habe mich zehn Minuten allein warmgemacht – und je länger ich mich warmgemacht habe, kam mein Glaube zurück: Wenn die drei Tore schießen können in der ersten Halbzeit, warum sollen wir nicht drei Tore schießen können in der zweiten Halbzeit? Also, dachte ich mir, das erste Tor zeitig schießen und dann das zweite Tor und sehen, wie sie reagieren, denn unter Druck machen die besten Mannschaften Fehler. Du brauchst diese Einstellung, dass du es zumindest probierst. Wir hatten einen unheimlichen Zusammenhalt in der Mannschaft – ohne diesen Zusammenhalt wäre es nicht gegangen. Was haben Sie aus dieser Situation für Ihr Leben gelernt?
Wenn es schlecht läuft, wenn die Ergebnisse schlecht sind oder die Unternehmensumsätze, dann muss man herausfinden, warum das so ist und die Fehler beheben. Man muss aber auch den Glauben haben, dass man das drehen kann. Das ist entscheidend. Unser Trainer war damals in der Halbzeit so ruhig wie selten zuvor, und das hat natürlich auf die Mannschaft ausgestrahlt.
Lernen von den besten Sportler:innen
Die Sport Speaker GmbH ist Deutschlands Redner-Netzwerk aus Olympiasieger:innen, Weltmeister*innen und Champions. Seit über 20 Jahren berät Sven Ehricht sportinteressierte Unternehmen, Sponsoren, Verbände und Event-Agenturen. Gemeinsam mit den Sport Speaker:innen konzipiert und realisiert er motivierende Vorträge, unterhaltsame Business-Talks und Moderationen – live und hybrid auf der Bühne, im Studio oder online per Videoschaltung. Die Sport Speaker:innen treten bei Mitarbeiter- und Kundenveranstaltungen auf, bei Team-Events, Workshops und Seminaren auch im Stadion, Incentives etwa in Liverpool sowie Messen und Tagungen.