Mental Health

Gemeinsam gesund bleiben

„Die Ära der großen Erschöpfung“ – das war der Titel der Auftakt-Diskussion der Personalfachmesse Zukunft Personal Europe am 9. September 2024 in der Kölner Messe. Foto: ZP Europe

„Die Ära der großen Erschöpfung“ – das war der Titel der Auftakt-Diskussion der Personalfachmesse Zukunft Personal Europe am 9. September 2024 in der Kölner Messe. Foto: ZP Europe

Zwischen Krisen, Krieg und zunehmend komplexen Aufgaben zeigen sich immer mehr Menschen erschöpft. Das gilt auch für Eventprofis und Messeverantwortliche, die phasenweise immer wieder unter sehr viel Stress stehen. Bedeutet das, dass sie gefährdeter sind als andere Berufsgruppen?

„Die Ära der großen Erschöpfung“ – so lautet der Titel der Auftakt-Diskussion der Personalfachmesse ZP Europe am 9. September 2024 in der Kölner Messe. Wenige Wochen später widmet sich Fréderic Letzner in der Abschluss-Keynote der EVVC-Fachtagung dem Thema „Mentale Gesundheit in hektischen Zeiten“. Der Hospitality HR Summit rückt Anfang November die Verantwortung von Arbeitgebenden für die Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsumfelder in den Fokus. Und auch beim Nextlive.Festival im November geht es darum, wie man bei der Arbeit gesund bleibt: Dort steht u.a. Sven Kretschmar, Markenchef Deutschland und Österreich bei Hipp, auf der Bühne, um zu erzählen, wie er selbst in den Burnout geriet – und wieder herausgefunden hat.

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Mentale Gesundheit ist derzeit ein hochaktuelles Thema für Personalverantwortliche innerhalb und außerhalb der Messe- und Eventbranche. Und das hat gute Gründe. „Wir sehen viel Erschöpfung bei unseren Mitarbeitenden“, sagt Nina Weigel auf der ZP Europe-Bühne, die sie sich mit Arbeitswissenschaftlerin Jutta Rump und Mental-Health-Expertin Eva Elisa Schneider teilt. Weigel ist Personalleiterin des AXA-Konzerns und sehr besorgt angesichts ihrer Beobachtung, die sich mit Erkenntnissen des McKinsey-Health-Instituts deckt: Einer aktuellen Studie zufolge klagen 37 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland über körperliche und geistige Erschöpfung, gesund und entspannt fühlen sich nur 51 Prozent der Befragten. „Mentale Gesundheit ist längst nicht mehr nur ein persönliches Thema, sondern ein geschäftskritisches für viele Unternehmen“, erklärt Weigel.

Nina Weigel, Personalleiterin AXA-Konzern, auf der Diskussion am ersten Tag der Personalmesse ZP Europe. Foto: ZP Europe

Tatsächlich zählen psychische Erkrankungen seit einigen Jahren zu den häufigsten Ursachen von Arbeitsunfähigkeit – und belasten damit Unternehmen direkt. Zuletzt hat der Fehlzeitenreport der AOK, den der Krankenkassenverbund Anfang Oktober 2024 präsentiert hat, festgestellt, dass die entsprechenden Ausfalltage seit 2014 um knapp 47 Prozent zugenommen haben. Noch höher war der Anstieg bei Burnout-bedingter Arbeitsunfähigkeit: Kamen vor zehn Jahren noch ein Krankheitstag auf ein AOK-Mitglied, waren es im August 2024 schon 1,8 Tage. Andere Krankenkassen berichten von ähnlichen Entwicklungen.

Hier geht’s zum Fehlzeitenreport der AOK

Wie stressig ist es in der Eventbranche?

Die Beobachtungen und Zahlen sind branchenübergreifend, Angaben speziell für die Messe- und Eventbranche gibt es nicht. Nach Ansicht des Europäischen Verbands der Veranstaltungs-Centren e.V. (EVVC) lässt sich über spezifische Belastungen auch kaum eine Einschätzung abgeben – zu divers sind die Unternehmensmodelle, Auslastungen und Personalsituationen in der Branche. „Und auch die Locations, die wir vertreten, sind derart verschieden aufgestellt, dass eben auch die persönliche Belastung der Mitarbeitenden stark variiert“, erklärt EVVC-Geschäftsführer René Tumler. Doch auch bei den meisten von ihnen werden die von den Krankenkassen identifizierten Entwicklungen zu spüren sein. Nicht zuletzt, weil sich auch in der Veranstaltungsbranche ein belastender Faktor in den vergangenen Jahren verschärft hat: der Fachkräftemangel. „Durch eine angespannte Personallage ist es denkbar, dass es mancherorts zu einem höheren Arbeitsaufwand der Mitarbeitenden gekommen sein kann“, formuliert es Tumler vorsichtig und unterstreicht gleichzeitig: „Das ist aber nicht zwingend mit mentaler Belastung gleichzusetzen.“

Foto: Christof Mattes

„Ein höherer Arbeitsaufwand ist nicht zwingend mit mentaler Belastung gleichzusetzen.“

René Tumler, Geschäftsführer des Europäischen Verbands der Veranstaltungs-Centren (EVVC)

Deutlicher äußert sich Leo Nitzberg, Co-Gründer der amerikanischen Event-Agentur VADA, der im September 2024 auf LinkedIn spezifische Stressfaktoren beschreibt, die er von sich selbst und für Menschen in der Veranstaltungsplanung im Allgemeinen erkennt: „Es steht oft viel auf dem Spiel, denn vom Erfolg einer Veranstaltung hängen oft erhebliche finanzielle Investitionen ab, dazu kommen hohe Kundenerwartungen, Sicherheitsstandards und die öffentliche Aufmerksamkeit.“ Der Druck ist also groß. Zusätzlich belastend sind oft enge Zeitfenster, unvorhergesehene Veränderungen, schwierige Verhandlungen und unregelmäßige, oft lange Arbeitszeiten, so Nitzberg.

Stress allein macht nicht krank

Auch diese Faktoren aber sind kein automatischer Grund für Erschöpfung, betont Mental-Health-Expertin Neşe Oktay-Gür. Denn in der Regel wisse man, wann eine heiße Phase komme – und stelle sich auf die Belastung ein. „Und wir sind psychologisch sehr gut ausgestattet, um solche punktuellen Belastungen wegzustecken“, erklärt die Psychologin, die mit ihrem Beratungsunternehmen NAP! auch schon Event-Agenturen bei der Entwicklung einer gesunden Arbeitskultur unterstützt hat. Entscheidend sei, dass es Aussicht auf Erholung nach der Belastung gebe. In den ruhigeren Phasen lassen sich dann die Akkus wieder aufladen, meint Oktay-Gür: „Dann zahlen wir sozusagen unsere Mental-Health-Schulden zurück.“

„Mental-Health-Schulden lassen sich zurückbezahlen.“

Dr. Neşe Oktay-Gür, Psychologin, Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens NAP! Gesunde Arbeitskultur für Unternehmen und Expertin für gesunde Arbeitskultur, über mentale Gesundheit in einer zerbrechlichen Welt und wie man sie am besten bewahren kann.

Hier geht’s zum Interview

Foto: Yang Photography

„Mental-Health-Schulden lassen sich zurückbezahlen.“

Foto: Yang Photography

Dr. Neşe Oktay-Gür, Psychologin, Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens NAP! Gesunde Arbeitskultur für Unternehmen und Expertin für gesunde Arbeitskultur, über mentale Gesundheit in einer zerbrechlichen Welt und wie man sie am besten bewahren kann.

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Diese Erholung kann individuell sehr unterschiedlich aussehen – und oft reichen schon kleine Momente der Ruhe im hektischen Alltag. „Man braucht nicht direkt einen Tag im Spa – es macht schon einen Unterschied, wenn man zwischendurch achtsam den Lieblingstee trinkt oder die Sportroutine eben nicht ausfallen lässt, wenn’s stressig wird“, sagt Oktay-Gür. Der Ausgleich ist wichtig, damit das Stresshormon Cortisol zwischendurch abgebaut werden kann. Denn es macht uns zwar kurzfristig leistungsfähiger – etwa indem es den Blutdruck anhebt, das Immunsystem hochfährt und Entzündungen hemmt. Bei Dauerstress aber sorgt es für Schlaflosigkeit, innere Unruhe und Erschöpfung. Viele Unternehmen wissen das inzwischen sehr gut und bieten entsprechende Möglichkeiten für einen solchen Ausgleich an. Bei der Deutschen Messe AG etwa gibt es das „Fair Balance“-Programm zur internen Gesundheitsförderung, über das die Mitarbeitenden an Fitnesskursen teilnehmen können. „Oder sie können sich im Rahmen unseres Entspannungsangebotes einen Massagetermin bei uns im Haus buchen“, heißt es von der Messegesellschaft. Die NürnbergMesse bietet ganzjährig ein vielfältiges Angebot zu Themen rund um Gesundheit, Bewegung, Ernährung und Mental Health an – konkret etwa zweimal pro Woche eine „Aktive Pause“ mit Anleitung, ein individuelles Ressourcencoaching und aktuell zudem ein sechswöchiges Spezialprogramm fürs psychische Wohlbefinden. Und bei der Koelnmesse gibt es neben Gesundheitskursen, Resilienztraining und Burnout-Präventionsmaßnahmen z.B. auch eine firmeninterne Laufgruppe und ein eigenes Fußballteam, wo das Sportliche mit dem gemeinsamen Spaß verbunden wird. „Unser Ziel ist es, eine attraktive, stressfreie Arbeitsumgebung zu schaffen, die die mentale und körperliche Gesundheit unserer Mitarbeitenden ganzheitlich fördert“, heißt es von der Pressestelle.

Die Fußballmannschaft der Koelnmesse sorgt für Ausgleichssport und soll nebenbei den Teamgeist trainieren. Foto: Koelnmesse

Das bedeutet natürlich nicht, dass ein bisschen Sport schon ausreicht, um Erschöpfung völlig zu vermeiden. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten auch Homeoffice und flexible Arbeitszeitregelungen, die fast alle Unternehmen der Kongress- und Messebranche anbieten, um ihren Mitarbeitenden die Balance zu erleichtern. Und hier wäre auch noch mehr möglich, findet man beim EVVC, da gerade in der Kongressbranche das Auftrags- und Arbeitsvolumen durchs Jahr hindurch oft extrem schwankt. „Mit entsprechenden gesetzlichen Anpassungen ließen sich hier viele innovative Konzepte wie eine 4-Tage-Woche oder längere Auszeiten ermöglichen, um dieser Gefährdung entgegenzuwirken“, findet Geschäftsführer Tumler. So könnten Mitarbeitende schneller Überstunden abbauen nach Phasen, in denen erhöhte Präsenz gefordert ist.

Die Verantwortung der Führungskräfte

Homeoffice dagegen ist ein zweischneidiges Schwert, verschärft die Arbeit im eigenen Heim doch noch die Entgrenzung der Arbeit und die ständige Erreichbarkeit. Beides aber erkennen die Herausgeberinnen des AOK-Fehlzeitenreports als einen wichtigen Grund für die psychisch bedingten Ausfalltage. Sie sehen deshalb auch die Unternehmen in der Verantwortung, diesbezüglich die Führungskompetenzen ihres Leitungspersonals zu stärken. Das sieht Sven Kretzschmar, der auf dem Nextlive.Festival über seinen eigenen Burnout spricht, ähnlich. Zur Prävention gehört für den Top-Manager neben dem Ausgleich durch Sport oder Geselligkeit etwa auch, dass abends keine Nachrichten mehr gelesen oder geschrieben werden: „Und das heißt für uns als Führungskräfte auch, dass wir uns in unserer Kommunikation an diese Zeiten halten!“ Für Mental-Health-Expertin Oktay-Gür verhält er sich damit vorbildlich. Sie rät Führungskräften, am besten auch selbst nicht immer erreichbar zu sein und vor allem nicht zu Unzeiten Aufträge und Anfragen zu schicken. „Und wenn jemand das unbedingt tun muss, um eine Sache aus dem Kopf zu haben, sollte er oder sie das auch so mitteilen“, rät die promovierte Psychologin. Das heißt für sie, dass eine Managerin – z.B. standardmäßig in ihrer Signatur – explizit darauf hinweist, dass sie nicht sofort mit einer Antwort rechnet. „Also etwa: Ich erledige gerne abends noch Dinge, das heißt aber nicht, dass ich das auch von Ihnen erwarte“, schlägt sie vor. Und wenn etwas wirklich dringend ist, sollten sie das dann ebenso ausdrücklich kommunizieren, so Oktay-Gür. Auf diese Weise lässt sich im Alltag viel Druck abbauen und Teams können sich besser selbst organisieren – und eben auch eigene Auszeiten besser unterbringen. Vor allem können sie dann auch leichter vor sich selbst rechtfertigen, dass sie diese Auszeiten nehmen dürfen. Denn das gelingt nicht jedem Menschen gut. „Viele haben irrationale Glaubenssätze – etwa die, dass sie keine Pause verdient haben oder alles perfekt machen müssen“, warnt Okay-Gür. Hier setzt beispielsweise auch das betriebliche Gesundheitsmanagement der Messe Nürnberg an, das aktuell einen Workshop zum Thema „Glaubenssätze und innere Antreiber“ im Angebot hat. Schließlich können solche Antreiber, zusammen mit anderen Belastungen, schnell in eine Überforderung und vielleicht sogar einen Burnout führen: Der erste Schritt dorthin ist oft das Gefühl, sich unbedingt beweisen zu müssen – das genauso aus übersteigertem Ehrgeiz wie aus persönlicher Unsicherheit entstehen kann.

Wachsam sein für Warnsignale

Sven Kretzschmar ist dieser übersteigerte Ehrgeiz sehr vertraut. Er hat ihn erlebt und weiß, wie leicht es ist, in einem Job, den man liebt und in dem man gut ist, die eigenen Belastungsgrenzen zu übergehen. „Selbst als ich nicht mehr schlafen konnte, habe ich noch durchgehalten“, erklärt der Hipp-Manager. Schließlich war ja alles so wichtig und er unverzichtbar, so seine Erinnerung. Heute weiß er, dass das ein großer Fehler war: „Hätte ich früher reagiert, hätte ich mir und meiner Familie viele leidvolle Erfahrungen ersparen können.“

Foto: Tatjana Lee

„Hätte ich die Warnsignale früher erkannt, hätte ich mir und meiner Familie viele leidvolle Erfahrungen ersparen können.“

Sven Kretzschmar, Head of Brand Management bei Hipp für Deutschland und Österreich

Zu den Warnsignalen, auf die gestresste Menschen laut Kretzschmar achten sollten, gehört neben dem Zwang, sich zu beweisen, und dem verstärkten Ehrgeiz auch die subtile Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse. Die mündet irgendwann meist in Konflikten, die ebenfalls verdrängt werden, wie der Hipp-Manager weiß. Er verzichtete auf immer mehr – Essen, Schlaf, den heiligen Tischtennis-Montag und Zeit mit Freunden und Familie – und stieß immer weniger auf Verständnis. Gleichzeitig wurde er trotz des hohen Engagements immer unproduktiver, hielt Termine nicht mehr ein, machte mehr Fehler. „Spätestens hier sollten auch bei Vorgesetzten alle Alarmglocken läuten“, unterstreicht Kretzschmar, der selbst ein großes Team leitet. Wenn dann Menschen auch noch verschlossener oder sarkastischer sind, nicht mehr lächeln oder ständig müde aussehen, ist es höchste Zeit, mit den Betroffenen zu sprechen, um Aufgaben zu sortieren und Prioritäten zu setzen. Am besten passiert dies aber noch früher, findet René Tumler vom EVVC. Er plädiert dafür, in regelmäßigen Gesprächen mit Mitarbeitenden die aktuelle Workload zu besprechen: „Und auch die Mental Load zu thematisieren, kann hilfreich sein.“ Für ihn ist Kommunikation der Schlüssel zu einer gesundheitsförderlichen Arbeitsumgebung. Mit seinem Verband versucht er deshalb Impulse zu setzen, um das Thema in der Branche mehr ins Bewusstsein zu rücken – wie zuletzt auf der Management-Fachtagung in der Stadthalle Rostock.

Um für das Thema Mentale Gesundheit zu sensibilisieren, stand es auf dem Programm der EVVC-Fachtagung 2024 – hier die Gastgebenden bei der Abendveranstaltung – v.l.n.r.: Petra Burmeister, Geschäftsführerin Rostock GmbH, EVVC-Präsidentin Ilona Jarabek und Vizepräsident Stephan Lemke. Foto: Danny Gohlke

Wenn aber Führungskräfte gut hinschauen, die Kommunikation läuft und Menschen das Gefühl haben, auf Belastungen hinweisen zu können, dann lassen sich gemeinsam auch ausgeprägte Stressphasen gut meistern. „Der Wunsch, etwas zu leisten, ist ja auch sehr befriedigend", betont AXA-Personalerin Weigel, die für über 8.000 Mitarbeitende in Deutschland verantwortlich ist. Neben Prävention und Früherkennung ist es Weigel deshalb vor allem auch ein Anliegen, für die Mitarbeitenden einen möglichst idealen Rahmen zu schaffen. „Dann ist Arbeit nicht nur einer von vielen Stressoren, sondern vor allem eine wertvolle Ressource“, glaubt die Personalvorständin. Und das gilt sicher nicht nur in der Versicherungsbranche. Gerade die Organisation von Messen und Kongressen birgt schließlich nicht nur viele Herausforderungen, sondern ist auch reich an lohnenswerten Momenten. Eventplaner Leo Nitzberg jedenfalls sieht das so: „Die Produktion von Veranstaltungen ist zweifellos ein anstrengender Job, aber sie ist auch unglaublich erfüllend.“

Sylvia Lipkowski

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