
Bleisure Travel
Mit dem Business ins Vergnügen
Die Kongress-Destination Hamburg ist Veranstaltungsort der diesjährigen GBTA + VDR Europe Conference und liegt an 15. Stelle der Städte mit der besten Work-Life-Balance 2022 weltweit. Foto: Deutsche Zentrale für Tourismus, Francesco Carovillano
Die Kongress-Destinationen Hamburg ist Veranstaltungsort der diesjährigen GBTA + VDR Europe Conference und liegt an 15. Stelle der Städte mit der besten Work-Life-Balance 2022 weltweit. Foto: Deutsche Zentrale für Tourismus, Francesco Carovillano
Vom 14. bis 16. November hat die GBTA + VDR Europe Conference 2023, Europas größtes Branchentreffen für Geschäftsreise- und Mobilitätsmanagement, in Hamburg stattgefunden. Die großen Herausforderungen für die Zukunft der geschäftlichen Mobilität im Fokus, ging es am letzten Konferenztag auch darum, die Balance zu halten – die Balance zwischen den Bedürfnissen der Unternehmen und den Erwartungen und Wünschen derjenigen, die beruflich reisen. Gewinnt also Bleisure Travel zukünftig die notwendige Akzeptanz und Dynamik, um voll ausgeschöpft zu werden?
Die Geschäftsreisebranche erholt sich. Und zum ersten Mal seit 2020 ist Corona nicht mehr die wichtigste Determinante der globalen Geschäftsreisetätigkeit: Der 2023 Business Travel Index (BTI), der am 14. August auf dem Global Business Travel Association (GBTA)-Kongress in Dallas vorgestellt wurde, prognostiziert, dass die direkten Ausgaben für Geschäftsreisen bis nächstes Jahr wieder den Wert von vor der Pandemie (1,4 Billionen USD) erreichen – und sich damit um zwei Jahre schneller erholen, als dies noch 2022 erwartet wurde.
Das überproportionale Wachstum nach Corona wird vor allem durch die bemerkenswerte Stabilität der Weltwirtschaft und die Auflösung des Nachholbedarfs angeheizt. Die Ergebnisse des BTI zeigen allerdings auch, dass der Anstieg der Ausgaben inflationsbedingt die Reisehäufigkeit übersteigt. Dienstreisen werden durch Rekordpreissteigerungen im Energie- und Verkehrssektor und die Wahl anderer Flugklassen und Hotels teurer, Reiseanlässe strenger geprüft und gegebenenfalls durch Online-Meetings ersetzt, mehr Geschäftsreisende würden zudem im Sinne der Nachhaltigkeit lieber weniger, dafür längere Reisen unternehmen. Darauf reagiert die Branche: „The BTI data also reflects the remarkable efforts of the industry to adapt, innovate and thrive despite the challenges, along with the ongoing role and value of business travel to economies, companies and professionals worldwide”, stellt Suzanne Neufang, CEO der GBTA, fest.
62 Prozent der Befragten geben im BTI an, dass sie häufiger als noch 2019 Geschäfts- mit Privatreisen kombinieren, also der Dienstreise im letzten Jahr zusätzliche Freizeittage hinzugefügt oder in derselben Unterkunft für den geschäftlichen und Urlaubsanteil übernachtet haben. So beflügeln der Gesamteinfluss der makroökonomischen Entwicklung, der Einfluss von Nachhaltigkeitsinitiativen bei den Akteuren im gesamten Geschäftsreisesystem, die weit verbreitete Einführung von Meeting-Technologien und nicht zuletzt die rasche Zunahme derer, die remote oder hybrid arbeiten, einen doch altbekannten Trend: Bleisure Travel.
Eine bestimmte Form von Glück
Bereits im Jahr 2009 hat das englische The Future Laboratory mit dem Ausruf der „Bleisure Revolution“ in dem Konzept, Arbeit und Freizeit miteinander zu verschmelzen, einen Makro-Trend erkannt – und ihm damit einen Namen gegeben. Das Deutsche Zukunftsinstitut erklärt das „Bleisure-Paradigma“ als „eine bestimmte Form von Glück, die in der positiven Symbiose von Business und Leisure (Freizeit) wurzelt“. Der in ihm identifizierte Megatrend New Work erhielt und hält weiterhin Einzug in das allgemeine Verständnis von (Erwerbs-)Arbeit.
Der mehr und mehr verschwimmende Übergang zur Freizeit mündet demnach über die „Work-Life-Balance“ in das neue Lebensmotto, das „Work-Life-Blending“. Das Leben wird vielmehr im Ganzen und als Summe aller Tätigkeiten betrachtet. Die Arbeit ist selbstbestimmter und Arbeitnehmende reagieren flexibel auf private Umstände, um damit schlussendlich produktiver zu sein. Aber nicht nur die Arbeitszeit, auch der Ort der Arbeit ist im radikalen Wandel begriffen: Remote von überall aus zu arbeiten, ist ein wichtiger Bestandteil von New Work – der funktionieren kann, wie uns die Pandemie mit dem Boom virtueller Meetings und dem Umzug in das Homeoffice unter Beweis gestellt hat. Die weltweite Gesundheitskrise als Antrieb für die Digitalisierung hat in erheblichem Maße dazu beigetragen, die Arbeitswelt nachhaltig zu transformieren.
Und im wachsenden Arbeitsmarkt aus Selbstständigen, Freiberuflern und Menschen, die in Gelegenheitsjobs oder rein projektbezogen arbeiten, wird das Arbeiten auch immer häufiger mit Reisen verbunden, werden Dienstreisen zunehmend eine Frage der Unternehmenskultur. Geschäftsreisen mit Freizeitaktivitäten zu verbinden, war schon lange vor der Pandemie eine wichtige Wachstumsmöglichkeit für die Tourismusbranche, hat sich nun aber zu etwas ganz anderem entwickelt. Im Zuge der zunehmenden Flexibilität am Arbeitsplatz, neuer Perspektiven von Verbraucher:innen auf das Reisen sowie deren Überschneidungen mit ihren beruflichen und privaten Interessen hat es Bleisure Travel in diesem Jahr sogar auf den ersten Platz der „2023 Top Hospitality Industry Trends“ der École hôtelière de Lausanne (EHL) geschafft.
Geschäftsreisende können Freizeittourismus schaffen …
- wenn sie ihre Geschäftsreise um einen Tag oder mehr verlängern, um Freizeitaktivitäten wie Sightseeing, Sport, Unterhaltung oder Entspannung einzuplanen.
- wenn sie in Begleitung von Partnern, Freunden oder Familie kommen, die ihre Freizeitaktivitäten in den Destinationen verbringen.
- wenn sie an Freizeitelementen der Business-Veranstaltung teilnehmen.
- wenn sie angeregt werden, mit Freunden oder Familie zu Freizeitzwecken zurückzukehren – oder andere dazu ermutigen, dies zu tun.
Auch auf Seite der Leistungsträger macht man diesen Trend im Hinblick auf die Fürsorgepflicht und das Recruiting ausfindig. „Immer mehr Unternehmen erkennen die Vorteile von Bleisure Travel. Dadurch lässt sich nicht nur die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeitenden steigern, sondern auch die Attraktivität als Arbeitgeber. Das zahlt sich im Kampf um Talente aus“, erklärt Andreas Neumann, Geschäftsführer ADAC Reisevertrieb. Der Fokus liegt im Employer Branding dabei häufig auf den jüngeren Generationen am Arbeitsmarkt, den Vertreter:innen der Gen-Y und Gen-Z, für die Arbeit und Freude Hand in Hand gehen sollten: „Die Erwartungshaltung, die die immer Jüngeren mitbringen und die es auch als obligatorisch ansehen, solche Möglichkeiten zu haben, ist einfach hoch“, weiß Sylvie Konzack, Co-Gründerin und Chefredakteurin vom Bleisure Traveller – the magazine.
Wer die Möglichkeit für Bleisure Travelling bekommt, nimmt dieses Angebot in der Regel in Anspruch und die Mehrheit der Reisenden würde dies auch gerne in Zukunft tun wollen: Eine Initiative von Travel Management Companies im Deutschen Reiseverband (DRV) befragt regelmäßig Geschäftsführer:innen und geschäftlich reisende Führungs- und Fachkräfte zu ihrem Reiseverhalten. Ihre neueste Studie Chefsache Business Travel 2022 zeigt, dass unter ihnen bereits 89 Prozent eine Kombination aus Business Trip und Urlaub nutzen können. Zusätzlich wird häufig bei der Buchung auf die Emissionen der Reiseverbindung und Nachhaltigkeitsaspekte geachtet. „Auch die Umwelt profitiert von Bleisure Travel, da die Anzahl der insgesamt durchgeführten Reisen sinkt“, sagt Neumann. Laut der Studie ist Nachhaltigkeit schon bei gut der Hälfte in den Unternehmen in den Reiserichtlinien festgehalten, bei 57 Prozent sogar in den übergeordneten Unternehmensrichtlinien.
Neue Hotspots für hybrides Arbeiten
Die Nachfrage nach Bleisure Travel ist also durchaus vorhanden, die Zeichen stehen auf Wachstum. „Die Unternehmen haben das auf der Agenda. Je mehr man von dem Thema erzählt, desto mehr Interesse ist da, und das spricht auch für die Anbieter am Markt – sei es jetzt in der Hotellerie oder den Destinationen – dass man sich auf dieses Thema ausrichten kann, weil die Unternehmen das mehr und mehr angehen werden“, meint Corinna Döpkens, Business Travel & Mobility-Expertin und freie Autorin zu Themen wie New Work und Reisen. Tourismusdienstleister müssten aber den Unternehmen signalisieren, dass sie ebenfalls ein Auge darauf haben und ihnen den Zugang dazu so einfach wie möglich gestalten. Da Bleisure-Reisende als berufstätige Verbraucher:innen mit flexiblen Arbeitszeitregelungen im Allgemeinen für ein höheres Gehalt arbeiten und vor Ort mehr Geld für Unterhaltung und Besichtigungen ausgeben, wenn sie länger bleiben und der Arbeitgeber die Reisekosten übernimmt, sind sie als hochwertige Kunden eine interessante Zielgruppe, insbesondere für Kongress-Destinationen.

Der Markt für Bleisure Travel ist eindeutig attraktiv: Die Ausgaben von 200 Milliarden USD aus dem Jahr 2022 dafür sollen sich bis 2027 mehr als verdoppeln. Damit ist Bleisure Travel eines der am schnellsten wachsenden Reisesegmente. Grafik: Euromonitor International, Passport Travel, 2022
Hinzu kommen über die reinen Reiseausgaben hinaus sekundäre Ausgabemöglichkeiten durch die Mitnahme von Freunden oder Familienmitgliedern, von denen lokale Unternehmen direkt oder indirekt profitieren können. Die größte Motivation von Bleisure-Reisenden zur Nutzung des Angebots ist die Attraktivität des Reiseziels, aber auch die Erreichbarkeit und die Sicherheit vor Ort werden immer wichtigere Buchungskriterien. Unerlässlich für den Erfolg einer Bleisure-Destination ist darüber hinaus die richtige Infrastruktur, mit der Bleisure Traveller als versierte digitale Kund:innen ihrer Fernarbeit nachgehen können. Mit der erhöhten Nachfrage nach Bleisure-Angeboten können sich also Anbieter auf neue Bedürfnisse einstellen, sich Gastgewerbebetriebe zu Hotspots für hybrides Arbeiten entwickeln. Als einer dieser Anbieter ist bei der Radisson Hotel Group der Blick auf das Bleisure-Segment oder „business leisure“, wie es bei der Hotelgruppe heißt, bereits geschärft. Gelten traditionell Geschäfts- und Freizeittourismus eher als zwei unterschiedliche oder gar widersprüchliche Formen, wird dort der Anteil der Bleisure-Reisenden mit 16 Prozent innerhalb des Anteils der Geschäftsreisenden über das interne Buchungssystem getrackt, erzählt Inge Huijbrechts, Global Senior Vice President Responsible Business & Safety & Security der Radisson Hotel Group, auf der A World For Travel im letzten Jahr in Nîmes. Um sich der arbeitenden Urlauber anzunehmen, hat man sogenannte „Hybrid Rooms“ eingerichtet, die über die notwendige Technologie und WLAN verfügen, außerdem ist man eine Partnerschaft mit Zoom eingegangen und bietet in ausgewählten Hotels Studios an, von denen aus man Veranstaltungen live übertragen kann. Zudem gehe es auch darum, die Marke neu zu definieren, so Huijbrechts: „Because we know that the classic use of the resort is not the same as before. You may have people who come there with a group of friends for to work and stay there for a while. So we need to redefine that value proposition.”
Eine Frage der Kommunikation
Als Folge der Veränderung der Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und reisen, wachsen die Marktsegmente zusammen, promoten und branden sich auch Destinationen immer weniger durch zwei getrennte Arten von Destinationsmarketingorganisationen: Nach der Studie „Portrait of European Meeting & Convention Travel”, die im Frühsommer von MMGY Global zusammen mit dem German Convention Bureau (GCB) durchgeführt wurde, sind Kongresse und Konferenzen die am häufigsten gebuchten Veranstaltungsformate und damit die meisten geschäftlichen Reiseanlässe. Dabei zieht ein Großteil der Konferenzen, insbesondere Verbands- und akademische Veranstaltungen, seit jeher Teilnehmende an, die sich vor oder nach einem Business Event entschließen, zusätzliche private Tage in der Destination zu verbringen. Basierend auf Online-Umfragen unter europäischen Convention Bureaus hat Rob Davidson, Managing Director von MICE Knowledge, gemeinsam mit Oliver Kesar, Professor an der Fakultät für Tourismus der Universität Zagreb, herausgefunden, dass in den letzten Jahren viele europäische Kongressbüros damit begonnen haben oder zukünftig planen, Konferenzteilnehmer:innen aktiv dazu zu ermutigen, Geschäftsreisen zu Freizeitzwecken zu verlängern.

Obwohl der Bleisure Trend weithin unter den 88 befragten Convention Bureaus in Europa bekannt ist, hat die Mehrheit bis zum Jahr 2022 noch keine spezielle Bleisure-Marketingkampagne durchgeführt. Grafik: European Convention Bureaus' Strategies to Promote Bleisure 2022
Beim Glasgow Convention Bureau beispielsweise wird Konferenzveranstalter:innen mit einem Meeting Planners´ Toolkit eine Reihe nützlicher Informationen zur Verfügung gestellt, die den Teilnehmenden während ihrer Reise über soziale Medien oder per E-Mail zugesandt oder die auf der Konferenzwebsite verwendet werden können, um praktische Tipps zu Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten in der Stadt und ihrer Umgebung zu geben. „One of the most effective tools is our Next Stop Glasgow promotional video, which presents the city’s many cultural and gastronomic attractions”, so Aileen Crawford, Head of Tourism & Conventions, Glasgow Convention Bureau. Dieses Video kann entweder in seiner allgemeinen Form verwendet oder durch Hinzufügen von Logos oder Kommentaren speziell auf die Veranstaltung zugeschnitten und den Teilnehmenden zur Begrüßung abgespielt werden. „This is a cost effective, yet much appreciated way to welcome delegates to the city and encourage them to spend more time there.”
Bei deutschen Geschäftsreisenden fällt die Wahl des Reiseziels schon immer auf Deutschland selbst – und auch hier hält der Trend Einzug, durchaus zum Vorteil für Arbeitgeber: „Bleisure Travel lässt sich für Unternehmen am einfachsten im Inland umsetzen“, meint Fabienne Schönweitz, Projektleiterin des Convention Bureau Rheinland-Pfalz. Um das Bundesland als Bleisure-Destination zu promoten, hat das Kongressbüro in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz eine breit angelegte Marketingkampagne mit Rabattaktion ins Leben gerufen, mit der Business Travelter bei einem verlängerten Aufenthalt sparen können: „Wir bieten in Rheinland-Pfalz kurze Wege, sind somit nachhaltig und es gibt weniger Hürden als bei Bleisure-Reisen in das Ausland. Mit unseren Bleisure-Angeboten wollen wir Geschäftsreisenden die Möglichkeit bieten, Business und Freizeit miteinander zu kombinieren und bieten u.a. mit dem Hotel-Package ‚Stay a little bit longer‘ einen echten Mehrwert an. Warum sollten wir das Nützliche nicht mit dem Schönen verbinden?!“ Für die Zukunft erwartet Schönweitz, dass auch andere Convention Bureaus und DMOs das Thema in Deutschland vorantreiben werden.
Denn ob als nun aufkommender Trend, expandierendes Marktsegment oder als relativ neue Form des Hybridtourismus betrachtet – Bleisure Travel erfreut sich zunehmender Beliebtheit, mit der Geschäfts- und Urlaubsreisen zu einem komplementären Duo zusammenwachsen und sich gegenseitig in ihren positiven Entwicklungen stärken können. Indem Menschen mehrere Anlässe zu einer Reise verbinden, schaffen sie nachhaltige Events. Eine Win-win-win-Situation mit Vorteilen für die Destinationen, für Veranstalter:innen und für Geschäftsreisende selbst. Und der Markt ist vorhanden, wie Peter Neumann, Professor für Tourismuswirtschaft und akademischer Standortleiter, IU Internationale Hochschule Münster, erklärt: „An den Gästen liegt's nicht, die müssen informiert werden und sind manchmal auch überrascht, was man alles Schönes machen kann!“