
Interview Dr. Ralf Schulze
„Kultur ist der Herzschlag unserer Demokratie“
Foto: Dirk Hanus
Foto: Dirk Hanus
Dr. Ralf Schulze, Geschäftsführer der C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren, über die Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz 2025, sichtbare Räume für Demokratie und unkonventionelle Orte für Events, die Macherstadt Chemnitz und die Belebung des Kongressgeschäftes, den Purple Path und andere Impulse für Planer.
tw tagungswirtschaft: Chemnitz ist Europäische Kulturhauptstadt 2025. Was bedeutet das für Sie?
Dr. Ralf Schulze: Chemnitz als Europäische Kulturhauptstadt 2025 bietet eine einzigartige Gelegenheit, die Stadt weiterzuentwickeln und nachhaltig zu transformieren. Für uns bedeutet das, aktiv an diesem Wandel mitzuwirken – durch Begegnungen, Dialog und gemeinsames Gestalten. Die Kulturhauptstadt stärkt den Zusammenhalt, eröffnet neue Perspektiven und schafft Brücken zwischen Menschen, Generationen und Kulturen. Es ist eine Einladung, Chemnitz in all seiner Vielfalt neu zu entdecken und gemeinsam Zukunft zu gestalten.
Die Idee des Kulturhauptstadtjahres ist es, Europa durch Kultur zu einen. Inwiefern kann Kultur das leisten?
Für mich ist Kultur der Herzschlag unserer Demokratie. Auch in Chemnitz gab es anfangs Diskussionen und Zweifel – Bürger, die sich nicht ausreichend eingebunden fühlten, und Organisationen, deren Ideen nicht umgesetzt werden konnten. Aber spätestens mit dem Eröffnungswochenende ist die Stimmung ins Positive umgeschlagen. Vor den Konzertbühnen, bei den Programmpräsentationen und abends in den Clubs der Stadt konnte man das Verbindende – den Herzschlag – eines kulturellen Großereignisses wunderbar spüren.

Spätestens mit dem Eröffnungswochenende am 18./19. Januar 2025 zum Kulturhauptstadtjahr Chemnitz ist das Verbindende des kulturellen Großereignisses spürbar. Foto: Chemnitz 2025, Kristin Schmidt
Anti-europäische und EU-skeptische Parteien kamen bei den Landtagswahlen 2024 in Sachsen in Chemnitz mit der AfD und dem BSW auf 40 Prozent. Im Bidbook für Chemnitz 2025 stehen neue Strategien zur Bekämpfung von Rassismus, etwa durch das Projekt Europäische Macher:innen der Demokratie. Wie helfen Veranstaltungen bei der Stärkung der Demokratie und im Kampf gegen Rassismus?
Was mich besonders beeindruckt, ist das enorme Engagement der Chemnitzer Bürger, Vereine und Initiativen. Tausende haben sich bereits mit eigenen Projekten eingebracht – und im Laufe des Kulturhauptstadtjahres werden es noch viele mehr sein. Der gesamte Prozess – von der Ideengenerierung über die Auswahl bis hin zur Umsetzung – ist bereits ein bedeutender Teil des städtischen Transformationsprozesses. Es wurden neue Räume und Formate geschaffen, die Austausch ermöglichen und zum gemeinsamen Handeln einladen. Wir erleben eine Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen – in den USA, in vielen Teilen Europas und auch hier in Sachsen und Chemnitz. Kultur kann in diesem Kontext eine Brücke sein: sie schafft Begegnungen, fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eröffnet neue Perspektiven. Gerade grenzüberschreitende Projekte mit unseren europäischen Nachbarn – etwa aus Polen und Tschechien – machen bewusst, dass uns viel mehr verbindet, als uns trennt. Werte wie Offenheit, Toleranz und gegenseitiger Respekt sind keine Selbstverständlichkeit, sondern müssen immer wieder neu gelebt und verteidigt werden. Doch Dialog allein reicht nicht aus. Demokratie braucht sichtbare Räume, in denen sich die breite demokratische Mitte behauptet und stärkt. Denn dort, wo Engagement, Zusammenhalt und Mitgestaltung im Mittelpunkt stehen, bleibt für Feinde der Demokratie kein Platz.
„Demokratie braucht sichtbare Räume, in denen sich die breite demokratische Mitte behauptet und stärkt. Denn dort, wo Engagement, Zusammenhalt und Mitgestaltung im Mittelpunkt stehen, bleibt für Feinde der Demokratie kein Platz.“
Dr. Ralf Schulze, Geschäftsführer der C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren
Foto: Chemnitz 2025, Kristin Schmidt
Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 kommt aus der Zivilgesellschaft. Mit dem Motto „C the Unseen“ wollen die Chemnitzer den Blick auf das Ungesehene lenken. Was können die Planer von Business Events entdecken?
„C the Unseen“ bedeutet für mich, den Blick bewusst auf das zu richten, was oft im Verborgenen bleibt: auf Menschen, deren Engagement nicht immer ausreichend gewürdigt wird, auf Geschichten, die selten erzählt werden, und auf Perspektiven, die uns bereichern können. Das Motto ist auch ein Appell: Es erinnert uns daran, welchen Wert Europa hat – was es bedeutet, in Freiheit zu leben und eine Demokratie nicht nur einzufordern, sondern aktiv mitzugestalten. Praktisch übersetzt heißt das, Chemnitz und die Partnerregion des Umlandes zu entdecken auf dem Purple Path, Garagen werden zu Ateliers, Menschen begegnen sich zum Hutfestival oder zum Kulturhauptstadt-Marathon, beim Spielzeugmachen oder beim Tangotanzen. Wer hier ein Event plant, entdeckt nicht nur unkonventionelle Räume, sondern auch neue Impulse für Inspiration, Vernetzung und Zusammenarbeit.
Das Kulturhauptstadtjahr kommt auf 160 Projekte und 1.000 Veranstaltungen. Was sind Ihre Top Drei?
Meine Top-Drei-Highlights sind definitiv das Hutfestival Ende Mai, makers united und die Kosmos-Wochenenden im Juni. Das Hutfestival verwandelt Chemnitz in eine große Bühne voller Straßenkunst, Musik und Performance – eine einzigartige Mischung aus Straßenkunst, Überraschung und internationalem Flair. Makers united bringt kreative Köpfe, Handwerker und Innovatoren zusammen. Hier entstehen neue Ideen, Netzwerke und spannende Kooperationen – eine Plattform, die zeigt, wie Kultur und Wirtschaft voneinander profitieren können. Und schließlich die Kosmos-Wochenenden: Sie bieten ein abwechslungsreiches Programm aus Kunst, Wissenschaft und interaktiven Formaten, das die Vielfalt der Kulturhauptstadt erlebbar macht.
Makers united, das europäische Festival für Kreativität, Technik und Innovation, findet bei Ihnen in der Stadthalle Chemnitz statt. Chemnitz will sich als Macherstadt positionieren – inwiefern zahlt das auf die Kongress- und Messestadt Chemnitz ein?
Das Macher- oder Maker-Thema symbolisiert den Spirit der regionalen Wirtschaft sehr gut. Wir haben das auch am Eröffnungswochenende mit dem Loktransport widergespiegelt. Richard Hartmann hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts Lokomotiven gebaut, ohne dass seine Fabrik einen Gleisanschluss hatte. Die fertigen Loks wurden damals mit Pferden zum Bahnhof gezogen. Diesen Pioniergeist haben wir beim Eröffnungswochenende von Chemnitz 2025 neu interpretiert, indem Menschen gemeinsam eine Lokomotive zogen – ein starkes Symbol für Zusammenarbeit und Entschlossenheit.

Chemnitz 2025 knüpft mit dem Macher- oder Maker-Thema an die regionale Wirtschaft an. Beim Loktransport am Eröffnungswochenende ziehen die Menschen buchstäblich mit. Foto: Chemnitz 2025, Mark Frost
Mit makers united bringen wir dieses Erbe in die Gegenwart. Das Festival verbindet Kreativität, Technik und Innovation und macht die Macherstadt Chemnitz erlebbar. Besonders für die Kongress- und Messestadt ist das eine große Chance: Es bietet Unternehmen, Wissenschaftlern und kreativen Köpfen eine Plattform zum Netzwerken und zur Präsentation neuer Ideen. Gleichzeitig werden auch Kinder, Jugendliche und Familien für Zukunftstechnologien begeistert. So entstehen neue Verbindungen zwischen Tradition und Innovation – und Chemnitz positioniert sich als dynamischer Wirtschafts- und Veranstaltungsstandort.
Zwei Millionen Besucher werden im Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz erwartet. Die Belegung in den Hotels wird steigen und mit ihr die Preise für Übernachtungen. Belebt oder beeinträchtigt das Kulturhauptstadtjahr das Kongressgeschäft?
Die hohe Besucherzahl im Kulturhauptstadtjahr führt naturgemäß zu einer gesteigerten Nachfrage nach Unterkünften und damit zu einem moderaten Anstieg der Hotelpreise. Dennoch wirkt sich dies nicht hemmend auf das Kongressgeschäft aus – im Gegenteil. Eine erhöhte Hotelbelegung ist ein Indikator für die wachsende Attraktivität des Standorts Chemnitz. Veranstalter, Kongresszentren und Hoteliers arbeiten eng zusammen, um Kapazitäten optimal zu managen und ein reibungsloses Ablaufkonzept zu gewährleisten. Zudem profitieren Kongressteilnehmer von der besonderen Atmosphäre und den vielfältigen kulturellen Angeboten, die Chemnitz im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres präsentiert. Somit zeigt sich, dass die dynamischen Impulse des Kulturhauptstadtjahres, trotz höherer Übernachtungskosten, das Kongressgeschäft insgesamt beleben und den Standort nachhaltig stärken.
Zu den C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren zählen das Carlowitz Congresscenter, die Stadthalle Chemnitz, die Messe Chemnitz, das Wasserschloss Klaffenbach, das Stadion an der Gellertstraße und die Villa Esche.
Das Geschäftsjahr 2024 war für die C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren erfolgreich, insbesondere im Kongressbereich. Sie hatten 40.000 Kongressteilnehmer zu Gast. Hat das Kulturhauptstadtjahr einen Anteil daran?
Das Kulturhauptstadtjahr hat definitiv einen Anteil am gestiegenen Interesse am Veranstaltungsstandort Chemnitz. Viele Chemnitzer nehmen ihre Stadt mit neuem Stolz wahr und entdecken ihr Potenzial als Kongress- und Tagungsdestination. Dieses positive Selbstverständnis spiegelt sich auch in der aktiven Beteiligung von Vereinen und Verbänden wider: Immer mehr Organisationen setzen sich gezielt dafür ein, ihre Bundestagungen und Fachkonferenzen nach Chemnitz zu holen. Das wachsende Interesse zeigt, dass die Stadt nicht nur kulturell, sondern auch als Kongressstandort an Strahlkraft gewinnt – eine Entwicklung, die weit über das Kulturhauptstadtjahr hinauswirken wird.

„Immer mehr Organisationen setzen sich gezielt dafür ein, ihre Bundestagungen und Fachkonferenzen nach Chemnitz zu holen.“
Dr. Ralf Schulze, Geschäftsführer der C3 – Chemnitzer Veranstaltungszentren
In Weimar wirkt das congress centrum weimarhalle seit 25 Jahren über das Europäische Kulturhauptstadtjahr 1999 hinaus. Welche veranstaltungsrelevante Infrastruktur entsteht im Rahmen von Chemnitz 2025 für die nächsten Jahre?
Chemnitz verfügt bereits über eine hervorragende Veranstaltungsinfrastruktur mit dem Carlowitz Congresscenter, der Stadthalle Chemnitz, der Messe Chemnitz, der Villa Esche und dem Wasserschloss Klaffenbach. Daher lag der Fokus der Kulturhauptstadtbewerbung nicht auf einem neuen Kongressgebäude, sondern auf der nachhaltigen Weiterentwicklung des öffentlichen Raums. Mit dem Purple Path entsteht ein einzigartiges Kunst- und Kulturprojekt, das weit über das Stadtgebiet hinauswirkt. In mehr als 30 sogenannten Interventionsflächen konnten Bürger aktiv mitgestalten, welche neuen Begegnungsorte in ihren Stadtteilen entstehen – darunter Wanderwege, Sitzgelegenheiten für den Austausch oder neue Zugänge zum Fluss Chemnitz. Diese Maßnahmen bereichern die Stadt nachhaltig und bieten auch für zukünftige Veranstaltungen inspirierende Möglichkeiten für Rahmenprogramme und Networking-Events.
Nach West-Berlin 1988, Weimar 1999, Essen 2010 ist Chemnitz 2025 die vierte europäische Kulturhauptstadt in Deutschland. Woran sollen sich die Menschen erinnern?
Die Menschen sollen sich daran erinnern, dass Kultur ein entscheidender Motor für die Transformation der Gesellschaft sein kann. Ähnlich wie andere Kulturhauptstädte möchten wir zeigen, dass Kultur langfristige Wirkung entfalten kann. Der Begriff der Nachhaltigkeit, den Hans Carl von Carlowitz bereits 1713 in Chemnitz prägte, ist dabei ein Schlüssel. Für uns bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur, ein Jahr lang ein herausragendes Kulturereignis zu feiern, sondern auch, dass die Projekte und Impulse daraus langfristig wirksam bleiben. Wenn Chemnitz es schafft, nach dem Kulturhauptstadtjahr Projekte zu hinterlassen, die auch in der Zukunft noch relevant sind und zur positiven Weiterentwicklung der Stadt beitragen, ist das ein starkes und nachhaltiges Signal für die ganze Region.