Interview Patrick Rammerstorfer

„Wir streichen den Singular im Wort Zukunft“

Patrick Rammerstorfer findet es dramatisch, dass heute meist negative Zukunftsbilder die Wahrnehmung dominieren. Mit dem Ministerium für Neugier & Zukunftslust will er das ändern. Foto: Kneidinger Photography

Patrick Rammerstorfer findet es dramatisch, dass heute meist negative Zukunftsbilder die Wahrnehmung dominieren. Mit dem Ministerium für Neugier & Zukunftslust will er das ändern. Foto: Kneidinger Photography

Patrick Rammerstorfer, Gründer des Ministeriums für Neugier & Zukunftslust und Innovationsberater, über die sinnstiftende Kraft von Events und die gesellschaftliche Verantwortung von denen, die sie veranstalten.

Wer ist Patrick Rammerstorfer?

tw tagungswirtschaft: Auf Messen und Kongressen wird schon immer Zukunft propagiert – beispielsweise auf der Hannover Messe 2025, die unter dem Motto „Shaping the Future“ stand. Ist nicht alles wunderbar hier in puncto Zukunft?

Patrick Rammerstorfer: Es ist kaum zu unterschätzen, wie wichtig solche konstruktiven Bilder der Zukunft, wie sie z.B. auf der Hannover Messe produziert werden, sind. Wir brauchen dringend ein Gegengewicht zu den dystopischen Bildern, mit denen wir in den klassischen und sozialen Medien täglich konfrontiert sind. Denn die Zukunft ist sozial konstruiert – sie existiert nur zwischen unseren beiden Ohren, in jedem unserer Köpfe. Und wenn die dystopischen Bilder dort unsere Wahrnehmung dominieren, dann werden sie möglicherweise auch wahr werden. Zumindest solange wir nichts dagegen tun. Und genau hier sehe ich noch viel Nachholbedarf: Wir müssen verstehen, dass wir der Zukunft nicht ausgeliefert sind, sondern dass wir es sind, die die Zukunft schaffen. Und damit wir das aktiv tun, muss dieser Platz zwischen den Ohren mit inspirierenden, motivierenden Inhalten gefüllt werden. Und dafür reicht es nicht, nur Innovationen vorzustellen oder aktuelle Trends zu diskutieren.

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Was sollten Events denn darüber hinaus tun?

In den Köpfen der Menschen herrscht heute oft eine Leere, wenn sie in die Zukunft schauen. Und daraus entsteht dann oft Angst mit all den beängstigenden Folgen, die wir uns derzeit in der Welt anschauen können. Um diese Leere zu füllen, können Veranstaltungen – dabei ist es im Grunde egal, ob Fachmessen, Branchenkongresse oder Corporate Events – neben den fachlichen Beiträgen auch für Impulse sorgen, die die Inhalte in einen größeren Kontext stellen. So könnte ein Beitrag vielleicht fragen: Was bedeutet das für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt? Oder: Wie kann das die Demokratie stärken?

Das wäre auf einem Ärztekongress oder einer Technologiemesse aber sehr ungewöhnlich.

Natürlich! Trotzdem sollten sich die Verantwortlichen davor nicht scheuen. Meiner Ansicht nach tun sie sich damit auch selbst einen Gefallen: Denn dadurch differenzieren sie sich auch von anderen Veranstaltungen, wo schnell das Gefühl aufkommt, dass es nur ums Verkaufen geht. Wenn dagegen gemeinsam diskutiert wird, wie z.B. medizinische Fortschritte dazu beitragen können, dass diese Gesellschaft nicht auseinanderbricht, dann gehen die Leute mit einem anderen Gefühl nach Hause – und zwar mit einem deutlich besseren meiner Wahrnehmung nach.

Viele, die Kongresse oder auch Messen planen, stellen schon Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit in den Fokus oder stellen sich selbst zukunftsfähig, also möglichst klimaneutral auf …

... und das ist auch gut. Green Events sind ein wichtiger Beitrag für eine lebenswerte Zukunft. Aber meiner Ansicht nach haben Veranstaltungsprofis neben einer ökologischen auch eine soziale und gesellschaftliche Verantwortung.

„Events haben meiner Ansicht geradezu die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen nach der Veranstaltung zuversichtlicher in die Zukunft schauen.“

Patrick Rammerstorfer, Mitgründer des Ministeriums für Neugier und Zukunftslust

Warum das?

Weil sie einen großen Einfluss darauf haben, wie Menschen nach einem Kongress oder einer Messe wieder raus in die Welt gehen und welche Anregungen sie mitnehmen. Deshalb haben Events meiner Ansicht geradezu die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen nach der Veranstaltung zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Und das ist wichtig, denn dieser positive Blick nach vorne entwickelt sich unter den gegebenen Umständen nicht von selbst. Von selbst entwickeln sich heute eher negative Zukunftsbilder, weil das die Nachrichten und die Medien – auch die seriösen – nun einmal widerspiegeln.

Was kann ich als Event-Verantwortliche konkret tun, um dieser gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden?

Sie können mit einer guten Moderation dafür sorgen, dass im Diskurs weder die dystopischen Bilder dominieren, noch dass man sich ausschließlich mit rosaroten Brillen begegnet. Die Botschaft soll ja nicht sein: Alles ist gut. Denn es ist bei Weitem nicht alles gut. Sondern es geht darum, Herausforderungen ehrlich anzusprechen und den Teilnehmenden das Gefühl zu vermitteln: Ja, es wird schwierig, aber wir können das gemeinsam angehen, wir sind dem nicht ausgeliefert und es kann uns gelingen! Dann gehen die Leute gestärkt nach Hause. Und wenn nach einer Veranstaltung 10 Prozent der Leute vielleicht sogar eine Spur mutiger sind als vorher, weil sie ein paar Mal gehört haben, dass sie etwas tun können, dann kann das einen enormen gesellschaftlichen Impact haben!

Was kann ich noch tun, damit Zukunftslust entsteht?

Ich kann z. B. schon in der Vorbereitung einer Veranstaltung anfangen und zum Beispiel die Teilnehmenden vorab mit einer Zukunfts-Challenge aktivieren. Sie sollen sich vorab Gedanken machen, denen dann vor Ort Zeit und auch Räume gewidmet werden – seien es Pinnwände, Gesprächsecken oder ganze Workshops. Und im Nachgang kann man dann bewusst beschreiben, was gut funktioniert hat. Denn neben positiven Zukunftsbildern gibt es ja noch etwas, was uns derzeit abhandengekommen ist: nämlich das Gefühl, dass uns Dinge gut gelingen. Wir gehen nicht mehr davon aus, dass der Zug pünktlich kommt oder die Energieversorgung krisenfest ist. Jede große und kleine Geschichte vom Gelingen, die man kommuniziert, kann deshalb ein kleiner Anstupser sein, dass Menschen anders, zuversichtlicher auf die Welt schauen. Das wird übrigens auch von Unternehmen zunehmend nachgefragt: Die Verantwortlichen wollen eine positive Schwingung in die Organisation bringen, oft als Ausgleich zur Schwere, die viele Strategie-Prozesse in Unternehmen kennzeichnet. Die sind meist sehr kopflastig und arbeiten oft mit Prognosen, die wenig Anlass für Zuversicht bieten.

Wie kann ich mir so ein beschwingtes Corporate Event zum Thema Zukunft vorstellen?

Was am allerwichtigsten ist: In solchen Workshops streichen wir endgültig den Singular beim Wort Zukunft. Wir sprechen im Plural von alternativen Zukünften und denken bewusst in mehreren Möglichkeiten, weil wir ja nicht wissen, was auf uns zukommt. Und dann versuchen wir uns auf einige vorzubereiten. Wir spielen die durch, entwickeln Szenarien und schauen natürlich: Was ist das wünschenswerte Szenario für eine Organisation? Wo wollen wir also unsere Energie und unsere Anstrengungen hinlenken? Dabei entsteht dann auch die Erkenntnis, dass Zukunft gestaltbar ist. Wir müssen nur entscheiden, was wir tun. Und das ist doch etwas sehr Wunderbares.

Foto: Pro Active

„In meiner Jugend war Zukunft für mich ein Sehnsuchtsort. Das ist heute dramatisch anders.“

Patrick Rammerstorfer, Mitgründer des Ministeriums für Neugier und Zukunftslust

Haben Sie deshalb vor zweieinhalb Jahren die Non-Profit-Initiative Ministerium für Neugier und Zukunftslust gegründet?

In meinem Umfeld merke ich schon lange, dass die Leute sehr negative Zukunftsbilder haben, vor allem sehr junge Menschen. Ich arbeite seit 15 Jahren an Hochschulen und bekomme mit, wie pessimistisch die Zwanzigjährigen heute nach vorne schauen. Das hat mich sehr erschreckt. In meiner Jugend war die Zukunft für mich ein Sehnsuchtsort. Ich konnte kaum erwarten, dass sie eintritt, so viel schien möglich zu sein. Ich halte das für dramatisch, dass Leute sich nicht mehr auf die Zukunft freuen, dass sie nicht mehr das Gefühl haben, dass Dinge dort auch besser sein können. Die eigentliche Idee kommt aber aus einem Buch von Wolf Lotter.

Welche Idee beschreibt er da?

In seinem Buch von 2018 „Innovation – Streitschrift für barrierefreies Denken“, schreibt Wolf Lotter, dass wir kein Ministerium für Digitales bräuchten, denn diese Technologie werde sich ohnehin durchsetzen. Wir haben ja auch vor zweihundert Jahren keines für Dampfmaschinen oder vor hundert Jahren eines für das Fließband benötigt, argumentiert er. Wenn überhaupt bräuchten wir ein Ministerium, das den Entdeckergeist wieder fördert, der uns in Europa mal großgemacht hat. Und Lotter nannte das: das Ministerium für Neugier. Wir haben dem noch den Begriff Zukunftslust hinzugefügt, als Gegengewicht zu dem Gefühl der Angst, das derzeit grassiert. Und jetzt wollen wir dazu beitragen, dass wir als Individuen und Gesellschaft so attraktive Vorstellungen von der Zukunft entwickeln, dass sie uns motivieren, sie aktiv zu gestalten.

Das Festival of Curiosity findet vom 23. bis 24. Mai in der Tabakfabrik Linz statt. Während eines Open Days am Freitag lädt der Veranstaltungsort mit vielen Aktionen dazu ein, das ganze Areal zu entdecken. Foto: Linz Tourismus, Kurt Hoerbst

Dafür haben Sie zusammen mit dem Tourismusverband Linz auch das erste Festival of Curiosity (23. und 24. Mai 2025) konzipiert. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Ja, wir wollen die Idee raus zu den Menschen bringen in einem inspirierenden Veranstaltungsformat. Dafür konnten wir mit dem Tourismusverband Linz eine mutige und aufgeschlossene Auftraggeberin gewinnen, für die die Förderung der Zukunftslust selbst eine Herzensangelegenheit ist. Mit dem Festival of Curiosity will man dort ein ganz bewusstes Place-Branding betreiben: Bestehende kulturelle Angebote in Linz wie das Ars Electronica Center, das „Museum der Zukunft“ und auch die lebendige Tagungs- und Eventbranche sollen unter dem Dach der Neugier gebündelt werden.

Foto: LinzTourismus, Martin Stoebich

Drei Fragen an Marie-Louise Schnurpfeil, Geschäftsführerin des Tourismusverbands Linz und Mit-Gastgeberin des Festivals of Curiosity 2025.

Hier geht es zum Interview

Und wie übernehmen Sie dort ihre gesellschaftliche Verantwortung als Veranstalter?

Zunächst einmal mit einem inspirierenden Programm. Das umfasst sowohl klassische Elemente wie Keynotes, z. B. vom Innovationsexperten Wolf Lotter und vom Neugier-Forscher Carl Naughton, aber auch interaktive Formate. Außerdem ist die Bevölkerung von Linz jetzt schon aufgerufen, nachhaltige Ideen für die Destination einzureichen, für die es dann eine Auszeichnung geben wird. Was mich aber besonders freut, ist, dass es auch viele Angebote für Kinder und Jugendliche geben wird. Denn die haben ja noch am meisten Zukunft vor sich! So gibt es z.B. einen KI-Spielplatz und viele Ausprobierangebote, die Lust auf Zukunft machen sollen. Insbesondere werden wir auch viermal ein Beteiligungsformat demonstrieren, das wir schon seit Längerem mit der Stadtverwaltung umsetzen, um Jugendliche zur politischen Mitgestaltung zu motivieren: Es heißt „Create your city“ – und dabei entwickeln Schülerinnen und Schüler im Rathaus Ideen für eine lebenswerte Zukunft in der Stadt. Diese Ideen stellen sie dann im selben Saal, in dem sonst die lokale Politik tagt, vor, verteidigen sie gegen die Einwände der Erwachsenen und werben für Mehrheiten. So bringen wir während des Festivals Perspektiven zusammen, die sich oft erstaunlich unterscheiden, und bieten einen Anlass, um sich auszutauschen und zu verstehen.

Sylvia Lipkowski

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