Wirtschaftsgeschichte(n)
Lust auf Zukunft
Unter ihrem neuen Leitthema „Connecting Communities“ förderte die Kölner Einrichtungsmesse imm cologne dieses Jahr gezielt die Vernetzung und den Austausch innerhalb der Möbelbranche. Foto: Koelnmesse
Unter ihrem neuen Leitthema „Connecting Communities“ förderte die Kölner Einrichtungsmesse imm cologne dieses Jahr gezielt die Vernetzung und den Austausch innerhalb der Möbelbranche. Foto: Koelnmesse
50 Jahre Nürnbergmesse, 60 Jahre Messe München, 75 Jahre Igedo, 75 Jahre Messe Friedrichshafen, 100 Jahre Koelnmesse. Die Unternehmen haben Veranstaltungen von Weltrang entwickelt und mit dafür gesorgt, den Ruf Deutschlands als Land für internationale Leitmessen zu etablieren.
100-Jährige teilen spezifische Persönlichkeitsmerkmale. Sie profitieren von sozialen Beziehungen und haben ihr Leben lang Freude an Interaktion, an lebenslangem Lernen, sie sind neugierig, Problemlöser und nehmen neue Herausforderungen an – und sind stark mit dem Leben verbunden. Den Widrigkeiten des Lebens bieten sie immer wieder erfolgreich die Stirn und lassen sich nie unterkriegen. Beschrieben sind hier die Persönlichkeitsmerkmale 100-jähriger Menschen. Sie würden aber auch für Messen und Veranstaltungen passen. Zu den weltweit bekannten und renommierten 100-Jährigen des Jahres 2024 in dieser Kategorie zählen beispielsweise die IFA und die Koelnmesse. Letztgenannte ist sogar noch etwas älter, feiert aber in diesem Jahr 100 Jahre Messen in Köln. Die Hundertjährigen entstammen einer Boomzeit. Nach Ende des Ersten Weltkriegs, der Friedensvertrag von Versailles war gerade unterzeichnet, brach in Europa eine Art Messefieber aus. Gab es erste Schübe davon bereits vor Ausbruch des Krieges, erlebte das Messewesen danach einen rasanten Aufschwung. Es prosperierte derart, dass die Industrie vor einem Überangebot an Messen warnte: Schon 1920 fand eine Reichsmessekonferenz statt, um über die bisherige Entwicklung von Messen, ihre Bedeutung und die Gefahren der Ausartung zu diskutieren…
Ob in Basel, Göteborg oder Valencia, überall wurden neue Messezentren eröffnet. Deutschland machte da keine Ausnahme. Die Messe in Köln wurde an ihrem historischen Standort 1922 neu gegründet – die Initiative dafür ging vom damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer aus. Am 1. April 1922 wurde der Gesellschaftsvertrag unterzeichnet. Größte Gesellschafterin ist die Stadt Köln, die zwei Drittel des Stammkapitals in Höhe von 300.000 Mark beisteuerte. Beteiligt waren zudem die Kölner Handelskammer, die Kölner Handwerkskammer, regionale Industrieverbände und einige Privatpersonen. Unternehmenszweck ist die „Förderung von Handel, Industrie und Handwerk durch Veranstaltung dauernder und vorübergehender Messen“. Im Juni 1922 begann der Bau von Messehallen auf dem Gelände in Deutz – die wirkliche Geschichte der Koelnmesse aber beginnt am 11. Mai 1924. An dem Tag wurde die erste Messe eröffnet, die als Musterschau konzipiert war, aber Schwerpunkte bei Hausrat- und Eisenwaren, Möbel und Textilien setzte. Die Frühjahrsmesse war die erste von acht Veranstaltungen im ersten Messejahr.
1924: Die Frühjahrsmesse ist die erste Veranstaltung auf dem Kölner Messegelände. Als Musterschau zeigt sie vor allem Eisenwaren, Textilien und Möbel. Foto: Koelnmesse
In Berlin bereitete sich währenddessen die erste „Große Deutsche Funk-Ausstellung“ auf ihre Premiere vor. Der Startschuss fiel am 4. Dezember 1924. Die Erstausstellung zählte 242 Aussteller und 1870.000 Besucher auf einer Fläche von 7.000 Quadratmetern. Es folgten „Große Deutsche Funk-Ausstellungen“ im jährlichen Rhythmus, auf denen vor allem der Hörfunk, ab 1928 auch Fernsehvorführungen, die Hauptrolle spielen.
Diese Messe-Boomzeit währt nur kurz: „Braune Messen“ werden das Zeichen der Zeit. Auf ein Kommunikationsmedium, das die direkte Ansprache von Menschen ermöglicht und regelmäßig Millionen mobilisiert, verschaffen sich Diktatoren in der Regel schnellstmöglich Zugriff. Diese Erfahrung muss auch die deutsche Messe- und Ausstellungswirtschaft machen. Braune Messen sind Propaganda-Instrumente ideologisch geprägter Ausstellungen. 1942 wird der Messebetrieb in Deutschland eingestellt, die Hallen werden umfunktioniert zu Montagehallen oder – wie in Köln – dienen als Durchgangs- oder Sammellager für die Transporte in die Vernichtungslager. Im Jahr 2000 beteiligen sich viele Messegesellschaften am Zwangsarbeiterfonds und übernehmen moralische Verantwortung. Drei Jahre nach dem Ende des schlimmsten Krieges in der Geschichte verabschiedet der US-Kongress am 3. April 1948 den „Foreign Assistance Act“, besser bekannt als Marshall-Plan. Sein Namensgeber George C. Marshall, damals US-Außenminister, fasste sein Kernanliegen so zusammen: „Es ist nur logisch, dass die Vereinigten Staaten alles tun, was in ihrer Macht steht, um die Wiederherstellung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse in der Welt zu fördern, ohne die es keine politische Stabilität und keinen sicheren Frieden geben kann. Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos.“
Der lange Lulatsch
Bis heute sichtbares Zeichen der Anfänge der heutigen IFA: der Berliner Funkturm, eines der Wahrzeichen der Stadt. Der Sendeturm wurde 1926 zur dritten Großen Deutschen Funk-Ausstellung Berlin in Betrieb genommen. Foto: Messe Berlin
Für die deutsche Messewirtschaft ist das eine Steilvorlage, sie startet in ihre zweite Boomzeit. In Köln finden erste Ausstellungen und Messen bereits 1947 wieder statt. Bis 1950 werden 52.000 Quadratmeter Hallenfläche wiedererrichtet. Die Verantwortlichen setzen auf Spezialisierung und Fachmessen wie Photokina, Anuga, die Kölner Möbelmesse oder die Westdeutsche Büro-Fachschau (Vorläufer der Orgatec).
Anuga: Das Kürzel steht für Allgemeine Nahrungs- und Genussmittel-Ausstellung. Die weltgrößte Fachmesse der Ernährungswirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie ist ein absoluter „place to be“. Foto: Koelnmesse
Die Deutsche Funk-Ausstellung startet erst 1950 wieder durch. Veranstaltungsort ist aber nicht Berlin: Die politische Gemengelage dort lässt das nicht zu. Die 17. Ausgabe geht in Düsseldorf an den Start. Dort wechselt sie in einen zweijährlichen Turnus und bleibt bis 1957. Zwei Jahre später wird sie in Frankfurt veranstaltet, erst 1961 kehrt sie zurück nach Berlin und zu ihrem Funkturm – zur Internationalen Funkausstellung wird sie erst 1971.
Zwölf Bürger gründen Messe
Eine andere Jubilarin gibt es am Bodensee. Die Messe Friedrichshafen feiert in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag. Am 16. Dezember 1949 gründen zwölf Bürger aus Friedrichshafen die Internationale Bodensee-Messe Friedrichshafen und legen damit den Grundstein. Den Start macht am 22. April 1950 die erste Frühjahrsmesse IBO (Internationale Bodenseemesse), die damals noch auf einem Schulgelände stattfindet. Das Ziel der Ausstellung ist es, der vom Zweiten Weltkrieg schwer getroffenen Stadt Friedrichshafen wieder wirtschaftliche Impulse zu verleihen. Rund 530 Aussteller zeigen unter anderem Autos, Motorräder, Elektrotechnik, Lebensmittel, Spielwaren, Textilien sowie Produkte für Baubedarf. Die Messe lockt rund 100.000 Besucher nach Friedrichshafen. Der Erfolg der IBO, die nun regelmäßig veranstaltet wurde, macht schon nach wenigen Jahren einen Umzug notwendig: Die Messe zieht 1954 erstmals um, knapp 15 Jahre ein weiteres Mal. Anfang der 1960er geht zunächst die Wassersportmesse Interboot an den Start. Und die 1970er-Jahre bringen mit neuen Veranstaltungen wie der RMF, der Aero oder der Ham Radio das erste große Wachstum. Die 1980er- und 1990er-Jahre sind für die Messe vor allem geprägt von strukturellen Veränderungen und weiterer Expansion. 1987 wird eine Umstrukturierung des Messeunternehmens eingeleitet, die 1992 zur Entstehung der Messe Friedrichshafen führt. Durch einen Gesellschaftervertrag mit der Gründung zweier Gesellschaften – der Besitzgesellschaft „Internationale Bodenseemesse Friedrichshafen“ und der Betreibergesellschaft „Messe Friedrichshafen“ – wird die Besitzstruktur entscheidend geändert und die Stadt zum Hauptgesellschafter. 1998 gab der Friedrichshafener Gemeinderat grünes Licht für einen Umzug der Messe auf das Gelände am Flughafen. Und bereits vier Jahre später, am 27. und 28. Juli 2002, ging mit den „Eröffnungstagen“ die Neue Messe in Betrieb. Das kompakt konzipierte Messegelände bot dem Unternehmen von nun an Möglichkeiten, die weit über das klassische Messegeschäft hinausgehen. Und tatsächlich verlief die Entwicklung der Messe am neuen Standort noch rasanter, als es vorherzusehen war. 2009 wurde das Gelände daher nach Osten hin erweitert. Heute umfasst das Areal zwölf Messehallen mit einer Ausstellungsfläche von 87.500 Quadratmetern, drei Freigelände, einen Messe-See und ein Atrium sowie zahlreiche Tagungs- und Kongressräume mit unterschiedlichen Kapazitäten. Wichtige Treiber dieser Entwicklung waren vor allem zwei Messen: die Outdoor mit knapp 900 ausstellenden Unternehmen und seit 1991 die Fahrradmesse Eurobike. Im Jahr 2018 hatte sich der Träger der Outdoor, der Branchenverband European Outdoor Group (EOG), entschieden, mit der Veranstaltung nach München zu wechseln. Eine Zäsur.
Die Eurobike hat sich für Frankfurt vorgenommen, einen wesentlichen Beitrag zur Energie- und Verkehrswende zu leisten und Maßstäbe in den Themenbereichen Sport, Freizeit, Gesundheit und Mobilität zu setzen. Foto: Fairnamic
Um die Eurobike zu halten, gründen die Messegesellschaften Frankfurt und Friedrichshafen das Joint Venture Fairnamic mit Sitz am Bodensee, wenn auch die Fahrradmesse jetzt am Main veranstaltet wird. Für Friedrichhafens Messechef Klaus Wellmann ist 75 Jahre Messe Friedrichshafen ein Anlass, um auf die bewegte Geschichte zurückzublicken. „Wir richten unseren Blick auch nach vorne, um den Herausforderungen und Chancen der kommenden Jahre zu begegnen – mit Optimismus und dem unveränderten Ziel, Menschen und Märkte zusammenzubringen.“
Düsseldorf wird Modestadt
Mode-Deutschland? Ohne die Igedo kaum vorzustellen. Was 1949 von Willi Kronen als Interessengemeinschaft Damenoberbekleidung, kurz Igedo, gegründet wurde, avancierte in den Folgejahren zum erfolgreichsten Unternehmen für Modemessen nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Nach den Kriegsjahren wollten die Gründer die lädierte Bekleidungsindustrie aufpäppeln und die Frauen wieder modern kleiden. Bereits 1954 beteiligen sich 72 ausländische Aussteller. 1961 findet die 50. Igedo statt und die Internationalisierung schreitet voran. 1969 wird erstmals die Zahl von 1.000 Austellern übertroffen. In den 1970er-Jahren zieht die Igedo um auf das damals modernste Messegelände der Welt: in die Düsseldorfer Messehallen. Mit Einführung der Collections Premieren Düsseldorf (CPD) im Jahre 1982 sowie gleich vier Terminen der Igedo auf dem Messegelände wird Düsseldorf zur Modehauptstadt Europas. In Deutschland wird Berlin als neuer Modestandort erobert. 1999 feiert die Igedo ihren 50. Geburtstag und gleichzeitig die 222. Modemesse in Düsseldorf. Im Jahr 2003 lanciert die Igedo Company die CPM – Collection Première Moscow, die sich von Beginn an als die wichtigste Modefachmesse in Osteuropa positioniert. Erst kürzlich wurden Igedo Exhibitions in Düsseldorf mit dem Modebusiness Award für ihr Engagement und ihren Einfluss auf die NRW-Landeshauptstadt ausgezeichnet. Die Stadt ehrte gemeinsam mit Fashion Net Düsseldorf zum neunten Mal nationale Einflussgrößen aus der Mode. „Mit unserem Namen wird die Modestadt seit 75 Jahren verbunden. Es ist unser Ansporn, den Modestandort Düsseldorf kreativ weiterzuentwickeln“, so Philipp Kronen, Managing Partner der Igedo Exhibitions, anlässlich der Verleihung.
Dedicated followers of fashion
Nach mehreren Häutungen, zu denen auch Eigentümerwechsel gehörten, hat sich Igedo Exhibitions mit den zweimal jährlich stattfindenden Messen Fashn Rooms und Shoes in Düsseldorf seit 2021 im internationalen Orderumfeld neu etabliert. Als Lizenzveranstaltung der Messe Frankfurt Exhibition findet seit Januar 2023 die nachhaltige Orderplattform Neonyt Düsseldorf parallel zu den Fashn Rooms auf dem Areal Böhler statt – für Ulrike Kähler, Managing Director der Igedo Exhibitions, „ein nächster, wichtiger Meilenstein in unserer Firmengeschichte“.
Die Messetradition in der bayerischen Landeshauptstadt ist älter als die Messe München: Das Unternehmen wurde am 1. April 1964 gegründet und löste damit den „Verein Ausstellungspark“ ab. Das 60-jährige Bestehen würdigen bayrische Politiker als einen Glückstag für München und den Freistaat. „In der Aufbruchstimmung der 1960er-Jahre hat sich die Messe München von einem regionalen Veranstalter zu einer weltweit agierenden Messegesellschaft entwickelt“, so der Aufsichtsratsvorsitzende der Messe München und Münchner OB Dieter Reiter. Und Bayerns Wirtschaftsminister und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender Hubert Aiwanger betont: „München gehört heute mit dem großen internationalen Messe-Portfolio zu den weltweit führenden Messeplätzen.“ Eher bescheiden sind die Anfänge auf der Theresienhöhe. Münchens erster Weltmesse, die Internationale Verkehrsausstellung im Jahr 1965, dauert 101 Tage und macht Messegesellschaft und Stadt bekannt. 3,2 Millionen Besucher strömen auf das Ausstellungsgelände. Die Messen werden mehr und größer und bald stellt sich die Frage: Charme oder mehr Geschäft? Das alte Gelände hat zwar seine Reize, die aber kontrastieren zu den Anforderungen der wachsenden Messen respektive der Ansprüche der ausstellenden Unternehmen und Besucher. Die Entscheidung nach jahrelanger Diskussion: Das Messegelände wird von der Innenstadt nach München-Riem auf das einstige Flughafenareal verlegt. Der Bau des neuen Messegeländes ist ein gigantisches Großprojekt. Ab Herbst 1994 rollen die Bagger, vier Jahre später wird das neue Gelände in Betrieb genommen – und entpuppt sich als weiterer Booster für die Entwicklung der Messe München. Das Gelände nach den Plänen des dänischen Architekturbüros Bystrup, Bregenhoj und Partner mit den zunächst gebauten 140.000 Quadratmetern Hallenfläche ist noch nicht in Betrieb, da entstehen schon die ersten Erweiterungsbauten. Am 12. Februar 1998 wird die Neue Messe München feierlich eröffnet. Unter den 5000 Gästen: Bundespräsident Roman Herzog, Italiens Regierungschef Romano Prodi, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Auf die offizielle Eröffnung folgt ein neuntägiges Messe-Opening für die Bevölkerung.
Foto: Messe München
„Das 25-jährige Jubiläum der Messe München am Standort Riem feiern wir als großen Erfolg einer damals mutigen Entscheidung. Durch die Messeverlagerung ergab sich 1998 eine Jahrhundert-Chance: die rasant wachsende Messe München mit einem neuen Messegelände zu einer der modernsten, attraktivsten und größten Messegesellschaften der Welt zu machen. Nur an diesem größeren Standort war es möglich, Weltleitmessen wie etwa die Electronica auszubauen und die flächenmäßig größte Messe der Welt, die Bauma, mit ihrer heutigen, einzigartigen Größe zu etablieren.“
Reinhard Pfeiffer und Stefan Rummel, CEO-Doppelspitze der Messe München
Ihren 50. Geburtstag feiert die Messe München 2014 auf einem Messegelände mit 18 Hallen und 200.000 Quadratmetern Fläche sowie 414.000 Quadratmetern Freifläche. Gleichzeitig wird das Auslandsgeschäft zu einer tragenden Säule. Das Messegelände ist heute etablierter Bestandteil des Viertels Messestadt Riem. Der Bau trägt entscheidend zur Stadtentwicklung bei. Parallel wird ein U-Bahn-Anschluss realisiert – ein unverzichtbarer Faktor für Messe und Stadtviertel. Umweltverträglichkeit war bereits vor 25 Jahren Thema: So sind 220.000 Quadratmeter des gesamten Messeareals eine ausgewiesene Grünfläche mit 2.500 Bäumen. Insgesamt 71.000 Quadratmeter der Hallendächer sind begrünt. 2024 ist für die Münchner das Jahr zahlreicher Geburtstage: Neben der Messegesellschaft werden auch die Messen Bau und Electronica 60 Jahre alt, die Schmuck- und Uhrenmesse Inhorgenta 50 und die Bauma 75 Jahre alt. Die Bauma war 1949 in Würzburg von einem Verleger gegründet worden und kam 1954 nach München, also vor 70 Jahren.
Mit 60 immer noch ein Männchen
Bei den Geburtstagskindern nicht zu vergessen: das Leipziger Messemännchen. Am 29. August wird es 60 Jahre alt. Die erste Messemännchen-Puppe wurde dem Leipziger Messeamt (so hieß das 1964) von ihrem Schöpfer und DDR-Kunstpreisträger Gerhard Behrendt übergeben, der auch das Sandmännchen erschuf. Kurz darauf wurde das neue Maskottchen zur Herbstmesse offiziell vorgestellt. Es symbolisiert einen Handelsreisenden mit einem übergroßen Kopf in Gestalt eines Globus. In seinem rechten Mundwinkel steckt eine Pfeife. In der linken Hand hält das Messemännchen einen Aktenkoffer mit der Aufschrift „Leipziger Messe“ als symbolisches Reiseziel. Die Puppe trägt einen blauen Anzug und dazu einen blauen Hut, auf dem in Weiß das Doppel-M prangt (das Signet für Mustermesse ist seit 1917 das Logo der Leipziger Messe). Die Farben Blau (Anzug) und Gelb (Globus) stehen für die Farben der Stadt Leipzig. Bis zum Ende der DDR war das Messemännchen beliebtes Souvenir. Zu seinem 40. Geburtstag 2004 wurde es auf vielfachen Wunsch als Maskottchen wiederbelebt.
Youngster unter den Messegesellschaften ist die Nürnbergmesse. Als Spätstarterin hatte sie es besonders eilig, schnell zu den Großen zugehören, unter den Top Ten zu landen. Die damalige Chefredakteurin des m+a reports, Juliane Stiege, lag falsch mit ihrer These. Sie hatte geschrieben: „Nürnberg ist keine ausgewiesene Fachmessestadt und will auch keine sein.“ War Nürnberg bis dato geprägt von Publikumsmessen und der Spielwarenmesse (deren Bedarf letzten Endes auch die Initiativen für den Neubau auslöste), so sollte das neue Messegelände mehr sein. Nach Meinung der Stadtväter gehörte eine Messe ebenso zur Infrastruktur einer Großstadt wie eine Universität – das Briefing für die Verantwortlichen an der Messespitze ist eindeutig. Das Architektenteam Plan entwirft sechseckige Hallen: Der Wiedererkennungswert des neuen Geländes der Nürnbergmesse ist von Beginn an gegeben. 50 Jahre ist das jetzt her – und wird in diesem Jahr gebührend gewürdigt und gefeiert. Nürnberg mausert sich zu einer ausgewiesenen Fachmessestadt und besetzt strategisch klug die Lücken, die die anderen Messegesellschaften nicht sehen, oder punktet mit Themen, die andere als nicht relevant genug erachten. Und so schenkt sich die Nürnbergmesse in ihrem Jubiläumsjahr 2024 den höchsten prognostizierten Umsatz ihrer 50-jährigen Geschichte: 340 Millionen Euro, ein absoluter Rekord. Sie gehört längst zu den 15 größten Messegesellschaften der Welt und spielt in Deutschland in der Klasse der sieben Großmessen-Veranstalter neben Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, Köln und München. Sie baut ihre Unternehmensstrategie gezielt auf branchenübergreifende Netzwerke und Markenwerte auf. Die Zusammenarbeit mit Partnern zum beiderseitigen Nutzen ermöglicht diese beispiellose Unternehmensgeschichte. Partnerschaften finden sowohl als horizontale Kooperation zwischen Unternehmen der gleichen Wertschöpfungskette als auch als vertikale Kooperationen statt. Ein Beispiel dafür ist der 50-prozentige Einstieg beim Messe-Dienstleister Holtmann aus Langenhagen bei Hannover. Mit diesem strategischen Schachzug weiß die Nürnbergmesse bei ihren Kunden mit höherer Servicequalität und ganzheitlichem Angebot zu punkten. Ebenso verstärkt sie sich mit Lehrieder Catering, um den Kunden den Auftritt zu versüßen und ihn auch in kulinarischer Hinsicht zu einem vollen Erfolg zu führen. Als wesentlicher Erfolgsfaktor nicht zu vergessen: gemeinsame Messeprojekte zum gegenseitigen Nutzen. So entstehen in Nürnberg aus der engen Zusammenarbeit mit dem Vincentz-Network aus Hannover die Fachmessen Altenpflege, die European Coatings Show und ihre Ableger, oder in Zusammenarbeit mit dem Weka-Verlag die Fachmesse Embedded World – nur als Beispiele.
Die Farben- und Lack-Welt trifft sich alle zwei Jahre in Nürnberg auf der European Coatings Show. Veranstalter ist Vincentz Network, Hannover, durchgeführt wird das Format von der Nürnbergmesse. Foto: Nürnbergmesse
Bei ihrer Feier anlässlich ihres 50. Geburtstages ist die Nürnbergmesse längst zu einem Konzern, von einem regionalem Messe-Start-up 1974 zu einem Global Player gereift. Von den sechseckigen Hallen hat sie sich sukzessive verabschiedet, dafür setzt sie mit anderen ikonischen Gebäuden Zeichen. Die Hallenfläche beträgt mittlerweile 180.000 Quadratmeter in 16 Ausstellungshallen. Das Jubiläumsjahr steht unter dem Motto, das die Nürnbergmesse seit 50 Jahren bewegt: „The Spirit to Grow“. In Köln lautet das Motto: „We energize your business. Since 1924.“ Die Anzahl der Messen ist 100 Jahre später auf weltweit 80 gestiegen, das Gelände ist mit 285.000 Quadratmetern Hallen- und 100.000 Quadratmetern Außenfläche das drittgrößte Messegelände Deutschlands und eines der zehn größten Messegelände der Welt. Und die Koelnmesse baut weiter an der Zukunft: Im August will sie ihr neues Confex fertigstellen. Confex? Mit diesem Mix von Konferenz und Exhibition erhöht die Koelnmesse ihre Kongresskapazität um mehr als 6.000 Teilnehmende. Im zweiten Quartal wird sie es in Betrieb nehmen und mit der Inbetriebnahme im vierten Quartal gleich der internationalen Messewelt präsentieren. Die Jubilarin, Gründungsmitglied des Weltverbandes der Messebranche UFI (Union des Foires Internationales), hat den Zuschlag für den 91. UFI Global Congress bekommen, der vom 20. bis 23. November 2024 im Confex veranstaltet wird. Der UFI-Weltkongress gilt als das wichtigste jährliche Treffen der Messeindustrie. Um der globalen Bedeutung des Weltverbandes UFI gerecht zu werden, findet der Kongress jedes Jahr in einer anderen Region der Welt statt. Und die Internationale Funkausstellung? Die heißt inzwischen IFA und ist nach Veranstalterangaben die weltgrößte Messe für Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte. Seit 1924 ist die IFA die Plattform für die Markteinführung neuer Technologien: Detektorgeräte, Röhrenradioempfänger, das erste europäische Autoradio und Farbfernsehen werden vorgestellt, die Messe ist wesentlicher Bestandteil des technologischen Wandels. Zum 100. Geburtstag verpasst sie sich ein neues Erscheinungsbild. Das Rebranding beinhaltet auch eine neue Logovariante, die den Namen Internationale Funkausstellung aufgreift, von dem sich die drei Buchstaben IFA ableiten. Der Claim: „Innovation Für Alle“.
Ein Markenzeichen wird 70
„Funk-Otto“ bleibt, verschwindet aber aus dem Hauptlogo der IFA: Zum 100. Geburtstag schenkt sich die Messe ein neues Erscheinungsbild. Das bisherige Logo hatte seinen letzten Refresh Anfang der 2000er-Jahre. Es war mit seinen vielen Bestandteilen aus IFA-Schriftzug, Claim, dem jeweiligen Veranstaltungsdatum und „Funk-Otto“, dem markanten, stilisierten roten Kopf und bisherigen Markenzeichen der IFA, nicht mehr auf der Höhe der Zeit, so die Gesellschafter IFA Management, GFU Consumer & Home Electronics und Clarion. Der vom deutschen Grafiker Professor Helmut Lortz geschaffene ikonische Kopf, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, begegnet IFA-Ausstellenden und Gästen von nun an zu anderen, diversen Gelegenheiten.
50 Jahre Nürnbergmesse, 60 Jahre Messe München, 75 Jahre Igedo, 75 Jahre Messe Friedrichshafen, 100 Jahre Koelnmesse: Und doch sind das alles Jungspunde. Die Messe Frankfurt (Gründungsjahr 1907) beruft sich auf über 800 Jahre Messen in Frankfurt (die erste schriftlich dokumentierte Erwähnung stammt aus dem Jahr 1150), die Leipziger haben eine 859-jährige Geschichte. Auch die „Jungmessen“ würden nicht runde Geburtstage und stolze Jubiläen feiern, wenn sie nicht mit der Zeit gegangen wären, Herausforderungen angenommen und überwunden hätten. Und davon gab es in ihrer (kurzen) Geschichte schon einige – von Corona ganz zu schweigen. Messen sind im Wandel, Messen verändern sich – diese Überschriften implizieren, Messen seien statische Wesen. Jede Branche verändert sich, die Messewirtschaft auch. Jedes Unternehmen reagiert, wenn sich Nachfragen und Nachfrageverhalten verändern. Und die deutsche Messewirtschaft hat sich damit weltweit an die Spitze der Entwicklung gesetzt. Deutschland ist Nummer 1: Nirgendwo sonst gibt es dieses dichte Netz an Messeplätzen, nirgends ist die Qualität des Messemachens, die Dichte führender Messen beeindruckender. Sechs von zehn Ausstellern kommen aus dem Ausland und mehr als ein Drittel der Besucherinnen und Besucher. Digitalisierung lässt die Menschen nun anders und schneller kommunizieren, Geschäfte lassen sich zügiger abwickeln. Das verändert auch Messen, schmälert aber mitnichten deren Bedeutung. Im Gegenteil: Sie erweist sich als Booster für das Geschäft. Was wiederum bedeutet, dass Messen sich verändern müssen: work in progress. Was aber seit Jahr(hundert)en konstant bleibt, ist ihre Brückenbauerfunktion – zwischen Menschen, Märkten und Kulturen und ihre unbändige Lust auf Zukunft. Christiane Appel