Interview Stephen Rose
„Geistige Kapazitäten freischaufeln“
Foto: Stephen Rose
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Stephen Rose, Senior Vice President und Head of Communication Services bei Siemens Global Business Services, über Event-Exzellenz mit künstlicher und natürlicher Intelligenz, eine agilere Programmgestaltung, das KI-Tool Spark und einen offenen Umgang mit Fehlern.
tw tagungswirtschaft: Sie sprechen auf dem Tag der Industriekommunikation (TIK) 2024 am 27. Juni in Fürstenfeldbruck über Event-Exzellenz mit KI: Neue Horizonte für Sinn und Nutzen. In zwei Sätzen: Event-Exzellenz mit KI – worum geht es dabei?
Stephen Rose: In der Session werde ich praktische Tipps zur Implementierung von KI-Lösungen während der Planung und Durchführung von Veranstaltungen geben. Dabei berichte ich u.a. über die Einführung und Pilotierung einer eventspezifischen KI-Lösung während einer großen Managementkonferenz bei Siemens, bei der neben Echtzeit-Zusammenfassungen von Sessions auch Feedback- und Stimmungsanalysen erstellt wurden, um die Kommunikation mit den Teilnehmern über die Inhalte der Veranstaltung zu verbessern und effizienter zu gestalten, und ich präsentiere strategische Überlegungen und Use Cases, die nicht nur auf Effizienz, sondern auch auf Mehrwert abzielen.
Auf dieselbe Frage hat mir ChatGPT geantwortet: „Event-Exzellenz mit KI umfasst die Nutzung von künstlicher Intelligenz zur Optimierung von Eventplanung, Logistik und Teilnehmerengagement mit dem Ziel einer nahtlosen Durchführung und außergewöhnlichen Erfahrung. Es geht darum, KI-Technologien zu integrieren, um Prozesse zu rationalisieren, Interaktionen zu personalisieren und letztendlich erfolgreiche Veranstaltungen mit Effizienz und Wirkung zu liefern.“ Wie finden Sie diese Antwort?
Nicht besonders gut, um ehrlich zu sein. Die Antwort umfasst das, was heute schon bekannt ist. Doch die tatsächliche kreative Idee entsteht erst, wenn man seine eigene Würze dazugibt und etwa in der Umsetzung konkretisiert, wie man eine Event-Experience optimiert oder Content personalisiert. Beispielsweise kann ich mit künstlicher Intelligenz Inhalte einer Session aufbereiten und zusammenfassen lassen. Ich kann aber heute auch eine KI einsetzen, um Feedback einzuholen oder über Polling Meinungen zu bestimmten Themen. Das lasse ich schnell über eine KI auswerten, um Sentiments zu erkennen und Sessions entsprechend nachzuschärfen. Damit kommen wir aus einer Welt der starren Agenden in eine eher fluide, agile Programmgestaltung. So etwas wird Ihnen die KI nicht als Vorschlag machen, sondern nur die Dinge, die bereits gemacht worden sind.
Tag der Industriekommunikation (TIK) 2024: [R] Evolution im B2B-Marketing – transformieren, integrieren, kreieren
Der Tag der Industriekommunikation (TIK) im veranstaltungsforum fürstenfeld in Fürstenfeldbruck hat am 27. Juni 2024 das Leitthema „[R]Evolution im B2B-Marketing – transformieren, integrieren, kreieren. Die Konferenz für zukunftsweisende B2B-Marketing-Trends wird vom Bundesverband Industrie Kommunikation (bvik) veranstaltet. Um 12:45 Uhr spricht Stephen Rose, Senior Vice President und Head of Global Communication Services bei der Siemens AG, über „Event-Exzellenz mit KI: Neue Horizonte für Sinn und Nutzen“.
Immerhin sind Sie und ChatGPT sich einig, dass künstliche Intelligenz Veranstaltungen verbessern kann. Nutzen Sie KI für alle Ihre Business Events?
In den Planungsprozessen ziehen wir KI zunehmend in Betracht, beispielsweise zur Erstellung einer Speaker-Bio. Das sind Informationen, die bereits vorliegen, die wir entsprechend zusammenfassen und in den Programmen einfügen. Das beschleunigt den Prozess der Abstimmung mit den Sprechern. Aber wenn es um den höherwertigen Einsatz von künstlicher Intelligenz zur eigentlichen Experience geht, dann verwenden wir KI nur punktuell. Für unsere virtuellen Veranstaltungen sind die KI-erstellten Zusammenfassungen eine Option, die immer genutzt werden kann.
Siemens hat vom 22. bis 26. April 2024 auf der Hannover Messe ausgestellt. Haben Sie auf der Industriemesse KI eingesetzt?
KI hat auf der Hannover Messe als industrielle KI im Ausstellungsprogramm stattgefunden. Das ist die künstliche Intelligenz aus unserem Portfolio, die wir unseren Kunden präsentieren. Wenn wir über Eventmanagement sprechen, ist das eine andere KI. Für die Messe selbst gibt es hier einige Anwendungsfälle – wie im Bereich des Besucher-Trackings die digitale Erfassung der Besucherströme. Wir erfassen, wie viele Besucher sich wann am Stand und in welcher Zone aufhalten. Hier können wir KI einsetzen, um unsere Aufplanung künftig zu optimieren, indem wir erkennen, wie verschiedene Themen aufeinanderfolgen – ohne dass wir es wussten. Übertragen auf die Logik eines Supermarktes hieße das: Vielleicht gehen die Leute vom Süßigkeitenregal zu Obst und Gemüse, weil sie ein schlechtes Gewissen haben?
Wo im Eventmanagement setzen Sie künstliche Intelligenz noch ein?
Am häufigsten ist die Zusammenfassung von Sessions. Auf der Hannover Messe haben wir das gesamte Bühnenprogramm an unserem Stand live gestreamt. Hier wäre ein Anwendungsfall, die Sessions als One-Pager zusammenzufassen, um sie unseren Kollegen in den Regionen bereitzustellen mit dem Hinweis: Hier finden Sie das Aktuellste aus unserem Portfolio. Wenn Interesse besteht, können entsprechende Assets zur Verfügung gestellt werden, also der Film selbst, die Präsentation oder der Kontakt zum Speaker.
Ganz konkret: Mit welchen KI-Tools arbeitet Ihr Event-Team?
Natürlich muss man bei künstlicher Intelligenz auf die Informationen aufpassen, die man in die KI einspeist. Es geht um eine Klassifikation der Informationen, denn diese Informationen werden genutzt, um andere zu trainieren. Da passen wir sehr genau auf und überlegen, welche Information in welches Tool geht. Bei Siemens haben wir aktuell zwei Möglichkeiten: Zum einen ist seit letztem Jahr Spark bei uns integriert. Das ist ein KI-Tool speziell für die Eventbranche, welches der Fachverband PCMA (Professional Convention & Congress Association) mitentwickelt hat. Hier haben wir eine Siemens-Instanz gegründet, die Daten maschinell trennt. Damit haben wir eine gewisse Sicherheit, dass unsere Daten nicht weiterverarbeitet werden. Zum anderen haben wir eine durch unsere zentrale IT bereitgestellte Lösung, mit der wir uns in einem sicheren Raum mit einem LLM (Large-Language-Modell), das ChatGPT ähnlich ist, auseinandersetzen. Diese generative KI nutzen wir für Texte, nicht für Bilder. Hier sind meines Erachtens die Rechte aktuell nicht geklärt.
Generative KI kommt im Trendbarometer 2024 vom Bundesverband Industrie Kommunikation (bvik) auf Platz 5 von 10 Trends. Jeder zweite Befragte stimmt der Aussage zu: „Generative KI (ChatGPT & Co.) wird im Laufe des Jahres 2024 standardmäßig für die Content-Produktion eingesetzt.“ Wie sehen Sie das?
Definieren Sie Content-Produktion! Was ist Content? Diese Frage muss man sich als Kommunikator und Marketer stellen. Content kann Video, Text oder Bild sein. Content kann eine komplette Abhandlung sein. Hier muss man differenzieren: Wofür braucht man es? Woher bekommt man es? Da spielt Effizienz eine Rolle, aber die Qualität auch. Deswegen koppeln wir bei Siemens die KI mit einer „NI“: Eine natürliche Intelligenz steuert die künstliche Intelligenz. Je technischer und spezifischer die Inhalte werden, desto schwerer tun sich die Tools. Deshalb haben wir bei Spark z.B. eine Siemens-Tonalität trainiert. Wir nutzen nicht einfach Sprachmodelle, die frei verfügbar sind, sondern trainieren unsere Sprachwelt der KI an.
Was es noch schwieriger macht, KI-generierte Texte zu erkennen …
Wenn wir etwas mit KI generieren, dann weisen wir das aus. Wenn Sie einen Artikel von mir sehen, der durch KI generiert wurde, dann schreibe ich das dazu oder ergänze mit „Unterstützt von KI“.
Wie ist das in den sozialen Medien? Sie sind auf LinkedIn recht aktiv.
Wenn Sie einen LinkedIn-Post von mir lesen, dann habe ich den immer selbst geschrieben – das sieht man vielleicht auch an den Rechtschreibfehlern. 😉
Als Verantwortlicher für das Global Communication Services Team wollen Sie digitale Transformation voranzutreiben. Wie befähigen Sie Ihr 70-köpfiges Team und stellen sicher, dass Ihre Teammitglieder fit im Einsatz mit künstlicher Intelligenz sind?
Durch einen offenen Umgang und eine Kultur, die Innovation erlaubt. Das ist ein guter Startpunkt, um Dinge ausprobieren und in einem sicheren Umfeld Ergebnisse erzielen zu können – und vielleicht auch einmal Fehler machen zu können. Das ist das Umfeld. Das andere ist unser globales Lernportal, die „My Learning World“. Da gibt es Kurse zu künstlicher Intelligenz, die man besuchen kann. Zusätzlich haben wir regelmäßig Austauschforen für alle Interessierten, wo jeder seine Ideen einbringen oder hören kann, was es gerade Neues gibt und woran wir arbeiten. Dann kommt hoffentlich sehr viel Eigeninitiative mit ins Spiel, denn Lernen ist kein Prozess des Eintrichterns. Lernen ist ein Prozess des eignen Aktivierens. Ich muss Spaß daran haben, mich mit neuen Dingen zu beschäftigen. Damit sind wir wieder bei der Kultur.
Foto: Stephen Rose
Stephen Rose: „Lernen ist kein Prozess des Eintrichterns. Lernen ist ein Prozess des eignen Aktivierens. Ich muss Spaß daran haben, mich mit neuen Dingen zu beschäftigen.“
Sie haben den Umgang mit Fehlern angesprochen. Teilen Sie einen Fail mit uns?
Wir haben bei einer Veranstaltung eine Zusammenfassung durch KI generieren lassen und durch eine natürliche Intelligenz, einen Redakteur, prüfen lassen. Der hat festgestellt, dass die KI die zeitliche Abfolge nicht berücksichtigt hat. Durch die Zusammenfassung hat die KI den fünften Punkt vor den ersten Punkt gesetzt und den vierten vor den zweiten, weshalb die Storyline nicht mehr funktioniert hat. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man die KI gut programmieren und so trainieren muss, dass sie sich auch z.B. an den zeitlichen Ablauf hält.
Der Einsatz von KI verspricht im Eventmanagement viele Chancen, lässt aber auch Risiken vermuten. Welche Gefahren sehen Sie?
Auf jeden Fall Datenschutz. Das Thema der Bildrechte ist bereits gefallen. Die Frage ist: Wo entsteht Neues? Wenn Sie ein Musikstück durch künstliche Intelligenz komponieren lassen, bedient sich die KI bestimmter Muster. Wie viel Veränderung schafft etwas Neues, und wer hat die Rechte auf diese Komposition? Das ist eine schwierige Fragestellung. Last, but not least darf man sich nicht einfach blind in die neue Technologie hineinstürzen. Das hat die Menschheit seit Anbeginn erfahren, dass jedes Werkzeug sie befähigt, Gutes zu tun oder auch Böses. Mit einem Messer können sie Brot schneiden oder Menschen verletzen. Man sollte sich genau damit auseinandersetzen, wozu und wie das Werkzeug eingesetzt wird und welchen Schaden man anrichten könnte, wenn man es falsch einsetzt.
Siemens und Microsoft entwickeln den Siemens Industrial Copilot. Der Assistent mit generativer KI soll die Produktivität und Kollaboration von Mensch und Maschine steigern und in der Fertigungs-, Infrastruktur-, Transport- und Gesundheitsbranche die funktionsübergreifende, virtuelle Zusammenarbeit von Teams vereinfachen. Sind hier zukünftig Anleihen für den Bereich Live-Kommunikation möglich?
Absolut. Die industriellen Kopiloten sind dazu da, um Arbeiten zu unterstützen, die heute von Menschen allein verrichtet werden. Von daher ist es eine Erleichterung. Gerade in einem Land wie Deutschland, das vor einer Transformation in der Arbeitswelt steht. Und warum sollte das nicht auch in der Kommunikation der Fall sein? Es wird Rollen geben, die spannender und aufgewertet werden, indem sie durch KI unterstützt werden. Der Begriff Kopilot ist an dieser Stelle sehr gut gewählt. Am Ende des Tages übernimmt der Kopilot die Navigationsaufgaben, sodass man sich auf die wesentliche Aufgabe, einen sicheren Flug, konzentrieren kann. Wenn ich mir zum Beispiel sparen kann, einen Text bis zum Ende auszuformulieren, weil ich einen guten Vorschlag erhalte, kann ich mich mehr auf die kreative Arbeit konzentrieren und auf das, was ich an Wert bei unseren Teilnehmern schaffen will. Das schaufelt geistige Kapazitäten frei.
Meinen Sie, dass künstliche Intelligenz die Kongress- und Messewirtschaft verändern wird oder lediglich die Arbeit von Eventprofessionals erleichtern und ihre Effizienz erhöhen wird?
Das will ich doch sehr hoffen, dass die KI die Kongress- und Messewirtschaft verändert und sie besser macht.
Inwiefern „besser macht“?
Durch konkreteren Content und schnellere Aufbereitung, durch spannendere Formate und individuellere Experiences und dadurch den Wert einer Veranstaltung noch einmal steigert für den Besucher, den Teilnehmer.