Große Bühnen
Wie Messen Städte beleben
Wenn Leipzig liest, wird die Stadt zur Bühne. Gelesen wird nicht nur in den Hallen, in denen die Buchmesse stattfindet, sondern auch an ungewöhnlicheren Orten wie der Tropenerlebniswelt Gondwanaland im Leipziger Zoo. Foto: Zoo Leipzig
Wenn Leipzig liest, wird die Stadt zur Bühne. Gelesen wird nicht nur in den Hallen, in denen die Buchmesse stattfindet, sondern auch an ungewöhnlicheren Orten wie der Tropenerlebniswelt Gondwanaland im Leipziger Zoo. Foto: Zoo Leipzig
Es sind nur wenige Messen, die ihre Themen in die Städte ausdehnen und die öffentlichen Räume bespielen. Dabei macht es den meisten Gästen eine große Freude, wenn sie (berühmten) Menschen zuschauen, neue kennenlernen – und Orte neu erleben, sich auf Dinge anders einlassen und lernen können.
Das Lesen leben. In Leipzig geht das. Sehr gut sogar. Die Leipziger haben es verstanden, aus Lesen ein Fest zu machen. Wenn es heißt, „Leipzig liest“, ist nicht nur die Stadt Auge und Ohr und auf den Beinen – das Event zur Buchmesse ist ein Erfolgsfaktor und mittlerweile das größte Lesefest Europas. Rund 2.800 Veranstaltungen in fünf Tagen, Schreibende, Übersetzende, Menschen, die Verlage und den Buchhandel vertreten, und über 280.000 Besuchende haben diesen Status von „Leipzig liest“ auch 2024 eindrucksvoll unterstrichen. Die Zahl der Gäste macht deutlich, wie sehr ein solches Programm beim Publikum ankommt und nachgefragt wird. Viele reisen von fern an, um diese einmalige Atmosphäre und vor allem Literatur in Lesungen, Talkrunden und Mitmachaktionen live zu erleben und es genießen, dabei zu sein, wenn Kulturveranstaltungen und Kongressformate miteinander kombiniert werden. Was das Ganze zusätzlich reizvoll macht: Die Lesungen für „Leipzig liest“ finden nicht nur auf dem Gelände der Messe statt, es werden auch eher außergewöhnliche Orte in der Stadt „belesen“. Clubs, der Zoo, ein Gerichtssaal, das Planetarium, der Botanische Garten oder auch ein Friedhof bieten Bühnen – und so gleicht „Leipzig liest“ einer kleinen Stadttour zu besonderen Orten mit einmaligen Erlebnissen.
Wenn es um Tierisches und Natur geht, ist die beste Adresse: der Zoo. Und so weiß sich auch der Zoo Leipzig in eine Lesebühne zu verwandeln. So gibt es zum Beispiel eine Kinderlesung mit Tour durch den Zoo, eine Abendlesung aus Martin Wikelskis Roman „The Internet of Animals“ oder die interessierten Gäste konnten einer Tierärztin zuhören, die sich weltweit für den Artenschutz einsetzt. Und wo können Krimi- oder Gruselnächte noch mehr Gänsehaut erzeugen? Richtig, auf einem Friedhof. Und so gab es in diesem Jahr auch auf dem Südfriedhof ein Lese-Event: Die Westkapelle des Friedhofs am Völkerschlachtdenkmal fungierte als Literaturbühne für düstere Geschichten. In einem Gericht wurde auch gelesen. Der Historiker Philipp Graf hat ein Buch über den jüdischen Juristen und hochrangigen SED-Funktionär Leo Zuckermann geschrieben, der als Rechtsberater in den Reichstagsbrandprozess verwickelt war. Dieser fand im damaligen Reichsgericht – dem heutigen Bundesverwaltungsgericht – statt und wurde ebenda vorgestellt.
„‘Leipzig liest‘ hat unseren Büchern erneut eine wichtige Spielstätte geboten. Die ganze Stadt lebt dieses Event, das macht den besonderen Charme aus.“
Andrea Luck, Gesamtleitung Marketing Rowohlt Verlage
Literatur und Leipzig gehören seit Jahrhunderten zusammen. „Leipzig liest“ feiert diese Verbundenheit und bietet eine große Bühne für Verlage und Schreibende, ihre neuesten Werke zu präsentieren. Isa Theobald, Erste Vorsitzende, Phantastik-Autoren-Netzwerk (PAN), und Markus Heitkamp, Schatzmeister, PAN, können das nur bestätigen: „Zur Leipziger Buchmesse anzureisen ist wie nach Hause zu kommen. Das liegt natürlich auch an ‚Leipzig liest‘, das eine tolle Nähe zwischen Autor:innen und ihrem Lesepublikum schafft.“ Was die Leipziger Buchmesse heute so besonders macht, hat mit ihrer Geschichte zu tun: Die erste eigenständige Leipziger Buchmesse nach der Wende fand im April 1991 statt und verzeichnete nur knapp 25.000 Besuchende. Damit blieb sie deutlich unter den Erwartungen. Eine neue Idee musste her, die Bücherschau zu einem Event für Literatur und Lesespaß für alle zu machen. Als Initiator und Geburtshelfer gilt der Club Bertelsmann, der in den 1990er- Jahren seine Hoch-Zeit hatte (und 2015 eingestellt wurde).
Lesefest statt Literaturfestival
Mit organisatorischer Hilfe der Stadt Leipzig und der Leipziger Messe ging das Projekt zur Buchmesse 1992 erstmals an den Start: 80 Autoren lasen und diskutierten an knapp 160 Leipziger Orten. Das Unternehmen schlug ein: Die Leipziger und ihre Gäste bescherten der Leipziger Buchmesse ein Besucherplus von 46 Prozent. Und dennoch ist „Leipzig liest“ kein klassisches Literaturfestival: Das Lesefest ist Marketing-Verstärker für die Messeauftritte der Verlage. Allen Ausstellenden steht die Teilnahme am Programm offen. Kerstin Beaujean, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Piper Verlag, betont denn auch die Bedeutung: „Die Leipziger Buchmesse bietet auch eine tolle Plattform für unsere Autorinnen und Autoren: Mit dem herausragenden Lesefest ‚Leipzig liest‘ war Leipzig schon immer Vorreiter. Man spürt hier schon an Tag eins die große Begeisterung des Publikums.“
Im Januar wird Köln zu einer Bühne für Design: In den Messehallen veranstaltet die Koelnmesse die Wohn- und Einrichtungsmesse IMM Cologne, in der Stadt besuchen Interessierte die „Passagen“. Foto: Koelnmesse
Für die Möbel- und Interior-Welt beginnt das Jahr im Januar in Köln. Die IMM Cologne stellt Möbel- und Einrichtungstrends vor, die das jeweilige Jahr beherrschen. Dieses Leben spielte sich jahrelang nur in den Kölner Messehallen ab, in denen internationale Möbelhersteller und Designer ihre Produkte, experimentelle Wohnkonzepte und zukunftsweisende Technologien präsentierten. Die Kölner Einzelhändler wollten etwas von dem Design-Boom abbekommen – und Aussteller und Besucher von der Messe weg in die Stadt locken. So entstanden die Passagen in Köln, quasi als Off-Programm zur Möbelmesse. Seit der Gründung 1990 haben sie sich zur größten deutschen Designveranstaltung entwickelt. Als „Die Passagen Interior Design Week Köln“ bietet sie jährlich rund 150 dezentrale Ausstellungen im ganzen Kölner Stadtgebiet parallel. Protagonisten sind klassische Solitäre sowie junge Netzwerke, Hochschulen, Newcomer, Institutionen, Architekten und Plattformen. Sie alle präsentieren sich am Parcours der Kölner Innenstadt, am Ring sowie im Rheinauhafen und in der Südstadt, in Deutz und in den kreativ starken Quartieren Belgisches Viertel und Ehrenfeld – Köln wird eine Bühne für Design, bietet Atmosphäre und Inspiration und gibt der Interior Design Week einen einzigartigen Charakter.
Wohnen erlebbar machen
Das Messethema Wohnen und Einrichten wird so für alle Menschen erlebbar. Das ist umso wichtiger, da es die Publikumstage auf der Möbelmesse so nicht mehr gibt. Die IMM Cologne hat sich nach Corona überwiegend zu einer B2B-Veranstaltung entwickelt. Die Passagen machen das Messethema in der Stadt für Bürger, Gäste und Touristen zugänglich. Neben Ausstellungen und Inszenierungen zu Möbel, Accessoires oder Beleuchtung gibt es bei den Passagen Happenings wie Konzerte, Vernissagen und weitere Veranstaltungen an zig Orten zu erleben – und einen Hotspot für Design-Interessierte. Sie schätzen die authentischen Orte und die Verdichtung, die so typisch für das Stadterlebnis ist.
Zusammen genießen
Während die Düsseldorfer Messe Prowein das Fachpublikum adressiert, bringt „Prowein goes city“ Endverbraucher, Gastronomie und Weinfachhandel sowie internationale Winzer zusammen. Und das schon seit 2007 mit großem Erfolg. Tausende Genussmenschen sind jedes Jahr dabei, um in Weinhandlungen an Proben teilzunehmen, sich moderierte Weinmenüs schmecken zu lassen oder außergewöhnliche Veranstaltungen nach dem Motto „Wein trifft Kunst, Musik oder Design“ zu erleben. So spiegelt sich das Messethema in der ganzen Stadt und der Region wider. 2024 beteiligten sich 58 Restaurants, Hotels und Fachhändler mit über 100 Veranstaltungen an der gemeinsamen Initiative von Messe Düsseldorf und der Wirtschaftsvereinigung Destination Düsseldorf. Ob georgischer Wein- oder japanischer Sake-Abend, französische Gourmetverkostung oder Big Bottle Party, Jungwinzer-Präsentation oder Weinprobe mit internationalen Spitzenerzeugern: das Angebot war vielschichtig. Auch Champagner- und Cocktailliebhaber konnten sich bei ProWein goes city auf zahlreiche Verkostungen mit prickelndem und hochprozentigem Genuss freuen. Weinproben mit DJ oder Live-Musik in lockerem Ambiente sorgten für einen entspannten Ausklang nach Messeschluss.
Eine Stadt als Hausmesse
Großkonzerne, die es sich leisten können, nutzen eine Stadt als Hausmesse. Und wieder ist Köln die „IT-town“. Die Deutsche Telekom nennt das Event auch nicht Hausmesse, sondern Digitalisierungsinitiative – und zeigt mit der Digital X Größe: Sie nutzt die Innenstadt als Eventlocation und bietet Digitalisierung zum Anfassen: 50.000 Besucher erlebten im vergangenen Jahr zwei Tage voller Innovationen und Zukunftsvisionen. Ob Medikamente aus dem 3D-Drucker, Baggersteuerung per VR-Brille oder autonomer, schwimmender Müllsammler: Die Veranstaltung präsentierte sich als pulsierender Hotspot mit sechs Bühnen, 250 Speakern und 300 Partnern. Zu den prominentesten Gästen zählten Schauspieler und Menschenrechts-Aktivist George Clooney, ABBA-Ikone Björn Ulvaeus und Futuristin Amy Webb. Gäste konnten sich auf einer Fläche von zwei Millionen Quadratmetern in der Kölner Innenstadt informieren und sich einen Eindruck verschaffen, wie wir in der Zukunft leben und arbeiten werden und über alle möglichen Fragen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit diskutieren: Das „X“ in „Digital X“ steht für das Vielfache. Das Vielfache an Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt – und das Vielfache an Möglichkeiten, die der öffentliche Raum bietet. Hinter dem jährlichen Event steht die Telekom als Spiritus Rector zusammen mit mehr als 200 internationalen Partnerunternehmen. Ihr gemeinsames Ziel: Gesellschaft und öffentliches Leben durch neue Technologien vereinfachen und bereichern. Das Konzept: vernetzen, austauschen und voneinander lernen im Sinne des digitalen Fortschritts. Und unterhalten.
Srini Gopalan, Vorstandsmitglied Deutsche Telekom und Sprecher der Geschäftsführung Telekom Deutschland, über Kundenfokus und Digitalisierung. Foto: Deutsche Telekom
Mobilität, Nachhaltigkeit und Gesundheit: Die Digital X erstreckt sich, thematisch gegliedert, über mehrere Stadtteile Kölns. Stände wie auf Messen gibt es nicht. Dafür lohnen sich Restaurant- und Kneipenbesuche: Viele der örtlichen Gastrobetriebe beherbergen das Informationsangebot, ebenso sind es Waschsalons oder Yoga-Studios. Auch Blumengeschäfte werden zu Präsentationsräumen, Networking-Bereichen und Bühnen, in denen Aussteller wie Cisco, Microsoft oder Google Themen der Digitalisierung nahbar machen. Bestehende Locations umzunutzen, diese Vorgehensweise dient auch der Nachhaltigkeit. Und: So kommen Locations ins Spiel, die skurrile, glamouröse, herausfordernde Räume anbieten. Die Digital X fokussiert auf die Entscheider. 2018 wurde sie ins Leben gerufen, den deutschen Mittelstand bei der digitalen Transformation zu unterstützen. Zuerst setzte das Veranstaltungsformat auf klassische Messehallen – zumindest tagsüber. Bereits 2019 gab es erste Digital X-Side Events in der Kölner City. Wegen Corona wurde sie 2020 in den virtuellen Raum verlegt – und dann fiel die mutige Entscheidung, die größte Digitalisierungsinitiative in Europa in der Stadt zu veranstalten. Das Konzept kam an, die Resonanz war überwältigend. Wichtigste Zielgruppe: das B2B-Publikum – und das wird auch der Fokus bleiben. Das Bespielen des öffentlichen Raums hat im Jahr 2022 dazu geführt, das Publikum einzubinden. Es gab Angebote für Privatbesucher und -besucherinnen. Im letzten Jahr fanden die Dmexco, Europas führendes Digital Marketing & Tech Event der Koelnmesse, und die Digital X, die Digitalisierungsinitiative der Telekom und ihrer Partner, parallel statt. Während sich die Digital X mit der digitalen Transformation beschäftigt, liegt der Fokus der Dmexco vor allem auf dem digitalen Marketing. Das Zusammenspiel von Digital X und Dmexco ist für beide Seiten von Vorteil. Digitale Themenfelder und relevante Zielgruppen rücken zusammen – und Köln wird im September mehr denn je zum absoluten Hotspot für digitale Themen. Und so halten es Koelnmesse und Telekom auch in diesem Jahr, wenn die Veranstaltungen am 18. und 19. September stattfinden: die Dmexco in den Kölner Messehallen und die Digital X in vielen Locations in der Innenstadt. Für dieses Jahr versprechen die Verantwortlichen des Magenta-Riesen „eine Digital X auf einem neuen Level und vor allem eine unvergessliche Zeit in der schönsten Metropole am Rhein“.
Wirtschaft neu denken: Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Widerspruch. Darüber diskutiert das Panel mit René Schmidpeter, Professor, Wissenschaftler und Gründer, Olga Nevska, Geschäftsführerin Telekom Mobility Solution, Michael Fritz, Co-founder Viva con Agua & conceptual activist, und Vera Knauer, Prokura, Strategie & Beteiligungen Ortho Innovations. Foto: Deutsche Telekom
Wie eine Wirtschaftsmesse, Kulturtage und ein Heimatfest zu verbinden sind, zeigt die Allgäuer Festwoche. In Kempten ist dann High Life und es werden auch Schulen umfunktioniert zu Ausstellungsräumen (deshalb kann die Festwoche nur in den Ferien stattfinden). Das Grundkonzept der Allgäuer Festwoche zieht sich seit Beginn im Jahr 1949 konstant durch all die Jahrzehnte – und ist genau das, was jährlich rund 150.000 Besucherinnen und Besucher anzieht. Die drei Säulen bilden den Grundstock für die besonderen Festtage im August in Kempten. Thementage mit den speziellen Mottos, Musikangebote, ein Lichterfest, zahlreiche Institutionen, Vereine und oftmals ehrenamtlich Tätige bieten Informationen und Mitmach-Aktivitäten, die den Kempten- und Festwoche-Gästen Spaß machen und Interesse wecken. Bei der Wirtschaftsmesse, ein B2C-Format, gibt es Platz für rund 300 Ausstellende, die in den Messehallen und im Freigelände platziert sind. Als thematischer Schwerpunkt lockt in diesem Jahr „Bauen und Renovieren“ mit einem breiten Spektrum an Kauf- und Beratungsangeboten. Zum Angebot gehören weiter Lebensmittel, Haushaltsgeräte, Tracht, Mode, Reinigungsmittel, Dienstleistungsangebote und vieles mehr. Unbestrittene Treffpunkte: zwei große Festzelte mit Biergarten und zahlreichen Imbissen und regionalen Allgäuer Spezialitäten. Auch hier wird gemeinsames Erleben großgeschrieben. Die Tischreservierungen laufen bereits. Christiane Appel