Circular Collective
Die Stoffstrombilanz
So sieht er aus, der alte bzw. neue Stand der tw tagungswirtschaft G510 in Halle 8 der Messe Frankfurt auf der IMEX 2024. Die Front wird mit Stoff aus ehemaligen PET-Flaschen neu bespannt. Statt hohen Tischen wird es eine Tafel geben, statt eines Teppichs einen Holzboden. Beides kommt aus dem Fundus. Pfeile informieren über die Herkunft der Materialien. Foto: imb troschke
So sieht er aus, der alte bzw. neue Stand der tw tagungswirtschaft G510 in Halle 8 der Messe Frankfurt auf der IMEX 2024. Die Front wird mit Stoff aus ehemaligen PET-Flaschen neu bespannt. Statt hohen Tischen wird es eine Tafel geben, statt eines Teppichs einen Holzboden. Beides kommt aus dem Fundus. Pfeile informieren über die Herkunft der Materialien. Foto: imb troschke
Im Vorfeld der Fachmesse IMEX 2024 hat das Projektteam Kreislauffähiger Messestand sämtliche Primär- und Sekundärmaterialien des Auftritts der tw tagungswirtschaft auf der IMEX 2023 gewogen und gemessen und gelistet. Und siehe da …
Im Frühjahr stehen im Projekt Kreislauffähiger Messestand der Circular Scan und die Stoffstrombilanz für den 30 Quadratmeter großen Messestand der tw tagungswirtschaft auf der IMEX 2023 an. Alle Primär- und Sekundärmaterialien – bis zum letzten Zentimeter Klebeband – werden erfasst und fließen in die Stoffstrombilanz ein, auf Basis derer später die CO2-Bilanzierung erfolgt. Die Erfassung sämtlicher Materialien ist der Job von Messearchitektin Andrea Walburg. Für die geschäftsführende Gesellschafterin von imb troschke ist das keine große Sache. Sie führt ohnehin Buch über den Verbrauch und hat die erbauten Materialien minutiös in Tabellen festgehalten.
Unter Primärmaterialien hat Andrea Walburg nach Gewicht eingetragen: 10,2 Kilogramm Ripsteppich, 3,0 Kilogramm PE-Folie, 2,7 Kilogramm Stretch-Folie (LLPDE), 1,1 Kilogramm Klebeband, 0,8 Kilogramm Stahl (verzinkt) und 0,3 Kilogramm PVC-Folie. Unter Sekundärmaterialien: 700,7 Kilogramm Spanplatte beschichtet, 512,7 Kilogramm Spanplatte, 270 Kilogramm Eisenplatte, 235,3 Kilogramm Tischlerplatte, 96,8 Kilogramm Lack, 44,5 Kilogramm Stahl, 36,1 Kilogramm MDF-Platte, 3,3 Kilogramm Aluminiumprofile und 1,8 Kilogramm Molton (Trevira CS).
„Primärmaterialien sind all diejenigen natürlichen Ressourcen, die wir extra der Umwelt entnehmen und die mehr oder weniger direkt von dort in Produkten landen. Sekundärmaterialien dagegen waren bereits in einem Produkt im Einsatz. Sie haben schon eine ‚Lebensgeschichte‘ – und diese Geschichte kann man erzählen“, erklärt Dr. Christoph Soukup. Der Kreislaufexperte im Team und bei der CSR-Agentur 2bdifferent ergänzt: „Im nächsten Schritt unterscheiden wir in Verbundmaterialien, also Materialien, die so miteinander verklebt, vermischt oder anderweitig verbunden sind, dass eine Trennung in ihre Komponenten anschließend nur schwer oder kaum möglich ist. Beispiele dafür sind Carbonfaser-Werkstoffe oder laminierte Spanplatten. Monomaterialien sind alle Materialien, die aus möglichst nur einem Werkstoff bestehen – wie reinsortiges Polypropylen (PP) oder Vollholz.“
Grafik: CSR-Agentur 2bdifferent
Wie kreislaufgerecht ist der tw-Messestand?
Das Sankey-Diagramm zeigt die Mengenflüsse: Links fließen Materialien proportional zu ihrer Menge in verschiedenen Strahlstärken in den Stand der tw tagungswirtschaft auf der IMEX 2023 ein. Rechts gehen der dünne Strahl mit einem Abfallanteil von einem Prozent und der dicke Strahl mit einem hohen Anteil an Wiederverwertung mit 99 Prozent ab.
Beim tw-Stand zählen etwa die beschichtete Spanplatte und der Lack zu Verbundmaterialien und Produkten, die unbeschichtete Spanplatte und die Eisenplatte zu Monomaterialien. Sie fließen in den Bau des 1.900,1 Kilogramm schweren Messestands zur IMEX 2023 ein. Zwecks Visualisierung arbeitet Soukup mit einem Sankey-Diagramm, das die Mengenflüsse der Materialien grafisch und im Verhältnis zum Verbrauch in Pfeilen dargestellt.
Untersuchung zur Zirkularität
Da nur ein Prozent an Abfall entsteht, befindet Kreislaufexperte Soukup: „Diese Bilanz ist super“ und fügt hinzu: „Das habe ich noch nie gesehen.“ Messearchitektin Walburg ist stolz auf das Ergebnis und begeistert, dass der niedrige Abfallanteil nunmehr wissenschaftlich hinterlegt ist. Das stachelt ihren Ehrgeiz an, den geringen Abfallanteil weiter zu verringern. Für den diesjährigen Stand der tw tagungswirtschaft plant sie eine Bodenplatte aus dem Fundus anstatt des Teppichs und die Bespannung der Standvorderseite – nicht nur für das Jahr 2024, sondern auch für 2025. Walburg: „Das gesamte ‚neue‘ Material kommt aus dem Fundus und geht auch wieder in den Fundus.“
Foto: Stefan Jetter
„Es hält sich die Behauptung, dass ein kreislauffähiger Stand teurer sei. Meine Vermutung ist, dass ein entsprechend gut geplanter Messeauftritt nicht mehr kostet – auf jeden Fall langfristig nicht. Ganz nach dem Motto: Beim zweiten Mal beginnen Kreisläufe Spaß zu machen!“
Dr. Christoph Soukup
„Verbesserung ist noch möglich“, stimmt ihr Soukup zu. Er rät dazu, konsequent den Anteil an Sekundärmaterialien zu erhöhen, weil damit parallel die Menge an „frischem“ Material verringert werden kann. Das schont die endlichen Ressourcen – ein konsequenter Einsatz von Monomaterialien, die durch Fügung, Schrauben und Stecken miteinander verbunden werden. So lassen sie sich nach der Nutzung wieder voneinander trennen und damit wiederverwenden. Wichtig sind ihm auch die Nutzung von Mehrwegverpackungen und der Verzicht auf Einmalmaterialien wie Moltons – heute noch eine Herausforderung im Messebereich. Außerdem sei eine Transparenz über die Herkunft und weitere Verwendung der Materialien zu schaffen, etwa durch einen digitalen Produktpass. Der macht, wie eine Zutatenliste bei Lebensmitteln, deutlich, was in einem Produkt alles drinsteckt, wie es hergestellt wurde und ggfs. repariert und weiterverwendet werden kann.
Die Frage: „Was kann ich von einem Messestand alles weglassen, ohne dass er aufhört, ein guter Messestand zu sein?“ ist für Soukup bei Kreislaufprojektion eine ständige Begleiterin und eine Aufforderung. Wo kann beispielsweise Gangteppich entfallen – und wie kann ich das meinen Besuchern und Gästen nahebringen? Neben der Menge und der Art der Materialien müssen besonders problematische Stoffe im Auge behalten werden. Problematisch Stoffe sind beispielsweise Gaffa-Tapes oder PVC. Die Frage sei dann, so Soukup: „Gibt es schon vernünftige Materialien, um diese zu ersetzen?“ Er liefert die Antwort gleich mit: „Das ist leider noch nicht immer der Fall.“
Sein Kollege Jürgen May, Gründer der CSR-Agentur 2bdifferent, bekräftigt: „Kreislauf fängt ganz vorne bei der Planung an, und Eventplaner müssen über die Materialien Bescheid wissen. Sie müssen wissen, was sie einsetzen können – und was nicht.“ Damit müssten sich Eventplaner künftig beschäftigen. Simone Hammer, die im Projektteam die Rolle der Eventplanerin innehat, widerspricht ihm: „Als Auftraggeber haben wir den Teller voll mit unseren eigenen Aufgaben. Wir kennen uns nicht aus mit Materialien und können uns aus Zeitgründen auch nicht damit beschäftigen.“ Messearchitektin Andrea Walburg springt ihr bei: „Das ist meine Aufgabe als Dienstleisterin, mich mit problematischen Materialien und ihren nachhaltigen Alternativen auszukennen und meine Kunden darüber zu informieren.“ Das überzeugt May nicht: „Die Auftraggeber müssen das im Zuge der nachhaltigen Transformation lernen!“ Für ihn zählt das Fachwissen über Materialien und mögliche Alternativen bei temporären Bauten zu den Skills der Zukunft.
Ask me anything: Treffen Sie das Circular Collective auf der IMEX
- Meet-up am 15. Mai 2024, 14.00 Uhr, am tw-Stand G510: Der kreislauffähige Stand: Der Prozess 2023–2026
- Meet-up am 15. Mai 2024, 14.30 Uhr, am tw-Stand G510: Der kreislauffähige Stand: Die Materialien im Vergleich 2024 zu 2023
Photo: Screenshot
Der Diskussionsbedarf ist offensichtlich. Da die Idee des Projekts neben der Transparenz der Austausch in der Veranstaltungswirtschaft ist, lädt das Circular Collective alle Interessierten zu zwei Meet-ups auf der IMEX ein und steht für Fragen offen. Am 15. Mai 2024 geht es am Stand der tw tagungswirtschaft G510 in Halle 8 um 14.00 Uhr um das Thema „Der kreislauffähige Stand: Der Prozess 2023 bis 2026“ und um 14:30 Uhr um das Thema „Der kreislauffähige Stand: Die Materialien im Vergleich 2024 zu 2023“.
Der kreislauffähige Messestand
Die CSR-Agentur 2bdifferent, die Messearchitekten imb troschke und die tw tagungswirtschaft der dfv Mediengruppe planen den tw-Stand auf der IMEX 2024 in Frankfurt nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Das Projekt begleitet die Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften/Fachbereich Betriebswirtschaftslehre, Veranstaltungsmanagement. Ansprechpartnerin ist Prof. Dr. Kim Werner. Betrachtet werden alle drei Säulen der Nachhaltigkeit (ökologisch, sozial und ökonomisch) und ihre Handlungsfelder. Das Projekt ist als Pilot für die Veranstaltungswirtschaft gedacht, transparent angelegt und wird von 2023 bis 2026 crossmedial aufbereitet. Ansprechpartner sind Dr. Christoph Soukup und Jürgen May von 2bdifferent, Andrea Walburg von imb troschke, Simone Hammer und Kerstin Wünsch von der tw tagungswirtschaft.