Kolumne
Blickpunkt Nachhaltigkeit
Prof. Dr. Markus Große Ophoff ist Fachlicher Leiter DBU Zentrum für Umweltkommunikation und Kolumnist der tw tagungswirtschaft. Foto: DBU-Archiv
Prof. Dr. Markus Große Ophoff ist Fachlicher Leiter DBU Zentrum für Umweltkommunikation und Kolumnist der tw tagungswirtschaft. Foto: DBU-Archiv
Die Erde lebenswert erhalten: Drei Krisen gemeinsam lösen
Kolumne von Prof. Dr. Markus Große Ophoff, Fachlicher Leiter und Prokurist DBU Zentrum für Umweltkommunikation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU)
In der aktuellen Umweltdiskussion steht in der Regel der Klimaschutz im Vordergrund. Die beiden Themen Schutz der Biodiversität und Verschmutzung sind aber ebenso wichtig. Alle drei Themen beeinflussen sich gegenseitig und Lösungen sind nur in Sicht, wenn alle drei Krisen gemeinsam angegangen und gelöst werden. Seit rund 15 Jahren verfügen wir über gesichertes Wissen, über die Stabilität des Erdsystems als Ganzes. Im Jahr 2009 haben Wissenschaftler*innen rund um den Träger des Deutschen Umweltpreises Johan Rockström mit der Publikation „A safe operating space for humanity“ weltweit Aufmerksamkeit erregt. Sie stellten einen Ansatz vor, der die Stabilität unseres Planeten Erde beschreibt und die Leitplanken der Belastbarkeit (Planetary Boundaries) definiert. Das System Erde befand sich in den letzten rund 10.000 Jahren in einem klimatisch bemerkenswert stabilen Zustand, der in der Geologie das Holozän genannt wird. Der Zustand zeichnet sich durch beständige Temperaturen, Verfügbarkeit von frischem Wasser und über Jahrtausende weitgehend unveränderte Stoffkreisläufe aus. Dadurch wurde die menschliche Entwicklung hin zu unserer aktuellen Lebensweise erst ermöglicht. Durch die stabile klimatische Phase wurde der Übergang von Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern mit domestizierten Tieren und Pflanzen möglich (das Neolithikum). Doch mit vielen Eingriffen verändert die Menschheit dieses Erdsystem. Zunächst durch die Rodung von Wäldern, um Flächen für den Ackerbau zu erhalten und Brennholz zu gewinnen. Mit Beginn der Industrialisierung beschleunigten sich diese Prozesse rasant. Die Bevölkerung der Erde vervielfachte sich und zudem konnten immer mehr Stoffe und Produkte hergestellt werden, die es davor entweder nicht in diesen Mengen oder überhaupt nicht gab. Ohne es zu wissen, begann damals ein Experiment im globalen Maßstab mit unbekannten Folgen.
Neun planetare Leitplanken
Seit 15 Jahren verfügen wir nun über Wissen zur Belastbarkeit des Erdsystems. Durch die Wissenschaft wurden neun planetare Leitplanken definiert, die das Potenzial haben, das Erdsystem und damit die Lebensgrundlage der Menschheit zu gefährden. Eine dieser Leitplanken ist der Klimawandel, eine weitere die biologische Vielfalt. Die Leitplanke des Landnutzungswandels beschreibt die Umwandlung von Natur in landwirtschaftliche Flächen oder Siedlungen und Verkehrswege. Auch die Süßwassernutzung ist ein Bereich, der zunehmend kritisch wird. Die anderen fünf Leitplanken sind alle mit stofflichen Einträgen verbunden, die das Erdsystem belasten. Dies reicht von der Belastung durch Düngemittel mit Phosphor und Stickstoff über Luftverschmutzung und FCKW bis hin zu neuen Stoffen, die es vor der Menschheit mit der neu entwickelten chemischen Industrie im Erdsystem gar nicht gab. Beispiele dafür sind insbesondere langlebige Chemikalien wie Plastik, PFAS oder einige Pestizide und Medikamente.
Grafik: Stockholm University, Helene Karlsson
Planetare Leitplanken: Prozesse, die die Stabilität der Erde stören können.
Erläuterungen – grüner Bereich: sicherer Handlungsraum, roter Bereich: planetare Leitplanken werden überschritten, BII: Biodiversity Intactness Index (functional diversity), E/MSY: extinctions per million species-years (genetic diversity) Nach Azote für das Stockholm Resilienz-Zentrum, basierend auf einer Analyse in Persson et al. und Steffen et al.
Um das Erdsystem stabil zu halten, müssen wir nicht nur die Klimakrise lösen, sondern auch die anderen planetaren Leitplanken in den Griff bekommen. An Beispielen lässt sich deutlicher erklären, wie diese Belastungen zusammenhängen. Besonders gefährdet sind die Korallenriffe, die ein Hotspot der biologischen Vielfalt in den Weltmeeren sind. Nach aktuellen Forschungsergebnissen werden wir davon in den nächsten Jahrzehnten mehr als 90 Prozent verlieren. Geschädigt werden diese durch drei Faktoren, die zusammenwirken und sich gegenseitig verstärken. Dies ist zunächst die Temperaturerhöhung durch den Klimawandel und weiterhin die Versauerung der Meere durch im Wasser gelöstes Kohlendioxid. Durch diese Versauerung wird die Kalkbildung bei allen kalkbildenden Meerestieren, wie Korallen, Muscheln und Meeresschnecken, behindert. Als letzter Faktor wirkt sich die Überdüngung negativ auf die Korallenriffe aus. Es ist kaum absehbar, welche Auswirkungen der Verlust der Riffe auf die Biodiversität der Meere hat. Die Menschen haben langlebige Chemikalien und Plastik in die Umwelt entlassen, die heute und voraussichtlich auch in Zukunft in allen Lebewesen und Sedimenten nachgewiesen werden können. Diese werden im Konzept der planetaren Leitplanken „Neue Substanzen“ (Novel Entities) genannt. Plastik in der Umwelt wurde bis vor einigen Jahren noch im Wesentlichen als ästhetisches Problem gesehen. Heuten wissen wir, dass viel Organismen durch Plastik geschädigt werden. Das reicht von Vögeln und Fischen, die verhungern, weil ihr Magen mit unverdaulichem Plastik verstopft ist, über Algen und Mikroben, die Mikroplastik aufnehmen, bis zu Entzündungsreaktionen auch in menschlichem Gewebe. Vor Kurzem wurde sogar Mikroplastik im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Als letztes Beispiel möchte ich den Amazonas-Regenwald nennen. Der Regenwald erzeugt zu einem erheblichen Teil seinen Regen selbst. Durch die große Fläche seiner Blätter werden große Mengen an Wasser verdunstet. Dieses Wasser bildet Wolken, die dann über dem Regenwald abregnen. Geschädigt wird der Regenwald insbesondere durch Abholzung, um Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen. Aber auch der Klimawandel schädigt den Regenwald erheblich. Im letzten Jahr gab es im Amazonasgebiet eine extreme Dürre, die durch die Abholzung sowie den Klimawandel im Zusammenhang mit dem El-Niño-Ereignis verursacht wurde. Dadurch ist weiterer Regenwald verloren gegangen. Dies sorgt für eine noch geringere Verdunstung und Wolkenbildung. Die Erdsystemwissenschaft nennt das einen Kipppunkt. Wenn mehr als in etwa ein Viertel des Regenwaldes verloren ist, dann wird das bisherige System instabil und geht in einen anderen Zustand über. Beim Amazonas bedeutet das, dass sich eine Savannenlandschaft bilden würde. Von diesem Ausmaß der Schädigung sind wir leider nicht mehr weit entfernt. Vor ein paar Jahren habe ich einen befreundeten brasilianischen Forscher zum Landnutzungswandel im Amazonas gefragt, was wir da tun können. Die Antwort hatte nur drei Worte: „Esst weniger Fleisch!“ Denn der Sojaanbau ist einer der Haupttreiber für die Rodung des Regenwaldes.
Was hat das mit Veranstaltungen zu tun?
Veranstaltungen können erheblich mehr Umweltbelastungen als nur Treibhausgasemissionen verursachen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt ist das Catering. Fleischarme, vegetarische und vegane Angebote verbrauchen deutlich weniger Fläche für die Landwirtschaft und ermöglichen damit den Erhalt der Natur. Gleichzeitig werden die Treibhausgasemissionen reduziert und der Einsatz von Pestiziden vermindert, da einfach weniger Soja, Mais und Getreide für Tierfutter angebaut werden müssen. Noch weiter lassen sich die Einträge von Pestiziden reduzieren, wenn Bioprodukte angeboten werden, die erheblich zum Schutz der Biodiversität beitragen.
„Veranstaltungen können erheblich mehr Umweltbelastungen als nur Treibhausgasemissionen verursachen.“
Prof. Dr. Markus Große Ophoff, Fachlicher Leiter und Prokurist DBU Zentrum für Umweltkommunikation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU)
Ähnlich sieht es beim Geschirr aus. Einweggeschirr ist oft aus Plastik, das zumindest in Teilen in die Umwelt gelangt. Selbst Papierbecher oder Schalen sind oft mit dünnen Plastikfolien oder sogar mit den in der Umwelt fast gar nicht abbaubaren Fluorverbindungen PFAS beschichtet. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise eine große landwirtschaftliche Altlastenfläche, die dadurch entstanden ist, dass Papierschlämme aus der Papieraufbereitung mit PFAS verseucht waren. Diese findet man auch heute noch beispielsweise in Pizzakartons oder Burgerverpackungen.
Viel kann auch auf dem Gelände der Veranstaltungshäuser oder auf den Dächern gemacht werden. Gründächer und Fassadenbegrünungen erhöhen die biologische Vielfalt erheblich. Gleichzeitig speichern sie Wasser, das an heißen Tagen verdunstet und für Abkühlung sorgt. Gründächer lassen sich optimal mit Photovoltaikanlagen verbinden. Die Photovoltaik profitiert durch den Abkühlungseffekt und liefert messbar höhere Energieerträge, wenn sie über einem Gründach installiert wird. Der Wechsel von Verschattung und Sonne auf dem Gründach sorgt gleichzeitig für eine größere Vielfalt an Pflanzen, die dort wachsen, und für eine verbesserte Speicherung des Wassers. Noch wichtiger ist das Thema Biodiversität bei Open-Air-Veranstaltungen. Hier sollte es immer ein Konzept zum Schutz der biologischen Vielfalt geben.
Auf dem Ausstellungsgebäude der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ist ein Gründach mit Photovoltaik kombiniert. Das Gründach hilft beim Schutz der Biodiversität und die Photovoltaik erzeugt jährlich mehr Energie, als das Plusenergiehaus für Strom und Wärme benötigt. Foto: DBU
Insbesondere beim Bau von Veranstaltungshäusern ist der Ressourceneinsatz ein zentrales Thema, da im Gebäudebereich riesige Stoffmengen umgesetzt werden. Leichtbau und Holzbau sind hier wichtige Ansatzpunkte. Für Beton werden riesige Mengen an natürlichen Rohstoffen wie Sand oder Kalk benötigt. Ganze Berge werden dafür abgebaggert. Zugleich sind Beton ebenso wie Ziegel oder Kalksandstein Produkte, die sehr viel Energie für die Herstellung benötigen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) hat daher in den letzten Jahren einen deutlichen Schwerpunkt auf das Thema Holzbau gesetzt. Das Veranstaltungs- und das Ausstellungsgebäude der Deutschen Bundesstiftung Umwelt wurden als besonders energieeffiziente Häuser in Holzbauweise errichtet. Aber auch bei den Veranstaltungen selbst werden große Materialmengen umgesetzt. Insbesondere nach Messen kann man immer noch erleben, wie viele Container mit Teppichböden, Messeböden oder Messebauplatten abgefahren werden. Mehrwegsysteme sind in diesen Bereichen noch viel zu selten anzutreffen. Für Messestände der Deutschen Bundestiftung Umwelt setzen wir bereits seit 15 Jahren Mehrweg-Teppichfliesen ein, die lange halten und in einer Teppichfliesenwaschanlage beim Hersteller gereinigt werden können. Auch bei Druckerzeugnissen können erhebliche Mengen reduziert werden. Die erste Frage ist hierbei, ob es die Printmaterialien überhaupt braucht. Falls doch, sollten sie aus zertifiziertem Recyclingpapier sein. Auch bei Give-aways stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit. Zum Glück gibt es heutzutage immer seltener die Sponsorentaschen, in denen die Teilnehmenden Prospekte der Sponsoren mit nach Hause schleppen und davon vermutlich einen großen Teil ungelesen entsorgen. Jede Tonne Papier, die nicht hergestellt werden muss, rettet Bäume und schützt dadurch die Biodiversität.
Die rund 150 Teilnehmenden des Jugendkongresses Biodiversität mit dem Fahrrad auf dem Weg von der Unterkunft zum Kongresszentrum. Foto: DBU, Michael Münch
Als letztes Beispiel möchte ich die Mobilität nennen. Straßen versiegeln große Flächen und Autos benötigen viele Ressourcen, emittieren Treibhausgas und tragen über den Reifenabrieb erheblich zum Eintrag von Mikroplastik bei, das zudem durch einige problematische Chemikalien belastet ist. Deutlich reduzieren kann man die Belastungen durch die Anreise mit Bahn und ÖPNV. Dazu gibt es bereits viele gute Initiativen in der Veranstaltungsbranche. Deutlich bessere Angebote würde ich mir aber für die Mobilität mit dem Fahrrad wünschen. In den Städten bewegt ein Fahrrad mit rund 20 Kilogramm Gewicht einen Menschen annähernd genauso schnell wie ein Auto mit rund 1.500 Kilogramm Gewicht. Allein dies macht bereits deutlich, dass eine Fahrradfahrt deutlich ressourcenschonender ist als eine Autofahrt. Zudem werden mit dem Fahrrad deutlich weniger Treibhausgase emittiert als mit dem Bus oder dem Auto. Warum sind dann Angebote, um unkompliziert ein Fahrrad am Bahnhof mit einem Veranstaltungsticket zu leihen, nicht ähnlich selbstverständlich wie das Veranstaltungsticket für den ÖPNV? Bei Kongressen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt haben wir eine solche Fahrradmobilität bereits mehrfach realisiert. Wir sollten also die Themen Biodiversität, Klimawandel und Verschmutzung zusammen- denken und lösen. Wir müssen alle diese Aspekte in den Griff bekommen, um unsere Erde in einem lebenswerten Zustand für die Menschheit zu erhalten. Lassen Sie uns jetzt damit beginnen. Prof. Dr. Markus Große Ophoff