EURO 2024 in Deutschland
Konzept-Check Nachhaltiges Reisemanagement
Albert, das Maskottchen der EURO 2024, vor einem ICE. Fern- und Regionalzüge bilden das Rückgrat der nachhaltigen Mobilitätsstrategie der Fußball-Großveranstaltung. Foto: Deutsche Bahn AG, Oliver Lang
Albert, das Maskottchen der EURO 2024, vor einem ICE. Fern- und Regionalzüge bilden das Rückgrat der nachhaltigen Mobilitätsstrategie der Fußball-Großveranstaltung. Foto: Deutsche Bahn AG, Oliver Lang
In wenigen Wochen ist es für Fußballfans endlich wieder so weit. Die Fußballwelt ist zu Gast bei der EURO 2024 in Deutschland. Die Veranstaltungsplaner haben sich hehre Nachhaltigkeitsziele gesteckt. Ein Blick auf das Mobilitätskonzept des Mega-Sport-Events und was Tagungsplaner für sich mitnehmen können.
Die Fußball-Europameisterschaft wird heiß erwartet. Deutschland und Frankreich haben sich gegenseitig Unterstützung mit Polizeikräften für Olympia in Paris und dann für die EURO in Deutschland zugesichert. In zehn Städten wird gespielt. Im Jargon der EURO heißen sie Host-Cities. Dazu gehören Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Gelsenkirchen, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart. Bis auf Düsseldorf alles Spielstätten, die bereits zum Sommermärchen während der FIFA-WM 2006 eingesetzt wurden. Aber auch das Düsseldorfer Stadion war bereits als WM-Arena designiert. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) rechnet für die 51 Spiele mit 2,7 Millionen Zuschauern in den Stadien und noch mal rund sieben Millionen in Fan-Zonen. Das könnte das Übernachtungsvolumen in Deutschland um bis zu vier Prozent steigern. Keine kleine Zahl für eine Destination wie Deutschland. Mehr Menschen in der Destination bedeuten gleichzeitig eine höhere Verkehrslast für die Infrastruktur.
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Nachhaltige Mobilität
Letztes Jahr veröffentlichte das Umweltbundesamt eine Studie mit einem Konzept zur nachhaltigen Mobilität für die EURO 2024. Sie prognostizierte, dass etwa 57 Prozent der erwarteten Stadionbesucher aus dem Ausland kommen würden. Gleichzeitig würden voraussichtlich 64 Prozent der Emissionen auf den Flugverkehr entfallen. Nur 16 Prozent aller Emissionen sind laut den Schätzungen nicht verkehrsbedingt. Ein Grund mehr, sich mit dem Mobilitätskonzept der bundesweiten Großveranstaltung auseinanderzusetzen. In seiner Studie gibt das Umweltbundesamt direkt Empfehlungen für kurzfristig umsetzbare Maßnahmen sowohl auf raumübergreifender als auch auf internationaler „Verkehrsebene“ (wie es in dem Papier heißt) an die betreffenden Akteursgruppen. So gilt es für Stadionbesucher aus näherer Umgebung, sie zu Möglichkeiten zur Mobilität vor und während des Events zu informieren. Naheliegend und daher auch ohnehin gängige Praxis. Für internationale Gäste werden Maßnahmen wie die Nutzung von Sonderzügen, Kombitickets, die attraktive Bepreisung von Tickets für den ÖPNV sowie die Erhöhung der Beförderungskapazitäten empfohlen. Für die UEFA, Offizielle und Dienstleistende für die EURO 2024 setzt das Umweltbundesamt auf die Einrichtung eines Koordinationsteams, die Integration nachhaltiger Zielsetzungen sowie die Einnahme einer Vorbildfunktion.
ESG-Strategie mit Mobilitätszielen
Nur wenige Wochen nach der Studie des Umweltamts erschien die ESG-Strategie zur EURO 2024. Das Papier legt auf das Thema Mobilität einen besonderen Fokus. Die Mission erklärt, bestehende und nachhaltige Praktiken der Dachverbände zu konsolidieren und weiterzuentwickeln. Liest sich wie ein Bekenntnis, zu schauen, was schon gemacht wird, dies zu evaluieren und neue Ideen auszuprobieren. So finden sich im Bereich „Intelligente Mobilität“ gleich fünf dezidierte Ziele. Es geht um die Reduzierung der klimatischen Auswirkungen der Zuschauer, Veranstalter, Mannschaften und der Gäste. Dabei sollen auch die Austragungsstätten eingebunden werden. Gleichzeitig soll aber auch der CO2-Fußabdruck der Veranstaltung gemäß dem GHG-Protokoll ermittelt und schließlich reduziert werden.
Im Bereich Mobilität sind zwei Bausteine im Plan bemerkenswert. So wird Deutschland in drei Regionen eingeteilt, in denen die Gruppenspiele stattfinden. Der Spielplan und die zugehörigen Orte sind – je nachdem, was die Gruppenauslosung ergab – so gewählt, dass Anfahrtswege und Reisewege für die Teams minimiert sind. Für die Stadt Köln bedeutet das beispielsweise, dass die Schweizer und die belgische Nationalmannschaft dort jeweils zwei Spiele in der Gruppenphase austragen. Köln erwartet dadurch auch eine längere Verweildauer der Fans in der Stadt. Zusammen mit Gelsenkirchen, Dortmund und Düsseldorf bildet Köln die Region Mitte-West. Hamburg, Berlin und Leipzig sind zur Region Nord-Ost zusammengeschlossen. Die Region Mitte-Süd besteht aus Frankfurt, München und Stuttgart.
Die Bahn als Hauptverkehrsmittel
Wie zur Handball-EM zu Beginn des Jahres schlüpft die Deutsche Bahn wieder in die Rolle eines nationalen Sponsors der Veranstaltung. Das Unternehmen verkündete bereits, dass während der Fußball-Europameisterschaft 10.000 zusätzliche Sitzplätze im Fernverkehr angeboten werden. In NRW wird zudem eine EURO-2024-Sonderlinie eingerichtet. Darüber hinaus sollen Regionalzüge zu Stoßzeiten mit mehr Waggons als üblich fahren.
Wie der Fernverkehr zu 100 Prozent mit Grünstrom fährt
Die Deutsche Bahn wirbt gerne damit, dass die Fernzüge zu 100 Prozent mit Grünstrom betrieben werden. Nun fahren Regional- und Fernverkehrszüge teilweise auf den gleichen Trassen in Deutschland. Eine Trennung, wer denn nun den Strom reell abgreift, ist also schwierig. Möglich macht dies ein Rechentrick. Die benötigten Strommengen für den Fernverkehr werden mit Grünstrom eingekauft und in der Bilanz dem Fernverkehr gutgeschrieben. 2023 lagen die Erneuerbaren bei 68 Prozent im Strommix der Bahn. Schon heute fahren übrigens die Regionalverkehre in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein mit Grünstrom. Als Dimensionseinordnung für den Stromverbrauch der Bahn in Deutschland: Dieser liegt mit zehn Terrawattstunden auf gleichem Niveau wie der Bedarf der ganzen Stadt Hamburg.
In der ESG-Strategie finden sich spannende Aktivitäten, die das Bahnfahren attraktiv machen sollen. So ist geplant, zur Eintrittskarte ins Stadion ein 36-Stunden-Ticket für den ÖPNV auszugeben, das von 6 Uhr morgens vor dem Spiel bis 18 Uhr am Tag nach dem Spiel gilt. Nationale Fernverkehrstickets sollen günstiger sein als üblich und auch Interrail-Tickets sind für international anreisende Gäste zu vergünstigten Preisen erhältlich. Ein 5-Tages-Ticket kostet normalerweise ab 239 Euro für Jugendliche allein. Zur EM sind es dann nur noch 180 Euro. Zudem ist eine größere Bandbreite an Tageskontingenten wählbar. So sind 4 Tage, 5, 7, 10 oder ganze 15 Tage buchbar. Eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung bei der Bundesregierung ergab, dass keine gesonderten Ausgaben für den Erhalt und die Sanierung der Infrastruktur zur EURO 2024 veranschlagt wurden. Kosten würden über den laufenden Haushalt gedeckt. Zum einen liest sich das als Vertrauensbeweis in die bestehende Infrastruktur in Deutschland. Zum anderen ist es Zeichen dafür, dass die Stadien bereits über eine hoch entwickelte Verkehrsanbindung verfügen, die regelmäßig genutzt wird. Aus dem Sportamt der Stadt Frankfurt heißt es dazu: „Die UEFA EURO 2024 bedeutet selbstverständlich auch verkehrlich eine gewisse Herausforderung (z.B. zeitliche Überschneidungen von Berufs- und Veranstaltungsverkehr), lässt sich insgesamt aber mit den vorhandenen Verkehrswegen und -mitteln bewältigen.“
Jede Host-City verfügt über eine eigene Micro-Website, die über die Destination und Anreisemöglichkeiten informiert. Grün hervorgehobene Boxen wie diese promoten die Bahn als Verkehrsmittel. Foto: Screenshot
Host-Cities informieren
Jede der zehn Host-Cities verfügt über eine eigene Micro-Seite, auf der über die Destination, das Turnier vor Ort und Anreisemöglichkeiten informiert wird. Im Reiter An- und Abreise befindet sich gleich an erster Stelle in grüner Farbe ein Appell, seinen eigenen Beitrag zur EURO 2024 zu leisten, um sie zur „grünste[n] EURO der Geschichte“ zu machen. Gleich weiter finden sich Informationen zu vergünstigten Zugtickets, dem 36-Stunden-Ticket sowie dem Fehlen von Parkmöglichkeiten für Autos. Fahrzeiten mit dem ÖPNV von den Bahnhöfen und Flughäfen zu den Stadien und Fan-Zonen sind ebenfalls aufgeschlüsselt und hervorgehoben. Generell sind alle Informationen auf die Anfahrt mit dem ÖPNV und der Bahn zugeschnitten. Beschreibungen zur Anreise mit dem Auto, Fernbus oder Flugzeug sind spärlich gehalten und hinter Buttons versteckt. Auch die Veranstaltungsapp zur EURO greift das Thema Mobilität in den Host-Cities auf. Sie ist nicht nur Informationszentrale über den Turnierverlauf, sondern beinhaltet auch Reisetipps und Karten, die den eigenen Standort und Points of Interest innerhalb der Destination anzeigen. Wer sich allerdings jetzt schon versucht, durch die App zu navigieren, muss etwas suchen, um zu den Reisetipps in den Host-Cities zu kommen.
Die App zur EURO 2024 von der UEFA bietet ein Karten-Feature an, das Points of Interests innerhalb der Host-Cities markiert. Gleichzeitig kann hier der Fan-Pass eingepflegt werden, der für vergünstigte ÖPNV-Tickets während der Veranstaltung genutzt werden kann. Foto: Screenshot aus Apple App Store vom iPhone
Bike-Sharing auf der letzten Meile
Noch einmal zurück zur Studie des Umweltbundesamts. Sie verweist explizit auf die Sinnhaftigkeit der Einbindung des Fahrrads auf der letzten Meile. Auch wenn sich das nicht in der ESG-Strategie zum Turnier hervorgehoben findet, ist das Thema von den Host-Cities beachtet worden. Wir haben bei den Host-Cities nachgefragt. Am Frankfurter Stadion werden beispielsweise die Stellplätze für Fahrräder erweitert, heißt es aus dem Sportamt der Stadt. Auch in Stuttgart werden erstmalig attraktive und sichere Fahrradabstellmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe der Eingänge zum Stadion aufgebaut und die Miet-Fahrradflotte erhöht, erzählt Jörg Klopfer, Ressortleiter Kommunikation aus Stuttgart. In der Host-City Köln sollen neue Stationen für E-Scooter- und Fahrradverleih sowie erweitertes Fahrradparken und die Erneuerung des Verkehrsleitsystems rund ums Stadion auch über das Turnier hinaus erhalten bleiben, berichtet die Stadtverwaltung der Domstadt. Anke Haase, Sachgebietsleiterin Medien der Stadt Leipzig, berichtet aus ihrer Host-City: „Damit die Fußballfans ihre Räder ordentlich abstellen können, wurde die Anzahl der Fahrradbügel am Stadion im Vorfeld der UEFA EURO 2024 permanent erhöht. Im Bereich des Letzten Kilometers rund um das Leipziger Stadion befinden sich aktuell rund 600 permanente Fahrradbügel für insgesamt 1.200 Fahrräder. An den Spieltagen in Leipzig wird zusätzlich auf der Festwiese südlich des Leipzig Stadions eine temporäre Fahrradgarderobe für bis zu 500 Fahrräder errichtet.“ Dazu stehen 1.000 Fahrräder des Anbieter Nextbike in der Stadt bereit, die über die App LeipzigMOVE der Leipziger Verkehrsbetriebe ausgeliehen werden können. In Gelsenkirchen wird dagegen mit Parkverbotszonen für E-Scootern geplant. Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen, erzählt: „Wir gehen aktuell davon aus, dass maximal 30 Prozent der Zuschauer mit dem eigenen Auto zum Stadion kommen, mindestens 50 Prozent mit dem ÖPNV und etwa 15 Prozent mit Reisebussen kommen. Lediglich 5 Prozent der Zuschauer werden zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem E-Scooter oder einem Taxi zum Stadion anreisen.“ Dafür sei im Vorfeld eine Parkfläche als Medienzentrum reserviert. Die restlichen Flächen haben keine eingezeichneten Parkeinheiten. Die Belegung hängt also sehr vom Parkverhalten der Besucher ab. Darauf weist die Host-City auch direkt auf einer eigenen Micro-Seite hin.
Was bleibt nach der EURO 2024?
Was bleibt nach der Großveranstaltung für Eventplaner? Auf Nachfrage bei den Host-Cities heißt es, dass Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Dortmund und Gelsenkirchen keine neuen ÖPNV-Projekte im Zuge der EURO 2024 realisiert haben. In Leipzig wurde aber doch die Gelegenheit genutzt, die Straßenbahn-Haltestelle „Sportforum Ost“ zu sanieren und barrierefrei auszubauen. Aus Berlin, Hamburg, München und Stuttgart kam dazu keine Antwort.
Stuttgart ist eine von zehn Host-Cities der EURO 2024. Die Stadtbahn befördert Fans und Besucher umweltfreundlich zu den Spielen. Foto: Stadtbahn HC Stuttgart
Aus Stuttgart lässt sich doch noch ein bleibendes Nachhaltigkeitskapitel erzählen. Das Stadion wurde im laufenden Betrieb noch vor der Fußball-EM saniert. Bruchreste des alten Betons wurden in Stadionnähe zu recyceltem Beton wiederaufbereitet und neu verbaut. Bis zu 30 Prozent Recyclinganteil sollen in den neuen Bauteilen stecken. Die Nutzfläche in der Haupttribüne ist so von 9.000 Quadratmetern auf 16.000 gestiegen. Sylvia Uehlendahl, Amtsleiterin des Tiefbauamts von der Host-City Dortmund, fasst es so zusammen: „Das Mobilitätskonzept zur UEFA EURO 2024 basiert auf praxisbewährten Konzepten in der Ausrichtung von Großveranstaltungen und langjährigen Erfahrungen in der Kooperation und Kommunikation mit allen in- und externen Partner*innen. Bei der UEFA EURO 2024 handelt es sich um eine besonders intensive Besuchersituation über einen zeitlich langen Zeitraum, was weitergehende Mobilitätsplanungen erforderlich macht.“ „Die UEFA EURO 2024 soll dazu dienen, das gesammelte Erfahrungswissen in einem ‚Sicherheitsleitfaden‘ zu bündeln, um es auch bei anderen Großveranstaltungen und bei Bewerbungen für neue Events in den kommenden Jahren nachhaltig nutzen zu können. Dazu zählen auch die Konzepte und Erfahrungswerte, die [Düsseldorf] anlässlich der Euro im Bereich Mobilität entwirft und sammelt“, schließt Thomas Neuhäuser, Projektleiter der UEFA EURO 2024 der Host-City Düsseldorf. Da kommen die Vorteile zum Tragen, dass die Spielstätten in Deutschland nicht erst neu zur EURO 2024 gebaut wurden. Deutlich interessanter dürfte hingegen die offensive Informationspolitik bezüglich der Anreisemöglichkeiten zu den Host-Cities sein. Bleibt abzuwarten, wie die Veranstaltung am Ende klimabilanziert wird. Haben die kurzfristigen Maßnahmen schon ausgereicht, um die Prognosen des Umweltbundesamts zu unterbieten? Wie werden die Emissionen in den Scopes 1, 2 und 3 ausschauen? Bis dahin gilt es dann aber doch zunächst, das Turnier zu genießen. Maxi Nessmann