Krieg in der Ukraine

Was ist der Preis?

Generalsekretär António Guterres (Mitte) besucht ein Wohnviertel in Irpin in der Ukraine, 27 km nordwestlich von Kiew. Foto: UN Photo, Eskinder Debebe

Generalsekretär António Guterres (Mitte) besucht Wohnviertel in Irpin, 27 km nordwestlich von Kiew. Foto: UN Photo, Eskinder Debebe

Der Ukraine-Krieg hat Folgen für die Veranstaltungswirtschaft. Die ersten sind bereits spürbar: Das Leid der Menschen überschattet alle anderen Themen, die Frage nach der Sicherheit in Zentral- und Osteuropa stellt sich neu, Veranstaltungshallen werden zu Notunterkünften und die Kosten für Energie und Essen steigen rasant. An weitere Folgen – und im schlimmsten Fall: an die Ausweitung des Kriegs in Europa – will niemand denken.

„Dieses schreckliche Szenario zeigt etwas, das leider immer wahr ist: Zivilisten zahlen immer den höchsten Preis. In diesen Gebäuden lebten unschuldige Zivilisten. Sie zahlten den höchsten Preis für einen Krieg, zu dem sie überhaupt nichts beigetragen hatten. Und daran sollte sich jeder erinnern, überall auf der Welt. Wo immer ein Krieg herrscht, zahlen Zivilisten den höchsten Preis“, sagt António Guterres in Irpin. Der Generalsekretär ist in die Ukraine gereist. Seine Betroffenheit ist ihm anzusehen, als er durch die zerstörten Wohnblöcke läuft. Viele Menschen, die im Fernsehen zusehen, können sich kaum vorstellen, dass in der ukrainischen Stadt Leichen in den Straßen liegen sollen. Zur Pressekonferenz mit Präsident Selenskyj betont Guterres: „Wie ich bereits in Moskau sagte, stellt der Einmarsch Russlands in die Ukraine eine Verletzung der territorialen Integrität des Landes und der Charta der Vereinten Nationen dar.“ Der Generalsekretär ist angereist, um zu sehen, wie die Vereinten Nationen ihre Unterstützung für die Menschen in der Ukraine ausweiten können. Guterres: „Ich möchte, dass das ukrainische Volk weiß, dass die Welt euch sieht, euch hört und euch für eure Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit bewundert.“ Und während Wolodymyr Selenskyj für die Welt das Gesicht für die Ukraine ist, für Freiheit und Mut, ist es Sofiya Kayinska für die Veranstaltungswelt. Erst im Januar wird die 30-jährige Amtierende Direktorin des Lviv Convention Bureau im Westen der Ukraine. „Bücher über Krisenmanagement bereiten einen nicht auf die Leitung von Convention Bureaus während eines Krieges vor”, sagt Kayinska pragmatisch und appelliert bei jeder Gelegenheit, die sich ihr bietet, an ihre Community: „Please stop your business with Russia!“ Denn Geschäfte mit Russland bedeuteten die Finanzierung von Terrorismus. Ihre Aufgabe sieht sie darin, über den Angriffskrieg zu berichten und sich um internationale Kongresse zu bewerben für die Zeit nach dem Krieg.

Foto: Lviv Convention Bureau

“Please cancel all business with Russia”

Sofiya Kayinska is Acting Director of the Lviv Convention Bureau in Ukraine, located 70 km east of Poland. In the interview, she talks about the war and unimaginable pain, Kyiv as the capital of freedom, the importance of visibility and how the events industry can help.

Veranstalter verlassen Russland

Ihr Event-Business mit Russland stoppt die International Mathematical Union (IMU) zwei Tage nach dem russischen Angriff und sagt den International Congress of Mathematicians (ICM) 2022 im Juli in St. Petersburg ab. Der Mathematikerkongress wird virtuell abgehalten und die Generalversammlung außerhalb Russlands. Das Executive Committee erklärt: „Die jüngsten Entwicklungen in Russland und der Ukraine haben die Situation dramatisch verändert. Das Vorgehen Russlands wurde weltweit verurteilt und hat eine Veranstaltung in Russland unmöglich gemacht.“ Das ist umso bemerkenswerter, als das Russian Convention Bureau in seiner Pressemeldung drei Wochen zuvor zum International Congress of Mathematicians Präsident Wladimir Putin zitiert: „Wir werden unsere gesamte Erfahrung bei der Ausrichtung von internationalen Großveranstaltungen sowohl im politischen als auch im sportlichen Bereich nutzen, um diese Veranstaltung auf höchstem Niveau durchzuführen.“ Der russische Präsident weist darauf hin, dass er gerne an der Eröffnung teilnehmen und die russischen und ausländischen Teilnehmer begrüßen würde, wenn es der Zeitplan erlaubte.

Solidarität ist das Gebot dieser Tage, denn das internationale Kongresswesen kann beides: Menschen mit anderen verbinden oder sie von anderen trennen.

Die europäischen und internationalen Kongresse, die das Russian Convention Bureau am 3. Februar aufführt, sind längst abgesagt worden; die 19th International Planning History Society (IPHS) Conference 2022 wird ins Internet verlegt, der 25th World Energy Congress 2022 nicht in St. Petersburg stattfinden, der International Congress of the European Biochemical Society (FEBS) 2023 nicht in Moskau und der Kongress des European Association for Behavioral and Cognitive Therapies (EABCT) 2023 wandert von Moskau nach Kopenhagen. In Deutschland haben viele Messeveranstalter ihr Russland-Geschäft beendet, informiert der AUMA – Verband der deutschen Messewirtschaft. Seine Mitglieder haben 2019, im Jahr vor der Pandemie, 35 Messen in Russland veranstaltet. Eine Woche nach dem Angriffskrieg setzt die Messe Frankfurt die 17 Veranstaltungen ihrer Tochtergesellschaft Messe Frankfurt RUS bis auf Weiteres aus. Beispiele sind die Modern Bakery und die Automechanika MIMS Moskau. Ein paar Tage später setzen die Frankfurter das Besuchermarketing in Russland und Belarus aus und schließen Aussteller aus beiden Ländern von ihren Messen aus. Die Geschäftsführung in Frankfurt begründet ihre Entscheidung durch die nie dagewesene Bedrohung des friedlichen Zusammenlebens in Europa durch die russische Invasion der Ukraine.

Aus diesem Grund schließt auch die IMEX Group staatliche russische Unternehmen von der IMEX Frankfurt 2022 aus. In den sozialen Medien erklären CEO Carina Bauer und Chairman Ray Bloom: „Leider haben wir heute die Entscheidung getroffen, russische Staatsunternehmen von der Teilnahme an der IMEX in Frankfurt 2022 auszuschließen, was eine direkte Folge der aktuellen politischen Situation ist. Wir tun dies schweren Herzens und sind uns bewusst, dass sich die Welt in einer beispiellosen Situation befindet. Unser Mitgefühl gilt allen, die davon betroffen sind, insbesondere den Menschen in der Ukraine. Wir alle wünschen uns eine rasche und friedliche Lösung des Konflikts.“

Sicherheitsbedenken in Zentral- und Osteuropa

In den Ländern der Europäischen Union wechseln sich Solidarität und Sorgen um die Sicherheit ab – wobei beides Richtung Norden und vor allem Osten stark zunimmt. Die Nachbarländer der Ukraine wie Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien betonen ihre Mitgliedschaft in der Nato und in der EU und Länder wie die Tschechische Republik zudem, dass sie nicht an das Kriegsgebiet grenzen. “The Czech Republic does not even border Ukraine”, versichert Roman Muška, Geschäftsführer im Prague Convention Bureau, seinen Kunden aus Nordamerika und Asien. Nach der Sicherheit fragen aber auch die Europäer – und mit Blick auf die Flüchtlingsströme außerdem nach der Infrastruktur. Vor allem Polen leidet unter der Absage von Veranstaltungen.

„Polen ist kein Kriegsgebiet, sondern eine Hilfszone“, verdeutlicht Aneta Ksiazek, Chief Specialist im Poland Convention Bureau der Polish Tourism Organisation. Die Veranstalter des European Veterinary Dental Forum (EVDF) 2022 halten erst an Krakau fest, doch zwei Wochen vor Kongressbeginn müssen die Vorstände der Verbände EVDS, EVDC und LOC absagen. Sie haben eine große Anzahl von Stornierungen erhalten und vertagen ihren Kongress wegen der anhaltenden Ungewissheit um ein Jahr auf den 27. bis 29. April 2023 im ICE Kraków Congress Centre. Dort will auch der Branchenverband ICCA – International Congress Convention Association im November seinen 61. Jahreskongress durchführen und beobachtet die Lage. Nichts anderes hat der internationale Messeverband UFI gemacht und schlussendlich seine European Conference wie geplant vom 4. bis 6. Mai 2022 in Posen abgehalten.

From Central and Eastern Europe

“The Czech Republic does not even border Ukraine”

Foto: Prague Convention Bureau

Roman Muška, Managing Director at the Prague Convention Bureau, about international guests coming back, the sovereignty of the Czech Republic, the Prague Congress Centre back to daily routine and enough hotel rooms for large events.

“We feel save”

Foto: Poland Convention Bureau

Aneta Ksiazek, chief specialist at the Poland Convention Bureau of Polish Tourism Organisation, about the war in Ukraine, Poland’s solidarity and help zone, transparent communication and the ICCA Congress 2022 in Kraków.

Notunterkünfte in Deutschland

Die Europäer begegnen den fliehenden Ukrainern bisher mit großer Hilfsbereitschaft und Offenheit, allen voran die zentral- und osteuropäischen Länder. Für die Städte ist die Aufnahme der Geflüchteten eine Herausforderung. Im März haben zahlreiche Messegesellschaften in Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Technischen Hilfswerk, Deutschen Roten Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund oder den Maltesern einzelne Hallen zu temporären Notunterkünften umgerüstet: die Messe Frankfurt ihre Halle 1 mit 2.000 Plätzen, die Messe Stuttgart ihre Halle 9 (800 Plätze), die Messe Düsseldorf ihre Halle 6 (1.000 Plätze), die Deutsche Messe in Hannover ihre Halle 27 (1.000) und die NürnbergMesse ihre Halle 3C (600).

Mit der Bereitstellung ihrer Hallen C5 und C6 für vorerst 1.500 und später 4.000 Menschen möchte die Messe München einen aktiven Beitrag leisten, die dringend notwendige Hilfe für die Erstunterbringung und Erstversorgung der Geflüchteten zu gewährleisten. Klaus Dittrich, Vorsitzender der Geschäftsführung, betont: „Frieden und Menschlichkeit sind zentrale Werte unserer Gesellschaft. Die Hilfe für die Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet der Ukraine ist daher nicht nur ein Zeichen der Solidarität, sondern geschieht aus tiefster Überzeugung.“ Wie in den anderen deutschen Messestädten laufen in München geplante Veranstaltungen weiter.

#ProudToHelp #MalteserNeckarAlb #Malteser

Die Geflüchteten kommen mit Bussen in der Notunterkunft auf der Messe Stuttgart an. Unter ihnen viele Frauen und Kinder.

Gleichzeitig entstehen in vielen Hotels Notunterkünfte. Allein in Hessen sind es Ende März mehr als 300 Betriebe mit Platz für knapp 9.500 Menschen, teilt Julius Wagner, Geschäftsführer des Dehoga Hessen (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband), der Deutschen Presse-Agentur mit. Deutschlands größtes Hotel, das Estrel Berlin, hat nicht nur dem Berliner Senat 150 Hotelzimmer inklusive Vollpension als temporäre Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, sondern eine langfristige Unterbringung für 20 geflüchtete Angehörige von ukrainischen Mitarbeitern geschaffen. In einem bisher als Bürofläche genutzten Gebäude auf dem Estrel-Gelände haben 25 Mitarbeiter und Geschäftspartner in ihrer Freizeit zwei Etagen für Wohnungen ausgebaut. „Natürlich weiß man nicht, wie sich die Lage zukünftig entwickeln wird“, sagt Ute Jacobs, geschäftsführende Direktorin Estrel Berlin. Bislang bucht ihre internationale Klientel wegen des Krieges nicht um und storniert keine Buchungen. Allerdings hört sie, dass Gäste aus russischen Staatsbetrieben häufig bei internationalen Veranstaltungen nicht mehr eingeladen werden. „Welche Auswirkungen das auf unser Konferenzgeschäft haben wird, sehen wir erst in einigen Monaten“, so Jacobs im Interview und spricht aus, was vielen nicht über die Lippen kommt: „Daran, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommen könnte, wollen wir gar nicht erst denken, sondern fokussieren uns mit aller Energie auf den Restart.“

Foto: Estrel Berlin

„Daran, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommen könnte, wollen wir gar nicht erst denken, sondern fokussieren uns mit aller Energie auf den Restart.“

Ute Jacobs, geschäftsführende Direktorin Estrel Berlin

Kosten für Sicherheit, Energie und Essen

Sicher sind sich Hoteldirektorin Jacobs und andere Hoteliers, dass sich die Kosten für Reisen und Transporte, Verpflegung und Catering, Zimmer- und Raummieten und andere Segmente aufgrund der gestiegenen Energiepreise und Lieferengpässe erhöhen. Wie hoch diese Preissteigerungen ausfallen und in welcher Höhe sie wann an die Kunden weitergegeben werden, können sie nicht sagen. Hinzu kommt, dass die Ukraine als eine der Kornkammern der Welt mit 10 Prozent des weltweit gehandelten Weizens ausfällt. Selbst wenn die Veranstaltungswirtschaft nicht der einzige betroffene Sektor ist, treffen sie die Preissteigerungen besonders, weil sie mit am stärksten unter der Pandemie gelitten hat. Die gestiegenen Rüstungs- und Verteidigungsausgaben könnten sich zudem auf die Haushalte der Kommunen auswirken und damit auf ihre Etats, fürchten erste Verantwortliche in Convention Bureaus, Kongress- und Messezentren. Gleichzeitig macht die Zeitenwende in der internationalen Wirtschafts- und Energiepolitik den Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und die Orte für ebendiesen noch wichtiger. Die Hannover Messe 2022 will dafür vom 30. Mai bis zum 2. Juni der Rahmen sein und Vermittler werden zwischen Politik und Wirtschaft bei der Neuausrichtung der Energieversorgung in Europa. Zur Industrieschau werden Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erwartet und Aussteller wie Siemens, Bosch und Microsoft und die Fraunhofer-Gesellschaft mit Lösungsansätzen für eine unabhängige Energieversorgung durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, Investitionen in Energieeffizienz und die Digitalisierung der Energiewende. „Wir haben durch den Ukraine-Krieg ein Spannungsfeld zwischen Versorgungssicherheit und Klimaschutz“, weiß der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Messe AG, Jochen Köckler. Zurück im ukrainischen Irpin, ordnet UN-Generalsekretär Guterres das Kriegsgeschehen ein: „Lassen Sie mich sagen, dass wir in vielerlei Hinsicht am Nullpunkt der Welt stehen, die wir aufbauen müssen – eine Welt, in der das Völkerrecht, die UN-Charta und die Kraft des Multilateralismus geachtet werden, eine Welt, die Zivilisten schützt, eine Welt, die die Menschenrechte fördert, eine Welt, in der die führenden Politiker die Werte leben, die sie zu wahren versprochen haben.“ Für ihn ist auch das ein Kampf – aber es ist einer, den wir für jedes Land, jede Gemeinschaft und jeden Menschen auf der Welt gewinnen müssen.

Kerstin Wünsch

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