Interview Deborah Rothe
„Weltoffenheit ist die DNA unserer Branche“
Deborah Rothe leitet die ITB Berlin. Foto: Messe Berlin
Deborah Rothe leitet die ITB Berlin. Foto: Messe Berlin
Deborah Rothe ist seit einem Jahr Director der ITB Berlin. Im Interview spricht sie über Vielfalt und Toleranz, robuste Reiselust und eine resiliente Branche, den Rückkehrer China und die Kampagne #together, MICE als Teil des Tourismus und das Ohr am Markt.
Unter der Überschrift „Tourismuswirtschaft mit klarem Bekenntnis für Weltoffenheit und Vielfalt“ positionieren sich 36 Partner aus der Tourismuswirtschaft gegen rechts. Die ITB Berlin ist darunter. Warum machen Sie mit?
Deborah Rothe: Es gibt wohl kaum eine andere Branche, die derartig von Vielfalt, Interkulturalität und Diversität lebt wie unsere. Reisen verbindet, schafft Austausch und sorgt für Toleranz. Darüber hinaus beschäftigt sowohl die Tourismusindustrie als auch die Messewirtschaft Menschen aus der ganzen Welt. Daher war es für uns ganz klar, uns an dieser Aktion zu beteiligen. Es freut uns sehr, dass die Branche ein starkes Zeichen setzt
Hat das Thema Einzug in die ITB Berlin 2024 gefunden?
In den täglichen Gesprächen auf jeden Fall. Die weltweite Tourismusindustrie sieht sich als große Familie mit einer Passion für die Völkerverständigung. Weltoffenheit ist sozusagen die DNA unserer Branche. Die ITB Berlin hat sich von einer fünftägigen Publikumsmesse mit Fachbesuchertagen zu einer dreitägigen B2B-Messe gewandelt. Wie zufrieden sind Sie mit der ITB Berlin 2024?
Wir sind damit sehr zufrieden. Bereits Jahre vor der Pandemie hatten uns unsere Aussteller, aber auch Besucher immer wieder gespiegelt, dass sie ihre Messe-Aktivitäten gerne mehr bündeln und sich noch mehr auf ihre Zielgruppen konzentrieren möchten. Immerhin sparen sie auch massiv Zeit und Kosten durch geringeren Personaleinsatz. Das Fazit nach der ersten Fachbesuchermesse im letzten Jahr war bereits sehr positiv – dieses Jahr sah es nicht anders aus. Wir werden definitiv an diesem Konzept festhalten. Lassen Sie uns auf die Zahlen schauen: Wie haben sich die Besucher- und Ausstellerzahlen 2024 gegenüber 2023 entwickelt?
Mit über 5.500 Ausstellern aus 170 Ländern und Regionen präsentierten wir uns dieses Jahr internationaler und mit mehr Ausstellern insgesamt. Trotz umfangreicher Streiks verzeichnete die ITB Berlin in diesem Jahr mit knapp 100.000 Teilnehmern einen leichten Zuwachs – ein Ergebnis, das unsere Erwartungen trotz der schwierigen Streikumstände übertraf. Die anhaltende robuste Reiselust, unbeeinträchtigt von Inflation oder hohen Energiekosten, spiegelte sich in fast jedem Gespräch wider. Die ITB Berlin hat erneut ihre führende Rolle als Branchenspiegel und globale Plattform für Business, Innovation und Networking bestätigt
Über die ITB Berlin und den ITB Berlin Kongress
Die ITB Berlin 2024 hat vom 5. bis 7. März auf dem Berliner Messegelände stattgefunden. Auf der ITB Berlin 2024 haben in 27 Messehallen rund 5.500 Aussteller (2023: 5.500) aus 170 Ländern (2023: 161) ihre Produkte und Dienstleistungen mehr als 100.000 Besuchern (2023: 90.000) vorgestellt. Parallel ist der ITB Berlin Kongress 2024 gelaufen mit 24.000 Teilnehmern, 400 Speakers und 200 Sessions. Der Termin für die ITB Berlin 2025 ist 4. bis 6. März 2025. Das Gastland der ITB Berlin 2025 wird Albanien sein, 2024 war es der Oman.
Kritiker sagen, die ITB Berlin verliere an Relevanz. Hamburg Tourismus, als Beispiel, hat deshalb das zweite Mal in Folge seinen Auftritt abgesagt. Wie steuern Sie gegen?
Nirgendwo sonst ist die gesamte Wertschöpfungskette des Tourismus abgebildet wie auf der ITB Berlin, die auch in diesem Jahr wieder ihre Position als weltweit führende Reisemesse gefestigt hat. Das Wegbleiben von Hamburg war zwar bedauerlich, steht aber keineswegs für einen Trend. Wir hatten auf der anderen Seite zahlreiche Neuzugänge wie Disney mit den Disney Cruise Lines, Rückkehrer wie China oder Emirates Airlines oder Aussteller, die ihre Präsenz vergrößert haben. Zudem waren viele Hamburger Unternehmen weiter vertreten – sie hatten nur keine offizielle Gemeinschaftspräsenz. Gibt es als Gegenbewegung dazu Länder oder Regionen, die verstärkt nach Berlin kommen und ihre Beteiligungen ausbauen? Wenn ja, welche sind das?
Wir stellen prinzipiell fest, dass unsere Aussteller immer internationaler werden. Der Anteil der Aussteller aus dem Ausland liegt bei stolzen 87 Prozent. Regional haben wir dieses Jahr insbesondere mehr Präsenz aus Afrika sowie erneut aus dem arabischen Raum verzeichnet. Großes Wachstum sehen wir zudem seit Jahren schon im Travel Technologie-Bereich, im Kreuzfahrt-Segment sowie jüngst auch aus der Mobility-Branche. Welche Länder oder Regionen sind denn die „rising stars“ der ITB Berlin 2024?
Sehr gefreut haben wir uns über den Rückkehrer China. Das Land war auch mit einer ganzen Reihe von Mitausstellern, wie Chengdu, präsent. Flagge gezeigt hat natürlich auch unser Gastland Oman, das dieses Jahr seinen Hauptstand auf 800 Quadratmeter verdoppelt hat. Eine vergleichbar starke Präsenz hatten etwa Dubai, Abu Dhabi, Qatar und Saudi- Arabien. So weit muss man aber gar nicht blicken – denn mit der Türkei, Italien und Griechenland haben sich auch zwei nahe Urlaubsländer spürbar vergrößert. Nicht zu vergessen Albanien, eine aufstrebende Destination mit großem Potenzial, das nächstes Jahr unser offizielles Gastland ist.
Deborah Rothe: Albanien ist eine aufstrebende Destination mit großem Potenzial, das nächstes Jahr unser offizielles Gastland ist. Foto Messe Berlin
Die ITB-Markenfamilie wächst: ITB Asia in Singapur, ITB China und ITB India – wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?
Wir haben vier ITB-Messen auf der ganzen Welt – und diese Karte möchten wir künftig noch viel stärker spielen. Das unterstreicht unter anderem unsere jüngste Marken-Kampagne #together, die zeigen soll, dass sich die Herausforderungen für die Branche nur gemeinsam als Industrie bewältigen lassen. Wir sind ganzjährig als Trendschmiede und als Hub von Innovationen sichtbar. Und an diesem globalen 360-Ansatz werden wir weiterarbeiten. Wo sehen Sie die großen Herausforderungen für die Reiseindustrie – und damit für die ITB Berlin?
Die Branche sieht sich an vielen Stellen gleichzeitig mit Herausforderungen konfrontiert – allen voran Nachhaltigkeit, Digitalisierung und geopolitischen Krisen. Ich bin aber immer wieder fasziniert, wie resilient unsere Industrie mittlerweile ist. Sie wird immer flexibler und erholt sich überraschend oft schnell nach neuen Krisen. In ihnen liegt ja auch eine große Innovationskraft – sei es durch technischen Fortschritt, die Umstellung auf ein neues Geschäftsmodell oder die Ausrichtung auf neue Zielgruppen oder Destinationen.
„Wir glauben fest an die Wichtigkeit persönlicher Treffen. Sie werden auch immer unseren Markenkern bilden, aber hybride Veranstaltungsformate bieten ein Höchstmaß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität.“
Deborah Rothe, Director ITB Berlin
Die deutsche Messewirtschaft verändert sich: Keine Messe 2024 sieht aus wie ihre Durchführung 2014, das steht in der Jahrespublikation „AUMA-Trends 2023/2024“. Welche drei Veränderungen beobachten Sie?
Erstens: Face-to-Face ist wieder neu im Trend. Seit der Pandemie ist das hybride Planen von Events nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig ist der Bedarf an der persönlichen Begegnung auch im Geschäftskontext stärker denn je. Wir glauben fest an die Wichtigkeit persönlicher Treffen. Sie werden auch immer unseren Markenkern bilden, aber hybride Veranstaltungsformate bieten ein Höchstmaß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität. Zweitens: Nachhaltigkeit wird zum Glück immer wichtiger. Die Branche zeigt verstärktes Umweltbewusstsein durch Maßnahmen wie nachhaltiges Ressourcenmanagement, CO2-Reduktion und umweltfreundliche Veranstaltungskonzepte. Drittens: Flexibilität – Messeveranstalter passen sich flexibler an die sich verändernden Bedürfnisse von Ausstellern und Besuchern an. Dies zeigt sich in variablen Standkonzepten, hybriden Veranstaltungsformaten und einer generellen Anpassungsfähigkeit an die sich wandelnden Marktanforderungen. Was macht für Sie eine gute Fachmesse im Jahr 2024 aus?
Sie muss eine Plattform für Geschäft, Netzwerken und qualitative Inhalte gleichermaßen sein und sollte dabei auch das Ohr am Markt haben sowie ein Höchstmaß an Inspiration, Innovation und Erlebnis bieten. Messeteilnehmer sollen das Gefühl haben, hier die Ersten zu sein, die von den neuesten Trends erfahren, und hier einen fachlichen Austausch zu erhalten, den sie in dieser Form so nirgends sonst finden. Ebenso muss die Qualität gegeben sein, die sich zum Beispiel bei unserem Buyers‘ Circle als Zirkel umsatzstarker Einkäufer widerspiegelt. Soft-Faktoren dürfen natürlich auch nicht zu kurz kommen, denn Geschäftsreisende sind schließlich auch private Menschen. Städte wie Berlin als Metropole bieten einfach fantastische Rahmenbedingungen. Vor gut einem Jahr haben Sie die Leitung der ITB Berlin von David Ruetz übernommen. Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger?
Wir haben schon länger an vielen Entwicklungen gemeinsam gearbeitet. So stellen wir seit Jahren unsere Marke ITB globaler auf und nutzen die Synergien mit unseren anderen ITBs in Indien, China und Singapur. Meine persönliche Premiere 2024 fiel aber tatsächlich mit der ITB Berlin als reine Fachmesse zusammen. Strategisch möchte ich vor allem am weltweiten 360-Grad-Ansatz festhalten. Da sehe ich noch großes Potenzial für unsere Marke – eine anhaltende und weltumspannende Brand-Awareness, die unsere Mitbewerber in der Form nicht bieten.
„Neue Konzepte, Innovationen und die ständige Weiterentwicklung sind essenziell“, haben Sie zu Ihrer Berufung gesagt. Was ist neu gewesen in diesem Jahr?
Wir haben dieses Jahr fünf frisch sanierte Hallen wiedereröffnet. Dadurch hatten wir die Chance, die Standplanung in vielen Punkten neu zu denken. Wir haben zum Beispiel alle DACH-Märkte in einer Halle, dem multifunktionalen hub27, zusammengebracht. Zudem haben wir mehr Meeting-Möglichkeiten für unsere Gäste angeboten und unsere Digitalplattform ITBxplore mit noch mehr Funktionen ausgestattet. Nicht zuletzt haben wir den Global Travel Buyers Index ins Leben gerufen und die exklusiven Top-Einkäufer der Branche hatten im Palais am Funkturm zudem dieses Jahr auch eine neue Heimat. Nachhaltigkeit ist das große Thema in der Tourismus- und Tagungs- und Messewirtschaft. Wie nachhaltig ist die ITB Berlin?
Die ITB Berlin arbeitet kontinuierlich an einer Verbesserung der Nachhaltigkeitskonzepte. Die Energiewende unterm Funkturm ist sozusagen in vollem Gange. Vom nachhaltigen Energiekonzept über Kompensation von Dienstreisen bis zum effizienten Abfallmanagement werden die Konzepte stetig weiterentwickelt. Wir sensibilisieren unsere Aussteller auch zu einer möglichst nachhaltigen Messepräsenz. Außerdem bieten wir im Rahmen des ITB Berlin Kongresses zahlreiche zukunftsweisende Veranstaltungen rund um das Thema Corporate Social Responsibility, zahlreiche Fachvorträge, Diskussionsrunden, Workshops, Seminare und Preisvergaben an, die über die Bedeutung von sozialer Verantwortung im Tourismus und die Chancen eines nachhaltigen Tourismus berichten. Betrachten Sie das Segment MICE (Meetings, Incentives, Conventions, Exhibitions/Events) als Teil der Tourismusindustrie und damit der ITB Berlin?
Absolut – schon alleine, da wir selbst als Messe Bestandteil dieses Segments sind. Corona hat zwar einen Schub in puncto Digitalisierung gebracht. Gleichzeitig schätzen wir doch alle aber mehr denn je die Qualität des echten menschlichen Austausches miteinander. Ich denke, das kann jeder Einzelne von uns nachvollziehen. Wenn ja, wie bilden Sie das Segment Business Events ab?
Auf der ITB Berlin hatten die Aussteller aus diesem Bereich ihre Heimat im neuen ITB MICE HUB in Halle 8.2. Im Kongressprogramm war das Segment in Form eines eigenen MICE-Tracks präsent. Natürlich spielte hier das Trendthema KI-Einsatz eine bedeutende Rolle. Die KI wird für die MICE-Branche künftig sicherlich wichtig sein – zum einen, um Abläufe zu vereinfachen und den Besuch „smooth“ zu gestalten, zum anderen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und Mitarbeitende zu entlasten – etwa durch den Einsatz intelligenter Chatbots bei Kundenanfragen. Lohnt sich für Eventprofessionals die Reise zur ITB Berlin?
Absolut! Die ITB Berlin bietet ausgezeichnete Gelegenheiten zum Networking und zum Knüpfen neuer Kontakte. Eventprofessionals haben die Möglichkeit, sich über neue und interessante Destinationen zu informieren, die sich für zukünftige Meetings, Konferenzen oder Incentive-Reisen eignen könnten. Auf der ITB Berlin kann man in unseren Tech-Hallen innovative Dienstleistungen und Technologien entdecken, die ihre Veranstaltungen verbessern können. Dies reicht von Eventtechnologien bis zu fortschrittlichen Planungstools.