Interview Sevim Geyikipek
„Es ist ein Verkäufermarkt, und das wird wahrscheinlich auch 2024 so bleiben“
Foto: Sevim Geyikipek
tw tagungswirtschaft: Trotz der schwachen Entwicklung der Weltwirtschaft erwarten die Befragten in Ihrem 2023 Global Meetings and Events Forecast, dass die Zahl der Konferenzen in Präsenz und die Zahl der Teilnehmer in diesem Jahr zunehmen wird. Wie kommt das? Sevim Geyikipek: Mittlerweile arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vieler Unternehmen auf der ganzen Welt entweder vollständig im Homeoffice oder hybrid. Daher gewinnen Präsenzveranstaltungen für Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung, und die Unternehmen erkennen ihren Wert. Dem Stanford-Wirtschaftsprofessor Nicolas Bloom zufolge ist die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice der größte Schock für die Arbeitsmärkte seit Jahrzehnten, denn im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie hat sich dieser Trend versechsfacht.
Es hat sich gezeigt, dass persönliche Treffen und Veranstaltungen der effektivste Weg sind, um die Gesundheit und das Wohlbefinden sowie die berufliche Weiterentwicklung von Mitarbeitern zu fördern, die Unternehmenskultur und -werte zu vermitteln und die Teambindung zu verbessern. Vor der Pandemie waren interne Meetings für viele Unternehmen oft zweitrangig. Diese Prioritätenverschiebung bietet der Meetings-und-Events-Branche eine große Chance, ihren Einfluss und ihre Reichweite auszubauen. Konferenzen und Tagungen bieten Gelegenheit zur Vernetzung, tragen zur positiven Geschäftsentwicklung bei und fördern den Wissensaustausch, was in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit besonders wertvoll sein kann.
Nach der Pandemie kämpfen Eventprofessionals in Europa mit höheren Kosten. Mit welchen Preissteigerungen müssen sie bei Reisen, Unterkünften, Verpflegung und Mieten für Tagungsräume rechnen?
Um den Kostenanstieg in der Wertschöpfungskette abzufedern, sollten Veranstaltungsagenturen darüber nachdenken, rechtzeitig Verträge mit Leistungsträgern auszuhandeln und so bessere Angebote für Reisen, Unterkunft, Bewirtung und die Tagungsräume zu sichern. Die Umfragen, die wir für unseren „2023 Global Meetings & Events Forecast“ geführt haben, zeigen deutlich, dass enge Beziehungen zu Leistungsträgern heute wichtiger sind denn je. Es ist ein Verkäufermarkt, und das wird wahrscheinlich auch 2024 so bleiben, da die Verfügbarkeit von Konferenzräumen, Flügen und Food & Beverage vermutlich weiterhin eingeschränkt sein wird und die Leistungsträger gleichzeitig mit Arbeitskräftemangel, anhaltenden Problemen in der Lieferkette und Inflation zu kämpfen haben. Kunden, die flexibel sind und genau wissen, was sie mit ihren Meetings erreichen wollen, werden es einfacher in der Umsetzung haben.
2023 Global Meetings and Events Forecast
Der 12. Global Meetings and Events Forecast basiert auf einer Umfrage unter 580 Meeting- und Event-Experten aus der ganzen Welt sowie auf Interviews mit Branchenführern.
Die Umfrage wurde im Mai und Juni 2022 durchgeführt, befragt wurden Unternehmen, Verbände, Einkäufer und Lieferanten aus fünf Kontinenten und 23 Ländern. Das Ergebnis ist ein Bild der Eventbranche 2023.
Welche drei Tipps haben Sie für Eventmanager bei Preisverhandlungen?
Eventmanager sollten nach Veranstaltungsorten außerhalb der großen Städte suchen, soweit wie möglich im Voraus planen und prüfen, inwiefern hybride Formate die Kosten und die Reichweite für bestimmte Veranstaltungen optimieren können. Es empfiehlt sich, mit einer Meeting-&-Events-Agentur zusammenzuarbeiten, die nachweislich die besten Preise, Bedingungen und Konditionen aushandeln kann.
65 Prozent der Verantwortlichen für Meetings und Events erwarten, dass die Gesamtausgaben für Veranstaltungen steigen werden. Werden die Budgets entsprechend nach oben angepasst oder wird an einzelnen Events gespart?
Unserer Studie zufolge werden die Ausgaben für Meetings im Durchschnitt um 3,1 Prozent steigen. Zwölf Prozent der Befragten in Europa rechnen mit einem erheblichen Anstieg ihres Budgets – um elf Prozent oder mehr. Die Kosten pro Teilnehmer für alle Arten von Meetings, in allen Formaten, werden voraussichtlich ebenfalls steigen; das reicht von 1,5 Prozent für kleinere Meetings bis drei Prozent für Konferenzen und Fachmessen. Würden die Budgets gekürzt, so würden die Befragten unserer Studie als Erstes Rahmenprogramme außerhalb des Veranstaltungsortes (23 Prozent) und die Zahl der Übernachtungen (20 Prozent) kürzen. Hätten Sie dagegen zehn Prozent mehr Budget zur Verfügung, würden sie das vor allem für die Optimierung der Prozesse am Tagungsort (32 Prozent) und für mehr Technologieeinsatz (23 Prozent) ausgeben.
So lassen sich 2023 die Kosten für Meetings & Events senken
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Was empfehlen Sie Eventmanagern, die Kosten reduzieren müssen? Wir haben den ChatGPT dazu gefragt. Die Antwort: „Leverage technology: Use virtual and hybrid events to reach a wider audience without the costs associated with in-person events.“ Ist das eine gute Empfehlung?
Der Einsatz von Technologie ist der offensichtliche Weg, um Kosten zu senken, und für bestimmte Meetings sind virtuelle Formate die richtige Lösung. Allerdings ist die „Virtualitäts-Müdigkeit“ nicht wegzudiskutieren – die Menschen wollen einander persönlich sehen. Hybride Formate sind daher im Moment eher eine Ausweichlösung und nicht die erste Wahl. Sie können eine Möglichkeit sein, die Kosten zu senken und ein breiteres Publikum zu erreichen, wenn etwa die Teilnehmer aus der ganzen Welt einfliegen müssten. Die Befragten unserer Studie sind geteilter Meinung, was sie für das Jahr 2023 erwarten. Insgesamt geht eine große Mehrheit davon aus, dass persönliche Meetings und Events im Vordergrund stehen werden. Nur 33 Prozent der Meetings in Europa und 29 Prozent der Meetings in Nordamerika werden als hybride Veranstaltungen geplant. Der Anteil ist im asiatisch-pazifischen Raum (47 Prozent) und in Lateinamerika (41 Prozent) etwas höher.
Julie Flynn im Meetings & Events Team bei Amex GBT rät Veranstaltern, im Voraus zu planen. Nur werden die Vorlaufzeiten für Veranstaltungen immer kürzer. Wie geht das zusammen?
Wir sehen nach wie vor einen Trend zu kurzen Buchungsfenstern – mit 25 Prozent kürzeren Vorlaufzeiten als noch im Jahr 2019. Die Meetings-Ausrichter sind häufig nicht in der Lage, ihre Veranstaltungen mit entsprechendem Vorlauf zu prognostizieren. Kurze Vorlaufzeiten und Verzögerungen der Buchungen bis zur letzten Minute sind Probleme, die aus der Covid-19-Pandemie resultieren, und einige Unternehmen sind immer noch nicht darauf vorbereitet, weit im Voraus zu planen. Dieses Zögern in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Druck, den anhaltenden Personalproblemen und dem beispiellosen Wettbewerb auf dem Markt um verfügbare Kapazitäten wird die Preise auch in diesem Jahr weiter in die Höhe treiben.
„Dieses Zögern in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Druck, den anhaltenden Personalproblemen und dem beispiellosen Wettbewerb auf dem Markt um verfügbare Kapazitäten wird die Preise auch in diesem Jahr weiter in die Höhe treiben.“
Sevim Geyikipek, Meetings & Events Lead, American Express Global Business Travel
Immer wenn die Kosten hoch sind, sollen die Menschen kreativ sein, über ihren Tellerrand schauen und neue, kosteneffiziente Wege suchen. Welche kreativen Ideen haben Sie?
Eine Möglichkeit wäre es, bei Veranstaltungen auf Nachhaltigkeit zu setzen. Viele Unternehmen haben sich öffentlich zu Nachhaltigkeitszielen verpflichtet und müssen diese Ziele auf ihre Meetings-und-Events-Programme herunterbrechen. Wir können davon ausgehen, dass nachhaltige Meetings und Events weiter an Bedeutung gewinnen werden. Mit der Auswahl von Reisezielen, die Nachhaltigkeit fördern, und nachhaltig zertifizierten Veranstaltungsorten richten sich Unternehmen darauf aus, die Emissionen ihrer Veranstaltungen zu minimieren und diese Fortschritte in die Reportings für interne und externe Stakeholdern aufzunehmen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, gleichzeitig die Kosten wie auch den CO2-Ausstoß zu senken. Beispielsweise durch mehr lokale Produkte und Fleischalternativen im Bereich Food & Beverage. Oder durch gesetzte Essen anstelle von Buffets und durch weniger Auswahl, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Der Verzicht auf gedrucktes Material, Papier und Plastik kann ebenfalls dazu beitragen, Kosten und Umweltbelastung zu senken.
Die Teilnehmer in nachhaltige Tagungskonzepte einzubinden, ist ein hervorragender Weg, ihre Unterstützung zu gewinnen. Das kann einerseits zum Erfolg von Veranstaltungen beitragen und bietet andererseits die Möglichkeit für kostengünstiges Teambuilding. Es gibt zahlreiche kreative Ideen, wie sich das Thema Nachhaltigkeit aufs Programm setzen lässt. In allen Zielgebieten gibt es eine große Auswahl an umwelt- und sozialverantwortlichen Teambuilding-Angeboten für Gruppen. Ob das Team Fahrräder montiert und dann an eine gemeinnützige Organisation spendet, einen Obstgarten anlegt oder auf eine Umwelt-Schatzsuche geht: Es lohnt sich immer zu schauen, welche Möglichkeiten es gibt, die Menschen am Ort zu unterstützen.