Interview Dr. Christoph Soukup
„Beim zweiten Mal macht es Spaß“
Dr. Christoph Soukup bei seinem Vortrag im Sustain Forum der BOE International 2023: „Kreislaufwirtschaft – Messen und Events ohne Müll“. Foto: 2bdifferent
Dr. Christoph Soukup bei seinem Vortrag im Sustain Forum der BOE International 2023: „Kreislaufwirtschaft – Messen und Events ohne Müll“ Foto: 2bdifferent
Dr. Christoph Soukup ist Wirtschaftswissenschaftler und Experte für Kreislaufwirtschaft, Energie- und Ressourceneffizienz im Steinbeis Beratungszentrum Circular Economy und Partner bei der CSR-Agentur 2bdifferent. Im Interview spricht er über Kreislaufwirtschaft und drei Erden, die Wiederverwendung von Materialien und das Weglassen, die Krise als guten Startpunkt und Kreativität durch Limitierung.
tw tagungswirtschaft: Sie befassen sich mit der Kreislaufwirtschaft. Was ist das? Dr. Christoph Soukup: Kreislaufwirtschaft ist am besten zu verstehen in Abgrenzung zur heutigen Wirtschaft, unserer linearen Wirtschaft. Wir entnehmen Rohstoffe aus der Erde, produzieren etwas und nutzen es eine bestimmte Zeit. Am Ende landen diese Produkte üblicherweise in den Deponieräumen Erde, Wasser oder Luft. Manche Dinge werden noch recycelt, was meistens ein Downcycling ist, wenn aus Autocockpits Parkbänke gemacht werden oder Blumentöpfe. Die Kreislaufwirtschaft sagt, das geht auch klüger: Wir können Dinge, die wir der Erde entnehmen, in Produkte verbauen, die wir weiter und wieder und vor allem länger nutzen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass wir unsere Erde übernutzen, ihr mehr entnehmen, als wir brauchen und sie uns geben kann. Wir reden von drei Erden, die wir in unseren Breiten bräuchten.
Was meint die Kreislaufwirtschaft für Veranstaltungen? Kreislaufwirtschaft spielt dort eine Rolle, wo es um Material geht, um Dinge, die verwendet werden. Da schaut man auch, wie man regenerative Energie in die Veranstaltung bekommt, aber mehr noch auf die Verpflegung, das Essen und die Getränke, die Give-aways und das Equipment, das angekarrt wird – wo kommt das her, wo geht es hin und wie wird es in Nutzung gehalten? Ein weiterer Bereich sind unsere Hinterlassenschaften, unser Müll, aber auch unsere menschlichen Hinterlassenschaften. Selbst diese kann man im Kreislauf führen, zum Beispiel mit Trockentrenntoiletten. In allen diesen Bereichen kann man sich fragen, und das ist ein interessanter Ansatz der Kreislaufwirtschaft: Was kann ich bei einer Veranstaltung weglassen, ohne dass diese aufhört, eine gute Veranstaltung zu sein? Give-aways, die schnell im Mülleimer landen, kann ich sehr gut weglassen. Ich kann Messestände modular aufbauen, damit sie mit dem gleichen Material neu konfiguriert werden können.
„Kreislaufwirtschaft statt Teufelskreis Konsum“ – Ralph van Gülick vom Wirtschaftstalk M3 des Senders regiotv im Gespräch mit Dr. Christoph Soukup von dem Steinbeis-Beratungszentrum Circular Economy.
Business Events sind temporäre Ereignisse mit dem Unterschied, dass Messen am Standort bleiben und Kongresse nicht. Ist es realistisch, Material einzulagern oder mitzunehmen?
Das ist die Frage nach dem Rahmen. In unserer heutigen Welt ist es schwer denkbar. Es muss schnell gehen. Wir haben uns abgewöhnt, Dinge einzulagern, weil es oft billiger ist, sie neu zu beschaffen. Aber es gibt spannende neue Konzepte. Ich weiß von einem Event-Möbelanbieter, der Locations einer Region angeboten hat, für diese Stühle zu poolen, damit sie diese nicht bis zum letzten Sitzplatz vorhalten und in Summe weniger Stühle anschaffen müssen. Das ist für beide interessant: Der Möbelverleiher hat einen längerfristigen Vertrag, und die Locations sparen ein Drittel oder mehr ihrer Anschaffungskosten für die Bestuhlung ein. Für solche Möglichkeiten muss man aber out-of-the-box denken.
Die Veranstaltungsindustrie kommt aus der Pandemie, sorgt sich um Personal und Preise. Und jetzt kommen Sie mit der Kreislaufwirtschaft …
Das stimmt. Nur wann, wenn nicht in der Krise, ist der richtige Zeitpunkt, um neu zu denken? Wenn ich merke, dass es, wie es bisher lief – es lief ja sehr gut in der Veranstaltungswirtschaft –, nicht mehr laufen wird. Wir haben Schwierigkeiten, an Personal zu kommen und an Material. Das ist ein guter Anlass, Dinge anders und neu zu denken und neu zu probieren. Viele Entscheider haben jedoch sofort im Kopf: Das kostet mehr!

„Wir haben Schwierigkeiten, an Personal zu kommen und an Material. Das ist ein guter Anlass, Dinge anders und neu zu denken und neu zu probieren.“
Dr. Christoph Soukup
Stimmt das nicht? Das mag sein, wenn man es kurz denkt. Kein Unternehmer käme auf die Idee, sich bei einer Maschine zu überlegen, dass es mehr kostet, als wenn man sie nicht kauft, weil es eine Investition ist. Genauso sehe ich das Thema Kreislaufwirtschaft: Die Kreislaufwirtschaft ist eine Investition in die Zukunft. Wenn ich jetzt die Weichen stelle, damit ich mit meinem Event-Konzept nachhaltiger operieren kann, dann ist das eine Investition in die Zukunft. Ich arbeite viel in der Industrie und kenne einen Unternehmer, der Wasserzähler herstellt und schon seit 15 Jahren Kreislaufwirtschaft macht, der sagt so schön: Wissen Sie, Kreislaufwirtschaft beginnt beim zweiten Mal Spaß zu machen. Wenn Sie nach der Investition das Material nicht neu beschaffen müssen, sondern das, was da ist, neu einsetzen können. Bei 2bdifferent versuchen wir, die Entscheider zu motivieren, diese Überlegung zumindest einmal an sich heranzulassen..
Wird das von den Entscheidern angenommen?
Es sind die Pioniere, die eine Chance erkennen, Dinge neu zu gestalten und in der Kommunikation mehr Wumms zu erzielen an einer Stelle, wo Privatleute wie Unternehmen sehr hellhörig sind. Wir versuchen, diese Pioniere zu ermutigen. Wenn wir uns anschauen, wie wir unsere Erden übernutzen, ist klar: Die Reise wird dahin gehen. Jetzt können Sie noch gestalten, später werden Sie gestaltet. In der Industrie sagen wir: Wenn Ihr davon ausgeht, dass es kommt, könnt Ihr andere vorangehen lassen und die Pionierarbeit machen lassen. Dann werdet Ihr Fast Follower, müsst aber sicher sein, dass Ihr schnell genug folgen könnt und die Konzepte in der Schublade habt. Oder Ihr sagt: Wir sind doch bei den Pionieren, weil wir nicht schnell genug sind, um Fast Follower zu werden. Es tut nicht weh, sich einen Strategietag lang mit der Thematik zu beschäftigen, diese auf den eigenen Bereich herunterzubrechen und zu schauen, was der nächste sinnvolle Schritt sein könnte. Und wenn der nächste Schritt ist: ‚Wir warten noch zwei Jahre, wissen aber, was zu tun ist‘, so ist das auch eine Erkenntnis. Aber zumindest haben wir die Thematik angeschaut und nicht nur gesagt: Ist alles zu teuer, ist nicht drin.

„Es tut nicht weh, sich einen Strategietag lang mit der Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen, diese auf den eigenen Bereich herunterzubrechen und zu schauen, was der nächste sinnvolle Schritt sein könnte.“
Dr. Christoph Soukup
Wer ist bei den Entscheidern im Lead: der Auftraggeber einer Veranstaltung, etwa ein Unternehmen, oder der Auftragnehmer, etwa das Kongress- oder Messezentrum? Da werden sich gerne die Bälle zugespielt. Wenn die Auftraggeber uns damit beauftragen würden, dann könnten wir ganz viel machen, höre ich von den Auftragnehmern. Während die Auftraggeber sagen, in der Branche ist das halt so üblich, das so zu machen. Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wir versuchen bei 2bdifferent bei beiden Seiten anzusetzen: den Auftraggebern und den Auftragnehmern, die es in ihren Gewerken ausführen. Die Messeveranstalter sind möglicherweise ein eigenes Feld.
Inwiefern? Da hört man oft, wir machen das schon. Die IFAT (Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft der Messe München) hat ja Kreislaufwirtschaft als Thema. Nur wenn man sie sich näher anschaut, sieht man, wie traditionell die Messe abgewickelt wird und wie wenig an Kreisläufen es bei den Materialien gibt. Die Grüne Woche in Berlin hat Kreislaufwirtschaft thematisch mitbespielt, operiert aber selbst immer noch in linearen Strukturen. Da haben die Messegesellschaften ein Riesenpotenzial und eine Verantwortung, zumal sie vielfach in öffentlicher Hand sind.
Da sind wir bei den Gesetzen. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet seit Januar auch den Mittelstand zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wird da Druck entstehen bei den Auftraggebern und -nehmern von Veranstaltungen? Ja, das können wir jetzt schon beobachten. Die großen Auftraggeber, die Corporates, fangen an mit ihrer CSRD-Umsetzung. Übrigens sind auch die ganz kleinen Unternehmen betroffen, sobald sie Lieferanten von großen Unternehmen sind. Natürlich kann ich sagen, das dauert noch zwei, drei Jahre, bis das greift. Aber wie gesagt: Noch kann ich gestalten, später werde ich gestaltet. Und dann muss es schnell gehen. Das merken wir gerade in der Umsetzung der Mehrwegpflicht in der Gastronomie.
Wer ist ein Pionier für Kreislaufwirtschaft in der Veranstaltungswirtschaft? In der Kreislaufwirtschaft sind die Skandinavier, die Niederländer und die Franzosen sehr weit. Es gibt in Amsterdam das DGTL Festival zu elektronischer Musik. Schon 2020 haben sie sich vorgenommen, ein Festival zu veranstalten, das auf Kreisläufen basiert. Nach der Pandemie haben sie es jetzt realisiert.
Wie sind die Veranstalter vorgegangen? Sie haben eine Stoffstrom-Analyse gemacht, um zu verstehen: Was brauchen wir an Materialien? Dann haben sie geschaut: Was können wir in den Kreislauf führen und welche Materialien müssen wir ändern? Verbundmaterialien sind immer schwierig. Der berühmte Tetra Pak, der Papier, Kunststoff und Aluminium in mehreren Folien miteinander verklebt, ist nur noch für die Müllverbrennung gut. Danach haben sie ihren Food Campus auf Kreisläufe gedreht. Weglassen ist, wie gesagt, eine große Kategorie, also haben sie Fleisch weglassen und auf vegetarisch umgestellt. Sie haben Komposter-Stationen aufgebaut für Essensreste und den Leuten erklärt, was da passiert. Der Kompost landet bei den Landwirten, die Essen für das Festival liefern – und so schließt sich der Kreislauf.
Fällt Ihnen auch ein Kongress oder eine Messe ein? In Deutschland, Österreich und der Schweiz weiß ich von keiner Veranstaltung nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Es gibt einen pfiffigen jungen Anbieter: Trash Galore aus Leipzig. Sie retten Material von Events vor dem Müll und führen es sozialen Zwecken zu. Mittlerweile arbeiten sie DACH-weit und steigen bei Großveranstaltungen immer mehr in die Planung mit ein, damit weniger Müll entsteht. 50 % passiert hier in der Planung. Ein schönes Beispiel ist Drees & Sommer. Der Ingenieursdienstleister hat ein Beratungsunternehmen gekauft, gegründet von Michael Braungart, dem geistigen Vater von Cradle-to-Cradle. Nach diesem Prinzip haben sie auf der Expo Real 2019 einen Stand gebaut. Ihre Möbel hatten einen Produktpass, in dem stand, welche Materialien verbaut wurden und wie man diese wieder voneinander trennen kann.
Cradle-to-Cradle-Designkonzept auf der Expo Real 2019
Drees & Sommer hat seinen 330 Quadratmeter großen Messestand auf der Expo Real 2019 erstmals nach dem Cradle-to-Cradle-Designkonzept, kurz C2C, ausgerichtet. Die am Stand verwendeten Materialien sind nach Cradle-to-Cradle-Prinzip optimiert und nach der Messe in definierte Stoffkreisläufe zurückgeführt worden.
Wie kommen die Standdesigner und Messebauer damit klar, die etwas Neues gestalten wollen? Da gibt es eine schöne Parallele zu Architekten, denen sagt man auch nach, dass sie am liebsten neu bauen. Inzwischen gibt es eine ernst zu nehmende Bewegung von Architekten, die in einer sogenannten Umbauordnung ein Abrissmoratorium und statt Abriss und Neubau von Gebäuden deren Erhalt und Umbau fordern. Sie sagen, wir brauchen keine Neubauten, wir müssen das Vorhandene nur intelligenter nutzen. Und wenn wir das tun, bleibt für uns genug zu tun. Für die Messebauer heißt das, dass sie immer noch gefragt sind. Mit Limitierungen arbeiten, das setzt Kreativität frei. Wir kennen das vom Basteln zu Hause, wenn wir mit dem arbeiten müssen, was da ist. Diese Kompetenzen können uns in der Kreislaufwirtschaft helfen.
Zu Ihrem Vortrag „Kreislaufwirtschaft – Messen und Events ohne Müll“ ist das Sustain Forum der BOE International 2023 aus allen Nähten geplatzt. Wie sind die Reaktionen gewesen? Es war faszinierend, wie die Menschen zum Thema Kreislaufwirtschaft herbeigeströmt sind. Wir haben im Nachgang schon die eine oder andere Anfrage bekommen und beginnen jetzt, mit den ersten großen Messebauern zu arbeiten. Das Gute an der Kreislaufwirtschaft ist: Sie ist konkret, man kann leicht einsteigen. Bei unseren Workshops gibt es immer den Moment, wenn der Groschen fällt. Wenn die Schönheit dieser Lösungen, etwas im Kreislauf zu führen, den Teilnehmenden bewusst wird, dann bekommen sie Lust, einzusteigen. Danach folgt eine etwas zähere Phase, in der man merkt, es geht an die Routinen und Geschäftsmodelle, und wir müssen etwas ändern. Doch Dranbleiben lohnt sich. Am Ende können Lösungen entstehen, die richtig gut sind. Es ist durchaus ein persönlicher Transformationsprozess, der da einsetzen kann.