Community Building
Communities rocken!
„Rock im Park“ ist in Deutschland eines der ersten großen Musikfestivals nach Ausbruch der Pandemie. Das wissen 75.000 Menschen gebührend zu feiern. Foto: Daniel Dostal
„Rock im Park“ ist in Deutschland eines der ersten großen Musikfestivals nach Ausbruch der Pandemie. Das wissen 75.000 Menschen gebührend zu feiern. Foto: Daniel Dostal
Es gibt Veranstaltungen, die können bei den Besuchern auf eine Community bauen, die ein Thema als verbindendes Element haben. Doch was macht eine Community aus und wie baut man eine Community auf?
In der Straßenbahn Richtung Festivalgelände ist die freudige Anspannung der Besucher förmlich mit Händen zu greifen. „Meine Gruppe ist schon seit zwei Tagen da, ich habe vorher leider nicht freibekommen. Aber das ist mir egal. Mein erstes Festival seit 2019. Ich kann es gar nicht mehr erwarten.“ Sina ist 26 und arbeitet als PTA (pharmazeutisch technische Assistentin) in einer Apotheke in Fürth. Obwohl oder gerade weil sie beruflich in den vergangenen zwei Jahren mit Corona konfrontiert war, hat sie wegen der großen Besucheranzahl keine Bedenken. „Zum einen hatte ich im Januar bereits Corona – sehr mild – und zum anderen lasse ich das gar nicht an mich ran“, sagt sie. Für das Festival „Rock im Park“ – dem Zwillingsfestival zu Rock am Ring in der Eifel – reisen von 3. bis 5. Juni 75.000 Menschen nach Nürnberg, um rund 70 Rockbands auf dem Zeppelinfeld live spielen zu sehen. Das überwiegend junge Publikum feiert Stars wie Green Day, Volbeat, Muse, Marteria, Broilers, Jan Delay, sich selbst und die wiedererlangte Freiheit.
„Für mich ist es wirklich besonders, wieder ungezwungen feiern zu können“, erklärt Sina fast euphorisch. „Mein ganzes Umfeld, meine ganze Community hat auf diese Tage hingefiebert.“ Dabei ist ihr das Programm gar nicht so wichtig. „Klar will ich einige Bands unbedingt sehen – vor allem Billy Talent –, aber noch viel wichtiger für mich ist es, viele Freunde wieder zu sehen und neue Leute kennen zu lernen.“ Wer regelmäßig Festivals besucht, würde das durchaus verstehen, schwärmt sie von dem verbindenden Element der Musik und dem Feiern dieser Musik unter Gleichgesinnten. „Alle hier wollen einfach nur eine gute Zeit haben und es ist egal, woher Du kommst oder was Du arbeitest. Deswegen sind Festivals für mich mit das Beste, was es gibt auf der Welt.“
Tatsächlich ist die Stimmung auf dem Gelände euphorisch. „Rock im Park“ und „Rock am Ring“ sind in Deutschland die ersten großen Musikfestivals nach Ausbruch der Pandemie. Den Musikfans ist anzumerken, wie sehr sie es vermisst haben, wieder zusammen zu feiern, zu tanzen und bis zum Versagen der Stimme mitzusingen. Fremde Leute liegen sich in den Armen, springen, gröhlen und jubeln, als hätte es Corona nie gegeben. Auch der Krieg in der Ukraine scheint für die Pfingsttage kurzzeitig in Vergessenheit zu geraten. Die Szenerie ist fast unwirklich. Genauso wie die Tatsache, dass so viele Menschen mit so wenig Abstand auf dem Gelände zusammenzukommen. „Ach du Scheiße, passiert das wirklich?“, ruft ein junger Mann seinem Freund in einem Bär-Kostüm zu, als die beiden über die Tribünen zur Utopia Stage schreiten. Zahlreiche Besucher bleiben stehen, um ein Foto zu machen. Um Stau zu vermeiden, fordern die Ordner die staunenden Besucher auf, schnell weiterzugehen.
„Ach du Scheiße, passiert das wirklich?“ Ein unwirklicher Anblick bietet sich den Besuchern, als sie über die Tribünen Richtung Hauptbühne schreiten. Foto: Christian Funk
Doch nicht nur die Stimmung ist gut. Wie mehrere Sanitäter und Helfer bestätigen, ist es auch friedlicher als in vergangenen Jahren. „Ich weiß auch nicht, aber die Leute verhalten sich definitiv vernünftiger als früher,“ sagt Murat, der beim Bayrischen Roten Kreuz arbeitet. „Weniger Schlägereien, eigentlich sogar kein einziger nennenswerter Zwischenfall bislang, und auch nicht so viele Alkohol-Leichen. Klar kommen Leute mit Kreislaufbeschwerden oder einem verstauchten Fuß, aber im Großen und Ganzen ist es eher ruhig. Ob die Leute ihr Festival dank Corona mehr wertschätzen oder ob sie nach der langen Durststrecke bewusster feiern, weiß ich nicht, aber der Grund ist auch nicht wichtig, Hauptsache es bleibt so“, fügt er lachend hinzu. „Sowohl für die Festivalbesucher:innen als auch die Künstler:innen und das gesamte Rock im Park Team war es ein Gefühlsfeuerwerk, endlich wieder gemeinsam zu feiern“, fasst das Team von der Agentur Argo Konzerte nach dem Festival zufrieden zusammen.
Community Building
Jetzt ist es natürlich Konferenzen und Business-Veranstaltungen gegenüber ein bisschen unfair, ausgerechnet ein Musikfestival als Beispiel für Community-Building heranzuziehen, weil es sich bei der Community – ähnlich wie bei Sportveranstaltungen – um Fans handelt und bei der Veranstaltung selbst um Unterhaltung. Dennoch lassen sich funktionierende Instrumente solcher Veranstaltungen durchaus auf die Kongresswelt übertragen. Bei einem Festival streitet die Community das ganze Jahr in Foren darüber, wer denn ein geeigneter Headliner sein könnte, welche Bedingungen auf dem Gelände herrschen sollten und was gut oder schlecht war bei einem Festival. Die Diskussionen etwa in Gruppen wie www.festivalsunited.com/community drehen sich um mehr Diversität auf der Bühne, Getränkepreise und Nachhaltigkeit. Und die Mitarbeiter von Konzertveranstaltern wie Dreamhaus diskutieren (in der Regel inkognito) fleißig mit und nehmen die Anregungen mit in die Planung.
Als Xing Events Anfang des Jahres seinen aktuellen Trendreport in Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt Future Meeting Space veröffentlicht und darin elf ausgewiesene Event-Experten Trends analysieren lässt, die für die derzeitige Disruption der Branche stehen, ist Community Building einer davon. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang: Können Veranstaltungsplanerinnen und -planer selbst eine Community aufbauen und betreiben oder braucht es hierfür unterschiedliche Rollen? Etwa Event-Logistiker auf der einen Seite und Community Manager auf der anderen?
„Im Grunde ist Community Building ein bekanntes Thema, das jedoch sehr zögerlich von den Unternehmen umgesetzt wird. Dabei geht es darum, eine durchgängige Kommunikationsstrecke aufzubauen und diese ganz gezielt zu pflegen“, sagt Rainer König, Director Key Accounts beim Eventtechnologiedienstleister Encore. „Vor allem bei Events brauchen Unternehmen Sponsoren oder Ambassadoren, die das Ziel der Veranstaltung vorantreiben und wirklich wollen. Nur dann können sich Produkt- oder Eventmanager um den Community-Aufbau, das Community Management und die Events für diese Community kümmern.“
XING Events – Trendreport
Die Bedeutung von Events im Marketing- und Kommunikationsmix
Die Eventbranche befindet sich im Umbruch – stärker und sichtbarer als jemals zuvor. Ein Katalysator war hierfür sicherlich die Corona-Krise. Xing-Events hat in einem umfassenden Trendreport Event-Expertinnen und -Experten befragt, welche Branchenentwicklungen in den kommenden Jahren für sie eine besondere Relevanz haben.
Community Engagement
Dr. Stefan Rief sieht einen Wandel im Bereich der Veranstaltungen und dem Verhalten seiner Besucher: „Künftig werden sich Teilnehmende verstärkt unter ihresgleichen begeben wollen. Das heißt, Events gehören zum Austausch zwischen Menschen dazu, stehen jedoch nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt. Es stellt sich also die Frage für Eventmanager·innen, wie sie eine Community zusammenstellen können“, sagt der Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereichs Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. „Die wertvolle Zeit des physischen Zusammenseins verbringen Menschen künftig nicht mehr mit Leuten, auf die sie keine Lust haben. Dieser Trend wird sich verstärken, und dann wird es spannend werden, eine Business Community mit Menschen aufzubauen, die einander wirklich treffen wollen.“
Kati Rittberger, Geschäftsführerin von Xing Events, bringt die größte Herausforderung für Veranstaltungsplaner auf den Punkt: „Alles, was wir als Eventbranche klassischerweise unter Event verstehen, ist zeitlich sehr eng definiert. Was Veranstalterinnen und Veranstalter jedoch wollen, ist Community Engagement an 365 Tagen im Jahr“, erklärt sie ein nur schwer auflösbares Spannungsfeld. „Die physische Verfügbarkeit von Teilnehmenden auf einer Veranstaltung ist zeitlich begrenzt. Durch die Digitalisierung besteht nun eine enorme Chance, diese Begrenzung aufzulösen. Das können Planerinnen und Planer durch die Erweiterung des Events in die virtuelle Welt erreichen. Dann ist das zeitlich definierte Event der Höhepunkt einer Gesamtveranstaltung“, so ihre Vision.
Bleibt weiter die Frage, wie eine Community entstehen kann. Dazu liefert Community- und Innovations-Managerin Andrea Hofmann die These, dass sich derzeit die Rollen von Events und Communities komplett ändern: „Aus der Sicht einer Community-Managerin oder eines Community-Managers steht die Community im Vordergrund, während das Event lediglich ein Medium oder ein Format ist, um die Community zu bespielen“, erläutert Hofmann, die am Innovationszentrum „LabCampus“ am Flughafen München arbeitet. „Statt des Top-down-Ansatzes wird der Bottom-up-Ansatz eine größere Rolle spielen, da Communities aus sich selbst heraus aktiv werden und Themen bestimmen. Am Anfang muss das Community Management viele Themen vorschlagen und vorantreiben, muss nachfragen, Empathie für die Mitglieder entwickeln und sich wirklich in sie hineinversetzen. Idealerweise kommt dann der Zeitpunkt, an dem sich dies organisch entwickelt.“
Copyright: KCAP
Mit dem LabCampus entsteht auf dem Gelände des Flughafens München ein Innovationszentrum. Angetrieben durch den Anspruch, Innovationen aktiv zu fördern, ist das Zentrum ausgerichtet auf branchenübergreifende Zusammenarbeit, gemeinsames Entwickeln, Testen, Präsentieren und Realisieren.
Oder, wie Stefan Rief es formuliert: „Künftig ist es tatsächlich das Community Management, das die Events entwickelt. Das macht es dann inhaltlich stark sowie authentisch. Man kann eine Community nur managen, wenn man für die gleichen Themen brennt“, ist er überzeugt.
Denkt man an erfolgreiche Veranstaltungen und lebendige Communities der Branche, fällt einem unwillkürlich das OMR Festival in Hamburg ein, das vom 17. bis 18. Mai rund 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Messe Hamburg besuchen. Die Zusammenkunft der Digitalbranche findet erstmals nach drei Jahren pandemiebedingter Pause wieder statt und verzeichnet im Vergleich zu 2019 einen Anstieg um 18.000 Besucher. Diese beachtliche Zahl mag daran liegen, dass nach der Pandemie sowohl Bedarf als Sehnsucht nach Austausch außergewöhnlich groß sind oder dass das Programm mit über 800 Speakern, Gründern, Investoren, Branchenentscheidern und Stars wie US-Schauspieler Ashton Kutcher, Regisseur Quentin Tarantino oder dem Autoren Matthew Ball – Stichwort Metaverse – beeindruckt. Es mag aber auch sein, dass das Festival einfach einen anderen Weg geht.
"Any Way the Wind blows”. Die re:publica feiert 2022 ihr Comeback nach Corona mit 21.000 Besuchen. Foto: Jan Zappner, re:publica
Im Rahmen des letzten Festivals vor der Pandemie hat OMR-Gründer Philipp Westermeyer der tw tagungswirtschaft die Herangehensweise erläutert, das ganze Jahr mit der Branche im Austausch zu sein: nämlich das Prinzip einer Medienmarke auf das Geschäft zu übertragen. „Es hat angefangen mit kleinen Treffen und einer Konferenz mit 200 Leuten. Nach zwei bis drei Jahren kamen Redakteure ins Team, die gemeinsam mit mir ganzjährig Content unter der Marke Online-Marketing-Rockstars produziert haben. Damit sind wir allmählich gewachsen. Organisch. Und mit einer täglich wachsenden Reichweite und einem Newsletter hat sich langsam eine Medienmarke entwickelt“, sagt Westermeyer und erklärt, wie das Team anschließend Stück für Stück Elemente hinzugefügt hat. „Einen Podcast, Seminare, eine Jobbörse und so weiter. Das Event ist entsprechend unserer steigenden Reichweite größer geworden und wir haben es schließlich ergänzt um eine Party oder Side-Events. So haben wir die Marke, die Plattform und somit auch das Netzwerk allmählich ausgebaut.“
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Festival für die digitale Gesellschaft re:publica, das vom 8. bis 10. Juni 2022 unter dem Motto „Any Way the Wind blows” sein Comeback nach Corona in der Arena Berlin und dem Festsaal Kreuzberg feiert. Rund um die Konferenz, die dieses Jahr 21.000 Besuche zählt, steigt die mediale Präsenz der re:publica seit Jahren stetig, genauso wachsen permanent neue, kleinere Events das ganz Jahr über ins Portfolio der Berliner um die Gründer Andreas Gebhard, Markus Beckedahl sowie Tanja und Johnny Haeusler. Und zwar so sehr, dass sich die Veranstalter auf ihre Community verlassen können. „Unser Festival-Konzept mit vielen Außenflächen ist aufgegangen“, freut sich Beckedahl am Ende der re:publica 2022. „Viele Menschen laufen hier mit einem Dauerlächeln über das Gelände. Wir haben zahlreiche aktuelle und zukünftige Fragestellungen einer sich entwickelnden digitalen Gesellschaft auf die Bühne gebracht und Menschen zum Mitdenken und Sich-Einmischen inspiriert.“
She Means Community
Wie man eine Community rund um die großen Fragestellungen zu Vielfalt und Frauen eine – im Verhältnis zu OMR-Festival, Rock im Park oder re:publica – „kleine“ Konferenz entwickeln kann, weiß der Kopf hinter der Konferenz „She Means Business“, Kerstin Wünsch. Die Chefredakteurin der tw tagungswirtschaft hat mit ihren Mitstreiterinnen wie Heike Mahmoud, Jeannine Koch, Doreen Biskup oder Karin Ruppert den gemeinnützigen Verein She Means Community gegründet, weil sich die Teilnehmerinnen der Konferenz She Means Business in Frankfurt und Las Vegas im Rahmen der Fachmesse IMEX einen ganzjährigen Austausch zu Diversity, Gender Equality und Female Empowerment gewünscht haben sowie Fortbildung und Mentoring. Deshalb eint die She Means Community Initiativen wie She Means Education und She Means Mentoring.
„Die Plattform She Means Community verstetigt quasi die Idee der Konferenz She Means Business: Frauen zu feiern, fortzubilden und zu vernetzen, damit sie sich gegenseitig unterstützen und stärken“, erklärt Wünsch. „Im Mai 2021 haben wir die She Means Community gegründet. Wir hören genau zu, welche Themen die Mitglieder beschäftigen, und bringen diese wiederum auf die Bühne der She Means Business, wie zum Beispiel mit der Session ‚Breaking the glass ceiling‘. Doch nicht nur inhaltlich, auch konzeptionell befruchtet die Community die Konferenz“, erläutert die Chefredakteurin der tw tagungswirtschaft. „Zur She Means Business 2022 haben wir die Tagline ‚A conversation for all‘ eingeführt, um mehr Männer zu den Themen Diversity und Gender Equality zu mobilisieren und um die Teilnehmer:innen zu motivieren, in die Diskussion einzusteigen. Und das hat funktioniert.“
Christian Funk
Foto: Oliver Wachenfald Fotodesign
„Wenn wir uns für ein gemeinsames Ziel verbinden, kann aus einer kleinen Bewegung etwas Großes entstehen.“
Organisationsberaterin Karin Ruppert, eine der Mitgründerinnen der She Means Community, über die Entstehung des gemeinnützigen Vereins She Means Community, kleine Schritte und große Ziele. Ausgangspunkt ist die Konferenz She Means Business zu Diversity, Gender Equality und Female Empowerment gewesen.