Interview Maritta Lepp

„Führung wird intelligenter“

Foto: Messe München

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Maritta Lepp ist Projektleiterin der Ceramitec bei der Messe München. Im Interview erzählt sie, wie ein kluges Jobsharing ihr nach der Elternzeit den Weg zurück in die Führung geöffnet hat, warum klare Linien im Tandemmodell oft mehr Freiheit schaffen – und weshalb es sich lohnt, die eigene berufliche Gestaltungskraft selbstbewusst auszuschöpfen.

Wer ist Maritta Lepp?

m+a report: In dem Porträtfilm der Messe München sind Sie ein sichtbares Beispiel für Female Leadership. Welche Resonanz bekommen Sie aus der Belegschaft?

Maritta Lepp: Ich habe tatsächlich einiges an Resonanz bekommen – ganz unterschiedliche Rückmeldungen. Das reicht von „Toll, wie du das alles schaffst“ bis hin zu „Danke, dass Sie da einen Einblick gegeben haben. Das Beispiel macht Mut.“ Besonders berühren mich nicht nur die Reaktionen der jungen Kolleginnen, obwohl es natürlich schön ist, wenn man sie ein wenig inspirieren kann. Sehr wertvoll sind für mich auch die Rückmeldungen von erfahrenen Kollegen, die sagen: „Ey, cool, mach weiter so.“ Das empfinde ich als echte Ermutigung und Wertschätzung, weil sie vielleicht noch einmal anders verstehen, was es bedeutet, wenn sich etwas bewegt und nicht immer nur festgefahrene Rollen und Wege weitergeführt werden. Und wenn mein Weg anderen als Alternative oder Orientierung dient oder Zuversicht geben kann, freut mich das natürlich sehr.

Nach Ihrer Elternzeit sind Sie zunächst in ein Tandemmodell eingestiegen. Wie haben Sie dieses Modell konkret gestaltet – etwa bei der Aufgabenverteilung, den Übergaben und Entscheidungsrechten?

Wir wurden für dieses Tandemmodell von People & Culture begleitet. Uns wurde geraten, genau zu überlegen, wie wir es ausgestalten wollen, und wir hatten einen Coach an der Seite, an den wir uns bei Fragen wenden konnten. Meine Tandempartnerin und ich haben uns dann bewusst gegen das scheinbar übliche Modell entschieden, in dem alle alles machen. Aus Branchensicht ergab das für uns wenig Sinn. Für uns war klar: Eine klare Aufgabenverteilung ist wichtiger. Wir haben es deshalb so aufgeteilt, dass meine Kollegin das „Außenministerium“ übernommen hat, mit Fokus auf Kunden, Marketing und Vertrieb. Sie war das Gesicht nach außen. Das war auch dem geschuldet, dass ich sehr kurzfristig vor der anstehenden Messe eingestiegen bin und wir für unsere Kunden Beständigkeit im Bereich der Ansprechpartner wollten. Ich habe dafür das „Innenministerium“ betreut mit den internen Schnittstellen, den Querschnittsabteilungen inklusive der Personalführung. Uns war wichtig, Komplexität herauszunehmen – für das Team, aber auch für unsere Kunden – und möglichst effizient zu arbeiten. Ich hatte bereits Messen im Inland betreut und dadurch meinen bestehenden guten Draht zu den internen Schnittstellen nutzen können. Wenn zwei Personen jeweils nur 20 Stunden pro Woche arbeiten, ist Effizienz entscheidend. Man kann nicht die Hälfte der Arbeitszeit in Abstimmungen investieren. Deshalb hatten wir im Grunde zwei klare Spielregeln: Entscheidungen im eigenen Verantwortungsbereich wurden von der anderen nicht infrage gestellt, und strategische Themen haben wir gemeinsam entwickelt. Zusätzlich haben wir uns situativ ausgetauscht – im Büro, über Teams oder auch mal per Sprachnachricht am Nachmittag zwischen der Kinderbetreuung. Und das hat sehr gut funktioniert.

Sie sagten, Sie sind relativ kurzfristig vor der Inhorgenta wieder eingestiegen. Wie knapp war dieser Zeitrahmen?

Ich bin sechs Wochen vor der Messe zurückgekehrt. So konnte ich den gesamten internen Abstimmungsaufwand übernehmen. Ich wusste, worauf es ankommt, und kannte die Ansprechpartner. Das war, denke ich, für meine Tandempartnerin und mich eine sehr gute Aufteilung.

Mit neuem Fokus, einer hohen internationalen Ausstellerbeteiligung und einer Ausrichtung auf Zukunftsthemen öffnet die Ceramitec vom 24. bis 26. März 2026 auf dem Messegelände München ihre Tore. Dabei deckt die das ganze Spektrum des Werkstoffs Keramik ab: von klassischer Keramik über Feuerfesttechnik bis hin zu Hochleistungskeramik.

Foto: Messe München

Und was macht Ihre Kollegin heute?

Von dem Tandemmodell haben wir beide profitiert. Meine Kollegin hatte zuvor den gesamten Job als Projektleiterin allein in Teilzeit gestemmt. Jetzt ist sie in Elternzeit nach ihrem zweiten Kind. Für mich war das Modell auch ein Glücksfall, weil ich meine Stunden Schritt für Schritt aufstocken und am Ende wieder in Vollzeit gehen konnte.

Was würden Sie an diesem Modell aus heutiger Sicht vielleicht anders gestalten?

Ich würde es genauso wieder machen. Für die damalige Situation war die Aufteilung genau richtig. Heute, mit der Erfahrung, die ich inzwischen gesammelt habe und meiner Rolle als allein verantwortliche Projektleiterin, würde ich die Aufgaben wahrscheinlich anders zuschneiden – zum Beispiel mit einer stärkeren Präsenz nach außen. Unter den damaligen Rahmenbedingungen war die klare, getrennte Aufgabenverteilung absolut sinnvoll. Und ich würde auch heute noch sagen: Eine klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten ist wichtig – nicht jeder macht alles.

In Deutschland würde fast die Hälfte der teilzeitbeschäftigten Mütter ihre Arbeitszeit erhöhen – wenn betriebliche Bedingungen wie Flexibilität, Kommunikation und Karriereperspektiven verbessert würden. Welche Faktoren waren für Sie entscheidend, wieder voll einzusteigen?

Ich habe nach etwa einem halben Jahr auf 30 Stunden erhöht und drei Monate später auf 40. Entscheidend war erst einmal, dass das Unternehmen mir die Möglichkeit gegeben hat, meine Stunden aufzustocken. Und ehrlich gesagt: Es war von Anfang an mein Plan, wieder voll einzusteigen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Ich hatte ursprünglich schon die Sorge, dass ich in Teilzeit meine Position als Projektleitung nicht behalten könnte. Umso positiver war ich überrascht, als People & Culture im Gespräch die Möglichkeit des Jobsharings ins Spiel brachte. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, aktiv auf den Arbeitgeber zuzugehen, statt von vornherein zu denken: „Das funktioniert sowieso nicht.“ Gemeinsam lassen sich oft gute Lösungen finden – wie in meinem Fall das Tandemmodell. Und ich habe gelernt: Bei der Messe München ist es grundsätzlich kein Thema, Stunden aufzustocken oder zu reduzieren. Man muss nur darüber sprechen.

„Lieber mutig sein und mit mehr Stunden reingehen – gearbeitet werden sie ohnehin.“

Der zweite Faktor, der viele Frauen oder Mütter umtreibt, ist das Thema Finanzen. Ich habe für mich früh gemerkt: Wenn man offiziell auf 20 Stunden geht, reduziert sich die Arbeit nicht automatisch im gleichen Maß. Hand aufs Herz – wie viele Stunden landen am Ende auf dem Gleitzeit- oder Überstunden-Konto? Deshalb war für mich klar: Lieber mutig sein und mit mehr Stunden reingehen. Gearbeitet werden sie ohnehin, aber ich verzichte nicht auf das Gehalt und tue langfristig auch etwas für meine Vorsorge. Ich sage Kolleginnen immer: Wenn ihr Sorge habt, ob ihr fünf Stunden mehr schafft, schaut euch euer Gleitzeitkonto an. Rechnet aus, wie viel ihr tatsächlich arbeitet. Kommt ihr wirklich auf 20 Stunden – oder eher auf 25 oder 30? Dann nehmt das Geld lieber mit.

Was macht dabei die Messe München als Arbeitgeber für Sie familienfreundlich?

Es gibt für mich einen „weichen“ Faktor – ich weiß gar nicht genau, wie ich ihn bezeichnen soll. Es ist etwas, das man einfach spürt: dass Kinder willkommen sind. Und zwar nicht aus Pflichtgefühl, weil es irgendwo auf dem Papier steht, sondern aus echter Wertschätzung. Das zeigt sich zum Beispiel bei Sommerfesten, zu denen die Kinder mitkommen dürfen, im Homeoffice, wenn sie mal durchs Bild laufen, oder in den Ferien, wenn sie mit ins Büro kommen. Egal ob direkte Kolleginnen und Kollegen, andere Mitarbeitende oder in der Kantine – die Menschen lächeln, freuen sich. Dieses Gefühl, dass Familie nicht stört, sondern dazugehört, ist für mich ein großer emotionaler Rückhalt. Und den brauche ich im Alltag.

Für die im Jahr 2024 neugestaltete Markenstrategie der Ceramitec hat die Messe München in diesem Jahr einen Red Dot Award erhalten. V. l.: Tanja Schneider, Brand Managerin, und Maritta Lepp, Exhibition Director der Ceramitec. Foto: Messe München

Und dann gibt es natürlich die „harten“ Faktoren: die Angebote, die die Messe München schafft, damit man Familie und Beruf vereinbaren kann. Flexible Arbeitszeiten, bis zu 60 Prozent mobiles Arbeiten, Workation-Angebote, in meinem Fall die Wiedereinstiegsmöglichkeit über das Jobsharing. Dazu kommt das Eltern-Coaching, das Tipps und Orientierung gibt – oder einfach dabei hilft, wieder innere Balance zu finden. Auch der Austausch mit anderen Eltern wird gefördert. Diese strukturellen Rahmenbedingungen sind essenziell. Und ich weiß sehr zu schätzen, dass die Messe München all das möglich macht. Es muss beim Arbeitgeber nicht alles perfekt sein – aber dass man gemeinsam Lösungen finden kann, die zum eigenen Leben passen, das ist entscheidend.

Wie verändert Vereinbarkeit auch die Führungskultur? Wird Führung heute weicher, empathischer, vielleicht auch kollaborativer?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Vereinbarkeit, oder besser gesagt: die Anforderungen, Familie und Beruf zu verbinden, die Führungskultur verändert hat. Und ich hoffe sehr, dass diese Veränderung nachhaltig ist. Führung wird für mich dadurch nicht unbedingt weicher, aber intelligenter. Intelligente Führung heißt für mich: situativ entscheiden, wann man Verantwortung teilt, Raum für Entwicklung gibt und dass man individueller führt, weil man die jeweiligen Lebensmodelle der Mitarbeitenden berücksichtigt. Im Messekontext – zumindest bei meinem Arbeitgeber – wird das sehr bewusst gelebt. Wir setzen auf transformationale Führung, also Führung durch Motivation, Vertrauen und gemeinsame Entwicklung. Und ich merke das ganz konkret in meinem Alltag: Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen spreche, die Familie und Beruf vereinbaren möchten – sei es wegen Kindern oder der Pflege von Angehörigen –, dann zeigt sich, wie wichtig es ist, als Führungskraft nicht nur Strukturen zu schaffen, sondern auch Haltung zu zeigen. Man muss es wirklich meinen und leben, dass Vereinbarkeit wichtig ist. Dazu gehört, den Mitarbeitenden genau zuzuhören: In welcher Situation sind sie gerade? Welche Herausforderungen oder Bedürfnisse haben sie? Und dann muss man bereit sein, ein Stück Kontrolle abzugeben und zu sagen: „Ich traue dir zu, mit deiner Zeit und deinen Aufgaben verantwortungsvoll umzugehen, wenn ich dir den Freiraum dafür gebe.“ Das verändert nicht nur die Führungskultur – es verändert auch die Art, wie wir zusammenarbeiten. Und ja: Es entsteht eine empathischere und menschlichere Ebene.

Hat sich denn Ihr eigener Führungsstil verändert, seit Sie Mutter sind?

Ja, ich würde schon sagen, dass sich mein Führungsstil verändert hat – nicht in meinen Grundwerten, aber in der Klarheit, mit der ich sie vertrete. Ich habe bei mir festgestellt, dass ich heute deutlich selbstbewusster und resoluter bin, gerade wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Früher habe ich mir oft Gedanken gemacht, was andere über meine Entscheidungen denken könnten. Heute frage ich mich eher: Passt es für mich? Passt es für meine Familie? Passt es für meinen Job? Und wenn ja, dann mache ich es einfach. Erstaunlicherweise funktioniert das, niemand stellt es infrage. Das ist ein Learning, das ich gern weitergebe: Hört auf, euch zu viele Gedanken zu machen. In den meisten Fällen ist es völlig in Ordnung, wie ihr eure Arbeitsweise gestaltet.

Maritta Lepp (Mitte) bei den Ceramitec Talks 2024. Foto: Messe München

Ich bin außerdem ungeduldiger geworden. Wenn man Kind und Karriere unter einen Hut bringen will, ist Zeit ein kostbares Gut. Ich reagiere sensibler auf Zeitfresser. Wenn jemand unvorbereitet in einen Termin kommt, spreche ich es direkt an. Es hilft mir, die Balance zu halten. Was mir schon immer wichtig war, ist Empathie. Aber heute weiß ich aus eigener Erfahrung, wie entscheidend es ist, dass Kolleginnen und Kollegen mit familiären Verpflichtungen den nötigen Freiraum bekommen. Ich weiß jetzt nicht nur, wie wichtig das ist – ich versuche es noch bewusster zu leben und vorzuleben.

Ihr Mann arbeitet ebenfalls bei der Messe München in einer Führungsposition und spricht offen darüber, sich genauso in die Care-Arbeit einzubringen wie Sie. Wie gelingt Ihnen diese partnerschaftliche Aufteilung im Alltag?

Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir unsere Tochter trotz unserer Vollzeitjobs nicht in eine Ganztagsbetreuung geben wollten, sondern dass wir uns selbst um sie kümmern möchten. Dank der Möglichkeit, bis zu 60 Prozent mobil zu arbeiten, können wir sie nach dem Kindergarten ab Mittag zu Hause betreuen. In der Praxis bedeutet das: Wir legen unsere Termine so, dass möglichst viel am Vormittag stattfinden kann. Wenn es Nachmittagstermine gibt, wechseln wir uns ab – einer übernimmt den Termin, der andere hat die freie Zeit, um sich um unsere Tochter zu kümmern. Und ja, manchmal heißt das auch, dass wir abends noch einmal weiterarbeiten, um E-Mails abzuarbeiten. So sieht unser normaler Arbeitsalltag unter der Woche aus. Während der Messelaufzeiten hält dann jeweils einer dem anderen den Rücken frei und übernimmt die Kinderbetreuung komplett. Aber auch das funktioniert, weil diese Phasen planbar sind, die Rahmenbedingungen stimmen und weil das Vertrauen seitens des Arbeitgebers da ist: dass wir unsere Aufgaben erfüllen und am Ende das Ergebnis zählt – nicht die Uhrzeit, zu der es entsteht. Es ist natürlich viel Abstimmung, aber es ist machbar.

Stichwort Planbarkeit: Gerade in der Veranstaltungsbranche gibt es Phasen mit hoher Reisetätigkeit und dichtem Projektgeschäft. Wie schaffen Sie in diesen Spitzenzeiten diese Planbarkeit für sich und Ihre Familie?

Das Positive an der Veranstaltungsbranche – zumindest in der Messebranche, für Konzertveranstalter kann ich nicht sprechen – ist, dass unser Beruf ein hohes Maß an Planbarkeit bietet. Messetermine, Konferenzen und viele andere Formate stehen meist mindestens sechs Monate im Voraus fest. Auch Kundenbesuche lassen sich mit genügend Vorlauf organisieren. Und wer einmal einen kompletten Messezyklus mitgemacht hat, weiß genau, in welchen Phasen die Arbeitsbelastung steigt und wann es auch wieder ruhiger wird.

Foto: Messe München

Diese Planbarkeit hilft enorm. Ich mache mir zum Jahresbeginn eine Übersicht über die wichtigsten Dienstreisen und Termine und trage alles in unseren Familienkalender ein. In diesen Zeiten – und besonders in den letzten Wochen vor einer Messe – hält mein Mann mir den Rücken frei und übernimmt die Kinderbetreuung. Umgekehrt gilt das genauso. Und wenn sich in seltenen Fällen doch einmal Termine überschneiden, haben wir genügend Vorlaufzeit, Unterstützung zu organisieren, zum Beispiel durch die Großeltern. Deshalb empfinde ich es ehrlich gesagt gar nicht als so schwierig, trotz Reisetätigkeit Familie und Beruf zu vereinbaren. Es ist organisatorischer Aufwand, ja – aber wir sind es gewohnt zu planen, zu organisieren und im selben Ausmaß zu improvisieren, beruflich wie privat. Sonst wären wir im falschen Beruf. Und genau das spielt uns in die Karten.

Was wünschen Sie sich für die nächste Generation von Eltern in Führungspositionen?

Ich würde mir wünschen, dass sie sich gar nicht mehr die Frage stellen, ob Karriere und Familie vereinbar sind – weil es selbstverständlich geworden ist. Ich wünsche mir außerdem, dass sie sich selbst mehr zutrauen und sich nicht von alten Rollenmustern verunsichern lassen. Führung geht auch mit Familie. Und vor allem geht Familie auch mit der Verantwortung einer – oder sogar zweier – Führungspositionen. Oft wird das infrage gestellt: Im Unternehmen, ob sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Und im privaten Umfeld dann umgekehrt, ob man der Familie gerecht wird, wenn man eine Führungsposition übernimmt. Mein Tipp: Nicht verunsichern lassen.

„Entscheidend ist, dass man gemeinsam Lösungen finden kann, die zum eigenen Leben passen.“

Von den Unternehmen wünsche ich mir, dass sie erkennen, wie wertvoll Eltern in Führungspositionen sein können – und dass sie ihnen bei Bedarf unter die Arme greifen. So wie es bei der Messe München geschieht: durch Coaching, Mentoring oder eine familienfreundliche Führungskultur. Und last but not least wünsche ich mir für zukünftige Elterngenerationen, dass bei der Besetzung von Positionen weder das Geschlecht noch das Alter noch eine mögliche zukünftige Familiensituation eine Rolle spielen, sondern ausschließlich die Kompetenz und die Eignung für die Stelle.

Was würden Sie jungen Frauen raten, die eine Führungsrolle anstreben und gleichzeitig eine Familie gründen möchten? Und vielleicht auch den Chefs dieser jungen Frauen?

Wenn junge Frauen Karriere machen und gleichzeitig eine Familie gründen möchten, ist die wichtigste Hausaufgabe: rechtzeitig mit dem Partner sprechen. Und zwar offen darüber, dass sie die Karriere nicht hintenanstellen wollen und wie sie sich die Aufteilung der Care-Arbeit vorstellen. Denn für eine Familie braucht es zwei – und dann kann es nicht sein, dass ein Elternteil etwas aufgeben muss, wenn er oder sie das gar nicht möchte. Und dass sich junge Frauen nicht mit dem Satz zufriedengeben: „Irgendwie werden wir das schon schaffen.“ Diese Diskussion muss man am Anfang führen, damit man als Frau nicht am Ende in die schwächere Position gerät, zurücksteckt und in „traditionelle Rollen“ zurückfällt. Denn wenn der Großteil der familiären Verantwortung automatisch bei der Frau landet, weil vorher nichts geklärt wurde, fehlt ihr später die Zeit und Kraft, die Karriere weiter voranzutreiben. Kommunikation ist hier alles – man schafft das nur gemeinsam. Ich habe selbst schon Stellen nachbesetzt. Als Führungskraft trägt man Verantwortung für unternehmerische Entscheidungen – und dazu gehört natürlich auch die Einschätzung von Entwicklungspotenzial und möglichen Fehlzeiten. Das spielt eine Rolle, das kann man nicht leugnen. Aber ich plädiere sehr dafür, eine Mitarbeiterin, die signalisiert, dass sie sowohl eine Führungsrolle als auch eine Familie anstrebt, nicht vorschnell als Risiko zu bewerten. Die Frage sollte eher sein: Steht diese Person wirklich hinter ihrer Entscheidung? Bringt sie Motivation, Belastbarkeit und Verantwortungsbewusstsein mit, um Karriere und Kind gemeinsam zu stemmen? Mein Appell lautet: Vertraut auf eure Menschenkenntnis. Wenn ihr einer Person etwas zutraut, dann eröffnet ihr die Möglichkeit. In den allermeisten Fällen zahlt sich dieses Vertrauen aus – menschlich wie unternehmerisch. Denn eine Frau (oder auch ein Mann), die sagt: „Ich will beides versuchen – Karriere und Familie“ und dafür den nötigen Rahmen bekommt, wird das dem Unternehmen mit Motivation, Leistung und einer gehörigen Portion Verantwortungsbewusstsein zurückgeben.

Justine Hein

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