Interview Alexander Ostermaier
„Wir müssen die Zuversicht in Live-Formaten wiederherstellen“
Alexander Ostermaier auf der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft am 24. November 2022 im Tagungs- und Kongresszentrum Axica in Berlin. Foto: Sebastian Greuner
Alexander Ostermaier auf der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft am 24. November 2022 im Tagungs- und Kongresszentrum Axica in Berlin. Foto: Sebastian Greuner
Alexander Ostermaier ist Geschäftsführer der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft und Mitglied im Rat der Vertreter:innen der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft. Im Interview spricht er über Werte wie Menschenrechte, die drei wichtigsten politischen Forderungen, einen Katapultstart im Frühjahr und Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette.
tw tagungswirtschaft: Veranstaltungen können die Welt vereinen oder entzweien. Schauen Sie sich Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar an? Alexander Ostermaier: Nein, ich verspüre zurzeit keine Lust, mir die Spiele anzuschauen. Ich bin zwar ein großer Sportfan, aber das Agieren der großen Verbände, nicht nur im Fußball, steht für mich schon länger in keinem guten Verhältnis zu mir sehr wichtigen Werten wie Menschenrechte und die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung. Da beschäftige ich mich in meiner Freizeit lieber mit anderen Dingen.
Diese Frage war die Testfrage für das Voting auf der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft vor zehn Tagen. Zur Abstimmung kamen 53 Forderungen in neun Themenblöcken – von der Überbrückung von Verlusten bis zum Übergang in eine nachhaltige Veranstaltungswirtschaft. Welche drei Themen sehen Sie als am wichtigsten an?
Erstens müssen wir es schaffen, die durch die lange Betroffenheit angeschlagenen Branchenunternehmen aus der andauernden Krise beziehungsweise den ineinanderlaufenden Krisen zu bringen. Hierfür brauchen wir maßgeschneiderte Unterstützung. Damit wir zweitens unseren Wirtschaftszweig wieder attraktiv gestalten können, um die dringend benötigten Mitarbeiter neu- oder zurückgewinnen zu können. Drittens ist die Transformation hin zu einer nachhaltigen – und zwar nicht nur im ökologischen Sinne – Veranstaltungswirtschaft aus meiner Sicht unabdingbar.
Auf der Bundeskonferenz war beides zu hören: Die Pandemie ist vorbei. Die Pandemie ist nicht vorbei. Wie sehen Sie das?
Schwer zu sagen. Meine Hoffnung ist, dass wir jetzt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Coronavirus gelangen, der die Zuversicht bei unseren Auftraggebern und Kunden zurückbringt und unsere Arbeit wieder planbarer macht – dafür sehe ich auch durchaus erste Anzeichen.
Auf der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft ist der neue Rat der Vertreter:innen gewählt worden und mit diesem Alexander Ostermaier. Die fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft ist wie die BOE International eine große Unterstützerin der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft. Foto: Sebastian Greuner
Der Winter ist da und mit ihm sinkende Temperaturen und steigende Energiepreise in Europa. Welche Herausforderungen sehen Sie für die kommenden drei Monate?
Die Energieknappheit und steigenden Preise erzeugen leider weitere Unsicherheit aufseiten unserer Auftraggeber und bei Konsumenten. Die Zurückhaltung sowohl bei Ticketkäufern als auch bei Auftraggebern in vielen Bereichen wirtschaftsbezogener Veranstaltungen ist für die Wintermonate deutlich spürbar.
In ihrem Herbstgutachten rechnet die Bundesregierung damit, dass die Wirtschaft 2023 um 0,4 Prozent schrumpfen und sich erst 2024 wieder erholen wird. Wie ist Ihre Prognose für das Event-Jahr 2023?
Der Anfang wird in vielen Bereichen sehr bescheiden ausfallen. Ich vermute, wir werden ab März/April bei den wirtschaftsbezogenen Veranstaltungen einen ähnlichen Katapultstart wie in diesem Jahr und eine Verdichtung des Eventjahres auf neun bis zehn Monate erleben.
Es scheint, dass sich Kongresse und Messen international schneller erholen. Die Fachmesse IMEX America 2022 kommt in Las Vegas nah an ihr Vor-Corona-Niveau heran, anders als die IMEX 2022 in Frankfurt. Was ist zu tun?
Wir müssen dringend die Zuversicht bei Ausstellern und Teilnehmenden in Live-Formate wiederherstellen. Das ist im Ausland in vielen Fällen besser gelungen.
„Ich wünsche mir, dass noch mehr Branchenteilnehmer den immensen Wert von interdisziplinärem Austausch über alle Sparten unseres extrem vielfältigen Wirtschaftszweiges hinweg erkennen.“
Alexander Ostermaier, Geschäftsführer der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft
Die Veranstaltungswirtschaft muss in der Gesamtwirtschaft sichtbar werden, findet Ihr Verband. Nur: Wer gehört zur Veranstaltungswirtschaft?
Alle, die mit Veranstaltungen jedweder Art ihren Lebenserwerb bestreiten, und sei es auch nur zum Teil.
Der weltweite Dachverband Joint Meeting Industry Council (JMIC) vereint 13 internationale Fachverbände, etwa für Messen die UFI und für Kongresse die ICCA. Der JMIC vertritt das Segment der Business Events weltweit und spricht mit einer Stimme. Wieso gelingt das nicht in Deutschland?
Eine Vertretung der gesamten, in sich sehr kleinteiligen Branche gab es vor Beginn der Corona-Pandemie nicht. Durch die Krise und die Anstrengungen vieler verschiedener Akteure haben wir erstmalig gelernt, wie groß und umfangreich der Wirtschaftszweig mit all seinen Facetten ist. Der Aufbau einer starken Stimme und die dauerhafte Verankerung der Branche als relevanter Wirtschaftszweig in der öffentlichen Wahrnehmung und bei den politischen Ansprechpartnern ist unser erklärtes Ziel. Hierfür benötigen wir Zeit und die anhaltende Einsicht in die Wichtigkeit einer gemeinsamen Stimme.
Stichwort Klimakrise. Wie kann die Veranstaltungswirtschaft mit ihrem hohen internationalen Reiseaufkommen vom Problem zur Lösung werden? Indem wir anfangen, in der gesamten Wertschöpfungskette miteinander zu sprechen und gemeinsame Lösungen zu suchen. Den größtmöglichen Wirkungsgrad erzielen wir, wenn bereits zwischen Auftraggebern und Planern nachhaltige Veranstaltungsformate konzipiert werden und bei der Umsetzung alle Leistungspartner aufeinander abgestimmt agieren.
Sind Großveranstaltungen wie die UN-Klimakonferenz COP27, zu der 45.000 Delegierte nach Ägypten gereist sind, noch zeitgemäß? Pauschal ist das schwer zu beantworten. Es hängt davon ab, welchen Zweck und welches Ziel für eine Veranstaltung gesteckt sind. Es kann durchaus sein, dass der nachhaltigste Weg, dies zu erzielen, eine Großveranstaltung an einem zentralen Punkt ist.
Ihre Vorgängerorganisation, der Kommunikationsverband Famab, hat den Sustainable Summit veranstaltet. Ist eine Neuauflage angedacht, und was macht Ihr Verband zum Thema Nachhaltigkeit? Wir haben den Sustainable Summit des Famab alle in sehr guter Erinnerung. Wann und in welchem Format wir eine Neuauflage planen, kann ich heute leider noch nicht sagen. Seit November haben wir mit Marko Roscher einen Nachhaltigkeitsexperten bei uns im Team, um den Bereich mit Nachdruck voranzutreiben. Wir sehen zwei elementare Punkte. Zum einen die Erarbeitung einer gemeinsamen Branchenhaltung, zum anderen brauchen wir schnell konkrete, nachvollziehbare Schritte hin zu einer nachhaltigen Veranstaltungswirtschaft. Wir werden jetzt Anfang Dezember den ersten Konvoi von Mitgliedsunternehmen zusammen auf den Weg zu einer DIN ISO-20121-Zertifizierung führen. Mit unserem Ansprechpartner im Wirtschaftsministerium, Staatssekretär Michael Kellner, erörtern wir zudem die Möglichkeiten, den Ausbau von Kreislaufwirtschaftsmodellen in der Branche zu fördern.
fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft
Die fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft (ehemals Famab Kommunikationsverband e. V.) versteht sich als disziplinenübergreifende Vereinigung der deutschen Veranstaltungswirtschaft mit dem Ziel der politischen und gesellschaftlichen Interessenvertretung. Im Vergleich zur Vor-Corona hat der fwd: einen kleinen Mitgliederzuwachs verzeichnet und kommt mit seinem Partnerverband, dem Berlin Event Network, auf rund 410 Mitglieder aus allen Bereichen der Veranstaltungswirtschaft in sieben Communities. fwd: repräsentiert nach eigenen Angaben die sechstgrößte Branche in Deutschland mit – bis Ende 2019 –100.000 Betrieben, einer Million Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 130 Mrd. Euro. In ihrer Vision gestaltet die Veranstaltungswirtschaft die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen aktiv mit. fdw: steht für „forward“ – vorwärts!
Im März 2023 sind Sie ein Jahr Geschäftsführer in der fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft und haben zum Schluss unseres Gesprächs einen Wunsch frei. Welcher ist das?
Ich wünsche mir, dass noch mehr Branchenteilnehmer den immensen Wert von interdisziplinärem Austausch über alle Sparten unseres extrem vielfältigen Wirtschaftszweiges hinweg erkennen und die Formate, die wir hierfür anbieten, verstärkt nutzen.